Der lautlose Putsch gegen Griechenland
Von Stelios Kouloglou
Stelios Kouloglou ist Journalist, Schriftsteller und als
Vertreter der griechischen SYRIZA Mitglied des Europäischen Parlaments.
Seit ihrer Wahl im Januar ist die griechische Regierung mit einem stillen
Putsch konfrontiert.
Die Absicht ist es, die neue Regierung zu stürzen und sie durch eine
Regierung zu ersetzen, die unterwürfig gegenüber den Gläubigern ist, und
gleichzeitig die „Träumer“ unter den Wählern in Spanien und anderen Ländern zu
entmutigen, die immer noch an die Möglichkeit von Regierungen glauben, die
sich dem deutschen Austeritätsdogma widersetzen. Man erstickt eine Regierung,
man erstickt die Hoffnung.
Die Lage erinnert an Chile Anfang der 1970er Jahre, als US-Präsident
Richard Nixon beschloß, Salvador Allende zu stürzen, damit nicht andere Länder
im amerikanischen Hinterhof von der Lage in Chile angesteckt würden. „Laßt die
Wirtschaft schreien“, lautete eine der Anweisungen des US-Präsidenten an die
CIA und andere Geheimdienste, bevor die Panzer von General Augusto Pinochet in
Aktion traten.
1970 hatten die US-Banken sämtliche Kredite an chilenische Banken gesperrt.
Heute hat Herr Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), eine
Woche nach der Wahl im Januar 2015 ohne die geringste Rechtfertigung die
wichtigste Finanzierungsquelle der griechischen Banken gesperrt und sie durch
die Notfall-Liquiditätshilfe (Emergency Liquidity Assistance, ELA) ersetzt,
ein Kreditfenster, das weit teurer ist und auf wöchentlicher Basis erneuert
werden muß. Wie das Schwert des Damokles hängt das über den Köpfen der
griechischen Regierung.
Und neben dem Schwert des Damokles gibt es außerdem auch noch Drogen. Mehr
als 90% des Geldes, das uns die Gläubiger schicken, fließt direkt an sie
zurück - manchmal schon am nächsten Tag! -, weil es an den Schuldendienst
gebunden ist.
Da eine Nichtbedienung der Schulden ein „Kreditereignis“, d.h. eine Art
Bankrott ist, ist das Freigeben der Dosen ist eine sehr mächtige Waffe in den
Händen der Gläubiger, ein Instrument der permanenten politischen
Erpressung.
In diesem unerklärten Krieg werden auch andere wirtschaftliche Waffen
eingesetzt, wie z.B. die Ratingagenturen. Es ist ein moderner Staatsstreich.
Wie man im Englischen sagt: „Not with the tanks, but with the banks“ - nicht
mit Panzern, sondern mit Banken.
Die Medien waren auch ein Werkzeug der Angriffe auf die Regierung, um das
Gespenst eines „Grexit“, des Ausscheidens von Griechenland aus der Eurozone,
heraufzubeschwören und dadurch Panik zu schüren. Angeführt wird diese
Offensive von der deutschen Boulevardzeitung Bild, die schon seit 2010
reißerische Schlagzeilen über „faule“ und „korrupte“ Griechen veröffentlichte
und sie aufforderte, ihre Inseln zu verkaufen, um so ihre nationalen Schulden
zu reduzieren. Bild veröffentlichte auch eine Pseudoreportage über
einen Run auf eine Bank in Athen und zeigte dazu alltägliche Bilder
griechischer Rentner, die vor einer Bank Schlange stehen, um ihre Monatsrente
abzuheben.
Hinzu kamen die Behauptungen der Medien über die „Rettung“ Griechenlands,
während in Wahrheit durch die Kredite, die Griechenland 2010 gegeben wurden,
die französischen und deutschen Banken gerettet wurden. Diese Kredite, die
anfangs sehr hoch verzinst waren, wurden der öffentlichen Meinung in
Deutschland und international als großzügige Hilfen für die „Faulen“ und
„Korrupten“ präsentiert.
Finden wir heraus, was tatsächlich geschehen ist. Nach Angaben der
französischen Tageszeitung Libération machte allein Frankreich seit
2010 Zinsgewinne von 2 Mrd. € [aus den Griechenlandkrediten]. Sogar
Österreich, das sich nur sehr bescheiden beteiligt hatte, machte bis heute
nach Angaben seiner Regierung 100 Mio. € Gewinn.
Die deutsche öffentliche Meinung gibt sich also ahnungslos. Die Ausnahme
sind einige humoristische Fernsehsendungen. Das ist das Medium, wo man wagt,
die Wahrheit zu sagen.
Sie werfen uns vor, wir seien nicht bereit, Reformen vorzunehmen? In
Wirklichkeit wollen wir Reformen mehr als irgendein anderer. Wirkliche
Reformen, nicht Chaos.
Was von Griechenland verlangt wird, ist die Anwendung neoliberaler Rezepte.
Dabei hat jeder seine eigenen Obsessionen: Die „Ideologen“ des IWF fordern die
Deregulierung des Arbeitsmarktes und das Recht auf Massenentlassungen, das sie
den griechischen Oligarchen, denen die Banken gehören, versprochen haben. Die
EU-Kommission, sprich Berlin, fordert systematische Privatisierungen, die
„Schnäppchen“ für deutschen Unternehmen sein können. Zu der endlosen Liste der
skandalösen Verkäufe von Staatseigentum gehört u.a. 2013 der Verkauf von 28
Gebäuden des griechischen Staats, die er weiter nutzt. In den kommenden 20
Jahren muß Athen dafür 600 Mio.€ Miete zahlen - fast dreimal soviel Geld, wie
es durch den Verkauf eingenommen hat (und sofort an die Gläubiger
zurückgab)!
Die griechische Regierung ist weiterhin sehr populär, trotz einiger
Zugeständnisse: keine Aussetzung der von der Vorgängerregierung beschlossenen
Privatisierungen (obwohl sie versprochen wurden), Verschiebung der Anhebung
des Mindestlohns und Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Am Ende bleibt die große Frage vor allem eine politische: Haben Wahlen noch
einen Sinn, wenn ein Land, das im Kern seine Verpflichtungen erfüllt, seine
Politik nicht ändern darf?
Die andauernde Tragödie Griechenlands unterstreicht die Notwendigkeit eines
neuen Rahmens der internationalen Beziehungen. Einen Rahmen, der die
Demokratie, die Souveränität und die nationale Würde jedes Landes respektiert
und gleichzeitig Beziehungen und wirtschaftliche Abkommen fördert, die uns
nicht an den Kolonialismus erinnern. Ein Rahmen, der für alle Beteiligten
vorteilhaft ist.
Kürzlich hat die griechische Regierung angekündigt, daß sie Griechenlande
Beteiligung an der neuen BRICS-Bank beantragen wird, ein Ersuchen, das von
Seiten Rußlands positiv aufgenommen wurde. In dem spannungsgeladenen Klima der
Drohungen und Ultimaten sorgte das in der öffentlichen Meinung in Griechenland
zu einem wahren Stoßseufzer der Erleichterung und des Optimismus.
In seiner unterlegenen Position kann Athen - von den Kräften, auf die es
gehofft hatte, wie die französische Regierung, im Stich gelassen - die Lösung
für das große Problem, das das Land überwinden muß, nämlich die unerträglichen
Schulden, nicht fordern. Der Vorschlag, eine internationale Konferenz zu
veranstalten, wie jene, die 1953 veranstaltet wurde, um Deutschland den
größten Teil seiner Kriegsreparationen zu erlassen, was den Weg für das
Wirtschaftwunder bereitete, wird in einem Meer von Drohungen und Ultimaten
ertränkt.
Die Gläubiger wollen Herrn Tsipras an die Wand drängen, indem sie nur zwei
Wahlmöglichkeiten lassen: finanzielle Strangulation, wenn er weiter an seinem
Programm festhält, oder Bruch seiner Versprechen und sein Sturz wegen
mangelnder Unterstützung seiner Wähler.
Ich kann Ihnen versichern: Wir werden Widerstand leisten. Wir lassen uns
nicht unterwerfen.
Ich weiß nicht, was geschehen wird, aber ein ausgezeichneter Artikel von
Serge Halimi, der jüngst in Le Monde Diplomatique erschien, ließ uns
über die Zukunft und die historische Dimension dieses Kampfes nachdenken.
Halimi schrieb folgendes über Griechenland:
„Wenn wir an die Zukunft denken, sind wir an das erinnert, was die
Philosophin Simone Weil über den Arbeiterstreik in Frankreich vom Juni 1936
schrieb: ,Niemand weiß, welchen Ausgang die Ereignisse nehmen werden... Aber
keine Angst kann uns die Freude nehmen, zu sehen, wie jene, die per Definition
den Kopf beugen, ihn nun erheben... Schließlich haben sie ihren Herren
deutlich gemacht, daß sie existieren... Was immer von nun an geschehen mag,
das haben wir erreicht. Endlich werden zum ersten Mal oder für immer mit
diesen schweren Maschinen andere Erinnerungen verbunden sein als Schweigen,
Zwänge und Unterwürfigkeit.’“
Der Kampf der Griechen ist universell. Es reicht nicht mehr aus, daß unsere
guten Wünsche ihn begleiten. Die Solidarität, die er verdient, muß sich in
Taten äußern. Die Zeit läuft uns davon.