Jenseits der Nuancen einer komplexen Realität würde ich
zunächst einmal sagen, daß das, was in der heutigen Welt geschieht, ein
Kreuzzug gegen den Nahen Osten ist - ein wirklicher Kreuzzug. Ich werde
versuchen, die Ähnlichkeiten zwischen dem, was wir heute erleben, und den
Kreuzzügen der Vergangenheit aufzuzeigen, obwohl es nicht nur ein Kreuzzug ist,
sondern auch eine neue Schlacht, die sich an den Kalten Krieg anschließt. Neben
der „monopolaren“ Welt und dem neuen Weltsystem, das durchgesetzt werden
sollte, gibt es auch diese Dimension, sie ist nicht zu bestreiten.
Wer heute die Schlacht um Syrien gewinnt, der gewinnt die
erste Schlacht dieser Welt, die tendenziell bipolar ist. Mit anderen Worten,
die Vereinigten Staaten und der Westen sind sich darüber im klaren, daß sie an
Boden verlieren und deshalb nicht bloß symbolische Kriege führen müssen,
sondern reale Kriege, um sich gegen Rußland, den Iran und dessen Verbündete im
sog. „Schiitischen Halbmond“ durchzusetzen. (Ich nehme für mich in Anspruch,
diesen Begriff geprägt zu haben, und ich werde noch auf seinen Hintergrund
eingehen und darauf, wie er vom Pentagon mißbraucht wurde.)
Die ganze Welt ist in die Schlacht um Syrien verwickelt: die
Vereinigten Staaten, Europa, die Länder des Ostens und natürlich die
geographische Mitte, also Syrien, die arabische Welt, die Türkei usw.
Ich möchte mit dem westlichen Lager beginnen, bestehend aus
den Vereinigten Staaten, England, Frankreich, Europa insgesamt, Deutschland -
zum Glück nur halbherzig - und der Türkei, einem Vorposten der NATO.
Ich möchte etwas detaillierter auf die französische Politik
eingehen. Warum? Weil die Kreuzzüge vor allem von Frankreich ausgingen, die
anderen wurden dann mit hineingezogen.
Sie wissen wahrscheinlich nicht, wer General Gouraud war. Er hat in den zwanziger Jahren Syrien erobert.
Um Ihnen eine Vorstellung von diesem Mann zu geben: Nachdem er im Kampf
verwundet worden war, fragte man ihn, ob er lieber einige Monate im Krankenhaus
bleiben wolle, um seinen Arm zu retten, oder in den Kampf zurückkehren, dann
müßte sein Arm amputiert werden. Und er antwortete: „Gut, amputiert mir den
Arm, ich will zurück aufs Schlachtfeld.“ Bloß ein interessantes Detail...
Dieser General Gouraud, der Leiter
des Feldzugs gegen Syrien, führte die französischen Truppen gegen Damaskus und
besetzte Damaskus. Dort war gerade ein Parlament demokratisch gewählt worden
und man wollte einen Staat gründen, der den gesamten Nahen Osten repräsentiert
- Libanon, Jordanien; das war König Faisal, der Sohn
des Scharif Hussein von Mekka, ein Haschemit. Aber warum rede ich hier über Gouraud und die Kreuzzüge? Weil General Gouraud,
als er in die Umayyaden-Moschee in Damaskus kam -
dort ist der Sarg Saladins, ein Symbol für den Islam
und die Araber, weil er Jerusalem befreite -, und was sagte er da, am Sarg Saladins? „Wir sind zurück, Saladin!“
Wir sind zurück, Saladin! - Der Bezug auf die Kreuzzüge
könnte nicht deutlicher sein.
Wenn man also sagt, daß der gegenwärtige Krieg in Syrien ein
neuer Kreuzzug mit Beteiligung westlicher Kräfte ist, dann ist man gar nicht
weit von der Wahrheit entfernt. Das gilt auch für alle die nationalistischen
Kolonialkriege, die geführt wurden, vor allem von Frankreich und England, weil
man nicht sagen kann, daß Deutschland im Vergleich mit ihnen eine große
Kolonialmacht war; aber alles ist relativ. Dieser Geist der Kreuzzüge war die
Verbindung des Kolonialkriegs in Syrien bei der Umsetzung des Sykes-Picot-Abkommens mit dem, was früher mit der zwei
Jahrhunderte langen Besetzung Palästinas und der Türkei, Antiochiens,
geschehen war. Man sieht, daß das alles geographisch und geopolitisch sehr nahe
beieinander liegt.
Erlauben Sie mir, bezüglich der ursprünglichen Kreuzzüge an
etwas zu erinnern. Heute sagt man uns, der Papst solle sich wegen der Kreuzzüge
bei den Muslimen entschuldigen. Aber offen gesagt, wenn er sich entschuldigt,
dann sollte er das besonders bei den Christen des Orients tun, denn erst nach
den Kreuzzügen wurden die meisten Christen im Orient gezwungen, zum Islam
überzutreten. Das ist eine Tatsache. Wenn man die Chroniken der Kreuzzüge
liest, da heißt es, als Jerusalem erobert war, da waren sie stolz, daß die
Pferde bis über die Hufe in Blut standen. Wen hatten sie massakriert? Die
Christen und Juden von Jerusalem!
Die Idee, daß die Kreuzfahrer aufbrachen, um das Heilige
Grab und die Pilger zu schützen, indem sie die Pilgerwege sichern, war also nur
ein Vorwand. Der Beweis dafür ist, daß Byzanz bei mehreren Kreuzzügen
geplündert und verwüstet wurde. Wer hat das getan? Die westliche Christenheit.
Kommen wir darauf zurück, was seine Exzellenz, der Herr
Botschafter [Sheikh Attar]
gesagt hat, nämlich, daß das Christentum für Samuel Huntington mehr westlich
als östlich ist. Das ist eine gewaltige Absurdität, eines Denkers unwert.
Warum? Darf ich Sie daran erinnern, daß der heilige Johannes von Damaskus der
Autor der theologischen „Summa der Welt“ war, lange vor dem heiligen Thomas von
Aquin. Gestatten Sie mir bitte, hier einmal als Sprecher des östlichen
Christentums aufzutreten und dafür zu werben.
Politik ohne Moral
Um auf den Krieg gegen Syrien zurückzukommen, so sind
natürlich alle Christen des Nahen und Mittleren Ostens bedroht, aber nicht bloß
die Christen, sondern alle Minderheiten. Warum? Weil die westliche Politik
heute die ultra-sunnitische Karte gegen die Schiiten ausspielt, die als eine
Minderheit, die in der gesamten Geschichte verfolgt wurde, eine meines
Erachtens revolutionäre Botschaft haben. Ich werde noch auf das Konzept des
Schiitischen Halbmonds zurückkommen.
Wir haben die Minderheiten erwähnt, und das bringt uns
zurück zur französischen Politik unter Franz I. [im 16. Jh.], der zwei Sorgen
hatte - das österreichisch-ungarische Reich und Deutschland. Er mußte ihnen
entgegenwirken und verbündete sich dazu mit den Türken. Er erhielt die
Kapitulationen [Abkommen mit dem Osmanischen Reich], die Frankreich das Recht
gaben, die Minderheiten zu schützen. Und er hat sich daran gehalten.
Wenn wir also von einer Arabienpolitik Frankreichs sprechen,
dann müssen wir uns zuerst auf Franz I. beziehen, der Massaker an den
Minderheiten untersagte. Der Gaullismus hat diese französische Politik später
aufgegriffen. Aber de Gaulle fügte noch etwas hinzu: die Versöhnung mit
Deutschland. Das bedeutete also, daß die französisch-deutsche Rivalität
beseitigt und gleichzeitig die Rechte der Minderheiten gewahrt und der Islam
anders behandelt wurden.
Nun sagen Sie mir: Was ist von diesem Gaullismus in
Frankreich heute noch übrig? Nicht viel. Wenn man die französisch-deutschen
Beziehungen anschaut - die haben nichts füreinander übrig. Es bildet sich keine
wirklich europäische Kraft, die gegenüber den Vereinigten Staaten eine
politische und strategische Eigenständigkeit behauptet. Frankreich und
Deutschland sind heute Vasallen, in einem Lakaienverhältnis, es gibt keine
Unabhängigkeit. Ich warte immer noch darauf, daß mir jemand ein Beispiel nennt,
wo Europa tatsächlich einen Spielraum hat, frei zu handeln.
Immer wenn die Europäer eine Interventionstruppe aufstellen
wollten, haben die Amerikaner das nicht zugelassen. Aber ein Land, das sich
selbst achtet, muß die militärischen Mittel für seine Politik haben. Wenn die
USA ihrer Stimme Gehör verschaffen können, dann deshalb, weil sie innerhalb von
Stunden Hunderttausende Soldaten, Flotten, Artillerie etc. mobilisieren können.
So werden wir Europäer an den Rand gedrückt. In diesem Schauspiel haben wir
nicht die Hauptrolle.
Speziell auch Frankreich, das gerade die Koalition der
Opposition anerkannt hat, nachdem es vorher den Syrischen Nationalrat (SNC) anerkannt hatte. Wer bildet in beiden die Mehrheit? Islamisten, machen wir uns nichts vor. Zwei Drittel des SNC sind Muslimbrüder! Erzählen Sie mir also nicht, bei
diesem Kreuzzug ginge es um freie Demokratie! Nein, er dient wirtschaftlichen
und politischen Gründen, um die Macht zu behaupten und vielleicht eine große
Konfrontation mit dem Osten vorzubereiten. Denn wenn Syrien fällt, dann macht
das den Weg frei für die Destabilisierung des Iran, Rußlands, Chinas.
Und es gibt wirklich ein moralisches Problem beim Interventionismus. Welches Recht haben wir, mit
ausländischen Armeen oder über vom Ausland finanzierte Extremistengruppen zu
intervenieren, um ein Land zu destabilisieren und ein politisches Regime zu
stürzen? Wer das in Syrien tut, der kann es auch anderswo tun.
Frankreich verletzt hier also seine eigenen Prinzipien, und
nicht nur Frankreich, sondern der Westen. Wir sind in Deutschland, dem Lande
Kants, das eine Ethik hat. Sagen Sie mir also: Wo ist die Ethik in dieser
Intervention, wo sind die Werte des christlichen Westens oder der weltlichen
Französischen Revolution, die das Selbstbestimmungsrecht der Völker achtet?
Mir scheint, Frankreich hat hier alle nur denkbare Kritik
verdient. Man sagt uns: „Nein, wir wollen die Rebellen nicht bewaffnen“ -
allerdings sagen sie nicht „Rebellen“, weil es ihrer Ansicht nach Revolutionäre
sind - „wir werden ihnen keine Waffen liefern, nur Nachtsichtgeräte.“ Was
praktisch bedeutet, daß sie es anderen Ländern überlassen, sie zu bewaffnen,
und Frankreich nur noch das Sahnehäubchen auf den Kuchen setzt.
Tatsache bleibt, diese Leute erhalten Waffen, und wir
verhelfen ihnen zu moderner Elektronik, damit ihre Massaker noch effektiver
werden. Wir müssen offen sagen, daß England sie bewaffnet. Das bringt uns
zurück auf die Kreuzzüge. England machte die Kreuzzüge mit und ist heute an
allen Kriegen im Nahen Osten beteiligt. Blair ist eher ein Berater für Krieg
als für den Frieden, sei es beim Irakkrieg oder heute beim Syrienkrieg.
Und so fragen wir: Wohin steuert Frankreich, aber auch
Deutschland? Deutschland ist ein wichtiges Land. Ich sehe es von außen, ich
habe nie in Deutschland gelebt, Sie können also das, was ich sage, als die
persönliche Ansicht eines Menschen betrachten, der die Probleme in Deutschland
nicht kennt - einem Geopolitiker, der in Syrien geboren wurde und seit 40
Jahren in Frankreich lebt. Deutschland sollte seinen Komplex aus dem Zweiten
Weltkrieg ablegen und sich die Mittel verschaffen, die seiner wirtschaftlichen
Macht entsprechen. Wenn ich Deutscher wäre, könnte ich nicht leben ohne das
uneingeschränkte Recht, so zu existieren, wie ich das für richtig halte. Es
wird ständig versucht, Deutschland an den Rand zu drängen, vielleicht gerade
wegen seiner weltweiten wirtschaftlichen Macht. Ich verstehe nicht, warum es
keinen ständigen Sitz im Sicherheitsrat hat. Wir müssen die Komplexe des
Zweiten Weltkriegs überwinden, das liegt hinter uns. Wir bauen jetzt eine neue
Welt. Wie lange werden wir das Diktat der USA hinnehmen - politisch,
wirtschaftlich, strategisch, wozu? Als Deutscher würde mich das wütend machen,
es ist einfach unlogisch. Ich würde gerne hören, was Sie dazu zu sagen haben.
Heute rät Blair der türkischen Regierung, Patriot-Raketen an die syrische Grenze zu schicken. Unter
uns gesagt, ich habe keine Angst vor den Patriot-Raketen.
Ich würde den Amerikanern raten, ein paar deutsche Ingenieure anzuheuern, um
ihre Leistung zu verbessern. Die Erfahrung hat gezeigt, daß die amerikanischen Patriot-Raketen nicht besonders gut funktionieren und viele
der abgeschossenen Raketen nicht gestoppt haben. Ich finde die amerikanische
Arroganz abstoßend.
Warum sollen die Patriot-Raketen
an der türkischen Grenze aufgestellt werden? Ich werde es Ihnen sagen, wenn wir
betrachten, was heute in Syrien geschieht. Weil die türkische Armee sich vom
Parlament das Recht geben ließ, auf syrischem Territorium zu intervenieren.
Aber das, z.B. die Grenzstadt Harem, das erwähnen die
westlichen Medien überhaupt nicht, es ist fast schon zum Lachen. Die meisten
Informationen, die über die Krise im Nahen Osten verbreitet werden, sind
gefälscht oder erfunden. Dies ist ein militärischer Feldzug, nach einem langen
Feldzug in den Medien, um die öffentliche Meinung auf eine Intervention in
Syrien vorzubereiten.
Warum Syrien?
Warum Syrien? Das bringt uns auf den „Schiitischen
Halbmond“, einen Begriff, den ich selbst geprägt habe. Ich lehre seit 30 Jahren
in Frankreich Geopolitik.
Hafis Al-Assad kam 1970 in Syrien an die Macht. Für
diejenigen, die das nicht wissen: Hafis Al-Assad war Alewit,
er gehörte also zu einer Minderheit der Schiiten, die jahrhundertelang
verfolgt wurde. Um Ihnen eine Vorstellung von dem Haß all dieser westlichen und
ultra-orthodoxen Propaganda zu geben: Eine der Parolen der Rebellen heute
lautet: „Die Christen nach Beirut, die Alewiten in
den Sarg.“ Im Arabischen reimt sich das. Oder um nur ein Beispiel zu geben:
Wenn in Latakia ein Alewit
auf der Straße geht, kann es passieren, daß jemand einen Müllsack auf ihn
wirft.
Ich muß seiner Exzellenz, dem iranischen Botschafter,
widersprechen: Der Westen hat die syrische Baath-Partei
nicht unterstützt, aber er half der irakischen Baath-Partei,
um die syrische Baath-Partei, die damals von der
Sowjetunion unterstützt wurde, zu schwächen. Und das einzige arabische Land,
das den Iran [im iranisch-irakischen Krieg] gegen Saddam Hussein unterstützt
hat, war Syrien unter der Baath-Partei und Hafis
Al-Assad.
Assad kam 1970 an die Macht und zehn Jahre später kam es zu
Chomeinis Revolution. In der Zwischenzeit half Assad den Schiiten im
Südlibanon, die keine Alewiten, aber Schiiten sind,
die ihm nahestehen. Das war der Zeitpunkt, das will ich Ihnen nicht
verschweigen, als ich in meinen Kursen sagte, daß sich ein Schiitischer
Halbmond bildet.
Ich habe das nicht erfunden. Ich las die Geschichte der
schiitischen Fatimiden in Ägypten. Im 11. und 12.
Jahrhundert schufen die ägyptischen Fatimiden eine
schiitische Renaissance, die bis in den Fernen Osten wirkte, und der Iran war
damals noch nicht schiitisch. Die Idee des Schiitischen Halbmonds, die von den
damaligen Chronisten beschrieben wurde, bestand darin, daß ein schiitisches
Ägypten und ein Syrien mit schiitischer Mehrheit das sunnitische Kalifat in
Bagdad einkreisen. Dieser Schiitische Halbmond war ziemlich erfolgreich, denn
der Iran wurde schiitisch.
Heute ist der Schiitische Halbmond ein positives Konzept,
eine Revolution gegen ein gewisses westliches Denken und gegen den
ultra-orthodoxen Islam, und lehnt freie Interpretationen oder den Dschihad ab. Die Sunniten haben im 10. Jahrhundert
aufgehört, eigene Bemühungen zur Erklärung der Religion zu machen, aber nicht
die Schiiten. So gesehen ist das Schiitentum ein
offenes philosophisches System und als solches revolutionär.
Später wurde ich an die Führungsakademie der Streitkräfte
[in Paris] eingeladen. Die erste Vorlesung, die ich dort hielt, war über den
Schiitischen Halbmond. Diese Hochschule ist eine Strategieschule des Militärs,
die jedes Jahr rund 500 Generäle aus der ganzen Welt ausbildet. Ich sprach
darüber auch im französischen Fernsehen, und einige Monate später äußerte König
Abdullah von Jordanien - ein Sunnit und natürlich ein Haschemit,
das waren ursprünglich Schiiten, die unter dem Einfluß des Osmanischen Reiches
Sunniten wurden -, er habe Angst vor dem Schiitischen Halbmond.
Wir haben hier über Wasser gesprochen. Die natürliche Grenze
Syriens reicht bis zu den Ausläufern des Taurus, einem wasserreichen Gebiet der
Türkei, das früher zu Syrien gehörte. Als Zugeständnis an die Türkei hat
Frankreich die Grenze dreimal zurückverlegt, und dadurch verlor Syrien viele
Städte. Noch schlimmer, Frankreich hat seine eigene Arabienpolitik verraten,
den Schutz der Minderheiten, denn die Hauptstadt der Christen des Orients,
lange vor Rom, war Antiochia. Dort wurden die
Christen in den Berichten der Apostel erstmals als Christen bezeichnet. Was die
französische Monarchie nie gewagt hatte, tat die Republik 1938, indem sie Antiochia [heute Antakya] und Alexandrette [heute Iskanderun]
nach einem Referendum den Türken überließ, um die Türkei als Verbündeten
Deutschlands wegzubrechen. Dadurch haben sie die Christen des Orients
enthauptet und beseitigten die historische Hauptstadt Syriens, die einer der
Generäle Alexanders, Antiochius, gegründet hatte - Alexandrette hatte Alexander selbst gegründet.
Das ist noch nicht alles. Der Norden des Irak, darunter
Mosul, lag im blauen Teil des Sykes-Picot-Planes,
d.h. gehörte zu Frankreich. Aber man sieht, wie der Kolonialismus arbeitet: Sie
gaben Mosul den Engländern, um dafür 23,5% der Öleinnahmen des Ölkonzerns zu
erhalten.
Soll man wirklich erwarten, daß die Menschen in dieser
Region an westliche Werte glauben? Wo ist die Ethik in einer Politik, die ein
Land nimmt und auseinanderbricht, und einige Teile dem Irak gibt oder den
Engländern oder der Türkei, während man einen Pufferstaat in Jordanien schafft,
um die Existenz Israels zu ermöglichen? Und heute ist es der eigentliche Zweck
des Kampfs um Syrien, den Iran zu teilen und den Schiitischen Halbmond zu
zerstören.
Der Irak wurde in Schutt und Asche gelegt. Aber was geschah
davor? Sie organisierten die Konferenz von Madrid. Was kam dabei heraus? Es war
bloß, um die Araber zu trösten, aber es kam nichts dabei heraus. Es geschah
bloß, um Arafat zur Unterzeichnung des Osloer Abkommens zu bewegen. Ich bin
gegen das Osloer Abkommen, weil man für jeden Artikel des Abkommens eine
weitere Konferenz bräuchte, die genauso wichtig ist. Haben die Palästinenser
irgend etwas davon gehabt? Gar nichts. Und wenn man heute Syrien zerschlägt,
was erreicht man damit? Man zerschlägt die einzige reguläre Armee, die keinen
Friedensvertrag mit Israel zum Schleuderpreis unterzeichnet hat. Denn Syrien
soll einen nachteiligen Vertrag unterzeichnen und die Golanhöhen für 99 Jahre
[an Israel] verpachten! Der Golan ist syrisch, trotzdem verteidigt der gesamte
Westen diese Politik.
Man nennt die Syrer die Deutschen des Nahen Ostens. Ich bin
stolz darauf - vielleicht bin ich ja sogar ein Bastard Friedrichs des Großen!
In der populären Literatur beschreibt man die Alewiten,
um sie zu demütigen, als Deutsche, um damit anzudeuten, daß sie keine echten
Araber sind, sondern Nachfahren der Kreuzfahrer!
Wer verbreitet diese Propaganda? Unsere Verbündeten. Wer
geht nach Afrika mit dem Imam im Schlepptau, um dort wahabitische
Moscheen zu gründen? Man nimmt irgendeinen Afrikaner, schickt ihn nach Mekka,
lehrt ihn die wahabitischen Dogmen, und dann geht er
nach Hause, bekommt dort eine wunderschöne Moschee aus Marmor, und man sagt
ihm: Jetzt mußt du alle moderaten Muslime in der Region exkommunizieren.
Dabei ist der sunnitische Islam nicht fanatisch, es gibt
großartige Dinge im sunnitischen Islam. Ich kann Ihnen ein Beispiel dafür
anführen. In Bagdad gab es einen heiligen Mann namens Abu Mansur al Hallaj, und es gab eine Kabale gegen ihn, weil er sagte, er
rede mit Gott. Die Leute verlangten, daß man ihn kreuzigte. Als er vor den
Toren Bagdads gekreuzigt wurde, kam einer seiner Schüler vorbei und fragte ihn:
„Was ist Mystizismus?“ Und er antwortete: „Die niedrigste Stufe auf der Leiter
des Mystizismus ist das, was du hier siehst: die Kreuzigung.“
Sie sehen, wie der sunnitische Islam eine außerordentliche
Spiritualität hervorgebracht hat. Aber heute wird dieses Erbe aufgegeben und es
wird eine wahabitische Sekte unterstützt. Die Wurzeln
des Wahabismus im Islam sind nicht tief, er entstand
erst im 19. Jahrhundert. Was geschah, war, daß wir alle, in ganz Europa, dem
amerikanischen Diktat unterworfen wurden. Sie schlossen einen Pakt mit dem Haus
Saud, das sind 25.000 Prinzen, die den Reichtum
Arabiens ausbeuten, der ihnen gar nicht gehört. Zuerst waren es die Engländer,
die ihnen das erlaubten, dann die Amerikaner, und 2005 verlängerte Bush den
Vertrag, daß die Saud-Dynastie im Austausch gegen
saudisches Öl für weitere 60 Jahre geschützt werden wird. Das schockiert mich.
Ich bin im Jahrhundert der Vernunft aufgewachsen, mit Kants Moral, Hegels
Dialektik, und deshalb kann ich so etwas auf internationaler Ebene nicht
akzeptieren.
Und hier sehen wir, daß Ihre Bewegung wirklich
außerordentlich ist, sie bildet die Dissonanz in der Landschaft...
Medienlügen
Kommen wir auf das heutige Syrien zurück, um die Medien zu
widerlegen, die die Wahrheit verbergen. Ich stehe täglich mit Syrien in
Kontakt, ich komme aus Aleppo. Von den 3000 Fabriken, die es früher in Aleppo
gab, sind nur noch ein paar Dutzend übrig. Die Rebellen haben sie zerbombt. Der
Herr Botschafter sprach von 5000 Dschihadisten.
Tatsächlich sind es mehr, viel mehr. Per Luftfracht werden Jemeniten, Somalis,
Libyer ins Land gebracht. Eine Islamistische
Internationale kommt nach Syrien, um dort zu kämpfen, und massakriert dort die
Minderheiten und die Moderaten. Wenn man die Straßen entlang geht und man wird
von jemandem gerufen, dann muß man antworten „Allah akbar“
- Gott ist groß. Solange man durch die Stadt läuft, muß man das ständig rufen.
Man sagt Ihnen, die loyalistische Armee bombardiere
Apotheken. Ich verteidige hier nicht die syrische Regierung, das ist eine Kleptokratie. Aber das rechtfertigt nicht, was heute
geschieht oder daß der Westen diesen Rebellen Unterstützung gibt.
Vor diesen ganzen Ereignissen hat die frühere rechte Hand
Bin Ladens die Al-Kaida-Leute aufgerufen, nach Syrien
zu gehen. Vor ein paar Wochen hat Zawahiri diesen
Aufruf wiederholt. Erklären Sie mir bitte dieses Paradox: Wenn wir im Westen
Amerika geholfen haben, Krieg gegen Afghanistan zu führen, wie kann man dann
Waffen an die Dschihadisten in Syrien schicken?
Anfangs sagte man mir: Herr Tahhan,
Sie sind ein Lügner. Aber sehen Sie sich nun die jüngsten Nachrichten an: Das islamistische Emirat von Aleppo mit seinen zwei Bataillonen
erkennt die Koalition nicht an. Sagen Sie mir nicht, in Aleppo gäbe es keine Islamisten. Sie setzten dort Inquisitions-Tribunale ein.
Man sagt Ihnen, in den befreiten Gebieten werde es andere Gesetze geben. Aber
das ist die Scharia! Sagen Sie mir: Ist der Westen
hier nur heuchlerisch, oder auch kriminell? Die Waffen, die England schickt,
werden dazu benutzt, Menschen zu massakrieren.
Warum die Kreuzzüge? Es gab Christen, die auf Seiten der Moslems
gegen die Kreuzritter kämpften, und es gab arabische Muslime, die mit den
Kreuzrittern Geschäfte machten und ihre Brüder verrieten. Heute sind
Saudi-Arabien und Katar wie die Beduinen, von denen man in der Chronik der
Kreuzzüge lesen kann, daß sie sich aus dem einen oder anderen Grund den
Kreuzfahrern anschlossen.
Das Schockierende ist, daß uns die westlichen Medien für
naiv halten, wie Schafe, die bloß applaudieren, Ja sagen und kein eigenes
Urteil wagen. Das ist ungeheuerlich. Wir sind an einem Verbrechen beteiligt:
Wenn man die Rebellen in Syrien bewaffnet, dann beteiligt man sich an einem
organisierten Verbrechen.
Und wofür? Um dem Iran die Flügel zu stutzen. Man kann den
Iran nicht frontal angreifen, auch die Hisbollah nicht. Wie Frau LaRouche heute
morgen schon gesagt hat: Der Boden wird bereitet, und der Test dafür begann in
Gaza. Sie konnten die Hisbollah nicht angreifen, weil sie kein Staat sind und
reagiert hätten. Sie konnten den Iran nicht angreifen, weil er zu groß ist, mit
Hunderttausenden von Raketen und einem großen Territorium; um den Iran auf die
Knie zu bringen, müßten alle mitmachen. Nur eine schwache Stelle blieb im
Fadenkreuz: Syrien.
Dann fiel der Arabische Frühling vom Himmel. Man braucht
also nicht mehr zu provozieren, um Syrien anzugreifen, der Wurm war schon im
Apfel. Sie brauchten bloß den Arabischen Frühling zu unterstützen, ihn
vereinnahmen und das Land zerstören. Ich behaupte, es wird keine Intervention
geben, denn wenn sie die Rebellen bewaffnen, dann wird die syrische Armee nach
und nach zerfallen und das Land ist sowieso schon zu mehr als 50% zerstört.
Ein Beispiel von den Rebellen in Aleppo. Sie kennen die
Stadt Oradour sur Glane - die traurige Geschichte von dem kleinen Ort in
Frankreich, wo alle Bewohner in der Kirche verbrannt wurden. Vor anderthalb
Monaten gab es ein Oradour in Al-Ideydeh,
einem christlichen Stadtviertel, das bis ins 16.-17. Jahrhundert zurückreicht.
Da gab es ein altes Haus, so ein bißchen wie im Marais-Viertel
[von Paris] mit seinen wunderschönen Häusern, und Präsident Baschar
Al-Assad ging immer in diesem Luxushotel essen - ein altes christliches Haus,
das Zamarihya-Haus. Die Islamisten
griffen Al-Ideydeh an, und alle Alewiten
oder angeblich regierungsfreundlichen Familien wurden in diesem Hotel zusammengetrieben.
Dann haben sie zwei Benzinkanister geholt und ließen das Hotel drei Tage lang
niederbrennen.
Aber davon hört man nichts. Das Syrische
[Menschenrechts-]Observatorium in London, das von den britischen Geheimdiensten
unterstützt wird, meldet, wie viele Tote es jeden Tag gibt. Aber sie sagen
Ihnen nicht wo.
Was die Apotheken angeht: Es sind die Rebellen, die sie
plündern, und sie zerstören die ganze Infrastruktur, um die Stadt Aleppo dafür
zu bestrafen, daß sie sich nicht der Rebellion angeschlossen hat, und die
Fabriken werden demontiert und in die Türkei verkauft.
Was verbindet die Türkei mit den Kreuzzügen? Wenn man diesen
schmalen Streifen an der türkischen Grenze betrachtet - dort waren die kleinen
Königreiche der Kreuzfahrer. So schließt sich der Kreis. Da ist der Westen, der
mit dem Segen der USA und der Türkei als Vorposten einen Krieg gegen den
Schiitischen Halbmond führen will. Wenn man zuließe, daß der Schiitische
Halbmond sich mit dem Sunnitischen Halbmond vereint, dann würde das ein
Vollmond. Und das ist es vielleicht, was der Westen fürchtet.
Wenn man einen solchen Krieg führt, dann wird einfach
folgendes passieren: Es wird mehr Kriege geben, und die Rebellen, die man
fördert, werden möglicherweise noch weiter kommen als bis nach Poitiers. Oder es kommen noch andere Revolutionäre, die
über Poitiers hinaus vorstoßen, und dann wird der
Arabische Frühling nicht mehr ein arabischer sein, sondern ein europäischer.