In der „besten aller möglichen Welten” ist der Bürger nicht ohnmächtig!
Von Katarzyna Kruczkowski, LaRouche-Jugendbewegung
Die Oligarchie will uns suggerieren, die Welt sei schlecht und der Mensch könne
daran nichts ändern. Das Beispiel Gotthold Ephraim Lessings zeigt: Idealisten
können die Welt verbessern.
„Den Menschen geht es noch nicht schlecht genug!“ oder: „Der Mensch ist egoistisch und nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht!“ Solche und ähnliche Aussagen hören wir
regelmäßig aus unterschiedlichen Schichten der Bevölkerung. Man hält sich für
einen der wenigen, die es zu dieser „Erkenntnis“ gebracht haben. Den wenigsten
Menschen ist jedoch bewußt, daß diese Einstellung nur die herrschende Kultur
reflektiert und eigentlich den moralischen Verfall dieser Kultur ausdrückt.
Was löst denn den inneren Antrieb eines Menschen, etwas zu tun, aus? Wenn es ihm schlecht genug geht? Wenn er den Arbeitsplatz verliert oder seine Frau ihn verläßt, wenn er
seinen gesamten Besitz am Aktienmarkt verliert, wenn er Pfandflaschen aus
Mülleimern herausfischt oder mit seinen Kleinkindern durch den Zug streift und
jeden Fahrgast anbettelt? Wo genau fängt es an, einem Menschen schlecht genug
zu gehen, damit er endlich etwas tut? Paradoxerweise entgegnen uns Leute immer
wieder, wenn es um die aktive Unterstützung unserer Aktivitäten geht, daß sie
selbst zusehen müßten, wie sie überleben, und sie erläutern ihr schreckliches
Schicksal und erklären, daß man doch diejenigen ansprechen solle, denen es noch besser ginge.
Also was gilt jetzt? Ich möchte die Hypothese aufstellen, daß, ganz gleich, was auch immer
für plausibel erscheinende Gründe angegeben werden, es doch nur Ausreden sind,
um selbst nichts zu tun. Solche schönen sophistischen Verdrehungen kennt man
sonst aus den Reden von Politikern. Außerdem ist es so bequem und leicht, zu
glauben, daß der Mensch egoistisch ist, weil es dann nicht so blamabel ist,
wenn man sein eigenes Fähnlein in den Wind des Zeitgeistes hängt.
Dieses Denken ist aber nichts Neues. Man hat es mit einem alten Übel zu tun, das in Europa vor
allem bei den Leibniz-Verächtern Thomas Hobbes und John Locke seine Wurzeln hat
und durch die sogenannten Aufklärer wie Voltaire, Maupertuis, Lagrange,
D’Alembert und Euler weit verbreitet wurde. Es gibt jedoch auch eine andere
Denktradition, die erfreuliche Einflüsse auf die ganze Welt ausübte.
Schöpfung von Leibniz: Die amerikanische Revolution
Hier möchte ich die Aufmerksamkeit auf ein Menschenbild lenken, das seit Menschengedenken mit
dem bis jetzt geschilderten heutigen Zeitgeist im Krieg liegt. Ein sehr
wichtiger Repräsentant dieser ganz anderen Auffassung ist Gottfried Wilhelm
Leibniz, von dem die schöne und kulturoptimistische Aussage, daß wir in der
besten aller möglichen Welten leben, stammt. Wie soll das auf unsere heutige
Zeit zutreffen? Wo doch alles, was man sieht, nur als ein Beweis für das
erscheint, was Hobbes und Locke und ihr Gefolge von Aufklärern predigten?
Schon zu ihren Lebzeiten hatten sie Leibniz und seinen Anhängern einen regelrechten Krieg
erklärt. Doch welche Gefahr sehen sie denn in dieser doch angeblich so
lächerlichen Auffassung von Leibniz, daß manche Leute sich bis heute die größte
Mühe und Anstrengung geben, um uns dessen Erbe zu versperren? Was ist so
gefährlich an dem Gedanken, daß wir in der besten aller möglichen Welten leben,
oder an dem Ausdruck „Streben nach Glückseligkeit“, der die amerikanische
Revolution prägte und in die Unabhängigkeitserklärung mit aufgenommen wurde?
Die Absicht ist dieselbe, die Prinz Philipp, George Shultz oder Al Gore heute repräsentieren,
und sie ist typisch für die Oligarchie - nicht weil sie Adelstitel trägt,
sondern wegen ihrer Denkweise: Sie hat bestimmte wissenschaftliche Entdeckungen
zugelassen (teilweise auch nur, weil man sie nicht mehr vertuschen konnte),
aber nicht die Darstellung, wie diese Entdeckungen gemacht wurden. Man
verweigert der Bevölkerung oder mystifiziert den Zugang zu den
Endeckungsprinzipien. Die Wissenschaft muß kontrolliert werden, meinen sie, weil
der Mensch ihnen zu gefährlich erscheint und die Erde damit zu zerstören droht.
Man denke an die Schauermärchen und wissenschaftsfeindlichen Horror-Szenarien,
mit denen der Generation der 68er Angst vor der Wissenschaft gemacht wurde,
sowie an die gleichzeitig bewußt vorangetriebene Degradierung der Kultur durch
den Club of Rome, die Frankfurter Schule und der Brandtschen Bildungsreform, wo
alle Entdeckungen mystifiziert und auf reine Formellehren reduziert wurden. Demnach
kann man z. B. Gravitation nur entdecken, wenn man sich unter einen Baum legt
und einem dann ein Apfel auf den Kopf fällt. Man hat eben Pech gehabt, wenn man
keinen Apfelbaum erwischt hat.
Beispiel eines Sophisten: Voltaire
Aufklärer wie der hochgelobte Voltaire, der 1750 an den Hof Friedrichs II. berufen wurde, waren
die damaligen Vorläufer Al Gores. Sie haben die Wissenschaft bewußt obskur gemacht.
Bleiben wir bei Merkels Liebling Voltaire, und sehen wir uns einmal das Beispiel seines „europäischen
Kulturerbes“ an. Sein Werk Candide oder die beste aller Welten ist ein
gutes Beispiel dafür, wie er Leibniz und dessen menschenliebende Philosophie
lächerlich machte. Candide und alle Menschen um ihn herum erleben einen
schlimmen Schicksalsschlag nach dem anderen. Candide wurde von dem Gelehrten
Panglos und seiner leibnizianischen Philosophie geprägt, und Voltaire läßt ihn
jedes Mal nach einem großen Unglück diese Philosophie entweder bis ins
Lächerliche ausdrücken oder in Frage stellen. Das Stück ist nicht nur durch und
durch sarkastisch, ihm liegt auch ein bestialisches Menschenbild zugrunde.
Gleich am Anfang heißt es über Panglos:
Panglos lehrte die Metaphysiko- theologo- kosmolo-
nigologie; bewies mit der stärksten philosophischen Suade, daß ohne Ursache
keine Wirkung sein könne, und daß in dieser besten aller möglichen Welten das
Schloß des gnädigen Herrn Barons das schönste aller Schlösser sei und die
gnädige Frau die beste aller möglichen Baroninnen.
Es ist bereits klärlich dargetan, hub er zu
demonstrieren an, daß die Dinge nicht anders sein können, als sie sind; denn
alldieweil alles, was da ist, zu einem Endzweck geschaffen worden, so zielt
notwendig alles zu dem besten Endzweck ab. Gebt nur acht, und Ihr werdet diese
Grundwahrheit durchgängig bestätigt finden. Betrachtet zum Beispiel Eure Nasen.
Sie wurden gemacht, um Brillen zu tragen, und man trägt auch welche… Die
Schweine schuf Gott, damit der Mensch sie äße, essen wir nicht Schweinefleisch
jahraus jahrein? Folglich ist es Torheit mit einigen zu behaupten, daß alles gut
gemacht ist, aufs beste ist alles gemacht, muß man sagen.
15 mal läßt er die beste aller Welten erwähnen - immer nach einem neuen Unglück, wie z.B.: „Nun,
liebster Panglos, blieben Sie noch immer bei Ihrem Satze, wie Sie gehängt,
seziert, zerprügelt, Ruderknecht geworden waren? Hielten Sie noch immer diese
Welt für die beste?“ - „Noch immer! Häng’ ich fest an meiner ersten Meinung”,
sagte Panglos, “denn mit einem Wort, ich bin Philosoph, und der läßt sein
System nie fahren, überdies konnte Leibniz gar nicht unrecht haben, und zudem
gibt’s nichts Vortrefflicheres auf der Welt, als die vorherbestimmte Harmonie
wie auch Lehre vom Raum und von dem Unteilbaren der Natur.”
Nachdem Candide und seine Reisegefährten um die Welt gereist sind und so viel Leid erfahren und
auch nur Menschen getroffen haben, denen es genauso schlimm oder schlimmer
ergangen ist, treffen sie auf einen Mann, dem es gut zu gehen scheint. Er baut
mit seiner Familie einen Acker an, denn „Arbeit verscheucht die drei
schlimmsten Feinde von uns, die Langeweile, das Laster und den Mangel.“
Nun werden die Reisenden, die auf dem langen Weg immer nur das Glück suchten, „erleuchtet“,
daß „nichts gefährlicher [ist] in der Welt als Größe.“ Zur Begründung dieser
These zählt Panglos 35 Könige aus der Geschichte auf, die ein böses Schicksal
erlitten haben, und dann schließt er ab mit: „Jegliche Begebenheit im
menschlichen Leben gehört in die Kette der Dinge”, worauf er die ganzen
Unglücksfälle und Schicksale, die ihnen begegnet sind, als Kette der Ereignisse
aufzählt, die notwendig waren, sonst könnte er jetzt nicht hier sein und
Pistazien essen. Das Leben eines Untertanen ist das beste, weil man sich nun
mal keine Schwierigkeiten bereitet und keine Feinde schafft! So einfach ist das!
Das ist ein Ausdruck der Aufklärung. Und dieses Denken soll zur amerikanischen Revolution
geführt haben? Zu der amerikanischen Unabhängigkeit, die das Recht auf Leben,
Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit in den Mittelpunkt stellte? Die
Aufklärer waren vielmehr die Wegbereiter der französischen Revolution, auf die
Napoleon mit seiner Schreckensherrschaft folgte, und später Hitler, der an das
Werk Napoleons anknüpfte.
Lessing
Ich will auf einen Zeitgenossen Voltaires, der Teil des Abraham-Kästner-Netzwerkes war, eingehen.
Heinrich Heine selbst schrieb über ihn, daß kein Deutscher seinen Namen
aussprechen könne, „ohne daß in seiner Brust ein mehr oder minder starkes
Echo laut wird“: Gotthold Ephraim Lessing.
Heine faßt seinen Eindruck von Lessing sehr gut zusammen, wenn er schreibt, daß Lessing
der literarische Arminius [war], der unser Theater von
jener Fremdherrschaft befreite. Er zeigte uns die Nichtigkeit, die
Lächerlichkeit, die Abgeschmacktheit jener Nachahmungen des französischen Theaters,
das selbst wieder dem griechischen nachgeahmt schien. Aber nicht bloß durch
seine Kritik, sondern auch durch seine eigenen Kunstwerke ward er der Stifter
der neueren deutschen Originalliteratur. Alle Richtungen des Geistes, alle
Seiten des Lebens verfolgte dieser Mann mit Enthusiasmus und Uneigennützigkeit,
Kunst, Theologie, Altertumswissenschaft, Dichtkunst, Theaterkritik, Geschichte,
alles trieb er mit demselben Eifer und zu demselben Zwecke. In allen seinen
Werken lebt dieselbe große soziale Idee, dieselbe fortschreitende Humanität,
dieselbe Vernunftreligion, deren Johannes er war und deren Messias wir noch
erwarten. Diese Religion predigte er immer, aber leider oft ganz allein und in
der Wüste. Und dann fehlte ihm auch die Kunst, Stein in Brot zu verwandeln; er
verbrachte den größten Teil seines Lebens in Armut und Drangsal; das ist ein
Fluch, der auf fast allen großen Geistern der Deutschen lastet und vielleicht
erst durch die politische Befreiung getilgt wird. Mehr als man ahnte, war
Lessing auch politisch bewegt, eine Eigenschaft, die wir bei seinen
Zeitgenossen gar nicht finden.
Man sollte bedenken, daß zu jener Zeit das vom 30jährigen Krieg zerstörte Deutschland
politisch und wirtschaftlich rückständig und in über 350 Fürstentümer zerstückelt
war. Es gab keine Zentralgewalt, es herrschte fürstliche Willkür und
geistlicher Despotismus. Die Fürsten nahmen den Sonnenkönig zum Vorbild, womit
eine verschwenderische Hofhaltung und Soldatenhandel zu erklären war, und Krieg
drohte erneut. Krieg herrschte auch im philosophischen Sinne: Voltaire,
Maupertuis, d’Alembert und Euler erhoben Newton auf einen Sockel und starteten
einen Angriff nach dem anderen auf Leibniz und seine Nachfolger.
Die Bevölkerung war politisch und wirtschaftlich, religiös und geistig versklavt, bis auf ganz
wenige, wie zum Beispiel Lessing. Als drittes von insgesamt zwölf Kindern eines
Pastors am 22.1.1729 in Kamenz geboren, bereitete er seiner Familie nur Kummer
und Sorge, weil er ihren Wünschen für sein Leben nicht nachging, das
Theologiestudium abbrach und ebenso das Medizinstudium, bis er letztendlich,
angespornt durch Vetter Christlob Mylius, der in der Familie als Freigeist
verleumdet war, sich nur noch dem Schriftstellertum widmete.
Schon zu Beginn seiner Studien fühlte er sich von der Universitätsgelehrsamkeit in Leipzig, dem damaligen „Klein-Paris“, abgestoßen und machte sich in Der junge Gelehrte
lustig darüber. Im Stück Die Juden brach er zum ersten Mal ein Tabu
seiner Zeit, die den Juden moralische Größe abgesprochen hatte, und er
polemisierte gegen die übelsten Vorurteile. 1748 ging Lessing nach Berlin, wo er bei Mylius arbeitete, der die Redaktion der Vossischen Zeitung betrieb, die er einige Jahre später übernahm.
Er begann die Fehde mit Gottsched, dem allmächtigen Literaturpapst und Theaterguru in Leipzig. Lessing stellte einen anderen Anspruch an das Theater und kritisierte und
polemisierte gegen ihn in den Briefen, die neueste Literatur betreffend.
Bereits am Ende des ersten Jahrgangs seiner Briefe hatte Lessing mit
seinen wichtigsten Gegnern abgerechnet: Dusch, Wieland, Johann Christoph
Gottsched (Leipziger Professor), Klopstock und Johann Jakob Bodmer (1698-1783).
Hier ist ein kleiner Vorgeschmack aus dem 17. Brief (1759):
Gottsched und das Theater
„Niemand”, sagen die Verfasser der Bibliothek, “wird
leugnen, daß die deutsche Schaubühne einen großen Teil ihrer ersten
Verbesserungen dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe.“
Ich bin dieser Niemand; ich leugne es geradezu. Es
wäre zu wünschen, daß sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt
hätte. Seine vermeinten Verbesserungen betreffen entweder entbehrliche
Kleinigkeiten oder sind wahre Verschlimmerungen...
Wenn man die Meisterstücke des Shakespeare, mit
einigen bescheidenen Veränderungen, unsern Deutschen übersetzt hätte, ich weiß
gewiß, es würde von bessern Folgen gewesen sein, als daß man sie mit dem
Corneille und Racine so bekannt gemacht hat. Erstlich würde das Volk an jenem
weit mehr Geschmack gefunden haben, als es an diesen nicht finden kann; und
zweitens würde jener ganz andere Köpfe unter uns erweckt haben, als man von
diesen zu rühmen weiß. Denn ein Genie kann nur von einem Genie entzündet
werden, und am leichtesten von so einem, das alles bloß der Natur zu danken zu
haben scheint und durch die mühsamen Vollkommenheiten der Kunst nicht abschreckt.
Nathan, der Weise
Zu Lessings bekanntesten Werken gehört Nathan, der Weise, auf das ich näher eingehen
möchte. Es handelt von Nathan, einem reichen Juden, dessen Haus abgebrannt und
seine Frau und seine 7 Kinder durch Christen umgebracht wurden. Zwei Tage
später, noch in tiefster Trauer und Bestürzung, kam ein fremder Ritter mit
einem Säugling und bat Nathan, sich diesem Kind, dessen christliche Eltern
verstorben waren, anzunehmen, was er auch tat. Er trifft den Herrn, der ihm das
Kind gebracht hatte, viele Jahre später wieder und beschreibt die damalige Situation:
Nathan | Ihr traft mich mit dem Kinde zu Darun.
Ihr wißt wohl aber nicht, daß wenige Tage
Zuvor, in Gath die Christen alle Juden
Mit Weib und Kind ermordet hatten; wißt
Wohl nicht, daß unter diesen meine Frau
Mit sieben hoffnungsvollen Söhnen sich
Befunden, die in meines Bruder Hause,
Zudem ich sie geflüchtet, insgesamt
Verbrennen müssen. |
Klosterbruder | Allgerechter! |
Nathan | Als Ihr kamt, hatt’ ich drei Tag’ und Nächt’ in Asch’
Und Staub vor Gott gelegen, und geweint. -
Geweint? Beiher mit Gott auch wohl gerechtet,
Gezürnt, getobt, mich und die Welt verwünscht;
Der Christenheit den unversöhnlichsten
Haß zugeschworen - |
Klosterbruder | Ach! Ich glaub’s Euch wohl! |
Nathan | Doch nun kam die Vernunft allmählich wieder.
Sie sprach mit sanfter Stimm’: “Und doch ist Gott!
Doch war auch Gottes Ratschluß das! Wohlan!
Komm! Übe, was du längst begriffen hast;
Was sicherlich zu üben schwerer nicht,
Als zu begreifen ist, wenn du nur willst.
Steh auf!” - Ich stand! Und rief zu Gott: ich will!
Willst du nur, daß ich will! - Indem stiegt Ihr
Vom Pferd, und überreichtet mir das Kind,
In Euern Mantel eingehüllt. - Was Ihr
Mir damals sagtet; was ich Euch, hab’ ich
Vergessen. So viel weiß ich nur; ich nahm
Das Kind, trug’s auf mein Lager, küßt’ es, warf
Mich auf die Knie und schluchzte: Gott! Auf Sieben
Doch nun schon Eines wieder! |
Klosterbruder | Nathan! Nathan! |
| Ihr seid ein Christ! - Bei Gott, Ihr seid ein Christ!
Ein beßrer Christ war nie! |
Nathan | Wohl uns! |
| Denn was mich Euch zum Christen macht,
das macht Euch mir zum Juden!
|
Später im Stück ertönt das Hohelied der Toleranz und Humanität, die berühmte Ringparabel. Der
Herrscher in Jerusalem war Sultan Saladin, der Nathan zu sich holt und ihn
fragt, welche die beste Religion sei. Nathan erzählt ihm dann die folgende Geschichte:
Es geht um einen wertvollen Ring, der eine geheime Kraft besaß und der denjenigen vor Gott und
Menschen angenehm machte, der ihn trug. Dieser Ring wurde von Generation zu
Generation weitergegeben, aber nicht an dem Erstgeborenen, sondern an den
liebsten Sohn, der damit auch zum Familienhaupt wurde.
Es geschah nun, daß ein Mann drei Söhne hatte, die er alle gleich liebte, so daß er jedem den
Ring versprach. Als er merkte, daß er bald sterben würde, stand er vor einem
Problem, weil er keinen enttäuschen wollte. So ließ er zwei weitere Ringe, die
mit dem Original identisch waren, anfertigen und gab kurz vor seinem Tod jedem
Sohn „diesen“ Ring. Bald kam nun jeder Sohn mit seinem Ring und wollte das
Familienoberhaupt sein, weil jeder glaubte, daß nur sein Ring der echte sein
könne, und sie verklagten sich gegenseitig vor dem Richter:
Der Richter sprach: Wenn ihr mir nun den Vater
Nicht bald zur Stelle schafft, so weis’ ich euch
Von meinem Stuhle. Denkt ihr, daß ich Rätsel
Zu lösen da bin? Oder harret ihr,
Bis daß der rechte Ring den Mund eröffne? -
Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring
Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen;
Vor Gott und Menschen angenehm. Das muß
Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden
Doch das nicht können! - Nun; wen lieben zwei
Von euch am meisten? - Macht, sagt an! Ihr schweigt?
Die Ringe wirken nur zurück? Und nicht
Nach außen? Jeder liebt sich selber nur
Am meisten? - O so seid ihr alle drei
Betrogene Betrüger! Eure Ringe
Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring
Vermutlich ging verloren. Den Verlust
Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater
Die drei für einen machen. […]
Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr
Nicht meinen Rat, statt meines Spruches wollt:
Geht nur! - Mein Rat ist aber der: ihr nehmt
Die Sache völlig wie sie liegt. Hat von
Euch jeder seinen Ring von seinem Vater:
So glaube jeder sicher seinen Ring
Den echten. - Möglich, daß der Vater nun
Die Tyrannei des einen Rings nicht länger
In seinem Hause dulden wollen! - Und gewiß,
Daß er euch alle drei geliebt, und gleich
Geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen,
Um einen zu begünstigen. - Wohlan!
Es eifre jeder seiner unbestochnen
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
Es strebe von euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag
Zu legen! Komme dieser Kraft mit Sanftmut,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
Mit innigster Ergebenheit in Gott
Zu Hilf’! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern:
So lad’ ich über tausend tausend Jahre
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Dann wird
Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen,
Als ich; und sprechen. Geht!
|
Die Umstände
Welche Größe Lessing besaß, erzählen die Umstände, unter denen er seinen Nathan schrieb.
Seine Auseinandersetzung mit der protestantisch-orthodoxen Welt und dem
Hamburger Hauptpastor Goeze als deren Wortführer (siehe Anti-Goeze)
eskalierte; nach einer heftigen Polemik Lessings entzieht ihm die besorgte
Regierung von Braunschweig die Zensurfreiheit. Und nun ging es auch noch um
seine persönliche Existenz.
Lessings Eheglück fing erst sehr spät an und währte nur kurz. 1777 schenkte ihm seine Frau Eva
König nach 15 Monaten Ehe einen Sohn, doch der starb nach nur einem Tag. Am
31.12.1777 schrieb er einen erschütternden Brief an seinen Freund Eschenburg:
Mein lieber Eschenburg!
Ich ergreife den Augenblick, da meine Frau ganz ohne
Besonnenheit liegt, um Ihnen für Ihren gütigen Anteil zu danken. Meine Freude
war nur kurz: Und ich verlor ihn so ungern, diesen Sohn! Denn er hatte so viel
Verstand? So viel Verstand!
Glauben Sie nicht, daß die wenigen Stunden meiner
Vaterschaft mich schon zu so einem Affen von Vater gemacht haben! Ich weiß, was
ich sage. - War es nicht Verstand, daß man ihn mit eisernen Zangen auf die Welt
ziehen mußte? Daß er so bald Unrat merkte? - War es nicht Verstand, daß er die
erste Gelegenheit ergriff, sich wieder davonzumachen? - Freilich zerrt mir der
kleine Ruschelkopf auch die Mutter mit fort! - Denn noch ist wenig Hoffnung,
daß ich sie behalten werde. - Ich wollte es auch einmal so gut haben wie andere Menschen.
Aber es ist mir schlecht bekommen. Lessing.
Am 10. Januar 1778 starb auch Lessings Frau. In tiefer Verzweiflung schrieb er das großartigste
Werk seiner Zeit: Nathan der Weise, sozusagen die beste Widerlegung von
Voltaires Candide und die beste Flanke gegen die damaligen
Fundamentalisten wie den Hamburger Pastor Goeze. Lessing ließ sich trotz der
Rufmordkampagne, die daraufhin losbrach, nicht beirren und schrieb 1778 in
seiner Duplik:
„Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch
ist oder zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat,
hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen. Denn nicht durch
den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine
Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit besteht. Der Besitz
macht ruhig, träge, stolz. - Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in
seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem
Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte und spräche zu mir:
Wähle! Ich fiele mit Demut in seine Linke und sagte: Vater, gib! Die reine
Wahrheit ist ja doch nur für dich allein! …“
Lessings Erbe an Schiller und uns
Moses Mendelssohn schrieb in seinem Kondolenzschreiben an Lessings Bruder: „Eine bessere
Nachwelt werde nach fünfzig Jahren daran lange Zeit kauen und zu verdauen
finden. Er ist in der Tat mehr als ein Menschenalter seinem Jahrhundert zuvor geeilt.“
Lessing war der Vorkämpfer für das deutsche Theater und schuf die Voraussetzungen für die
Entstehung der Weimarer Klassik. Das Theater sollte zur Schule der moralischen
Welt werden. Er stürmte gegen eine gesellschaftliche Ordnung an, die „aus
Menschen Maschinen macht“, und wies dem Dichter die Aufgabe zu, „aus diesen
Maschinen wieder Menschen zu machen.“
Hier entstand die Idee der ästhetischen Erziehung, woran vor allem Schiller anknüpft. Genau gegen
die Idee von Locke, Hobbes und den anderen Aufklärern, daß nur Egoismus und
persönlicher Nutzen die Menschen zu Handlungen anstachele, waren Lessings, wie
auch Schillers Lebenswerk gerichtet, und gerade in seinen „Briefen über die
ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts“ gab Schiller eine universelle
Antwort darauf, wie eine politische Veränderung herbeizuführen sei - durch die
Ausbildung des Empfindungsvermögens.
An einen Weltverbesserer
Von der Menschheit - du kannst von ihr nie groß genug denken;
Wie du im Busen sie trägst, prägst du in Taten sie aus.
Diese Xenie macht Schillers Überzeugung deutlich, daß es das allem zugrunde liegende Menschenbild
ist, das wir heute wieder zu seinem Ursprung bringen müssen - zur schönen Seele.
Bei manchen bedürfe es vielleicht ein bißchen mehr Hartnäckigkeit, doch wenn der richtige
Weg erstmal eingeschlagen sei, so wird „der ruhige Rhythmus der Zeit die
Entwicklung bringen“, war Schiller überzeugt. Diese Richtung geben wir uns,
wenn wir unsere Gedanken zum Notwendigen und Ewigen erheben. Idealist zu sein
gilt heute als etwas schimpflich Träumerisches. Bedenken Sie jedoch, daß für
jeden Fortschritt in der Geschichte ein Ideal verantwortlich war, und daß
alles, was geschaffen wurde und zu schaffen ist, von einer Vision inspiriert
wurde. Also lassen Sie uns Idealisten sein und große Visionen haben, denn
vieles muß noch geschaffen werden. Und um mit Lessings Worten zu enden:
„Nun, sie wird kommen, sie wird gewiß kommen, die Zeit
der Vollendung, da der Mensch … das Gute tun wird, weil es das Gute ist, nicht
weil willkürliche Belohnungen darauf gesetzt sind.“
Quellen
Lessing, Ein Lesebuch für unsere Zeit,
von Walther Victor, Thüringer Volksverlag, Weimar 1954.
Triumph der Wahrheit. Gotthold Ephraim Lessing. Mensch
und Werk, Verlag der Nation, 1952.
Gotthold Ephraim Lessing, Werke in 3 Bänden, VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1956.
Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen, Könemann
Verlagsgesellschaft mbH, 1999.
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