Projekt Renaissance

Das Rückgrat der amerikanischen Opposition

Gedanken über einen Besuch in Los Angeles, Washington, Philadelphia und New York


"Ähnlich wie im Bürgerkrieg"
Die transatlantische Revolution

"Solches Regiment muß Haß erwerben..."

Die Welt ist mit Recht besorgt und empört über die schreckliche Rede des "kleinen Bush" vom 29. Januar. Der Gegensatz könnte nicht größer sein zu dem Internetauftritt des eigentlichen Oppositionsführers in Amerika, Lyndon LaRouche, nur wenige Tage zuvor, der als ein "amerikanischer Solon" mit Passion und Weitblick Diagnose und Therapie für die ungeheure Weltkrise umriß und anschließend in einer mehrstündigen Debatte an Bürger und Führungspersönlichkeiten weltweit appellierte, sich mutig für die erforderlichen Notmaßnahmen einzusetzen. (Der Mitschnitt ist weiter abrufbar unter www.larouchein2004.com und www.larouchepub.com)

Europäer, die noch immer der Auseinandersetzung mit LaRouches vernünftigen Lösungsvorschlägen ausweichen, handeln sträflich, denn angesichts der erbärmlichen Selbstgleichschaltung der Demokraten im Kongreß sind LaRouche und seine Bewegung tatsächlich die einzige organisierte Opposition in Amerika, von der eine politische Veränderung in vernünftiger Richtung ausgehen kann und auf die andere Länder ihre künftigen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten stützen können.

Ich habe im Januar diese Organisation besucht: die Zentrale in der Nähe der Hauptstadt Washington sowie drei "Außenstellen" in Los Angeles (Kalifornien), Philadelphia (Pennsylvania) und in New York/ New Jersey. LaRouches Präsidentschaftskampagne für 2004 läuft, aber seine Organisation hat nichts gemein mit den nur für die "heiße Phase" angeheuerten Wahlkampftruppen anderer Kandidaten. LaRouches Bewegung ist im Laufe von Jahrzehnten herangewachsen: hochgebildete, engagierte Menschen, die teilweise auf 30 Jahre politischer Erfahrungen in dieser Vereinigung zurückblicken können. Die meisten kennen sich schon zehn, zwanzig Jahre oder länger. Ich glaube nicht, daß es irgendwo eine Organisation mit einer vergleichbaren Dichte moralisch und geistig so hochstehender, sympathischer und emotional reifer Menschen gibt wie meine amerikanischen Freunde. Viele sind wie ich um die 50; doch verstärkt tritt nun eine junge Generation von 20-25jährigen auf den Plan, voller Wissensdurst und Elan, die es nicht tatenlos hinnehmen wollen, wie ihr Land sich in einen postindustriellen Schrotthaufen, eine pot-umnebelte kulturelle Wüste und jetzt auch noch in ein blutrünstiges Imperium verwandelt.

Ein Wort an die Europäer: Fatalismus gegenüber den von Panik bestimmten Drohreden aus Washington ist genauso fehl am Platze wie der undifferenzierte Antiamerikanismus, der sich in Europa zunehmend breitmacht. Man muß schon näher hinsehen, um gerecht beurteilen zu können, wie "die Amerikaner" wirklich sind und was sich tatsächlich in Amerika seit dem 11. September verändert hat.

"Ähnlich wie im Bürgerkrieg"

Ich hatte keineswegs vor, in New York den Ort zu besichtigen, wo früher das World Trade Center stand; voyeuristischer Katastrophentourismus liegt mir fern. Aber meine Freunde, auch die an der Westküste, meinten, ohne den direkten Eindruck von "Ground Zero", dieser Kriegszone in Lower Manhattan, könnte ich vermutlich vieles nicht verstehen, was heute in den Amerikanern vorgeht. Also ging ich doch hin. Zuerst sahen wir von der Fähre aus die Skyline von Manhattan: Dort, wo früher die beiden Türme doppelt so hoch wie die anderen Wolkenkratzer aufragten, klafft heute eine deutliche Lücke.

Das erstemal kamen wir abends nach "Ground Zero". An einem hell erleuchteten Bretterzaun haben Angehörige der Opfer Blumen, Photos und andere Gedenkstücke aufgehängt. Ein Polizist sagte, für die Aussichtsplattform brauche man Eintrittskarten, die am Hafen auf der Ostseite Manhattans erst anderntags wieder verteilt würden. Als wir am nächsten Vormittag zum Hafen kamen, standen dort schon viele hundert Menschen Schlange. Die kostenlosen Karten dienen dazu, den Besucherstrom erstens zu beschränken und zweitens über den Tag zu verteilen. Es regnete in Strömen. Der Blick von der Aussichtsplattform Broadway/Fulton St. gleicht dem auf eine Großbaustelle: ein Kran, Bulldozer, Baucontainer und ein graues Loch. Alle sechs Gebäude des WTC sind verschwunden, aller Schutt ist weggeschafft. Über dem ganzen Stadtteil hängt ein schwefeliger Geruch. Der Brand ist wohl mittlerweile gelöscht, aber die Bergungsarbeiten in den sieben Kellergeschossen dauern an.

Der Schock vom 11. September sitzt tief, es ist wirklich eine bleibende Veränderung vor sich gegangen. In jedem zweiten Vorgarten weht die US-Flagge, wobei die Motive dafür durchaus verschieden sind. Aber eine gewisse innere Verstörtheit über diese Angriffe bedeutet nicht, daß man über die Hintergründe des 11. September nicht Fragen über Fragen hätte: Wie war es möglich, daß sämtliche Geheimdienste so gar kein Vorwissen hatten? Weshalb führen wir Krieg gegen Afghanistan, wenn die Taliban doch bis vor kurzem unsere Bündnispartner waren? Und viele Amerikaner haben Angst vor einer Wiederholung der McCarthy-Ära, dergestalt, daß nun jeder arabisch aussehende Einwanderer als Al-Qaida-Terrorist verdächtigt würde. Man weiß ja, auch Kennedy fiel einem "Feind im Inneren" zum Opfer, und deswegen stellte keiner der rund hundert Besucher eines Town-Meetings der LaRouche-Bewegung in Manhattan, an dem ich teilnahm, die dort ausführlich diskutierte These eines militärischen Putschversuchs in Frage. Aber der Horror des 11. September stand all diesen New Yorkern deutlich ins Gesicht geschrieben.

Hauptthema in den Massenmedien war Mitte Januar übrigens keineswegs der Krieg gegen den Terrorismus, sondern die Enron-Pleite und die beispiellose Korruption bis in höchste Kreise von Regierung und Kongreß. Wenn die Rede auf den 11. September kommt, dann ist klar, daß dies Teil eines Krieges ist. Aber die Frage ist, Krieg zwischen wem? Ist es der dumme, imperiale Krieg gegen eine wachsende Zahl von Sündenbockländern, den zweifellos eine Menge Amerikaner, entsprechend propagandistisch verhetzt, gutheißen? Oder, so sagen sich nachdenklichere US-Bürger, haben wir es nicht vielmehr mit einem "inneren Feind" zu tun - den gleichen Leuten, die durch ihre Wahnsinnspolitik die Wirtschaftskrise, den Verfall des Gesundheits- und Bildungswesens verschuldet haben und nun angesichts des Scherbenhaufens ihrer Spekulationsorgie eine endlose Serie von Kriegen anzetteln wollen, womit Amerika sich alle Welt zum Feind machen wird?

Als LaRouche in Vorbereitung seiner Internetrede von der "Fortsetzung der Amerikanischen Revolution" sprach, da begriffen solche nachdenklichen Amerikaner gleich, was er damit meinte. Einer von ihnen unterstrich mir gegenüber, wie recht LaRouche damit habe, daß es nun darauf ankomme, die Prinzipien der Amerikanischen Revolution zu verteidigen, wie Lincoln es im Bürgerkrieg getan habe: "Denn wir sind ja heute in einer ähnlichen Situation wie im Bürgerkrieg, bedroht durch einen inneren Feind, der gefährlicher ist als alle äußeren Feinde."

Die transatlantische Revolution

Auch in Los Angeles und Philadelphia erlebte ich größere Versammlungen von 100-150 Leuten, wo über diese Dinge ernsthaft bis in die Nacht hinein diskutiert wurde. In Philadelphia erhielt ich zudem anschaulichen Geschichtsunterricht. Philadelphia ist die Stadt Benjamin Franklins, wo 1776 die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet wurde. (Übrigens handelt es sich bei dem Gründungsdokument des Schiller-Instituts von 1984 um eine nur leicht modifizierte, das Recht aller Nationen auf Entwicklung einfordernde Version der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung.) Bei EIR erschien 1988 ein sehr interessantes Buch über die Vorgeschichte der amerikanischen Revolution 1630-1754 (Graham Lowry, How The Nation Was Won). Es dokumentiert den Einfluß republikanischer Kreise in Europa um Gottfried Wilhelm Leibniz, Jonathan Swift und Cotton Mather auf die wichtigsten Gründerväter der USA, Benjamin Franklin und George Washington. Die amerikanische Revolution wird damit als transatlantisches Projekt verständlich: Man wollte in Amerika verwirklichen, was in Europa auf absehbare Zeit unmöglich schien: den Aufbau einer freien Republik.

40 Autominuten von Philadelphia entfernt liegt Valley Forge, wo General Washington und seine Truppen während des Unabhängigkeitskrieges den furchtbaren Winter 1777-78 verbrachten. Es mangelte an allem, Unterkünften, Nahrung, Kleidung, Schuhen, und von 12000 Soldaten starben mehr als 2000 an den Folgen von Hunger, Kälte und Erschöpfung. Im gleichen Winter kam jedoch Baron Friedrich Wilhelm von Steuben nach Valley Forge und bot George Washington seine Dienste an. Von Steuben hatte einst dem Generalstab Friedrichs des Großen angehört, und nun bildete er Washingtons Truppen aus. Tag für Tag exerzierte er persönlich mit einem Modellkorps von hundert Mann, die dann als Ausbilder der übrigen Truppen fungierten. Unterdessen handelte Franklin in Paris die Anerkennung der Unabhängigkeit durch Frankreich aus. Mit der Zeit verbesserte sich auch die Versorgungslage, und im Juni 1778 verließen Washingtons Truppen Valley Forge als selbstbewußte, gutausgebildete Armee, die nach fünf Jahren letztlich den Sieg über die britische Krone davontrug.

Auch Friedrich List, Alexander von Humboldt und viele andere aufrechte Deutsche unterstützten tatkräftig die amerikanische Sache. Dabei ist bemerkenswert, daß erst hundert Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung das erste ausländische Staatsoberhaupt US-amerikanischen Boden betrat: Don Pedro, der Kaiser von Brasilien, eröffnete als ranghöchster Gast die Hundertjahrfeier in Philadelphia. Aus diesem Anlaß entstand auf einem Hügel bei der alten Gründerstadt der Fairmount Park, wo man heute noch eine bemerkenswerte Ansammlung lebensgroßer Statuen oder Büsten von Schiller, Goethe, Mozart, Schubert und vieler anderer europäischer "Klassiker" bewundern kann. Die junge "Schiller-Linde", die Mitglieder des amerikanischen Schiller-Instituts dort 1984 pflanzten, ist mittlerweile zu einem stattlichen Baum herangewachsen.

Auch das ist Amerika, selbst wenn die Kultur der deutschsprachigen Einwanderer den Häßlichkeiten des Ersten Weltkrieges zum Opfer fiel. Amerika wurde von Einwanderern aus Europa und vielen anderen Teilen der Welt besiedelt. Das kann man sich im Einwanderungsmuseum auf Ellis Island vergegenwärtigen, wo von 1892-1954 alle Einwanderer in die Neue Welt untersucht und registriert wurden - bis zu 5000 jeden Tag! Nach den verschiedenen Prozeduren erhielten 98 Prozent von ihnen schließlich ihre Registration, kauften sich eine Eisenbahnkarte und fuhren direkt vom Bahnhof in Ellis Island in ihre neue Heimat.

Im Obergeschoß des Museums befindet sich eine Ausstellung, deren Sinn ich nicht sogleich begriff. Sie heißt Silent Voices (Schweigende Stimmen) und besteht aus zwei gegenüberliegenden Wänden lebensgroßer Photographien von Menschen: eine vornehme russische Dame im Pelzmantel mit ihren Kindern; eine schöne junge Chinesin; drei schwarzhäutige Damen in europäischen Kleidern aus Trinidad und Tobago; ein blonder Offizier aus der Ukraine, und viele mehr. Stolze, furchtlose Gesichter, keine verängstigten Flüchtlinge, sondern Menschen, die entschlossen ihr Schicksal in die Hand nehmen. Amerikanische Ahnenporträts.

Zwei Wellen von Einwandern kamen aus Europa, die erste 1840-60, die zweite ab 1890-1910. Mit der ersten Welle kamen auch die Verfolgten der gescheiterten Revolution von 1848 in Deutschland, u.a. Friedrich Hecker aus Baden, der als Mitglied des Vorparlaments eine "deutsche Republik" und einen Freundesbund mit "dem fruchtbaren Felsen im Meere, der nordamerikanischen Union" gefordert hatte. In den Forderungen der Heidelberger Volksversammlung vom 26. März 1848 heißt es, "daß das deutsche Volk für die nordamerikanische Verfassung reif sei und sie wünscht".

"Solches Regiment muß Haß erwerben..."

Warum berichte ich das alles? Ich möchte damit verdeutlichen, warum blinder Antiamerikanismus, der von alledem nichts wissen will, uns hier in Europa von unserer eigenen Geschichte abtrennt, und von der Kultur der "Schillerzeit", die mit dem Kampf um die Überwindung des Feudalsystems und der Heranbildung selbstdenkender Menschen und aufrechter Staatsbürger verbunden ist.

Eine lebendige Illustration davon bot sich mir bei einem Wochenendseminar in Kalifornien, wo junge Mitglieder des amerikanischen Schiller-Instituts Szenen aus Wilhelm Tell aufführten. Es hat schon etwas Bewegendes, auf englisch die Worte des deutschen Dichters zu hören, der in diesem Stück den Freiheitskampf der Eidgenossen ebenso wie den Unabhängigkeitskampf Amerikas behandelt: wie Gertrud Stauffacher (dargestellt von einem jungen afroamerikanischen Mädchen) ihren Mann dazu ermuntert, sich mit anderen gegen die Unterdrückung zu verbünden; oder wie die adelige Berta ihrem Rudenz klarmacht, daß er sich um das Schicksal seiner Leute kümmern muß, um ihrer Liebe würdig zu werden; und wie dieser Rudenz dann in der Apfelschußszene dem grausamen Geßler mutig die Stirn bietet und ihm vorhält:

Solches Regiment muß Haß erwerben.
Das ist des Königs Wille nicht...
Solche Grausamkeit verdient
Mein Volk nicht, dazu habt ihr keine Vollmacht...
Das Beste aller glaubt ich zu befördern,
Da ich des Kaisers Macht befestigte -
Die Binde fällt von meinen Augen...
Mein freies Urteil habt ihr irrgeleitet,
Mein redlich Herz verführt - Ich war daran,
Mein Volk in bester Meinung zu verderben...

Diese Ideen leben in den jungen Amerikanern, die sie so überzeugend vortrugen. In Amerika, so scheint es, ist eine neue "Schillerzeit" angebrochen.

Gabriele Liebig