![]() |
|
Oktober 2005 | Neues Bretton Woods |
"Der Finanzdrache muß gezähmt werden!"
Gerade als die internationale Finanzoligarchie glaubte, sie hätte Brasilien "unter Kontrolle", kam es wieder ganz anders: Eine Gruppe brasilianischer Patrioten will eine der großen Parteien Brasiliens, die PMDB, für ein Programm gewinnen, mit dem sich die Regierung der Tyrannei der Banken widersetzt. Angeführt wird diese Kampagne von Carlos Lessa, dem früheren Direktor der Nationalen Entwicklungsbank (BNDES). Die Banken fürchten Lessa, weil sie wissen, daß er bereit ist, dafür zu kämpfen, daß Brasilien sich entwickelt und der Lebensstandard und das Ausbildungsniveau aller Brasilianer wachsen. Und Lessa weiß, daß dazu "der finanzielle Drache gezähmt werden muß", wie er in einem Interview mit EIR im Frühjahr sagte. Im Juli 2003 hatte Lessa bei einer fünfstündigen Konferenz des Kabinetts eine detaillierte Studie für einen ehrgeizigen Infrastrukturplan für Brasilien vorgelegt. Er forderte Investitionen von 90-140 Mrd. Dollar innerhalb von vier Jahren. Die Zeitung Folha de Sao Paulo bezeichnete Lessas Vorschlag als "eine brasilianische Variante von Franklin Roosevelts New Deal". Im November 2004 wurde Lessa dann zum Rücktritt gezwungen, nachdem er die monetaristische Politik des Zentralbankchefs Henrique Meirelles öffentlich als "Alptraum" kritisiert hatte. Einen Monat später erklärte Lessa: "Als ich das Interview gab, wußte ich, daß ich meinen Job verlieren könnte, nachdem Meirelles gefordert hatte, daß das nationale System der Entwicklungsbanken zerstört werden sollte." Das habe er nicht hinnehmen können, sagte Lessa, denn diese Kreditquellen seien die Grundlage des Wiederaufbaus eines entwicklungsorientierten brasilianischen Staats, der "für die neoliberalen Banken ein Alptraum ist". Später baten mehrere Gouverneure brasilianischer Bundesstaaten Lessa, an der Spitze einer Kommission ein Regierungsprogramm für die Präsidentschaftswahl 2006 zu erarbeiten. Das Programm ist ein revolutionärer Aufruf, sich den Finanzkreisen entgegenzustellen, und wurde Ende August dem Vorstand der PMDB vorgelegt. Nun finden in allen Bundesstaaten Großveranstaltungen statt, in denen die Führung der PMDB mit den Parteimitgliedern über das Programm diskutiert. An dem ersten Treffen am 12. September nahmen 800 Personen teil, darunter viele führende Parteivertreter. Zum nächsten Treffen in Sao Paulo kamen 2000 Menschen, um Lessa anzuhören und darüber zu diskutieren, wie Brasilien seine Zukunft sichern kann. Bei einer Umfrage unter den Mitgliedern, ob die PMDB "riskieren soll, das Finanzsystem und die großen Medien herauszufordern", damit man das Land entwickeln kann, antworteten fast 90 % mit "Ja". Es folgen Auszüge aus Lessas Gespräch mit EIR, das Dennis Small am 18. April 2005 führte.
Beispielsweise werden 17 % des brasilianischen BIP für Ausgaben im Zusammenhang mit Logistik aufgewendet, während die europäischen Länder und die USA nur rund 10 % aufwenden. Das bedeutet einen allgemeinen Verlust an makroökonomischer Effizienz. Das ist die erste Dimension. Die zweite Dimension ist: Wenn nicht ausreichend in die Infrastruktur investiert wird, verhindert das neue produktive Investitionen, denn die Schwierigkeiten bei der Energieversorgung und andere logistische Probleme verringern die privaten Investitionen. Schließlich wirken sich unzureichende Infrastrukturinvestitionen auch sehr negativ auf den Maschinen- und Anlagenbau, die Bauindustrie und auf die Beschäftigung aus. Ungefähr bis Mitte der 90er Jahre konnte Brasilien eine hocheffiziente Stromerzeugung aufbauen. Dieses System war auf Erweiterungen angelegt und war zunehmend landesweit eine Einheit. Die Unterbrechung der Investitionen führte zu einer tragischen Episode, "Blackouts" wegen Strommangel, einem Defizit in der Energieversorgung. Mit einer kolossalen Anstrengung in den kommenden Jahren wäre Brasilien in der Lage, eine weitere Episode dieser Art zu vermeiden. Wir fürchten, daß so etwas 2008 erneut eintreten könnte...
Mit Bolivien, Paraguay und Peru sind die Projekte noch nicht in der Realisierungsphase, aber sie sind bereits klar festgelegt. Und es gibt das Vorhaben einer Eisenbahnverbindung zwischen Argentinien und Chile, die für beide Länder lebenswichtig ist. Die BNDES wird bei der Finanzierung helfen...
Das von Lyndon LaRouche vorgestellte Konzept der Eurasischen Landbrücke hat zwei Schwerpunkte. Erstens sollten es nicht nur Eisenbahnen sein, sondern Industriekorridore, wo auf beiden Seiten der Eisenbahn Hochtechnologie-Industrie entsteht... Wir verfolgen bei der BNDES ein Projekt, das für die Integration wesentlich ist. Ich will Ihnen darüber etwas sagen, was Sie vielleicht noch nicht wissen. Im Süden der Amazonasregion liegt der sog. Madeira-Fluß, der durch Peru, Bolivien und einen Teil Brasiliens fließt. Das Wasserkraftpotential dieses Flusses ist sehr groß. Man kann drei Wasserkraftwerke bauen, die zusammen eine vergleichbare Kapazität hätten wie Itaipu, das größte Wasserkraftwerk des Kontinents auf der Grenze zwischen Brasilien und Paraguay. Würden diese drei Wasserkraftwerke gebaut, ermöglichte das insbesondere zwei phantastische Entwicklungen. Erstens hätten Brasilien, Bolivien und Peru dann 4800 km langen, schiffbaren Wasserweg. Und zweitens könnte man bis zu 30 Mio. ha Land für den Getreideanbau, für Soja, Mais, Baumwolle etc. erschließen: Diese Region um den Madeira wäre für Südamerika ähnlich wichtig wie der Mittlere Westen für die Entwicklung der USA im 20. Jh. Das Potential des Madeira und seiner Wasserkraftwerke ermöglicht im Sinne der Integration Südamerikas den Aufbau einer an Getreideerzeugung äußerst reichen Binnenregion. Wir von der BNDES glauben, daß dies das wichtigste Infrastrukturprojekt für die Integration ist. Offensichtlich eröffnet sich hier etwas geopolitisch sehr Wichtiges, nämlich eine Union der Länder. Ich glaube, daß die drei Länder - Brasilien, Venezuela und Argentinien - dabei sehr wichtige Beziehungen aufbauen können.
Wenn die Vereinigten Staaten ihr aggressives Vorgehen in aller Welt einschränkten und eine andere Finanzordnung akzeptierten, hätte die amerikanische Wirtschaft meiner Meinung nach wieder ein Interesse daran, daß die Weltwirtschaft wächst. In diesem Falle wäre Brasilien eindeutig ein Partner für die Vereinigten Staaten. Aber heute sind die Vereinigten Staaten kein Partner, sie stellen für uns keinen Garanten wirtschaftlicher Expansion dar. Ich glaube aber, daß die Vereinigten Staaten wieder eine zentrale Rolle beim Wachstum der Weltwirtschaft spielen könnten, ohne Kriege mit anderen Regionen der Welt zu beginnen. Man muß jetzt diesen Finanzdrachen zähmen, dieses Monster, das die Welt, aber auch die Vereinigten Staaten auffrißt. Ich denke, daß es auch in den Vereinigten Staaten ein sehr komplexes Phänomen gibt, das Auftauchen sozialer Ungleichheit, einige Anzeichen für soziale Neurosen. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber sagen wir einmal: Es gibt einen sozialen Rahmen, der nicht gut ist. Es ist eine Gesellschaft, in der es viel Angst gibt, nicht wahr?
Ich glaube, LaRouche hat recht. Ich würde außerdem sagen, es gibt eine ganze Generation wichtiger Ökonomen, die schon seit einiger Zeit sagen, daß man nicht so weitermachen kann. Wir in Brasilien machen uns seit 20 Jahren Sorgen darüber, aber wir stehen an der Peripherie, wir konnten die Dinge nicht ändern. Stattdessen werden wir erstickt.
|