Zurück zur Hauptseite

  Mai 1996 Bildungspolitik

Memorandum vom Mai 1996 an die russische Duma

Klassisches Curriculum und sokratischer Dialog -- Erziehung im 21. Jahrhundert

Von Anno Hellenbroich

Wollen wir erfolgreich auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts reagieren, so müssen wir große Fortschritte in Wissenschaft, Technik und der Anwendung neuer Technologien machen. Das wird aber nur möglich sein, wenn wir gleichzeitig eine "Renaissance der Erziehung und Bildung" ins Werk setzen.

Um das Potential von heute 5,2 Milliarden Menschen zu sichern, bedarf es riesiger Fortschritte in Technologie und Wissenschaft und einer grundlegenden Transformation der Weltwirtschaft auf der Grundlage einer "dritten industriellen Revolution". Dieser aus der Entwicklung der Raumfahrttechnologien kommende Technologieschub umfaßt die kontrollierte Kernfusion, die industrielle Anwendung von Hochleistungslasern, Mikrowellen- und Teilchenstrahlen-Technologien, Technologien mit extrem heißen Plasmen sowie Plasmen bei extrem niedrigen Temperaturen (supraleitfähig), erdgebundene Systeme für Passagier- und Gütertransport auf der Basis der Magnetschwebetechnik und neue biophysikalische Methoden in der Landwirtschaft und der Medizin.

Eines der wichtigsten Ziele im Rahmen des Wiederaufbaus der Weltwirtschaft ist die infrastrukturelle Erschließung und Entwicklung Eurasiens, einer Region, in der heute zwei Drittel der Menschheit leben. Diese Entwicklung Eurasiens ist nur zu verwirklichen, wenn es mit der Anwendung der jüngsten Technologien zugleich zu einer "Renaissance" im Bereich der Erziehung und Bildung kommt.

Dies setzt jedoch eine Rückkehr zu den Grundlagen des "klassischen Curriculums" einer auf der sokratischen Methode aufbauenden Allgemeinbildung voraus.

Das methodische Problem der Erziehung heute liegt darin, daß sie zuviel Gewicht auf enzyklopädisches "Lernen" (gemäß der aristotelischen, deduktiven Methode) und zu wenig Gewicht auf die "sokratische Vermittlung" von Wissen legt. Die platonisch/sokratische Methode baut auf dem "Prinzip der Hypothese" auf: Wissen bedeutet "Entdecken", wobei sich die Entdeckung in Form einer Metapher, einer "platonischen Idee", präsentiert.

Im Mittelpunkt eines am "sokratischen Prinzip" ausgerichteten klassischen Curriculums steht das, was Platon, Leibniz, Humboldt und Schiller als den Kern jeder klassischen Erziehung ansahen: die Allgemeinbildung. Jeder Bürger, gleich welcher Herkunft, hat das Recht auf "Allgemeinbildung", lautete die Forderung des großen Architekten des klassischen humanistischen Bildungssystems Wilhelm von Humboldt, denn das Wesen der Erziehung liege nicht in der Vermittlung spezifischer Fähigkeiten, sondern in der Bildung des Charakters, der Persönlichkeit, welche jeden einzelnen dazu befähigt, aus sich heraus wesentliche Ideen zu entdecken und zugleich die universelle Bedeutung seiner Existenz für die Menschheit und die Geschichte zu erkennen.

Das Hauptgewicht eines neuen klassischen Curriculums sollte auf der Vermittlung der Fähigkeit liegen, "aus sich selbst heraus" die wichtigsten Entdeckungen (Hypothesen) der Menschheitsgeschichte in Naturwissenschaften, Philologie, Kunst etc. "nachzuvollziehen" (bzw. wiederzuentdecken). Dazu muß der Lernende mit den drei wichtigsten "Sprachen" des Menschen vertraut werden:

 

  1. der gesprochenen Sprache -- der Muttersprache und anderen Sprachen (alten und modernen);
  2. der Sprache des Hörens -- die in der Musikerziehung das Hören klassischer Polyphonie einschließt;
  3. der Sprache des Sehens -- in der naturwissenschaftlichen Erziehung wie auch in der ästhetischen Erziehung durch die bildende Kunst.

Die folgenden vier Gebiete sollten im Zentrum eines jeden klassischen Curriculums stehen:

1. Naturwissenschaftliche Erziehung

Leitfaden ist das Nachvollziehen der Geschichte grundlegender naturwissenschaftlicher Entdeckungen in der Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Astrophysik u.a. Methodisch sollte im allgemeinen die Betonung weniger auf dem arithmetisch-logischen Lernen und um so mehr auf der "konstruktiv-geometrischen" Methode liegen (z.B. Nachbauen geometrischer Modelle und Nachvollziehen von Entdeckungen anhand von Originalschriften, wobei auch die "Methode der Entdeckung", die ars inveniendi, angewandt werden kann).

In einem 1992 für das Schiller-Institut verfaßten Memorandum nannte Lyndon LaRouche sechs Entdeckungen neuer wissenschaftlicher Hypothesen, die pädagogisch besonders geeignet sind, in die "Geheimnisse" dieser Methode einzuführen:

a) Nikolaus von Kues' Auseinandersetzung mit dem Problem der Quadratur des Kreises und seine Erkenntnis, warum keine lineare Konstruktion einen (transzendentalen) Kreis quadrieren kann;

b) Leonardo da Vincis Einsicht in die physikalisch-mathematische Bedeutung harmonischer Ordnungen und Proportionen der Natur;

c) Keplers Anwendung von Leonardos Hypothese des "Goldenen Schnitts" als Ausgangspunkt für die Entwicklung einer umfassenden mathematischen Physik;

d) die Entdeckung von Zykloiden und nichtalgebraischen Funktionen (Brachistochronie und Isochronie) durch Huyghens, Leibniz und die Gebrüder Bernoulli;

e) die Entdeckung der transzendentalen Funktionstheorie im 19. Jh. auf der Grundlage der Arbeiten von Monge, Legendre, Carnot, Gauß, Dirichlet, Riemann und Weierstraß;

f) die Weiterentwicklung der Hypothesenreihe seit Kues durch die 1890 erbrachten Entdeckungen Georg Cantors im Bereich transfiniter Funktionen.

Im naturwissenschaftlichen Unterricht in Polen sollte an die Wissenschaftstradition Marie Curies, in Rußland an die wissenschaftliche Denkmethode Wernadskijs und Mendelejews angeknüpft werden.

2. Sprache:

a) Gesprochene Sprache: Dies schließt vor allem eine gründliche Kenntnis und Beherrschung der Muttersprache ein. Neben dem heute notwendig gewordenen Erlernen von mindestens zwei modernen Fremdsprachen (Englisch u.a.), mit dem man bereits auf der Grundschule beginnen sollte, bedarf es, wie Leibniz und Humboldt richtig betonten, des Unterrichts in alten Sprachen wie Griechisch, Sanskrit und Latein (das schließt die Lektüre von Originaltexten von Autoren wie Aischylos, Platon und Cicero ein). Das Erlernen alter Sprachen ist gleichbedeutend mit dem "geometrischen Training" für konstruktives Denken, wie Humboldt richtig erkannt hat. Alle großen Entdecker des 19. Jahrhunderts waren gründlich in den alten Sprachen ausgebildet.

Die Beherrschung der Muttersprache, die Fähigkeit, Ideen in Metaphern auszudrücken, erfordert eine gründliche Kenntnis der klassischen nationalen Poesie sowie einen vertrauten Umgang mit den Erzeugnissen der europäischen klassischen Literatur. Daher sollte bei einer an der sokratischen Methode ausgerichteten Spracherziehung starkes Gewicht auf die Kenntnis der Literatur der Renaissance gelegt werden, in deren Mittelpunkt der "sokratische Dialog" steht (dies hat z.B. Alexander Puschkin für sein eigenes geistiges Schaffen erkannt). Dazu gehören u.a. die Werke von Dante, Shakespeare, Rabelais, Cervantes, Erasmus von Rotterdam; später kommen die Klassiker Schiller, Puschkin, Heine u.a. hinzu.

b) Sprache des Hörens: Am meisten vernachlässigt und zerstört in der heutigen Erziehung ist die gründliche, klassische Musikerziehung. Das souveräne, kreative Potential des Menschen, das die Quelle von Entdeckungen in den Naturwissenschaften ist, ist auch die Hauptquelle aller Kreativität in der Kunst im allgemeinen und in der Musik im besonderen.

Die Wurzel der klassischen Polyphonie in der Musik ist die klassische Poesie, die bis in die Antike zurückreichende poetische Strophenform. Die klassische Musik baut auf dem Prinzip der Belcanto-Vokalisierung auf, d.h. der durch die biologischen Eigenschaften der menschlichen Stimme und ihre Teilung in Stimmregister bestimmten natürlichen Tonhöhe der gesprochenen Poesie. Schon Leonardo da Vinci hat dies wissenschaftlich nachgewiesen, und das Wissen über diese Gesetze gehörte zu den elementaren Voraussetzungen eines jeden klassischen Komponisten.

Weiter sollte in die klassische Kompositionsmethode eingeführt werden, die "Motivführung" bei Haydn, bei Mozart (einschließlich seiner Bachrezeption) und bei Beethoven, der seinerseits das Motivführungsprinzip revolutionierte.

In den letzten Jahren veröffentlichte das Schiller-Institut als Beitrag für die an einem klassischen Curriculum ausgerichtete Musikerziehung ein Handbuch über die Grundlagen von Stimmung und Registern. Für die Erstellung dieses Buches, das mittlerweile in englischer, italienischer und deutscher Sprache existiert, wurde sämtliche Originalliteratur der Belcanto-Tradition durchforstet und zugleich mit den besten Sängern und Instrumentalisten der Welt über das Problem der hohen Stimmung und die adäquate Interpretation u.a. des klassischen Liedes diskutiert (dazu gehören Sänger wie Placido Domingo und Carlo Bergonzi und viele andere, die ihre Unterschrift bei der Kampagne für die niedrige "Verdi-Stimmung" gaben, sowie Prof. Norbert Brainin vom Amadeus-Quartett).

Das Buch beschreibt die sechs Gattungen der menschlichen Singstimme und zeigt, wie aus der gesungenen Poesie die klassische Musikkomposition entsteht. Es ist ein Beispiel für die Art von neuen Lehrbüchern, die wir auch in den übrigen Bereichen -- Naturwissenschaften, Geschichte, Geographie, Sprache -- erstellen sollten. Derzeit wird ein zweites Handbuch über die Register bei den klassischen, von der Singstimme abgeleiteten Musikinstrumenten und die Motivführung als klassischer Kompositionsmethode vorbereitet. In beiden Lehrbüchern wird ausgiebig aus Kompositionen der vergangenen fünf Jahrhunderte zitiert und versucht, die wichtigsten Entdeckungen in der Geschichte der musikalischen Polyphonie pädagogisch wirksam darzustellen.

c) Sprache des Sehens: Unter Punkt 1. wurde bereits auf die Bedeutung von "Assimilieren und Replizieren" der grundlegenden Entdeckungen im Bereich der Mathematik und Physik (Geometrie) hingewiesen. Die Sprache des Sehens umfaßt aber auch den Bereich der Malerei. So eignet sich das Studium der Perspektive, deren Erfindung einen Meilenstein in der menschlichen Geschichte darstellte, hervorragend dazu, mit der Darstellung des Raumes vertraut zu werden und die Schönheit (Metapher) eines Kunstwerks "einsehbar" zu machen -- womit zugleich etwas Fundamentales über die Wirkweise des menschlichen Geistes ausgesagt wird. Wesentliche Beispiele finden sich in den Perspektivstudien der Renaissancemalerei, u.a. bei Leonardo da Vinci, Raffael, Dürer und später Rembrandt.

3. Philosophie

Ein Hauptschwerpunkt sollten das Studium der antiken griechischen Philosophie und der sich aus ihr ergebenden beiden unterschiedlichen epistemologischen Denkströmungen in der Geschichte der Philosophie sein: aristotelische Logik, Empirismus, Positivismus, Existentialismus auf der einen Seite, und auf der anderen Seite Platons Denkmethode und die Entwicklung der platonischen Denkströmung von Augustinus bis Leibniz. Grundlegende Lektüre sind z.B. die Arbeiten von Augustinus, Nikolaus von Kues, G.W. Leibniz (der Geistes- und Naturwissenschaften als Einheit begriff) und die darauffolgende Auseinandersetzung der Aufklärung, z.B. in den Schriften Immanuel Kants gegen Leibniz.

4. Geschichte:

Die Geschichte gilt es vom Standpunkt der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften und Zivilisationen in demographischer, technologischer und kultureller Hinsicht zu betrachten. Wesentlich ist dabei die Funktion des Messens der "potentiellen Bevölkerungsdichte" (LaRouche) als Maßstab für Erfolg oder Mißerfolg von Zivilisationen.

Es sollte anhand dieser Methode aufgezeigt werden, welches "invariante" Prinzip zum Zusammenbruch von Zivilisationen führte, und gleichzeitig anhand des Studiums von "Blütezeiten" in der Geschichte begriffen werden, welches "invariante" Prinzip (vom Standpunkt der Staatskunst, des Menschenbilds, der Kultur und Wissenschaft) die Renaissance-Perioden der Menschheit begründete. Zu studieren sind oligarchische Gesellschaftsmodelle wie Babylon, Sumer und die zahlreichen "Imperien" der Geschichte einerseits und Renaissance-Perioden wie die ägyptische, ionische, karolingische und arabische Hochblüte sowie die europäische Renaissance des 15. Jh. andererseits.

Es wäre nützlich, wenn in das Studium der Geschichte das Studium der militärischen Wissenschaften, des Denkens großer Militärstrategen einflösse, u.a. mit dem Prinzip der "Flanke".

Friedrich Schillers Rede über die Universalgeschichte dient als guter Bezugspunkt dafür, was unter dem Studium der Universalgeschichte zu verstehen ist. Es gilt den Gegensatz zwischen dem "oligarchischen" und dem "republikanischen" Gesellschaftssystem herauszuarbeiten, also den Gegensatz zwischen Imperium und Nationalstaat; u.a. sollten dazu die verschiedenen Staats- und Rechtstheorien unter Verwendung von Originaltexten studiert werden (z.B. die Staatstheorie von Platon u.a. im Gegensatz zur Hobbesschen Staatsauffassung). Wichtige Einzelthemen sind etwa die Errichtung des ersten Nationalstaats unter Ludwig XI. in Frankreich im 15. Jh. und die Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika als erster moderner Republik auf der Grundlage eines christlichen Naturrechts. Auch eine gezielte Auswahl entsprechender diplomatischer Korrespondenz wäre geeignet, auf der Grundlage "lebendig nachvollziehbarer" Geschichte (bis hin zu Entscheidungen des einzelnen, welche über Krieg und Frieden der Menschheit entscheiden), dem Schüler die Bedeutung heutiger strategischer Ereignisse verstehbar zu machen.

Ein weiterer Schwerpunkt sollte die Geschichte der Wirtschaftswissenschaften sein:

a) frühe Formen des Kameralismus: die Wirtschaftsschule von Neapel, der Colbertismus in Frankreich; Leibniz als Begründer der modernen Schule der physikalischen Ökonomie.

b) das "Amerikanische System" von Hamilton, Carey, Clay im Gegensatz zum physiokratischen Modell und dem britischen Freihandelssystem von Adam Smith u.a., einschließlich der Probleme der Marxschen Ökonomie.

c) Die Prinzipien physikalischer Ökonomie in Europa: die Arbeiten von Friedrich List, Sergej Witte u.a.

d) erfolgreiche Wirtschaftsmodelle im 19. und 20. Jh.: z.B. de Gaulles indikative Planung; das japanische MITI-Projekt, Roosevelts New Deal sowie herausragende Beispiele aus der russischen Wirtschaftsgeschichte -- Witte, Podalinskij u.a.

e) Wirtschaftsmodelle für das 21. Jahrhundert: das LaRouche-Riemann-Modell und die darin enthaltene Betonung des science driver-Prinzips (wissenschaftlich-technischer Fortschritt als "Motor" der Wirtschaft) für den Aufbau moderner Nationalökonomien.

 

Das Erbe von Leibniz

Zum Schluß möchte ich auf den geistigen Vater der physischen Ökonomie Gottfried Wilhelm Leibniz Bezug nehmen und uns den Spiegel seiner faszinierenden Entwürfe der Zeit vor 350 Jahren für unsere heutigen Herausforderungen vorhalten. Von der Idee eines Zusammenwirkens Europas, Chinas und Rußlands geleitet, legte Leibniz in der verheerenden Zeit nach dem 30jährigen Krieg die Grundlagen für ein modernes Europa. Den Schlüssel dazu sah er in der infrastrukturellen Erschließung und Entwicklung Eurasiens, vor allem Rußlands und Chinas. Dies war seiner Auffassung nach nur in Verbindung mit einer erzieherischen und kulturellen Renaissance zu erreichen, d.h. wenn es gelänge, dem einzelnen das gesamte Wissen und die Erfindungen der Menschheit zu vermitteln und die Erfindungskunst (ars inveniendi) selbst im seinem Denken zu verankern.

Zu diesem Zwecke sollte das beste Wissen der Menschheit von Urzeiten an neu aufgefunden werden, schrieb Leibniz in seiner Denkschrift von 1716 an den Zaren Peter I. Dieses Wissen und diese Erfindungen sollten so geordnet werden, "daß man daraus sehen könnte origines inventionum, wie nämlich die Menschen auf die Erfindungen und Wissenschaften kommen, oder doch darauf kommen können, denn eine solche Lehrart würde zugleich ein Wegweiser zur Verbesserung der Wissenschaft und neuer Erfindungen sein".

Zur Erziehung einer Nation gehöre es, 1. die Mittel zu beschaffen, welche die Künste und Wissenschaften verbessern, 2. die Menschen zur Wissenschaft zu erziehen, 3. neue Informationen über den Fortschritt der Wissenschaften zu sammeln. Dazu forderte Leibniz die Einrichtung von Druckereien, Buchhandlungen und vor allem Bibliotheken, in denen Bücher und Manuskripte "in slawischer, deutscher, lateinischer und in den europäischen lebenden Sprachen, also Englisch, Französisch, Walisisch, Spanisch, auch Griechisch, Literar- und Vulgärhebräisch, Arabisch, Syrisch, Chaldäisch, Äthiopisch, Koptisch, Armenisch und Chinesisch), also das beste Wissen der Menschheit und die wichtigsten Erfindungen, zusammengetragen sind. Eine Zentralbibliothek sollte so beschaffen sein, daß möglichst viele Menschen erschöpfende Informationen über die Geschichte aller Länder, über alle Sprachen, alle naturwissenschaftlichen und künstlerischen Fakten, alle geschäftlichen Tätigkeiten, Wissenschaften, Nahrungsmittel und Berufe finden können, so daß der gesamte Schatz menschlichen Wissens, soweit zu Papier gebracht, dort verfügbar ist".

Daneben regte er zur Einrichtung eines Wissenschaftsmuseums an, wo die wichtigsten Erfindungen der Zeit, alle "optischen, astronomischen, architektonischen, militärischen, nautischen, mechanischen und anderen Inventionen" vorgeführt werden. Dies sollte ergänzt werden durch ein Technologiemuseum (Theatrum naturae et artis); dazu gehöre "ein Observatorium, Laboratorium, Rüsthaus und Munitionsdepot, ...darin auch Modelle von allerhand nützlichen Inventionen in ziemlicher Größe sich finden sollen, sonderlich von allerhand Mühlen, Hebzeugen, Wasserwerken auch vielen Arten der bey Bergwerken gebräuchlichen Maschinen".

Auch in früheren Denkschriften aus dem Jahre 1697 hatte Leibniz wiederholt von der Bedeutung des Aufbaus eines nationalen Erziehungssystems gesprochen, das von der Elementarschule über die Universität bis zur Akademie reicht und die Unwissenheit und Rückständigkeit der Bevölkerung bekämpft. Wesentlich für die nationale Erziehung sei, den Charakter des Menschen zu bilden und ihm Wissen zu vermitteln. Neben der Ausbildung in Religion und einer umfassenden naturwissenschaftlichen Ausbildung in Mathematik, Physik etc. betonte Leibniz immer wieder die Bedeutung des Erlernens vieler Sprachen. Dies gelte gleichermaßen für den Handwerker, den Kaufmann, den Staatsmann, den Militär wie für den Akademiker.

Wenn es uns heute, an der Schwelle des 21. Jahrhunderts, gelingt, die besten Erkenntnisse der platonisch-leibnizschen Tradition in einem "klassischen Bildungsweg" der nachwachsenden Generation neu aufzuzeigen, dann werden die Bürger aufgrund der Assimilierung, Weitergabe und Neuschöpfung von Erfindungen befähigt sein, die Zukunft der bald auf zehn Milliarden gewachsenen Menschheitsfamilie erfolgreich zu gestalten. Dann könnte auf die Tragödien dieses Jahrhunderts eine neue Blütezeit der Menschheit folgen.


Zurück zu Bildungspolitik Zum Seitenanfang