Parallel zum Evangelischen Kirchentag fanden in Hamburg und Hannover Feiern des Schiller-Instituts zum 200. Todestag Friedrich Schillers statt.
"Ich bekenne es freimütig, ich glaube an die Wirklichkeit einer uneigennützigen Liebe."
Wer hier raten soll, von wem dieser Satz stammt, auf wen wird wohl seine Wahl fallen? Vielleicht hat ein Vertreter des Evangelischen Kirchentags in Hannover, der Hunderttausende Gläubige, Sinnsehnende und Erlebnishungrige zusammenführte, die Worte gesprochen? Der Kirchentag wurde ursprünglich von dessen Gründer im Gefängnis erdacht, um sicherzustellen, daß die Protestanten niemals mehr abirren, wie es im Nationalsozialismus geschehen war. Der Kirchentag sollte die Laien schulen und im wahrhaften Glauben stärken.
In Hannover konnte keiner dieser großen Veranstaltung entfliehen. Von den zahlreichen Podien war die Innenstadt in die laute Musik des "Kirchenrocks" regelrecht eingehüllt. Überall wurden Texte verteilt oder Gottesdienste mittels großer Leinwände im Freien abgehalten, und auch im Gesamtbild und auf vielen Veranstaltungen war der ökologisch-fundamentale Ansatz, "Christ sein in der heutigen Zeit heißt, auf das Kleine sehen", zu spüren. Bischöfin Käßmann von der Landeskirche Hannover, die zwar zur Eröffnung engagiert gegen den Neu-Gott Mammon predigte, wies in einem Interview in der TAZ den Vorwurf des Anschmiegens an den Zeitgeist zurück - Jesus habe schließlich auch in seiner Zeit gelebt.
Wie anders fand die Auseinandersetzung in Schillers Kopf statt. Schillers Bekenntnis zur uneigennützigen Liebe in dem Brief des Julius an Raphael in den Philosophischen Briefen bildete neben dem neunten der 27 Briefe zur Ästhetischen Erziehung des Menschen einen Schwerpunkt der Gedenkveranstaltung des Schiller-Instituts und der Tell-Gruppe in Hannover und Hamburg. Schillers Glaube ist ein frohes Argument gegen den "kalten, tötenden... Hauch einer kleinmütigen Indifferenz... Wenn ich hasse, so nehme ich mir etwas, wenn ich liebe, so werde ich um das reicher, was ich liebe." Der junge Schiller befindet: "Viele unserer denkenden Köpfe haben es sich angelegen sein lassen, diesen himmlischen Trieb aus der menschlichen Seele hinwegzuspotten... Aus einem dürftigen Egoismus haben sie ihre trostlose Lehre gesponnen und ihre eigene Beschränkung zum Maßstab des Schöpfers gemacht..." Und statt die Menschen im Kleinsein zu bestärken, will Schiller sie mit dem Werkzeug der Kunst lehren, "ihre Gedanken zum Notwendigen und Ewigen" zu erheben: "Wenn du (der Künstler) handelnd oder bildend, das Notwendige und Ewige in einen Gegenstand ihrer Triebe verwandelst. Fallen wird das Gebäude des Wahns und der Willkürlichkeit, fallen muß es, ... aber in dem innern, nicht bloß in dem äußern Menschen muß es sich neigen ... Lebe mit deinem Jahrhundert, aber sei nicht sein Geschöpf."