Rußland startet historische Initiative auf dem afrikanischen Kontinent
Von Christine Bierre
Die russische Stadt Sotschi war am 23. und 24. Oktober Schauplatz des
ersten russisch-afrikanischen Gipfeltreffens und Wirtschaftsforums. 47 der 54
afrikanischen Länder nahmen an diesem Gipfel teil, um über eine wachsende
Zusammenarbeit mit Rußland in allen Bereichen zu erörtern: Politik,
Wirtschaft, Sicherheit, Kultur; ein besonderer Schwerpunkt war Hilfe beim
Aufbau einer zivilen Kernindustrie. Staatschefs und andere hochrangige
Regierungsvertreter waren ebenso anwesend wie Vertreter der russischen,
afrikanischen und internationalen Wirtschaft, des öffentlichen Sektors und der
Kooperationsorganisationen des afrikanischen Kontinents. Insgesamt hatte die
Veranstaltung mehr als 3000 Teilnehmer.
Der ägyptische Präsident Al-Sisi leitete als gegenwärtiger Vorsitzender der
Afrikanischen Union (AU) gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Putin die
Veranstaltung. In seiner Begrüßungsansprache stellte Al-Sisi fest, die
afrikanischen Länder seien zu einer solchen intensiveren Zusammenarbeit
bereit, nachdem sie im Juli beschlossen hatten, die Schaffung einer
kontinentalen Freihandelszone zu ratifizieren und auf dem kommenden
Sondergipfel der AU in Niger deren operative Phase einzuleiten. „Dies ist
eines der Hauptziele der Agenda 2063, deren Ziel es ist, auf die Forderung der
afrikanischen Bevölkerung nach mehr Wohlstand und Würde einzugehen“, erklärte
er.
Putin erklärte in verschiedenen Interviews die besondere Bedeutung dieses
Ereignisses für Rußland, nämlich die Überwindung der Folgen des Zusammenbruchs
der Sowjetunion und die Schaffung der Voraussetzungen dafür, daß Rußland im
21. Jahrhundert wieder einen legitimen Status als eine Weltmacht erhält. Er
sagte:
„Der Gipfel ist ein Ausgangspunkt für den Aufbau einer fairen
Partnerschaftsbeziehung, die auf Gleichheit und beiderseitigem praktischen
Interesse beruht... Unser Land hat eine bedeutende Rolle bei der Befreiung des
Kontinents gespielt und den Kampf seiner Völker gegen Kolonialismus, Rassismus
und Apartheid unterstützt... Später halfen wir den Afrikanern, ihre
Unabhängigkeit und Souveränität zu schützen, Staatlichkeit zu erlangen, die
Grundlage für Volkswirtschaften zu schaffen und leistungsfähige Streitkräfte
aufzubauen... Sowjetische und später russische Spezialisten bauten wichtige
Infrastrukturanlagen, Wasserkraftwerke, Straßen und Industrieanlagen in
Afrika, gleichzeitig erhielten Tausende von Afrikanern eine hochwertige
Berufsausbildung an russischen Universitäten... Dies haben viele gegenwärtige
afrikanische Staatsführer, die unsere Unterstützung schätzen, noch gut in
Erinnerung. Auch wir behalten die Erinnerung an diese Seiten der Geschichte.“
Dies sei eine von Rußlands außenpolitischen Prioritäten.
Zu den wichtigsten Teilnehmern gehörten ehemals „kommunistische Verbündete“
Rußlands wie Äthiopien oder Angola, aber auch neuere Freunde wie die
Zentralafrikanische Republik und andere Staaten Westafrikas. Viele
afrikanische Staats- und Regierungschefs hatten in der letzten Zeit bereits
Moskau besucht, darunter Mosambiks Präsident Filipe Nyusi, Sassou Nguesso aus
Kongo-Brazaville und Joao Lourenco aus Angola.
Handel mit Afrika verdoppelt – nicht nur Waffen
In seiner Eröffnungserklärung des Gipfels beschrieb Putin die großen
Anstrengungen, die diesem Treffen vorausgingen, um Rußlands Entschlossenheit
zu zeigen:
„Im vergangenen Jahr fanden mehrere Veranstaltungen zu bestimmten Bereichen
der russisch-afrikanischen Zusammenarbeit statt. Dazu gehören eine
Wirtschaftskonferenz und eine Sitzung des Vorstands der Afrikanischen
Export-Import Bank im vergangenen Juni in Moskau. Auf dem Programm des St.
Petersburger Internationalen Wirtschaftsforums stand eine Sondersitzung über
die Vertiefung der Zusammenarbeit mit dem afrikanischen Kontinent. Es gab
viele weitere thematische Ausstellungen, Seminare, Austausch
russisch-afrikanischer Wirtschaftsdelegationen und ausführliche und engagierte
Gespräche über zukünftige gemeinsame Projekte in Handel, Investitionen und
branchenspezifischen Programmen.“
Einer der Gründe für Rußlands Rückkehr auf den afrikanischen Kontinent ist
die Tatsache, daß Afrika bis 2050 mit einem BIP von 29 Billionen Dollar eines
der Zentren des Wirtschaftswachstums auf der Welt sein wird. „Der Handel
zwischen Rußland und Afrika hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als
verdoppelt und übersteigt nun 20 Mrd. Dollar“, sagte Putin, aber das sei noch
zu wenig – nicht zuletzt angesichts der Tatsache, daß allein 40% davon,
nämlich 7,7 Mrd. Dollar in Investitionen in Ägypten fließen.
Rußlands Feinde im Westen spotten über Putins Bemühungen und verbreiten die
Vorstellung, Rußland könne nur Waffen exportieren, was Putin zurückwies. Man
plane zwar einen intensiven Austausch zur Koordinierung von
Anti-Terror-Maßnahmen, Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität und
anderer Herausforderungen und Gefahren für die regionale und weltweite
Sicherheit, aber die Produktpalette im Handel weite sich aus und der Anteil
landwirtschaftlicher und industrieller Produkte nehme zu: „Rußland gehört zu
den zehn größten Anbietern von Lebensmitteln für den afrikanischen Markt. Wir
exportieren jetzt mehr Agrarerzeugnisse als Waffen auf die Märkte von
Drittländern. Waffen machen 15 Mrd. Dollar unserer Exporte aus, während
landwirtschaftliche Erzeugnisse einen Umsatz von fast 25 Mrd. Dollar
erzielen.“
In diesem Zusammenhang erklärte Putin, Rußland könne „das Handelsvolumen
innerhalb der nächsten vier bis fünf Jahre mindestens verdoppeln“,
insbesondere wenn man die laufenden Integrationsprozesse in Afrika nutzt:
„Wir begrüßen die Schaffung der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone
als Teil der Afrikanischen Union und sind bereit, mit dieser neuen Einrichtung
zusammenzuarbeiten. Wir unterstützen die Aufnahme enger Arbeitskontakte
zwischen der AU-Kommission und der Eurasischen Wirtschaftskommission, die
morgen eine Absichtserklärung beschließen wird. Als aktiver Teilnehmer der
EAEU [Eurasischen Wirtschaftsunion] wird Rußland sein bestes tun, um die
Konvergenz der Handelsregelungen in der Afrikanischen Freihandelszone und im
Gemeinsamen Markt der EAEU zu erleichtern.
Bilaterale zwischenstaatliche Kommissionen und Wirtschaftsbeiräte, die mit
vielen afrikanischen Ländern eingerichtet wurden, arbeiten intensiv an der
wirtschaftlichen Agenda der russisch-afrikanischen Beziehungen, und Rußland
plant, sein Netzwerk von Handelsmissionen auszubauen, Unternehmen zu
unterstützen und neue Kontakte zu knüpfen.
Der unter der Schirmherrschaft der Russischen Industrie- und Handelskammer
eingerichtete Koordinierungsausschuß für die wirtschaftliche Zusammenarbeit
mit Schwarzafrika... unterstützt russische Unternehmen beim Zugang zu den
afrikanischen Märkten und hilft Unternehmen bei der Umsetzung gemeinsamer
Investitionsprojekte...
Gasprom, Rosneft und Lukoil realisieren bereits vielversprechende Öl- und
Gasprojekte auf dem Kontinent. Alrosa erschließt Diamantenvorkommen, [der
Internetkonzern] Yandex ist auf den Märkten einer Reihe von Ländern präsent
und unterstützt afrikanische Staaten bei der Bewältigung von Herausforderungen
der Informationssicherheit und der Entwicklung der digitalen Wirtschaft.
Rosatom ist bereit, die Atomindustrie für seine afrikanischen Partner
schlüsselfertig aufzubauen und Forschungszentren mit Mehrzweckreaktoren zu
bauen.
Der Bau der russischen Industriezone in Ägypten steht kurz vor dem
Abschluß. Dies ist ein wichtiger Standort in der Wirtschaftszone des
Suezkanals, wo russische Unternehmen ihre Produktionsanlagen ansiedeln können.
Etwa 20 russische Unternehmen werden sich an diesem Projekt beteiligen. Das
ist die aktuelle Schätzung, und ich bin mir ziemlich sicher, daß es noch mehr
werden.“
Hauptthemen: Industrialisierung, Wissenschaft, Wachstum
Aus den bisher bekannten Berichten über die auf dem
Rußland-Afrika-Wirtschaftsforum am 23. Oktober erzielten Vereinbarungen wird
eines klar: Die afrikanischen Nationen denken groß, und Rußland unterstützt
sie darin. Einige Beispiele:
- Die Russische Akademie der Wissenschaften (RAS) erwägt die Einrichtung
von Büros in einer Reihe von afrikanischen Ländern, insbesondere in Äthiopien,
Südafrika, Ägypten und Uganda. Dies erklärte RAS-Vizepräsident Yuri Balega
gegenüber TASS.
- Der Leiter des russischen Nuklearkonzerns Rosatom, Alexej Lichatschow,
sagte gegenüber TASS, er habe die Ehre gehabt, an diesem Tag an allen
bilateralen Treffen Putins mit afrikanischen Staats- und Regierungschefs
teilzunehmen – laut der Kreml-Website mindestens acht Länder. „In allen
Treffen wurde die Frage aufgeworfen, wie wir unsere Zusammenarbeit bei der
friedlichen Nutzung der Kernenergie vorantreiben können... Ich kann sagen, daß
wir mit einem Drittel der afrikanischen Länder eine umfassende
Regulierungsgrundlage geschaffen haben. Etwa die Hälfte der afrikanischen
Staaten verhandelt darüber oder hat bereits konkrete Verträge abgeschlossen
und Gemeinschaftsprojekte mit uns gestartet. Was die anderen Länder betrifft,
so sind wir noch im Gespräch mit ihnen, hoffentlich mit
Erfolgsaussichten.“
- Rußland hat auch nicht die Absicht, Afrika (aus „Umweltschutzgründen“)
die Nutzung seiner fossilen Brennstoffvorkommen zu verweigern. Lukoil-Chef
Wagit Alekperow sagte Reportern, man wolle mehrere Vereinbarungen für die
Explorationszusammenarbeit, meist Offshore, abschließen. Es seien Anfragen aus
mehreren Ländern nach Hilfe bei der Entwicklung nachgelagerter Projekte (z.B.
Raffination) eingegangen, was mit einigen Herausforderungen verbunden sei.
Die Themen der zahlreichen Vortragsrunden reichten von Wohnungsbau und
Gesundheitswesen über die Sicherung der wirtschaftlichen und technologischen
Souveränität, Möglichkeiten für gemeinsame Verkehrsinfrastrukturprojekte, die
Entwicklung integrierter Prozesse und Zusammenarbeit zwischen der EAEU und
Afrika bis hin zu Möglichkeiten der Industrie- und Energiezusammenarbeit,
Nutzung von Mineralien in Afrika zum Wohle seiner Menschen, und vielem
mehr.
Die Agenda für die Sitzung „Rußland und Afrika: Wissenschaft, Bildung und
Innovation für die wirtschaftliche Entwicklung“ ist charakteristisch für den
Tenor des gesamten Forums. Zur offiziellen Zielsetzung hieß es darin:
„Die beschleunigte Entwicklung der wirtschaftlichen Potentiale Rußlands und
Afrikas ist untrennbar mit den wissenschaftlichen Leistungen und der
Verbesserung der allgemeinen Bildung und Ausbildung verbunden. Das 21.
Jahrhundert hat den Aufstieg der Wissensgesellschaft eingeleitet. Die
wissenschaftliche Forschung und Entwicklung führt zu neuen Produkten und
Industrien und kann einen entscheidenden Beitrag zur Bewältigung der aktuellen
sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen für unsere Länder leisten...
Was kann Rußland heute bei der Entwicklung von Wissenschaft und Bildung in
Afrika, insbesondere im Rahmen der Agenda 2063 der Afrikanischen Union,
anbieten? Welche neuen Möglichkeiten eröffnen sich Rußland durch die
Zusammenarbeit mit Ländern des afrikanischen Kontinents in Wissenschaft und
Bildung?“
Mehr als 500 Wirtschaftsverträge unterzeichnet
Am Ende des Gipfels, so der russische Präsidentenberater Anton Kobjakow,
„beläuft sich die Zahl der unterzeichneten Vereinbarungen, Memoranden und
Verträge auf über 500; allein der Gesamtwert derer, von denen wir im Moment
wissen, beträgt mehr als 800 Milliarden Rubel. Das sind etwas mehr als 12
Milliarden Dollar. Aber die Meetings gehen weiter“, berichtete
Sputnik.
Vor dem Gipfel hatte Rußland angekündigt, daß es mehr als 20 Milliarden
Dollar an Schulden abschreiben will, die afrikanische Länder während der
Sowjetzeit angesammelt haben. „Es war nicht nur ein Akt der Großzügigkeit,
sondern auch eine Manifestation des Pragmatismus, denn viele der afrikanischen
Staaten waren nicht in der Lage, Zinsen für diese Kredite zu zahlen“, sagte
Präsident Putin am Vorabend des Gipfels gegenüber TASS.
Auch wenn Rußlands Beziehungen zu Afrika sich nicht auf Sicherheitsfragen
beschränken lassen, bleiben diese ein wichtiger Aspekt der Partnerschaft.
Rußland, das selbst unter der Verbreitung von Waffen und Terrorismus leidet,
die durch die kriminelle Militärexpedition des Westens gegen Gaddafis Libyen
verursacht wurde, will Berichten zufolge seine Expertise auf diesem Gebiet
nutzen, um den Kontinent im Kampf gegen die gefürchtete Terrorgruppe Boko
Haram zu unterstützen. Rußland ist Afrikas größter Waffenlieferant, und Putin
stellte fest, daß sich die militärische Zusammenarbeit derzeit auf mehr als 30
afrikanische Staaten erstreckt und man die Ausbildungsprogramme für Militär-
und Sicherheitspersonal ausweiten könnte. Nigeria, Afrikas
bevölkerungsreichstes Land, hat sich bereiterklärt, ein ausgelaufenes
militärisches Kooperationsabkommen mit Moskau zu erneuern und gleichzeitig ein
Joint Venture zwischen der nigerianischen Ölgesellschaft und der russischen
Lukoil für die Tiefsee-Prospektion zu gründen.
In seinem Schlußwort äußerte sich Putin sehr zufrieden mit dem
„historischen“ Gipfel: „Dieses Ereignis hat tatsächlich eine neue Seite in den
Beziehungen zwischen Rußland und den Staaten des afrikanischen Kontinents
aufgeschlagen“, sagte er. Seine afrikanischen Partner teilen diese
Einschätzung. So sagte Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor gegenüber der
südafrikanischen Tageszeitung Maverick: „Wir machen es sehr deutlich:
Unsere große Botschaft ist, daß wir bereit für Investitionen sind, daß wir
bereit für Partnerschaften sind. Wir wollen echte Partnerschaften, die uns
dabei unterstützen, die Ziele, die wir uns gesetzt haben, voranzutreiben.“ Der
Gipfel passe zu Südafrikas Zielen in mehreren Schlüsselbereichen, wie der
Schaffung von mehr Wirtschaftswachstum und Beschäftigung oder Investitionen in
Sektoren wie Meereswirtschaft, Förderung von Innovation und
Technologieentwicklung. Allein hundert südafrikanische Unternehmen haben am
Wirtschaftsforum Rußland-Afrika teilgenommen. Der südafrikanische Präsident
Cyril Ramaphosa sagte: „Was Rußland in den Augen vieler afrikanischer Länder
gut ansteht, ist, daß Rußland nie eine Kolonialmacht war.“