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"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

     Konferenz in Paris, Juni 2015   

Der lautlose Putsch gegen Griechenland

Von Stelios Kouloglou

Stelios Kouloglou ist Journalist, Schriftsteller und als Vertreter der griechischen SYRIZA Mitglied des Europäischen Parlaments.

Seit ihrer Wahl im Januar ist die griechische Regierung mit einem stillen Putsch konfrontiert.

Die Absicht ist es, die neue Regierung zu stürzen und sie durch eine Regierung zu ersetzen, die unterwürfig gegenüber den Gläubigern ist, und gleichzeitig die „Träumer“ unter den Wählern in Spanien und anderen Ländern zu entmutigen, die immer noch an die Möglichkeit von Regierungen glauben, die sich dem deutschen Austeritätsdogma widersetzen. Man erstickt eine Regierung, man erstickt die Hoffnung.

Die Lage erinnert an Chile Anfang der 1970er Jahre, als US-Präsident Richard Nixon beschloß, Salvador Allende zu stürzen, damit nicht andere Länder im amerikanischen Hinterhof von der Lage in Chile angesteckt würden. „Laßt die Wirtschaft schreien“, lautete eine der Anweisungen des US-Präsidenten an die CIA und andere Geheimdienste, bevor die Panzer von General Augusto Pinochet in Aktion traten.

1970 hatten die US-Banken sämtliche Kredite an chilenische Banken gesperrt. Heute hat Herr Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), eine Woche nach der Wahl im Januar 2015 ohne die geringste Rechtfertigung die wichtigste Finanzierungsquelle der griechischen Banken gesperrt und sie durch die Notfall-Liquiditätshilfe (Emergency Liquidity Assistance, ELA) ersetzt, ein Kreditfenster, das weit teurer ist und auf wöchentlicher Basis erneuert werden muß. Wie das Schwert des Damokles hängt das über den Köpfen der griechischen Regierung.

Und neben dem Schwert des Damokles gibt es außerdem auch noch Drogen. Mehr als 90% des Geldes, das uns die Gläubiger schicken, fließt direkt an sie zurück - manchmal schon am nächsten Tag! -, weil es an den Schuldendienst gebunden ist.

Da eine Nichtbedienung der Schulden ein „Kreditereignis“, d.h. eine Art Bankrott ist, ist das Freigeben der Dosen ist eine sehr mächtige Waffe in den Händen der Gläubiger, ein Instrument der permanenten politischen Erpressung.

In diesem unerklärten Krieg werden auch andere wirtschaftliche Waffen eingesetzt, wie z.B. die Ratingagenturen. Es ist ein moderner Staatsstreich. Wie man im Englischen sagt: „Not with the tanks, but with the banks“ - nicht mit Panzern, sondern mit Banken.

Die Medien waren auch ein Werkzeug der Angriffe auf die Regierung, um das Gespenst eines „Grexit“, des Ausscheidens von Griechenland aus der Eurozone, heraufzubeschwören und dadurch Panik zu schüren. Angeführt wird diese Offensive von der deutschen Boulevardzeitung Bild, die schon seit 2010 reißerische Schlagzeilen über „faule“ und „korrupte“ Griechen veröffentlichte und sie aufforderte, ihre Inseln zu verkaufen, um so ihre nationalen Schulden zu reduzieren. Bild veröffentlichte auch eine Pseudoreportage über einen Run auf eine Bank in Athen und zeigte dazu alltägliche Bilder griechischer Rentner, die vor einer Bank Schlange stehen, um ihre Monatsrente abzuheben.

Hinzu kamen die Behauptungen der Medien über die „Rettung“ Griechenlands, während in Wahrheit durch die Kredite, die Griechenland 2010 gegeben wurden, die französischen und deutschen Banken gerettet wurden. Diese Kredite, die anfangs sehr hoch verzinst waren, wurden der öffentlichen Meinung in Deutschland und international als großzügige Hilfen für die „Faulen“ und „Korrupten“ präsentiert.

Finden wir heraus, was tatsächlich geschehen ist. Nach Angaben der französischen Tageszeitung Libération machte allein Frankreich seit 2010 Zinsgewinne von 2 Mrd. € [aus den Griechenlandkrediten]. Sogar Österreich, das sich nur sehr bescheiden beteiligt hatte, machte bis heute nach Angaben seiner Regierung 100 Mio. € Gewinn.

Die deutsche öffentliche Meinung gibt sich also ahnungslos. Die Ausnahme sind einige humoristische Fernsehsendungen. Das ist das Medium, wo man wagt, die Wahrheit zu sagen.

Sie werfen uns vor, wir seien nicht bereit, Reformen vorzunehmen? In Wirklichkeit wollen wir Reformen mehr als irgendein anderer. Wirkliche Reformen, nicht Chaos.

Was von Griechenland verlangt wird, ist die Anwendung neoliberaler Rezepte. Dabei hat jeder seine eigenen Obsessionen: Die „Ideologen“ des IWF fordern die Deregulierung des Arbeitsmarktes und das Recht auf Massenentlassungen, das sie den griechischen Oligarchen, denen die Banken gehören, versprochen haben. Die EU-Kommission, sprich Berlin, fordert systematische Privatisierungen, die „Schnäppchen“ für deutschen Unternehmen sein können. Zu der endlosen Liste der skandalösen Verkäufe von Staatseigentum gehört u.a. 2013 der Verkauf von 28 Gebäuden des griechischen Staats, die er weiter nutzt. In den kommenden 20 Jahren muß Athen dafür 600 Mio.€ Miete zahlen - fast dreimal soviel Geld, wie es durch den Verkauf eingenommen hat (und sofort an die Gläubiger zurückgab)!

Die griechische Regierung ist weiterhin sehr populär, trotz einiger Zugeständnisse: keine Aussetzung der von der Vorgängerregierung beschlossenen Privatisierungen (obwohl sie versprochen wurden), Verschiebung der Anhebung des Mindestlohns und Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Am Ende bleibt die große Frage vor allem eine politische: Haben Wahlen noch einen Sinn, wenn ein Land, das im Kern seine Verpflichtungen erfüllt, seine Politik nicht ändern darf?

Die andauernde Tragödie Griechenlands unterstreicht die Notwendigkeit eines neuen Rahmens der internationalen Beziehungen. Einen Rahmen, der die Demokratie, die Souveränität und die nationale Würde jedes Landes respektiert und gleichzeitig Beziehungen und wirtschaftliche Abkommen fördert, die uns nicht an den Kolonialismus erinnern. Ein Rahmen, der für alle Beteiligten vorteilhaft ist.

Kürzlich hat die griechische Regierung angekündigt, daß sie Griechenlande Beteiligung an der neuen BRICS-Bank beantragen wird, ein Ersuchen, das von Seiten Rußlands positiv aufgenommen wurde. In dem spannungsgeladenen Klima der Drohungen und Ultimaten sorgte das in der öffentlichen Meinung in Griechenland zu einem wahren Stoßseufzer der Erleichterung und des Optimismus.

In seiner unterlegenen Position kann Athen - von den Kräften, auf die es gehofft hatte, wie die französische Regierung, im Stich gelassen - die Lösung für das große Problem, das das Land überwinden muß, nämlich die unerträglichen Schulden, nicht fordern. Der Vorschlag, eine internationale Konferenz zu veranstalten, wie jene, die 1953 veranstaltet wurde, um Deutschland den größten Teil seiner Kriegsreparationen zu erlassen, was den Weg für das Wirtschaftwunder bereitete, wird in einem Meer von Drohungen und Ultimaten ertränkt.

Die Gläubiger wollen Herrn Tsipras an die Wand drängen, indem sie nur zwei Wahlmöglichkeiten lassen: finanzielle Strangulation, wenn er weiter an seinem Programm festhält, oder Bruch seiner Versprechen und sein Sturz wegen mangelnder Unterstützung seiner Wähler.

Ich kann Ihnen versichern: Wir werden Widerstand leisten. Wir lassen uns nicht unterwerfen.

Ich weiß nicht, was geschehen wird, aber ein ausgezeichneter Artikel von Serge Halimi, der jüngst in Le Monde Diplomatique erschien, ließ uns über die Zukunft und die historische Dimension dieses Kampfes nachdenken. Halimi schrieb folgendes über Griechenland:

    „Wenn wir an die Zukunft denken, sind wir an das erinnert, was die Philosophin Simone Weil über den Arbeiterstreik in Frankreich vom Juni 1936 schrieb: ,Niemand weiß, welchen Ausgang die Ereignisse nehmen werden... Aber keine Angst kann uns die Freude nehmen, zu sehen, wie jene, die per Definition den Kopf beugen, ihn nun erheben... Schließlich haben sie ihren Herren deutlich gemacht, daß sie existieren... Was immer von nun an geschehen mag, das haben wir erreicht. Endlich werden zum ersten Mal oder für immer mit diesen schweren Maschinen andere Erinnerungen verbunden sein als Schweigen, Zwänge und Unterwürfigkeit.’“

Der Kampf der Griechen ist universell. Es reicht nicht mehr aus, daß unsere guten Wünsche ihn begleiten. Die Solidarität, die er verdient, muß sich in Taten äußern. Die Zeit läuft uns davon.