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  Bildungspolitik

Zurück zu den Prinzipien der klassisch-humanistischen Erziehung!

Von Elisabeth Hellenbroich

 

In ganz Europa wird gegenwärtig kaum ein Thema so heiß diskutiert wie die Erziehung. Deutschland nimmt bei dieser Debatte eine besondere Vorreiterrolle ein. Bildungsminister Rüttgers vollzieht mit rücksichtslosen Sparmaßnahmen auf bürokratisch-administrativem Wege die Demontage eines Erziehungssystems, das einst zu den besten der Welt gehörte und Generationen hervorragender Forscher und Denker hervorbrachte. Im globalen Wettbewerb und in einer von Medien und Informationstechnologien beherrschten Gesellschaft sollen sich, so die "Bildungsstürmer", die Prämissen der Erziehung grundlegend ändern: In Berlin sprach Bundespräsident Herzog am 5. November 1997 vom "Megathema Erziehung", vom "Aufbruch in der Bildungspolitik". Es gehe darum, verantwortlich mit der "Ressource Zeit" umzugehen. Man müsse das "Lernen lernen". Um einen möglichst schnellen Zugang zum Wissen und "Information" zu erhalten, sei der "Umgang mit Computern" (Teleteaching) an der Schule erforderlich.

Herzog und Rüttgers käuen nur das wieder, was vor einigen Jahren eine von der Bertelsmann-Stiftung und der Deutschen Bank geförderte Denkschrift in Nordrhein-Westfalen Zukunft der Bildung -- Schule der Zukunft vorstellte und in NRW und anderen Bundesländern als Pilotprojekt eingeführt wurde. Zusammen mit der Bosch-, Duisberg-, VW- und Nixdorf-Stiftung, der Deutschen Bank u.a. will die Bertelsmann-Stiftung die Erziehung an den Bedürfnissen einer auf radikale Austerität gepolten Gesellschaft "funktional" ausrichten.

Die Ideologie dahinter ist die des Club von Rom, der in den 60er Jahren unter der Federführung Alexander Kings mit den Brandtschen Erziehungsreformen den ersten Kahlschlag im Erziehungswesen einleitete. Unter dem Stichwort "globale Revolution" forderte derselbe Club von Rom 1993 auf einer Konferenz in Hannover, eine "postindustrielle" Erziehung. Den wirtschaftspolitischen Rahmen dieser postindustriellen Erziehung bilden "Ressourcenverknappung", "Globalisierung", "tragfähige Entwicklung" -- sprich Nullwachstum und Bevölkerungsreduktion.

Unter Bedingungen einer immer virulenteren Weltwirtschaftskrise holen die "Bildungsstürmer" nun zum zweiten Generalangriff auf das Erziehungssystem aus. Bertelsmann und Co. folgen dabei dem Beispiel der amerikanischen Denkfabriken Heritage Foundation, Hudson Institute und Stanford University, die bereits vor zehn Jahren mit Pilotprojekten begannen und forderten, die Erziehung müsse dem Wettbewerb geöffnet und im Informationszeitalter "überflüssiger Bildungsballast" wie z.B. Physikunterricht, klassische Kunst- und Musikerziehung, alte Sprachen (Griechisch, Latein) abgeworfen werden. Im Bertelsmann-Stiftungsjargon heiß das "Privatisierung" und "Deregulierung" des Erziehungssystems. Es ist die Rede von "Eigenverantwortung" der Schulen (Schulsponsoring) und selbsttätiger Haushaltsführung, während zugleich der feste Fächerkanon abgeschafft werden soll.

Das Ergebnis der durch drakonische Sparmaßnahmen bereits hinterlassenen "Bildungsreform" ist katastrophal:

  • Die Studie TIMSS (Third International Mathematics and Science Study) analysierte die mathematisch-naturwissenschaftliche Leistungsfähigkeit von Schülern in 41 Ländern. Dabei konnten deutsche Schüler nur mittlere Plätze belegen. Weit hinter Japan und Singapur erreichte das Land der Dichter und Denker Rang 19.
  • Hochschulen, Industrie und Handwerk beklagen den mangelhaften Ausbildungsstand der Schulabgänger, denen als Folge des sich verschlechternden Ausbildungsniveaus elementare Kenntnisse des Schreibens und Rechnens abhanden gekommen sind.
  • Die Zahl der Studienanfänger in den Ingenieurswissenschaften ist dramatisch geschrumpft, und talentierte Forscher ziehen es vor, ins Ausland zu gehen.
  • Während im 19. Jahrhundert deutsche Universitäten in natur- und geisteswissenschaftlichen Fächern für alle Welt ein Mekka war, ist heute die Zahl der ausländischen Studenten, die sich in Deutschland ausbilden lassen, immer weiter rückläufig.
  • Die Schulen sind immer mehr zu einem Auffangbecken für Erziehungsdefizite in den Familien geworden. Die steigende Zahl Alleinerziehender hat dazu geführt, daß Fernsehen und Computerspiele zum Erziehungsersatz geworden sind. Aus Langeweile und Verdruß, weder emotionell noch geistig gefordert oder begeistert, sowie angesichts düsterer Zukunftsaussichten auf dem Arbeitsmarkt haben Gewaltbereitschaft und Drogenkonsum bei Jugendlichen dramatisch zugenommen.

 

Eine neue technologische Revolution

Bildung ist das "geistige Kapital" einer Nation. Ob Nationen eine Zukunft haben, wird maßgeblich vom Inhalt der Erziehung bestimmt. Aber mit "Information" werden wir nicht in der Lage sein, den großen Herausforderungen der Zukunft zu begegnen und "neue Horizonte des Wissens" zu erobern. Um das Potential von 5,2 Milliarden Menschen zu sichern, bedarf es riesiger Fortschritte in Technologie und Wissenschaft: Raumfahrt, Entwicklung der kontrollierten Kernfusion, industrielle Anwendung von Hochleistungslasern, Mikrowellen und Teilchenstrahlentechnologien, erdgebundene Systeme für Passagier- und Gütertransport auf Basis der Magnetschwebetechnik und neue biophysikalische Methoden in der Landwirtschaft und Medizin.

Eine solche technische und wissenschaftliche Revolution ist Voraussetzung für den globalen Wiederaufbau der Weltwirtschaft, wozu vor allem die infrastrukturelle Erschließung und Entwicklung Eurasiens gehört.

Deshalb fordern wir:

  • Wir brauchen eine Erziehung, welche sich an den bewährten Prinzipien des klassischen Humboldtschen Bildungssystems orientiert. Jeder Bürger, gleich welcher Herkunft, hat das Recht auf "Allgemeinbildung", lautete die Forderung Wilhelm von Humboldts, der in Deutschland das klassisch-humanistische Bildungssytem begründete und damit die Grundlagen für den Aufstieg Deutschlands als Industriemacht legte.
  • Neben der gesprochenen Sprache muß zugleich die "Sprache des Sehens" entwickelt werden. In den naturwissenschaftlichen Fächern bedeutet dies das Assimilieren und Replizieren bedeutender naturwissenschaftlicher Entdeckungen.

Die Beförderung naturwissenschaftlichen Denkens und Forschens bei Jugendlichen hängt sehr stark von der Persönlichkeit des Lehrers und den Anregungen im Elternhaus ab. Wie man am Beispiel "Jugend forscht" sehen kann, wurde bei Jugendlichen, in deren Schulen eine Sternwarte zur Verfügung stand und die von Lehrern zum Nachdenken über astrophysikalische Probleme angeregt werden, sehr viel mehr Wissenschaftsbegeisterung entfacht als bei Lehrern, die nur ihren Job erledigen.

Neben der "Sprache des Sehens" -- welche nicht zuletzt auch die Malerei umfaßt, wobei das Studium der Perspektive (z.B. Dürer, Leonardo da Vinci) hervorragend geeignet sind, mit der Darstellung des Raumes vertraut zu werden und die Schönheit des Kunstwerks "einsehbar" zu machen -- muß auch die "Sprache des Hörens" ausgebildet werden. Eine gründliche Musikausbildung in der Belcanto-Tradition und Kenntnis klassischer Kompositionen und ihrer Kompositionsprinzipien ist wesentlich zur Beförderung des souveränen, kreativen Potentials des Menschen.

Eines der größten Defizite in der Erziehung ist der Mangel an Geschichtskenntnis und Geschichtsbewußtsein. Um die Zukunft zu gestalten, müssen wir auf dem Wissen aus 2500 Jahren Geschichte aufbauen. Geschichte ist wesentlicher Bezugspunkt für alle Fächer. Schillers Universalgeschichte ist ein guter Bezug, um den Unterschied zwischen oligarchischen und republikanischen Gesellschaftssystemen herauszuarbeiten und herauszufinden, welche kulturellen Faktoren zum Zusammenbruch großer Zivilisationen führten.

Wie die Geschichte der Menschheit bezeugt, war der Fortschritt der menschlichen Zivilisation nur möglich auf der Grundlage von Entdeckungen, welche immer auch mit der Schaffung großer Kunstwerke einhergingen. Keine einzige der im Laufe der Menschheitsgeschichte gemachten Entdeckungen war Ergebnis von "Information", sie alle waren aus dem "sokratischen Dialog" geboren und von der Liebe zur Wahrheit geleitet.

Die Zukunft braucht Menschen mit Pioniergeist, wissenschaftlicher Neugierde und Freude an Poesie und Musik. Nur mit diesem kulturoptimistischen Ansatz werden wir in der Lage sein, die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen.


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