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  Dezember 2004 Journal (Texte)

Von der "Arabia felix" zum modernen Jemen

Über 3000 Jahre Geschichte und ein starker Wille zur Unabhängigkeit machen den Jemen zu einem außergewöhnlichen Land.

Als Ende 1990 die amerikanische Regierung unter Präsident George Bush senior den Golfkrieg vorbereitete, wagten es nur wenige Länder, sich zu widersetzen. Jordanien, die Palästinenser, der Sudan und der Jemen verweigerten trotz aller Einschüchterungen, Erpressungs- und Bestechungsversuche die Teilnahme an einem Krieg, den sie für falsch hielten. Die Länder wurden hart dafür bestraft. Ihre Bürger, die in den reichen Golfländern wie Saudi-Arabien und Kuwait Arbeit gefunden hatten, wurden zurückgeschickt. Hunderttausende flohen nach Jordanien, und schätzungsweise 850 000 jemenitische Arbeitskräfte wurden aus dem benachbarten Saudi-Arabien ausgewiesen.

Wie konnte ein verhältnismäßig schwaches Land ohne größere Ölvorkommen und ohne strategische Waffen es wagen, sich der "einzig verbliebenen Weltmacht" politisch entgegenzustellen?

Die Antwort liegt zumindest teilweise in der mehr als 3000 Jahre alten nationalen Identität dieses Landes. In der Antike nannten Historiker und Geographen das Gebiet um den heutigen Jemen "Arabia" - unterteilt in die drei Teile Arabia felix im Süden (dem heutigen Jemen), Arabia Peträa (benannt nach Petra, der Hauptstadt des Nabatäerreiches) sowie Arabia Deserta in der Mitte der Arabischen Halbinsel.

Arabia felix, das "glückliche Arabien", galt als die Heimat der Königin von Saba oder Scheba, die in der Bibel und im Koran erwähnt wird. Sie reiste mit einer Karawane mit Gold, Edelsteinen und Gewürzen nach Jerusalem und stellte dort König Salomos sagenhafte Weisheit auf die Probe. Nach ihrer Rückkehr herrschte sie über Saba und einigen Berichten zufolge auch über Äthiopien.

Das Reich von Saba

Saba war der älteste und mächtigste Staat in Südarabien, seine Hauptstadt Marib lag im heutigen Jemen. Die Südaraber hielten ein Monopol auf die wertvollen Harze Weihrauch und Myrrhe, die auf dem Landweg von Arabien nach Gasa und Palästina transportiert wurden. Der Seeweg von und nach Indien lief über die Häfen Aden und Hadramawt. Karawanen trugen die Waren weiter zum Mittelmeer, wo Kontakte zu den Griechen bestanden.

Die Datierung der Zivilisation von Saba ist zwar umstritten, doch sicher ist, daß sie in assyrischen Quellen 716 v.Chr. erwähnt ist. Jüngere archäologische Forschungen ergaben, daß die künstliche Bewässerung, für die Saba berühmt war, schon in der Mitte des 3. Jahrtausends v.Chr. in Marib begann und spätestens ab dem Ende jenes Jahrtausends systematisch betrieben wurde. Der Damm von Marib, eine herausragende technische Leistung, die in Arabien als Wunderwerk galt, wurde im 6. Jh.v.Chr. erbaut und bewässerte mit seinen Schleusen und Bewässerungsanlagen ein Gebiet von 10 000 Hektar. Der Damm hielt tausend Jahre. Als er 600 n.Chr. zerfiel, löste das eine große Auswanderungswelle aus Südarabien in Nachbargebiete wie das heutige Saudi-Arabien aus. So heißt es manchmal, alle Araber und die arabische Sprache stammten aus dem Jemen.

Ein anderes Wahrzeichen der Sabäerkultur waren ihre Hochhäuser - die frühesten der Weltgeschichte. Eines dieser Wohnhäuser war acht Stockwerke hoch. Heute sieht man solche Hochhäuser im ganzen Land.

Nord und Süd - getrennte Wege

Als griechische Seefahrer einen direkten Seeweg von Ägypten nach Indien einrichteten, ging die Bedeutung des Hafens Aden beträchtlich zurück. Im 1. Jh. v.Chr. begann der Niedergang der alten Königreiche, die vom Handelsmonopol nach Indien gelebt hatten. Im Westen am Roten Meer entstand ein neues Reich, Himjar, mit der Hauptstadt Zafar nahe dem heutigen Taizz.

Der Nordjemen geriet unter die Herrschaft der Himjariden und nahm im 6. Jh. n.Chr. den jüdischen Glauben an. Mehrfach versuchten andere Mächte, das Land zu erobern: 525 die Äthiopier, 570 die Perser. Mit der Entstehung des Islam 628 wurde es vorwiegend muslimisch, doch eine jüdische Gemeinde blieb bestehen. Unter dem Islam wurde die ganze Arabische Halbinsel vereint. 879 übernahm mit Imam Al Hadi Jahja die islamische Glaubensgemeinschaft der Zaiden die Macht; diese Dynastie herrschte im Nordjemen bis 1962.

In der Neuzeit versuchten die Türken im 16. und 17. Jh., den Jemen zu besetzen, stießen aber auf erbitterten Widerstand. Nachdem die Briten 1839 Aden besetzt und damit die Teilung des Landes zwischen Nord und Süd zementiert hatten, eroberten die Osmanen 1848 den Norden, bis dieser mit dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 die Unabhängigkeit wiedererlangte. Nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches verblieb der Nordjemen unter der Herrschaft des Imam Jahja. 1948 wurde dieser feudale Herrscher in einer Palastrevolution ermordet, doch sein Sohn Ahmad konnte sich als neuer Imam an der Macht halten.

1958 schloß sich der Nordjemen der Vereinten Arabischen Republik (Syrien und Ägypten) an. Drei Jahre später ging der ägyptische Präsident Nasser gegen den reaktionären Imam vor. Imam Ahmad starb im September 1962, sein Sohn Muhammad folgte ihm auf den Thron, doch nur wenige Tage später ergriffen Offiziere unter Oberst Abd Al Salal mit ägyptischer Rückendeckung die Macht und riefen die Jemenitische Arabische Republik aus. Es kam zu einem Bürgerkrieg zwischen den Royalisten, die von Saudi-Arabien gestützt wurden, und den von Ägypten unterstützten Republikanern, die sich 1967 endgültig durchsetzen konnten.

Der Südjemen blieb 120 Jahre unter britischer Herrschaft. Nach dem ersten Überfall 1839 übernahm England 1842 die Herrschaft über das sogenannte Protektorat Aden, die es bis 1962 behielt. Das Protektorat stützte sich auf Abkommen Großbritanniens mit örtlichen Stammesführern. Die letzten britischen Soldaten verließen das Land 1967.

Krieg und Wiedervereinigung

Anfang der 70er Jahre wandte sich der Südjemen dem Marxismus zu, was eine große Fluchtwelle in den Norden und starke Spannungen zwischen den beiden Landesteilen auslöste. 1971 brachen Kämpfe aus, die sich im Oktober 1972 zu einem Krieg ausweiteten, hinter dem ausländische Mächte standen. Die Saudis unterstützten die Jemenitische Arabische Republik, die Sowjets die Demokratische Volksrepublik Jemen im Süden.

Dank der Vermittlung der Arabischen Liga wurden die Kämpfe schließlich eingestellt, und es begann der Weg in die Wiedervereinigung, die nach allerlei Fortschritten und Rückschlägen im Mai 1990 zustandekam. Die beiden Jemen vereinten sich unter Präsident Ali Abdullah Saleh (der vorher Präsident im Norden gewesen war) zur Republik Jemen.

Im August 1990 marschierte der Irak in Kuwait ein. Das hatte unmittelbare Folgen für den Jemen, da er vom Handel mit dem Irak und auf dessen Hilfen angewiesen war. Aber auch zu Saudi-Arabien gab es wegen der zahlreichen Gastarbeiter enge Beziehungen. Als der Jemen im Dezember 1990 turnusmäßig den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat übernahm, versuchte die Regierung, einen Krieg zu verhindern. Sie stellte im Januar 1991 einen Friedensplan vor, der jedoch scheiterte. Wie erwähnt, wurden als Strafe im Oktober und November 850 000 Gastarbeiter aus Saudi-Arabien ausgewiesen, was im Jemen zu einer Beschäftigungskrise und wegen der ausbleibenden heimgesandten Gelder auch zu einer Finanzkrise führte. Die USA sperrten ihre Hilfszahlungen und nahmen diese im August 1991 nur teilweise wieder auf.

1994 brach ein Bürgerkrieg aus, weil eine Rebellengruppe die Abspaltung des Südens betrieb, aber der Aufstand wurde rasch niedergeschlagen. Bei der Parlamentswahl im April 1997 errang der Allgemeine Volkskongreß (MSA) von Präsident Ali Abdullah Saleh einen überwältigenden Sieg und konnte seither allein weiterregieren, nachdem der MSA seit dem Ende des Bürgerkriegs 1994 eine Koalitionsregierung mit der Islamischen Vereinigung für Reform (Islah) geführt hatte. Präsident Saleh betreibt eine Politik der nationalen Versöhnung und hat den Rebellenführern Amnestie gewährt. 2004 unterdrückte er einen islamistischen Aufstand unter Hussein Badruddin Al Houthi und bemüht sich nun, dessen Anhänger, besonders unter den jungen Menschen, wieder in die Gesellschaft einzubinden.

Trotz relativer Armut ist der Jemen ein stolzes Land mit einer reichen Kultur, die sich durch einzigartige Besonderheiten - allen voran die wunderbare Architektur der Altstadt von Sanaa - auszeichnet. Vor allem aber stützt der Jemen sich auf eine Geschichte des Widerstands gegen Fremdherrschaft, seien es Türken oder Briten, und auf die Erfahrung einer republikanischen Revolution in der neueren Zeit. Darauf beruht die Charakterstärke, die man bei seiner Regierung und bei seiner Jugend feststellen kann.

Muriel Mirak-Weißbach

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