Die Rolle der Infrastruktur im Kampf gegen Hunger und Unterentwicklung
Die von China gebaute Eisenbahn in Äthiopien als Modell
Von Hussein Askary und Marcia Merry Baker
Wie die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen
(FAO) im Juli 2019 berichtete, war die Weltgemeinschaft zu dem Zeitpunkt
bereits nicht mehr auf dem Weg, das zweite UN-Ziel für nachhaltige Entwicklung
(SDG) zu erreichen, nämlich, dem Hunger spätestens bis 2030 weltweit ein Ende
zu setzen. Als die COVID-19-Pandemie die Welt überrannte, verschlimmerte sich
die Lage noch, weil die präventiven Lockdowns ab Februar 2020 die globalen
Versorgungsketten in fast allen Teilen der Welt stark in Mitleidenschaft
zogen. Die importabhängigen Nationen, die auch die ärmsten sind, waren stärker
betroffen als andere.
Hunger und Armut sind keine neuen Probleme, aber sie wurden über viele
Jahrzehnte vernachlässigt. Die Mittel zu ihrer Linderung sind vorhanden, aber
wir brauchen konzertierte Bemühungen aller Nationen, allen voran der
Industrieländer, für eine koordinierte, dreistufige Anstrengung, einen
„Weltkrieg gegen Hunger und Armut“. Die Schritte bestehen rational gesehen
darin, Nothilfe Priorität zu geben, aber auch sofort damit zu beginnen, die
Empfängergemeinschaften in die Lage zu versetzen, für die nächste Saison
selbst Nahrungsmittel anzubauen. Dazu gehört z.B. die Bereitstellung von
Saatgut und Düngemitteln, teilweise mit denselben Lieferungen wie die
Nahrungsmittelhilfe. Als längerfristige Strategie müssen wir die notwendige
Infrastruktur aufbauen, um die Gesellschaften in den am stärksten betroffenen
Regionen in die Lage zu versetzen, dauerhaft zu produzieren, mindestens die
Mindestanforderungen für ihre Ernährungssicherheit.
Hungersnot biblischen Ausmaßes
© WFP/Michael Tewelde
Leiter von UN-Agenturen besuchten vom 1.-4. September 2017 das von Dürre
heimgesuchte Äthiopien: David Beasley, Exekutivdirektor des
Welternährungsprogramms (Mitte); José Graziano da Silva, Generaldirektor der
Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN (ganz links); und Gilbert
F. Houngbo, Präsident des Internationalen Fonds für landwirtschaftliche
Entwicklung.
Der Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms (WFP), David Beasley,
hat 2020 wiederholt wegen der Vielzahl von Hungersnöten Alarm geschlagen, die
„biblische Ausmaße“ annähmen. Am 9. Oktober wurde seine Organisation, die
größte Nahrungsmittelhilfsorganisation der Welt, für ihre Bemühungen zur
Bekämpfung des Hungers mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. In einem
Kommentar vom 25. Oktober in der Zeitschrift Fortune, „Unser
Friedensnobelpreis ist eine Ehre und eine Tragödie“, betonte Beasley, es gebe
keinen Grund zum Feiern:
„Obwohl wir entschlossen sind, bis 2030 null Hunger zu erreichen, ist die
traurige Wahrheit, daß der Hunger in den letzten Jahren zugenommen hat und
kein Ende in Sicht ist. COVID-19 hat die ohnehin schon schlechte Situation nur
noch verschlimmert. Dieser Nobelpreis ist ein Aufruf zum Handeln in einer
kritischen Zeit. COVID-19 droht eine Hungerkrise biblischen Ausmaßes
auszulösen – schlimmer als alles, was wir in unserem Leben gesehen haben –,
wenn wir nichts dagegen unternehmen. Das ist keine Übertreibung; das ist die
schonungslose Realität.“
Beasley forderte Ressourcen aus allen Bereichen, einschließlich des
privaten Sektors und der „Milliardäre“, und schrieb: „Wir müssen jetzt 5,1
Milliarden Dollar mehr aufbringen, um die von den Auswirkungen der
Coronavirus-Krise betroffenen Menschen in den nächsten sechs Monaten zu
ernähren.“
Beasley hatte schon am 17. April den UN-Sicherheitsrat über die
Hungerpandemie des Jahres 2020 informiert und den Bedarf an Nahrungsmitteln
heute mit dem der humanitären Krise nach dem Zweiten Weltkrieg verglichen.
Aber dem folgten keine angemessenen Ressourcen und Mobilisierungen.
Am 13. Oktober schockierte Beasley die Welt in seiner Eröffnungsrede zu
einer Welternährungskonferenz der FAO, als er sagte, in diesem Jahr „sind
sieben Millionen Menschen verhungert.“ Wenn keine angemessenen Maßnahmen
ergriffen würden, könne sich diese Zahl innerhalb von Monaten auf 30 Millionen
Menschen vervielfachen.
Bereits im vergangenen Jahr waren 815 Millionen der 7,5 Milliarden Menschen
auf der Welt von Ernährungsunsicherheit betroffen, und 100 Millionen Menschen
sind zum Überleben vollständig auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Inzwischen
erreicht die Zahl derer, die auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind,
annähernd 270 Millionen, für die solche Hilfe den Unterschied zwischen Leben
und Tod bedeutet.
Während die Regierungen der Industrieländer Billionen von Dollar und Euro
ausgaben, um die Finanzmärkte und Banken zu retten, sind die wenigen
Milliarden Dollar, die das WFP fordert, nicht gesichert. Das WFP ist nicht die
einzige UN-Organisation, die Nahrungsmittelhilfe organisiert, es gibt eine
Vielzahl von staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen, die jede für
sich in verschiedenen Teilen der Welt arbeiten. Angesichts der Schwere der
Krise ist eine konzertierte internationale Operation erforderlich, um die
unmittelbaren Bedürfnisse der Hungernden auf der Welt zu befriedigen, von
denen die meisten in Afrika südlich der Sahara leben.
Zu den Aussichten für eine solche konzertierte Aktion ist zu bemerken, daß
die Vereinigten Staaten das WFP weiterhin unvermindert unterstützen. Ihre
Beiträge zum WFP sind sogar soweit gestiegen, daß der Anteil der USA an der
Finanzierung des WFP nun über 50% beträgt. Beasley wurde 2017 von Präsident
Trump für sein Amt nominiert. Beasley, ein ehemaliger republikanischer
Gouverneur von South Carolina (1995-1999), unterstützte Trump bei den
Vorwahlen 2016. Ein ehemaliger Berater der Trump-Kampagne, Jack Kingston
schrieb in The Hill vom 26. Oktober: „Das WFP zeigt, daß wir gute
Programme immer noch unterstützen können.“ Kingston, ein ehemaliger
Landtagsabgeordneter von Georgia (1993-2015), fuhr fort: „Der Gewinn des
Friedensnobelpreises ist eine Leistung, auf die Amerikaner, Demokraten wie
Republikaner, stolz sein sollten.“
Die Rolle des Militärs
Ein ironischer Aspekt der internationalen Zusammenarbeit im Kampf gegen den
Hunger ist, daß man in die Logistik der Hilfslieferungen die Streitkräfte der
NATO und weiterer Weltmächte wie Rußland, China und Indien einbeziehen sein
sollte. Die meisten dieser Staaten, allen voran die NATO-Länder, sind an
kostspieligen Antiterror- oder friedenserhaltenden Operationen in betroffenen
Regionen der Welt beteiligt. Dazu gehören auch Staaten außerhalb Afrikas wie
Afghanistan, Jemen und Irak.
© UNAMID/Albert González Farran
Gemeindemitglieder des Lagers Nifasha für Binnenflüchtlinge im
westsudanesischen Bundesstaat Nord-Darfur entladen am 11. Februar 2014 Säcke
mit Sorghum von einem Lastwagen des Welternährungsprogramms.
© NATO
Die NATO arbeitet mit der Afrikanischen Union beim Unterhalt der
Afrikanischen Bereitschaftstruppe zusammen. Diese primär militärische
Organisation könnte rasch für die Nahrungsmittelhilfe umgewidmet werden.
Diese Operationen erfordern ein hohes Maß an logistischer Infrastruktur und
Koordination. Dieselbe Infrastruktur kann für die Lieferung von
Nahrungsmitteln und später, wenn er verfügbar ist, eines COVID-19-Impfstoffs
genutzt werden. Die Logistik dieser Operationen umfaßt See-, Luft- und
Landtransporte.
In den „Oslo Guidelines“ des UN-Amts für die Koordinierung humanitärer
Angelegenheiten (OCHA) heißt es, militärische Hilfseinsätze seien zwar in
bestimmten Situationen kostspieliger als zivile Operationen und sollten ihnen
nicht vorgezogen werden, dennoch könnten die überlegenen logistischen
Fähigkeiten des Militärs wichtiger werden, um lebensrettende Hilfsgüter
rechtzeitig bereitzustellen.
Am 13. Oktober veröffentlichte der Leiter der LaRouche-Bewegung in
Südafrika, Ramasimong Phillip Tsokolibane, einen dringlichen Appell für
militärische Logistik und umfassende Nahrungsmittelhilfe. Seine Erklärung
trägt den Titel „Eine Frage von Leben oder Tod – Aufruf zur internationalen
Mobilisierung von Nahrungsmitteln zur Bekämpfung des Hungers in Afrika“. Darin
stellt er fest:
„[D]ie Schwierigkeit, vor der wir stehen, wenn wir Leben retten wollen,
besteht darin, hungernde Menschen so schnell wie möglich mit großen Mengen an
Nahrungsmitteln zu versorgen. Angesichts des Zustands der Infrastruktur auf
dem Kontinent und der Tatsache, daß ein Großteil dieser Hungersnöte in
isolierten, ländlichen Gebieten stattfindet, übersteigt die notwendige
Verteilung bei weitem die Möglichkeiten der einzelnen Regierungen und der
Hilfsorganisationen.
Ich bin der Überzeugung, daß wir die logistischen Kapazitäten der fähigsten
Streitkräfte der Welt mobilisieren und eine Strategie entwickeln müssen, um
die Nahrungsmittellieferungen aus den nahrungsmittelproduzierenden Nationen
wie den Vereinigten Staaten und Kanada direkt zu denen zu bringen, die sie
brauchen. Mögen Verbündete wie Feinde bei dieser größten humanitären
Anstrengung aller Zeiten ihre Kräfte bündeln.“
Tsokolibane wandte sich direkt an Präsident Trump:
„Nehmen Sie diese Herausforderung an. Geben Sie Amerikas Landwirten den
Auftrag, die Nahrungsmittel zu produzieren, die die Hungernden ernähren, und
setzen Sie gleichzeitig die enormen Ressourcen des US-Militärs für diese
Mission der Barmherzigkeit ein, um Nahrungsmittel zu denen zu bringen, die sie
auf meinem Kontinent brauchen.“
Dieser Aufruf findet bei den amerikanischen Landwirten sofort
Unterstützung. So erschien im Farmstaat South Dakota auf der Leserbriefseite
der Zeitung Mitchell Republic vom 24. Oktober als erstes ein Brief des
Rinderzüchters Ron Wieczorek aus Mount Vernon mit der Überschrift „Mobilisiert
Nahrungsmittellieferungen für den Kampf gegen den Hunger in Afrika“. Der Brief
endet wie folgt:
„Amerika kann diese Leben retten. Wir haben es schon einmal getan, als wir
1945 Nahrungsmittel an hungernde Europäer lieferten: das CARE-Programm
(Cooperative for American Remittances to Europe).“
Über die akute Hilfe hinaus
Auch wenn die unmittelbare Bewältigung der Pandemie-Situation und Linderung
der Hungerkrise jetzt die moralisch und praktisch wichtigsten Aufgaben für die
Weltgemeinschaft sind, ist eine langfristige Lösung dringend erforderlich. Die
Kehrseite der humanitären Hilfe ist, daß viele Gesellschaften in den
betroffenen Regionen, wie z.B. im Südsudan, seit Jahrzehnten für ihr Überleben
auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind. Dies hat zwar in bestimmten Fällen
politische und sicherheitspolitische Gründe, aber das allgemeine Problem ist
der Mangel an Infrastruktur, Technik und Fähigkeiten, um vor Ort mehr
Nahrungsmittel für die lokale Bevölkerung zu produzieren. Daher ist der Hunger
stets verbunden mit seinem siamesischen Zwilling, der Armut. Aus diesem Grund
steht die Beseitigung der Armut bei den SDGs der UN an erster und die
Beseitigung des Hungers an zweiter Stelle.
Diese „Frühwarn-Karte“ des Welternährungsprogramms vom Juli 2020 zeigt die
Länder, in denen in nächster Zeit mit akuter Ernährungsunsicherheit zu rechnen
ist.
Humanitäre Hilfe ist inhärent teuer, weil die Gebiete, die diese Hilfe
benötigen, oft in unwegsamem Gelände weit entfernt von den Hauptstrecken und
Knotenpunkten von Transport und Logistik liegen, wie im Fall der afrikanischen
Binnenstaaten südlich der Sahara. Die „Hungerkarte“ des WFP (Abbildung rechts) zeigt die
Häufigkeit der Unterernährung in den am stärksten betroffenen Ländern.
Da die Transportinfrastruktur fehlt, um große Mengen an Nahrungsmitteln zu
den betroffenen Ortschaften zu bringen, ist der Lufttransport unumgänglich. Da
es in diesen Regionen keine geeigneten Start- und Landebahnen und Flughäfen
gibt, müssen Leichtflugzeuge eingesetzt werden, um kleine, „gut verpackte“
Portionen zu transportieren. Die Verpackung erfolgt oft in den
Herkunftsländern wie den USA, China, Australien, Europa usw. Dadurch sind die
Kosten für Transport, Logistik und Verwaltung der humanitären Hilfe höher als
die Kosten für die Nahrungsmittel selbst. Mit dem Beginn der
Nahrungsmittelproduktion vor Ort und dem Bau besserer Verkehrswege wird der
Aufwand viel kostengünstiger und weniger zeitaufwendig.
Die von China gebaute äthiopische Eisenbahn als Modell
© CC/Skilla1st
Noch bevor die von den Chinesen gebaute Eisenbahn Dschibuti-Addis Abeba
2015 fertig gebaut war, brachte sie lebensrettendes Getreide bis nach Merebe
Mermersa, 112 km südlich von Addis Abeba. Heute ist die elektrifizierte Bahn
in beide Richtungen eine Hauptader für die Ernährungssicherheit und den
Wohlstand des Landes.
2015 litt Äthiopien unter einer der schlimmsten Dürreperioden seiner
Geschichte, aber anders als 30 Jahren davor sind nicht Hunderttausende von
Menschen verhungert. Bei der Hungersnot 1983-85, als Äthiopien 38 Millionen
Einwohner hatte, verlor es fast eine Million Menschen – die genauen Zahlen
sind nicht einmal bekannt.
Der Unterschied im Jahr 2015 läßt sich auf zwei wichtige Veränderungen
zurückführen:
Erstens setzte die Regierung ehrgeizige Pläne für wirtschaftliche
Entwicklung um, bei denen die Überwindung der Armut und die Reform des
Agrarsektors im Mittelpunkt standen.
Zweitens bauten chinesische Unternehmen gerade eine 750 km lange
Eisenbahnstrecke vom Hafen von Dschibuti zur äthiopischen Hauptstadt Addis
Abeba. Ab 2015 wurde das Bahnnetz von der China Railway Group (kurz CREC, nach
der Vorgänger- und Muttergesellschaft, China Railway Engineering Corporation)
und der China Civil Engineering Construction Corporation (CCECC) erneuert.
Dazu gehörte der Abschluß der Arbeiten an zwei Stufen dieser Normalspurbahn
(SGR).
In dem Jahr erlitten die äthiopischen Bauern wegen der katastrophalen Dürre
Ernteausfälle zwischen 50% und 90%, und die inzwischen mehr als 100 Millionen
Einwohner mußten sich auf die schlimmste Nahrungsmittelkrise seit Jahrzehnten
gefaßt machen. Als Nahrungsmittelhilfe und von der Regierung gekaufte
Lebensmittel im Hafen von Dschibuti eintrafen, gerieten die Lieferungen dort
ins Stocken. Die Schiffe mußten im Hafen tagelang warten, bis ihre Ladungen,
Weizen und anderes Getreide, entladen wurden. Tausende Lastwagen, die die
Lebensmittel befördern sollten, quälten sich viele Tage lang über die
schlechten Straßen im bergigen Gelände nach Addis Abeba.
Das änderte sich schlagartig, als der Notfallplan aktiviert wurde, einen
fertiggestellten Abschnitt der Eisenbahn zu benutzen. Obwohl die Bauarbeiten
auf einigen Streckenabschnitten noch im Gange waren, wurde der fertiggestellte
Abschnitt von Dschibuti nach Merebe Mermersa, 112 km südlich der äthiopischen
Hauptstadt, im November 2015 für den Transport von Getreide in Notbetrieb
genommen. Die teure Fahrt mit Lastwagen dauerte 8-10 Tage, die mit dem Zug nur
acht Stunden. Die Züge konnten auch größere Mengen als Lastwagen
transportieren. Die offizielle Eröffnung der Bahn fand erst 2017 statt, aber
bis dahin hatte sie bereits zahllosen Äthiopiern das Leben gerettet und dem
ganzen Land lebensrettende Zeit erkauft.
Die äthiopische Regierung hat einen Plan entwickelt, alle Teile des Landes
durch Schienen und moderne Straßen zu verbinden, und einige Projekte stehen
nun kurz vor dem Abschluß, so die 420 km lange Nord-Süd-Eisenbahnstrecke
Mekele-Wildaya-Awash (von chinesischen und türkisch-europäischen Konsortien
gemeinsam gebaut). Über seine Grenzen hinaus plant Äthiopien die Anbindung an
die Nachbarländer: Sudan, Kenia und der Binnenstaat Südsudan. Von dort aus
können auch andere Binnenstaaten wie Uganda, Ruanda, Burundi, die (östliche)
Demokratische Republik Kongo, die Zentralafrikanische Republik und der Tschad
an die Küste des Indischen Ozeans angebunden werden. All diese Länder sind auf
der WFP-Hungerkarte 2020.
Heute ist die Eisenbahnlinie Dschibuti-Addis Abeba für Äthiopien ein Weg zu
Ernährungssicherheit und Wohlstand in zwei Richtungen geworden. Sie
transportiert nicht nur importiertes Getreide für den Bedarf der Bevölkerung,
sondern, was noch wichtiger ist, auch Düngemittel und Maschinen für den
eigenen Nahrungsmittelanbau. Außerdem exportiert Äthiopien Obst aus seinen
neuen landwirtschaftlichen Projekten, um seinen Handel auszugleichen. Der
bekannte äthiopische Kaffee ist ebenfalls ein wichtiger Exportartikel.
In einem Interview mit Xinhua sagte der Generaldirektor der
Äthiopien-Dschibuti-Normalspur-Eisenbahngesellschaft EDR, Tilahun Sarka, die
Eisenbahn habe allein in den ersten Monaten des Jahres 2019 mehr als 70.000
Tonnen Dünger vom Hafen in Dschibuti nach Äthiopien transportiert, kurz vor
der Haupterntezeit und dem Beginn einer neuen Saison: „Düngemittel ist ein
sehr wichtiges Gut für das sozioökonomische Wohlergehen Äthiopiens. Er wird
von der äthiopischen Regierung bei weitem als wichtiger Import-Schwerpunkt
betrachtet.“
Wie Xinhua berichtete, hat Äthiopien im Haushaltsjahr 2018-19
insgesamt etwa 1,3 Mio. Tonnen Düngemittel importiert.
Während im vergangenen und in diesem Jahr Wetterbedingungen für eine gute
Ernte herrschten, hat die Heuschreckeninvasion, die im gleichen Zeitraum das
Horn von Afrika erfaßte, sehr viele Ernten und Weiden zerstört. Zusätzlich kam
es kürzlich zu schweren Überschwemmungen. Große Mengen an Lebensmittelimporten
sind jetzt wieder eine Notwendigkeit. Und die Bauern brauchen Saatgut und
Dünger für die Neuanpflanzung, und die Viehzüchter brauchen dringend
Viehfutter. Nach den jüngsten Berichten der FAO benötigen schätzungsweise 6,9
Millionen Menschen zumindest bis Dezember Nahrungsmittelhilfe.
Gute Infrastruktur geht mit Ernährungssicherheit einher
© UNIDO
Tilahun Sarka, Generaldirektor der Äthiopien-Dschibuti-Normalspur-Eisenbahngesellschaft, EDR
Wie wir in früheren Schriften erläutert haben, ist eine gute Infrastruktur
die Voraussetzung für ein belastbares Gesundheitswesen, wie sich im
Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie gezeigt hat. Dasselbe Prinzip gilt für
die Nahrungsmittelproduktion und -verteilung.1 Eine
wissenschaftliche Abhandlung über diesen Zusammenhang in Äthiopien mit dem
Titel „Hafen-Bahn-Vernetzung und Agrarproduktion“ belegt diesen Punkt sowohl
positiv als auch negativ.2 In negativer Hinsicht werden die
katastrophalen Folgen des Zusammenbruchs der alten Transportinfrastruktur und
Stillegung der alten Bahnstrecke Dschibuti-Addis-Abeba beschrieben, die jetzt
von China wieder aufgebaut wurde.
Ein wichtiger Schwerpunkt der Studie liegt auf dem Import von Düngemitteln.
„Theoretisch hat die Eisenbahn den Vorteil, sperrige Fracht, wie z.B.
Düngemittel, zu niedrigen Kosten zu transportieren“, heißt es darin. Für die
Studie befragte man von 2003-10 über 190.000 Haushalte in Äthiopien und kam zu
dem Schluß, daß die Verschlechterung der Verkehrswege von Dschibuti nach Addis
Abeba und insbesondere die Stillegung der alten Schmalspurbahn im Jahr 2009
die landwirtschaftlichen Aktivitäten und die Ernährungssicherheit für die
Mehrheit der Befragten stark beeinträchtigte. Die Autoren berechneten die
Korrelation zwischen den Transportkosten und den landwirtschaftlichen
Produktionsfunktionen und gelangen zu dem Schluß: „Es wird festgestellt, daß
die verschlechterte Verkehrsanbindung des Hafens einen signifikant negativen
Einfluß hatte. Insbesondere der Düngemittelverbrauch ging mit den gestiegenen
Transportkosten zurück.“
In Bezug auf Afrika allgemein beklagen die Autoren den Zusammenbruch der
Eisenbahnsysteme in den 1990er Jahren: „Dies muß erhebliche negative
Auswirkungen auf die afrikanischen Volkswirtschaften haben, insbesondere auf
die Binnenstaaten. In der Region gibt es 15 Binnenstaaten.“
Die Studie vergleicht die Kosten für Transport und Handel und ihre
Auswirkungen auf den landwirtschaftlichen Input und zeigt, daß die hohen
Kosten für landwirtschaftliche Aktivitäten untragbar werden: Für Malawi, einen
Binnenstaat, betragen die Kosten für die Einfuhr eines 20-Fuß-Containers mit
Waren aus Ostasien 2895 Dollar, und sie dauert etwa 39 Tage. Für Tansania, das
über einen Hafen am Indischen Ozean verfügt, liegen die Kosten für einen
Container bei 1615 Dollar und die Dauer bei 26 Tagen. Für Äthiopien – außer
über Dschibuti – belaufen sich die Einfuhrkosten auf bis zu 2960 Dollar,
anders als für Dschibuti, wo es wegen des Seehafens 910 Dollar sind.
Die Eisenbahn zwischen Dschibuti und Äthiopien war und ist heute wieder die
Hauptstrecke für 95% der äthiopischen Importe und Exporte. In einem Bericht
des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung mit dem Titel „Vom
Hungerland zum Hoffnungsträger: Wird Äthiopien zum Vorbild für den
afrikanischen Aufschwung?“ weisen die Autoren darauf hin, daß der
wirtschaftliche Aufstieg Äthiopiens in hohem Maße von seinen
Infrastrukturinvestitionen abhängt.3 Obwohl der Bericht unter
einigen typischen Mißverständnissen über chinesische Kredite und Strategien
leidet, vermittelt er doch klar die Bedeutung der Infrastruktur für Äthiopiens
wirtschaftlichen Aufstieg:
„Neben dem Dienstleistungssektor als Sammelbecken für Erwerbssuchende hat
auch ein weiterer Teil der Regierungsstrategie Arbeitsplätze geschaffen und
die Wirtschaft angekurbelt: die enormen Investitionen in Äthiopiens
Infrastruktur... Das Zusammenspiel von Bevölkerungswachstum,
Produktivitätsgewinnen in der Landwirtschaft, massiven
Infrastrukturinvestitionen und der Verschiebung von Arbeitskräften in Bereiche
mit größerer Wertschöpfung war entscheidend dafür, daß Äthiopien über mehr als
ein Jahrzehnt so stark wachsen konnte.“
Weiter heißt es: „Zusätzlich sollen Großprojekte wie die Bahnlinie von
Addis Abeba nach Dschibuti, dem wichtigsten Anschluß an den Welthandel, und
der Great Ethiopian Renaissance Dam, der größte Stausee Afrikas, dazu
beitragen, das Land wirtschaftlich voranzubringen und Investoren aus dem
Ausland anzulocken.“
Der Beitrag der Gürtel- und Straßen-Initiative
Wie das Beispiel Äthiopiens beweist, ist das aktuelle Vorhaben, die Gürtel-
und Straßen-Initiative auf alle Teile Afrikas auszudehnen, der richtige Weg,
um das enorme landwirtschaftliche Potential Afrikas zu realisieren.
Bisher ist der Kontinent wegen der rückschrittlichen Landwirtschaft, die
eine Folge verschiedener politischer, wirtschaftlicher und geopolitischer
Faktoren ist, gezwungenermaßen ein Nettoimporteur von Grundnahrungsmitteln,
und Millionen Menschen benötigen dringend Nothilfe. Doch nun können Vektoren
für eine umfassende Entwicklung der Landwirtschaft ins Spiel kommen, weil eine
neue Plattform der wirtschaftlichen Produktion entsteht, die sich auf den
Aufbau moderner Transport-, Bewässerungs- und Energieinfrastruktur sowie neue
Produktionstechnik stützt. So kommen die Voraussetzungen für eine
möglicherweise sogar spektakuläre landwirtschaftliche Produktion in ganzen
Regionen des Kontinents mit ihren hervorragenden agro-klimatischen
Eigenschaften zusammen.
© CC/Skilla1st
Der 1985 in Betrieb genommene Containerterminal im Hafen von Dschibuti
liegt strategisch günstig am Eingang des Roten Meeres vom Golf von Aden aus.
Wie unzureichend gegenwärtig die Erzeugung von Grundnahrungsmitteln in
Afrika ist, zeigt sich in den letzten Jahrzehnten an der Importabhängigkeit
bei allen Getreidesorten: Weizen, Reis, Hirse usw. Im Jahr 1990 importierten
die afrikanischen Länder 26% ihres Bedarfs an Grundnahrungsmitteln. Bis 2014
stieg diese Importabhängigkeit auf über 40%. Über 90% der Weizenimporte
stammen aus Ländern außerhalb des Kontinents. Es kommen also nur 10% oder noch
weniger des von afrikanischen Nationen importierten Weizens aus anderen
afrikanischen Ländern – und selbst dieser kann von außen stammen und wird nur
durch eine Drehscheibennation wie Dschibuti durchgeschleust. In einer Welt
voller Wirtschaftswachstum und für alle Seiten vorteilhaften Handels könnte
eine solche Abhängigkeit von weit oder sogar sehr weit entfernten Quellen für
die notwendigen Nahrungsmittel vielleicht eine vorteilhafte, bewußte globale
Arbeitsteilung bei der Versorgung der Menschen mit ihrem „täglichen Brot“
sein. Auf die gegenwärtige Situation trifft dies jedoch in keiner Weise nicht
zu.
Ein Zeichen der Hoffnung
Im August hat Äthiopien dank der elektrifizierten Eisenbahn Dschibuti-Addis
Abeba zum ersten Mal mit dem Export von gekühlten Lebensmitteln begonnen. Das
Pilotprojekt ist Teil des Nationalen Netzwerks für Kühltransporte, National
Cool Logistics Network, das vom Trockenhafen Modjo südöstlich der Hauptstadt
aus gestartet wurde. Die ersten Kühlcontainer mit Avocados für den
europäischen Markt wurden im August feierlich auf den Weg gebracht. Die
Früchte wurden von Dutzenden von Bauern produziert und später von Koga Veg
Agricultural Development, einem Unternehmen des belgischen Investors
Durabilis, gesammelt und verpackt. Der Generaldirektor von Koga Veg, Jan
Michielsen, wird auf Fruitnet mit den Worten zitiert:
„Mit zuverlässigen und wettbewerbsfähigen Logistiklösungen und
Vorlaufzeiten werden wir in der Lage sein, unseren Export von Obst und Gemüse
in den kommenden Jahren rasch zu steigern.“
An gleicher Stelle erklärt der Chef der Hafen- und Freizonenbehörde von
Dschibuti, Aboubakar Omar Hadi, die Verschiffung sei ein Meilenstein beim
Aufbau eines Kühllogistikorridors per Seefracht über Dschibuti:
„Diese innovative Kühltransportkette Modjo-Dschibuti-Europa für Obst,
Gemüse, Blumen und andere verderbliche Waren wird den Handel ausgleichen und
die Nutzung der Eisenbahnen von Äthiopien und Dschibuti maximieren.“
Afrika ist wegen des Mangels an angemessener Infrastruktur für eine
ausreichende Nahrungsmittelproduktion gezwungen, sich um Importe und
Nahrungsmittelhilfe zu bemühen. Die Hektarerträge für die meisten Feldfrüchte
liegen in Afrika weit unter der Hälfte des Weltdurchschnitts. Darüber hinaus
gehen viele Nahrungsmittel verloren durch Verderb, Schädlinge und mangelnde
Logistik für Ernte, Lagerung und Transport sowie fehlende Stromversorgung zum
Trocknen, Lagern, Kühlen und Bestrahlen von Nutzpflanzen und Nahrungsmitteln
aller Art. Wenn jedoch solche Infrastruktur zunehmend verfügbar ist – das
beweist der Fall Äthiopien –, dann können mehr Zeichen der Hoffnung entstehen,
um die Geißel des Hungers auf dem Kontinent ein für allemal zu beenden. Die
Zusammenarbeit zwischen allen Nationen, insbesondere zwischen China und dem
Westen, in Übereinstimmung mit der Vision und den Prinzipien der Gürtel- und
Straßen-Initiative ist der Schlüssel, um dieses Ziel zu erreichen.
Anmerkungen
1. Hussein Askary, “The Role of BRI in Building a Global Health-care
System”, BRICS Information Portal, May 19, 2020.
2. https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/handle/10986/27288/WPS8088.pdf?sequence=1&isAllowed=y
3. https://www.berlin-institut.org/fileadmin/Redaktion/Publikationen/PDF/BI_VomHungerlandZumHoffnungstraeger_2018.pdf