„Nachhaltige Entwicklung“ muß neu definiert werden als „dauerhafte
Entwicklung“!
Die Belt & Road-Initiative und das Apollo-Programm: Quellen der
Inspiration
Von Hussein Askary und Jason Ross
Im Vorfeld der bevorstehenden Vollversammlung der Vereinten Nationen
veröffentlichten Hussein Askary und Jason Ross vom Schiller-Institut Ende
August das folgende Diskussionspapier über die Notwendigkeit, den „grünen“
Begriff der „nachhaltigen“ (engl.
sustainable) Entwicklung durch den
Begriff der „anhaltenden“ (engl.
sustained), also nie endenden
Entwicklung abzulösen. Es erschien bisher als Serie in drei Teilen in der
pakistanischen Tageszeitung
National Herald Tribune, im Magazin
Executive Intelligence Review (
https://larouchepub.com/other/2019/4636-sustained_development.html),
auf der Internetseite der pakistanischen Denkfabrik Center for Global
Strategic Studies, den Internetseiten der nigerianischen Eisenbahnbranche und
der Internationalen Chinesischen Handelskammer für die Seidenstraße sowie dem
Blog des Zentrums für Westasien- and Afrikastudien der Chinesischen Akademie
der Sozialwissenschaften (CASS).
© NASA
Abb. 1: Reiche Weltuntergangspropheten werben dafür, daß afrikanische
Familien Solarkocher verwenden, anstatt ihnen eine wirkliche wirtschaftliche
Entwicklung zu ermöglichen.
In wenigen Tagen treffen sich die Staats- und Regierungschefs der Welt in
New York zur 74. UN-Vollversammlung, deren diesjähriges Thema „Nachhaltige
Entwicklung“ ist. Es wird davon ausgegangen, daß das Treffen zahlreiche
Staats- und Regierungschefs von Entwicklungsländern versammeln wird, die sich
für die Umsetzung der vorrangigen Ziele der UN für nachhaltige Entwicklung
(SDG2030) einsetzen. Die vorrangigen Ziele sind die Beseitigung der Armut
(Ziel 1), die Beseitigung des Hungers (Ziel 2), eine gute
Gesundheitsversorgung (Ziel 3), eine qualitativ hochwertige Bildung (Ziel 4),
sauberes Wasser (Ziel 6), verfügbare und erschwingliche Energie (Ziel 7),
Wirtschaftswachstum (Ziel 8) sowie Infrastruktur und Industrialisierung (Ziel
9). Aber trotz der sehr realen Dringlichkeit, diese Ziele zu erreichen, werden
die USA, die EU und die UN-Bürokratie selbst wahrscheinlich den größten
Schwerpunkt auf Klimaschutz legen (Ziel 13)!
Reiche Weltuntergangspropheten aus westlichen Ländern werden zum UN-Gebäude
in New York strömen, in Flugzeugen herbeifliegen, auf Yachten heransegeln oder
auf dem Boden herankriechen, um die Prophezeiung vom „Ende der Welt“ durch
plötzliche Extreme im Erdklima zu predigen – verursacht, so sagen sie, durch
anhaltendes Wirtschaftswachstum und industrielle Entwicklung. Damit schließen
sie sich einer wachsenden Gruppe mächtiger Finanz- und Bankinteressen in der
westlichen Welt an, die sich durch „grünes Wachstum“ und „grüne Finanzen“, wie
sie es nennen, bereichern wollen. Ihr Ziel ist es, das reale
Wirtschaftswachstum und den wissenschaftlich-technischen Fortschritt auf
globaler Ebene zu stoppen, um den Planeten zu „retten“ (Abbildung
1).
Unterdessen sollen die Bestrebungen der armen Länder und der
Entwicklungsländer in den Hintergrund treten, weil es – so sagen sie uns -
dringendere Probleme gebe als die Beseitigung von Armut und Hunger, die
Bereitstellung von Gesundheitsversorgung, Bildung, sauberem Wasser und Strom
für Milliarden von Menschen.
Während der Kolonialzeit wurde den Menschen der kolonisierten Nationen
gesagt, sie seien minderwertige Wesen, für die Armut der natürliche Zustand
sei. In der postkolonialen Zeit wurde ihnen gesagt, ihre Armut sei die
natürliche Folge korrupter Staatsführer. Heute wird den Entwicklungsländern
gesagt, sie seien arm, weil die viel zu habgierige industrielle Welt den
Klimawandel verursacht, und sie sollten niemals versuchen, der industriellen
Welt nachzueifern. Statt dessen würden sie Rat und Hilfe für „Klimaschutz“
erhalten. Wenn man dieser Perspektive folgen würde, dann würde man die
Armut auf Generationen verewigen – man würde sie „nachhaltig“ machen.
Das ständige Werbegetrommel für die Beendigung der wirtschaftlichen
Entwicklung ist nicht neu, aber sie hat hysterische Ausmaße angenommen, was
die Industrieländer wie die Entwicklungsländer gleichermaßen gefährdet.
Hierfür ist die vage Diskussion über „nachhaltige Entwicklung“
mitverantwortlich. Die Verfasser dieses Artikels neigen zu der Ansicht, daß es
eine grundlegende Diskrepanz, einen Widerspruch gibt zwischen diesem Begriff,
wie er im Westen propagiert wird, und wie man ihn in China und anderen
Entwicklungsländern wahrnimmt. In China und anderen Entwicklungsländern
versteht man ihn als „nachhaltige Entwicklung“ – mit Betonung auf
„Entwicklung“ –, während im Westen der Schwerpunkt auf „nachhaltig“ liegt.
Hauptprämisse: Begrenzte Ressourcen!
Der Begriff „nachhaltige Entwicklung“ wurde von den Vereinten Nationen 1987
durch den Brundtland-Bericht formell kodifiziert.1 Er wird in der
Regel mit der Förderung sogenannter „erneuerbarer“ Energiequellen wie Solar-
und Windkraft verbunden und befaßt sich im allgemeinen mit angeblichen
negativen Auswirkungen menschlicher Tätigkeiten auf die Umwelt. In dem
genannten Bericht wird „nachhaltige Entwicklung“ definiert als eine
ausreichende Entwicklung zur Deckung der „Grundbedürfnisse“ armer
Gesellschaften, d.h. das absolute Minimum, um ihr Überleben zu sichern, sowie
die Möglichkeit für alle Nationen und Völker, ihre Wünsche nach einem besseren
Lebensstandard zu erfüllen.
Aber es heißt in dem Bericht auch, viele Menschen in modernen
Gesellschaften „leben über die ökologischen Verhältnisse der Welt, zum
Beispiel in unseren Mustern der Energienutzung“, und es wird gewarnt:
„Nachhaltige Entwicklung erfordert die Förderung von Werten, die
Konsumstandards fördern, die im Rahmen des ökologisch Möglichen liegen und
nach denen alle vernünftigerweise streben können.“
Wie werden diese Grenzen festgelegt? Es wird eingeräumt: „Die Anhäufung von
Wissen und die Entwicklung von Technologien können die Tragfähigkeit der
Ressourcenbasis verbessern. Aber letztendlich gibt es Grenzen, und
Nachhaltigkeit erfordert, daß die Welt schon lange vor dem Erreichen dieser
Grenzen einen gerechten Zugang zu den begrenzten Ressourcen gewährleistet und
die technologischen Anstrengungen darauf ausrichtet, den Druck zu
verringern.“
Aber gibt es wirklich ultimative Grenzen für unersetzliche Ressourcen? Sind
die Grenzen von Natur aus festgelegt, oder werden sie durch unsere
Entdeckungen und Erfindungen bestimmt?
Der Begriff der begrenzten natürlichen Ressourcen und sogenannten
„Tragfähigkeit“ des Ökosystems ist auf die menschliche Gesellschaft nicht
anwendbar, weil keine a priori bestehende „natürliche“ Grenze, sondern allein
das Niveau des wissenschaftlich-technischen Fortschritts den Umfang der
„Ressourcen“ definiert. Die Ziele der „nachhaltigen Entwicklung“ in dem Sinne,
wie sie im Brundtland-Bericht präsentiert werden, zu verfolgen, stellt daher
ein großes Hindernis für die Beseitigung der Armut und die Gewährleistung
eines höheren Lebensstandards und einer höheren Lebensqualität für alle
Menschen und Nationen dar. Deshalb müssen wir entweder diese Begriffe neu
definieren oder ganz anderen Konzepten folgen.
China hat bewiesen, daß der Weg aus der Armut und zum Fortschritt in einer
beschleunigten „Industrialisierung“ und großen Entwicklungsprojekten und auch
„Megaprojekten“ besteht, wofür alle verfügbaren natürlichen und menschlichen
(einschließlich wissenschaftlicher und technischer) Ressourcen genutzt werden.
So müssen beispielsweise alle nützlichen Energieträger wie Kohle, Öl, Gas,
Wasserkraft und Kernkraft eingesetzt werden. Auch wenn es unerläßlich ist, daß
die Energiequellen mit einer höheren Energieflußdichte, wie Kernspaltung und
Fusion, die weniger dichten Quellen nach und nach ablösen, ist es weder
vernünftig noch moralisch, von den armen Ländern zu verlangen, auf die
Energiequellen zu verzichten, die Amerika, Europa, Japan und anderen den
Aufstieg zu modernen Industriegesellschaften ermöglicht haben. Das Tempo der
notwendigen Ausweitung der Kraftquellen macht es notwendig, weiter Kraftwerke
auf Kohlenwasserstoffbasis zu nutzen und neue zu bauen, während man die
erforderliche Basis für eine Atomindustrie entwickelt und Fortschritte bei der
Fusionsforschung macht.
Chinas Wirtschaftswunder basiert auf der Umsetzung verläßlicher Strategien,
die geradezu als das Gegenteil von dem erscheinen, was internationale
Institutionen wie IWF und Weltbank, internationalen Umweltorganisationen,
Finanzberatungsunternehmen und Denkfabriken fordern. Dabei ist Chinas Politik
ironischerweise genau die gleiche, die einst die USA bis Ende der 1940er Jahre
zur größten Wirtschaftsmacht der Welt und das zerstörte Deutschland nach dem
Zweiten Weltkrieg zur zweitgrößten Industriemacht der Welt gemacht hat.
China verfolgt eine dirigistische Politik des zentralisierten, staatlich
finanzierten Aufbaus von Infrastruktur und Industrie durch öffentliche Kredite
für langfristige Entwicklung, für die es die neuesten
wissenschaftlich-technischen Innovationen nutzt und noch neuere
entwickelt.
Dieser Widerspruch zwischen den bewährten, erfolgreichen Methoden
wirtschaftlicher Entwicklung – aktuell wie auch historisch, wie z.B. bei der
Industrialisierung der Vereinigten Staaten und Deutschlands – auf der einen
Seite und den Methoden, die gegenwärtig von den internationalen Institutionen
gefördert werden, auf der anderen, muß thematisiert und überwunden werden. Das
neue Entwicklungsparadigma, dessen Speerspitze China und die BRICS-Staaten
bilden, ist ein Schlüsselelement in diesem Prozeß.
Daher muß in diesem Zusammenhang klar und deutlich gesagt werden, daß die
Definition des Begriffs „nachhaltige Entwicklung“ dies beinhalten sollte: die
Fähigkeit, einen Prozeß aufrechtzuerhalten, der Gesellschaften durch
wissenschaftliche Kreativität und technologische Innovation immer höhere
Produktivitätsniveaus und Lebensstandards – physische wie kulturelle – möglich
macht. „Nachhaltige Entwicklung“ darf nicht als Anpassung der Gesellschaft
an eine immer kleiner werdende Basis endlicher Ressourcen verstanden werden,
denn es gibt keine begrenzten Ressourcen! Was dem Wachstum Grenzen setzt,
ist allein der Mangel an kulturellem, wissenschaftlichem und technischem
Fortschritt.
China: Der Inbegriff eines sich entwickelnden Landes
Zwischen 1981 und 2018 hat China – wie Institutionen wie die Weltbank
bestätigen – 800 Millionen seiner Bürger aus der Armut befreit, indem es in
städtische und ländliche Infrastrukturprojekte investierte, Megaprojekte in
den Bereichen Verkehr, Wasser und Energie fertigstellte und eine industrielle
und wissenschaftliche Kapazität aufbaute, die in der Weltgeschichte
ihresgleichen sucht. Die einzige ähnlich schnelle Industrialisierung in der
Geschichte waren in den USA der New Deal der 1930er und 40er Jahre und die
Mobilisierung für den Zweiten Weltkrieg, beides unter Präsident Franklin D.
Roosevelt.
Grundsätzlich können alle Entwicklungsländer diese beispiellose Leistung
Chinas wiederholen, wenn auch mit verschiedenen Dimensionen und
Besonderheiten. China hat in den letzten 40 Jahren mehr
Wasserwirtschaftsprojekte gebaut als die Vereinigten Staaten in hundert
Jahren. Ein weiterer Maßstab, der die ungeheure Größe des Vorhabens
unterstreicht, ist die Tatsache, daß China allein in den drei Jahren 2011-13
mehr Zement verbraucht hat als die Vereinigten Staaten im gesamten 20.
Jahrhundert! Das 20.000 km lange chinesische Hochgeschwindigkeitsbahnnetz ist
inzwischen größer als die Schnellbahnnetze aller westeuropäischen Nationen
zusammen. In China gibt es 37 Kernkraftwerke (70% davon wurden allein in den
letzten zehn Jahren gebaut), und weitere 20 sind im Bau.
Die Belt & Road-Initiative kommt ins Spiel
Abb. 2: Die sechs Korridore des Wirtschaftsgürtels der Neuen Seidenstraße
(A-E, G) und die Maritime Seidenstraße (F), die Präsident Xi 2013 ankündigte.
Die anderen globalen, transkontinentalen Korridore wurden bereits 1992 vom
Schiller-Institut vorgeschlagen. Quelle: Belt and Road Institute in Schweden
(BRIX).
Die Ankündigung der Gürtel- und Straßen-Initiative (Belt &
Road-Initiative, BRI) durch den chinesischen Präsidenten Xi
Jinping2 Ende 2013 – ein Durchbruch für die Strategie der Neuen
Seidenstraße, die China seit 1996 verfolgt – verwandelte die chinesische
Entwicklungspolitik in eine globale Strategie, eine allumfassende Initiative,
an der sich ausnahmslos alle Nationen beteiligen und sie mitgestalten können.
Dreh- und Angelpunkt der BRI ist der Bau von Infrastruktur-Megaprojekten, wie
sie die Welt seit dem New Deal der 30er Jahre, dem deutschen Wiederaufbau nach
dem Krieg und dem amerikanischen Raumfahrtprogramm der 60er Jahre nicht mehr
gesehen hat (Abbildung 2).
Die BRI steht auf dem soliden Fundament von Chinas eigenem
Wirtschaftswunder der letzten Jahrzehnte, und hinter ihr stehen die massiven
finanziellen, technischen und personellen Ressourcen sowie die politische
Macht Chinas. Aus einem nationalen chinesischen Projekt für wirtschaftliche
Entwicklung und Industrialisierung wurde eine gewaltige, interkontinentale
Initiative für Vernetzung und wirtschaftliche Zusammenarbeit, der sich
inzwischen mehr als 120 Länder angeschlossen haben. Die BRI entwickelt sich
schon jetzt zum größten wirtschaftlichen Unternehmen in der Geschichte der
Menschheit. Die Entwicklungsländer, von denen viele über besondere
geographische Vorteile und/oder personelle und natürliche Ressourcen verfügen,
stehen bereit, von dieser globalen Initiative zu profitieren.
Die Tatsache, daß China dabei seine erstaunlichen Erfahrungen bei der
Industrialisierung und Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte mit dem Rest
der Welt teilt, ist ein Schlüsselelement ihres Erfolges.
Abb. 3: Der Dreischluchtendamm am Jangtse: China bietet dem Rest der Welt
sein Know-how, seine Erfahrung und seine Technologie an, unterstützt durch ein
Kapitalpolster von drei Billionen US-Dollar, um die Armut weltweit zu
überwinden.
Durch die BRI bietet China dem Rest der Welt sein Know-how, seine Erfahrung
und seine Technologie an (Abbildung 3), gestützt auf ein Kapitalpolster
von drei Billionen US-Dollar. Dies ist eine großartige Gelegenheit für
Westasien und Afrika, die Träume aus der Zeit ihrer Unabhängigkeit nach dem
Zweiten Weltkrieg zu verwirklichen – Träume, die leider jahrzehntelang
sabotiert wurden. Das dramatische Infrastrukturdefizit auf nationaler wie
interregionaler Ebene in Westasien und Afrika kann, in diesem neuen Licht
betrachtet, ironischerweise eine große Chance sein. Viele Industrieländer in
Europa, Asien und Amerika verfügen zwar hinsichtlich der Technologie und
Arbeitskraft über ähnliche Fähigkeiten wie China, doch ihnen fehlt die Vision
und der politische Wille, diese Fähigkeiten anzuwenden und ihren Einsatz zu
finanzieren.
Da Westasien und Afrika strategisch wichtige Gebiete für Ost und West sind,
sind sie ideale Orte, um die Fähigkeiten der Nationen der Welt in einem
konkreten Projekt der friedlichen Zusammenarbeit und Wirtschaftsentwicklung zu
vereinen.
Gleichzeitig kommen ermutigende Signale von afrikanischen Nationen, die
erkannt haben, wie wichtig es ist, sich dem neuen Paradigma der Entwicklung
auf der Grundlage von Industrialisierung und großen Infrastrukturprojekten
anzuschließen und davon zu profitieren. Ägypten, Äthiopien, Nigeria und Kenia
haben z.B. allesamt beeindruckende nationale Entwicklungspläne entworfen, die
in schnellen Schritten umgesetzt werden. Aber auch hier ist die Rolle Chinas
entscheidend.
Die Transformationskraft der CPEC
Der Wirtschaftskorridor China-Pakistan (China-Pakistan Economic Corridor,
CPEC) – das kompakteste und am klarsten definierte BRI-Projekt –
revolutioniert Pakistan, das bis vor wenigen Jahren noch eine überschuldete
und wirtschaftlich gescheiterte Nation war. Jetzt ist Pakistan voller
Optimismus, und seine Wirtschaft verwandelt sich durch die vielen Energie-,
Wasser-, Verkehrs- und Logistikprojekte, die mit atemberaubender
Geschwindigkeit im Rahmen des CPEC gebaut werden. Pakistans industrielle
Basis, die in den letzten Jahren aufgrund von Strommangel meist stillstand,
steht vor dem Wiederaufstieg.
Abb. 4: Der Hafen Gwadar am Wirtschaftskorridor China-Pakistan.
Beispielhaft ist die Hafenstadt Gwadar (Abbildung 4). Gwadar
verwandelt sich vom verlassenen Fischerdorf zum erstklassigen Seeverkehrs- und
Logistikzentrum. Chinas Investitionen in Pakistan sind von den ursprünglich
geplanten 45 Mrd. Dollar auf 60-70 Mrd. Dollar angestiegen.
Bevor die CPEC-Projekte in die Tat umgesetzt wurden, war Pakistan ein
typisches Beispiel eines Landes, in dem Mangel an Strom die wirtschaftliche
Entwicklung behindert – der Strommangel machte das Wachstum unmöglich, das
notwendig gewesen wäre, um aus der mit der fehlenden Entwicklung verbundenen
Schuldenfalle zu entkommen. Aufgrund des hohen Handelsdefizits wuchs Pakistans
Auslandsverschuldung immer mehr, 2017 waren es 95 Mrd. Dollar. In den letzten
Jahren verzeichnete gab es ein jährliches Handelsdefizit von über 23 Mrd.
Dollar. Pakistans Hauptexportgüter sind Rohstoffe und Grundnahrungsmittel, und
sein wichtigstes verarbeitetes Exportprodukt sind Textilien.
Grundnahrungsmittel und Rohstoffe leiden unter Preisschwankungen, und die
unzuverlässige und unzureichende Energieversorgung beeinträchtigt die
Wettbewerbsfähigkeit des Textilsektors. Nun bilden gerade die entscheidenden
Sektoren Energie und Verkehr den Schwerpunkt der chinesischen Investitionen in
die CPEC.
Pakistans Energieimporte haben erheblich zum Ungleichgewicht des Handels
und zu seiner Verschuldung beigetragen. Im Geschäftsjahr 2017-18 beliefen sich
die Importe auf 60,86 Mrd. Dollar, das 2,6-fache der Exporte von 23,22 Mrd.
Dollar, was ein historisch hohes Handelsdefizit von 37,64 Mrd. Dollar zur
Folge hatte. Fast ein Viertel der Einfuhren waren Energieimporte (Öl und Gas)
im Wert von 14,43 Mrd. Dollar.3 Diese Energieimporte machen fast
die Hälfte des jährlichen Defizits aus! Am 3. August 2018 berichtete die
pakistanische Zeitung Express Tribune, daß die British Standard
Chartered Bank Pakistan ein kommerzielles Darlehen in Höhe von 200 Mio. Dollar
(zu einem Zinssatz von 4,2%) zur Finanzierung der nationalen
Flüssiggas-Importe gewährt. Die Bank ist einer der größten Kreditgeber
Pakistans, mit einem Kreditvolumen von 1,1 Mrd. Dollar allein in den Jahren
2016-17. So gerät ein Land in die Schuldenfalle.
Vor der Fertigstellung der CPEC-Energieprojekte betrug die installierte
elektrische Gesamtleistung Pakistans 2015 noch 22,9 Gigawatt (GW), der
durchschnittliche Bedarf lag bei 19 GW. Die installierten Kapazitäten,
aufgegliedert nach Produktionsarten und Anteil an der installierten Leistung,
stellen sich wie folgt dar:
1. Kohlenwasserstoffe 14,7 GW, 64%;
2. Wasserkraft 7,1 GW (31%);
3. Kernenergie 0,7 GW (3%);
4. Wind, Solar und Biogas 0,4 GW (2%).4
Bezogen auf die tatsächliche Stromerzeugung pro Jahr stellen sich die
Zahlen wie folgt dar
(Terawattstunden, TWh und Anteil an der Stromerzeugung):
1. Kohlenwasserstoffe (thermisch) 58,5 TWh (60%);
2. Wasserkraft 32,9 TWh (34%);
3. Kernkraft 5,0 TWh (5%); und
4. Wind, Solar und Biogas 0,8 TWh (0,8%).
Im Jahrzehnt vor dem CPEC lag der jährliche Stromverbrauch Pakistans bei
70-80 GWh, das entspricht etwa 50 Watt (oder 440 kWh pro Jahr) pro Kopf. Mit
der Fertigstellung eines Teils der CPEC-Kraftwerksprojekte stieg der
Stromverbrauch des Landes 2018 auf 100 GWh, pro Kopf im Durchschnitt 500 kWh.
Dieses Wachstum ist gut, aber die Zahl ist immer noch viel zu niedrig, und
Zigmillionen der 200 Millionen Einwohner Pakistans haben noch keinen
Stromanschluß.
Die CPEC-Energieprojekte werden eine wichtige Rolle bei der Ausweitung des
Zugangs zur Elektrizität in Pakistan spielen.5 Die Projekte können
das Energiedefizit beseitigen und die Wirtschaft auf einen weiteren Anstieg
der industriellen Aktivität vorbereiten. Die fertigen, im Bau befindlichen und
in Verhandlung befindlichen Investitionen verteilen sich wie folgt:
© GEOSOL
Abb. 5: Die durch Solar- und Windkraftanlagen erzeugte Energie erreicht
höchstens ein Drittel der nominellen Kapazität. Angesichts der Kosten, der zu
erwartenden Leistung und der unregelmäßigen Strom- erzeugung dieser Anlagen
liegen die tatsächlichen Kosten bei einem Mehrfachen der Kosten der
Stromerzeugung aus Kohle- und Wasser- kraftanlagen.
Abb. 6: Dieser von China gelieferte Druckwasserreaktor (Block 4) in Chashma
ist Pakistans fünftes Kernkraftwerk.
© PAEC
Kohlekraftwerke: 8580 MW;
Wasserkraft: 2700 MW;
sonstige thermische Anlagen
(Erdgas): 825 MW;
Solarkraftwerke: 900 MW;
Windparks: 350 MW.6
Die erwartete neue Gesamtleistung an Stromerzeugungskapazität beträgt
13.355 MW (13,355 GW). Die Gesamtkosten aller dieser Stromerzeugungsprojekte
(einschließlich Anlagen für Kohleabbau und Stromübertragungsleitungen) werden
auf 23-30 Mrd. Dollar geschätzt, das entspricht ungefähr den Kosten für zwei
Jahre Öl- und Gasimporte und weniger als dem jährlichen Handelsdefizit
(Abbildung 5).
Saubere Kohle ist lebenswichtig
Pakistan heute zu sagen, es solle die Kohlekraftwerke stillegen, ist
gleichbedeutend damit, seinen Bürgern zu sagen, daß sie kollektiven Selbstmord
begehen sollen.
Pakistans westliche „Freunde“ – die das Land brauchten, um in den 1980er
Jahren die sowjetische Armee und ab 2001 die Taliban in Afghanistan zu
bekämpfen – haben ihm niemals ermöglicht oder erlaubt, seine saubere und
„kohlenstofffreie“ Atomenergie vollständig zu entwickeln. Das wird sich
ändern, denn China und Rußland stehen bereit, beim Bau von Kernkraftwerken zu
helfen (Abbildung 6). Daß die Wahl zum jetzigen Zeitpunkt auf
Kohlekraftwerke fiel, gründet darin, daß Pakistan diesen Rohstoff im Überfluß
hat, daß es nur relativ kurze Zeit (18-24 Monate) dauert, ein modernes
Kohlekraftwerk zu bauen, und daß die notwendigen Fähigkeiten, Ausrüstungen und
Planungen, um sie in großer Zahl zu produzieren, schon vorhanden sind. Der Bau
eines Kernkraftwerks ist physikalisch anspruchsvoll und braucht Zeit.
Kohle ist vielleicht langfristig (30-40 Jahre) keine ideale Wahl, die
einzig sinnvolle Alternative ist jedoch die Kernkraft, für sie müssen die
notwendigen Baukapazitäten weltweit bereitgestellt werden. Damit die
pakistanische Nation und Wirtschaft die Plattform für den Bau eigener
Kernkraftwerke oder die Beteiligung daran erreichen kann, muß die Wirtschaft
jetzt erneuert und weiterentwickelt werden.
Der Versuch, den Energiebedarf Pakistans – wie übrigens fast aller Länder –
durch sogenannte „grüne“ oder „erneuerbare“ Stromquellen zu decken, wäre eine
halsabschneiderisch teure Übung in Sinnlosigkeit.7
Xis Entwicklungsphilosophie: „Den Kuchen größer machen.“
Chinas Präsident Xi Jinping
Wenn man die Reden und Schriften des chinesischen Präsidenten Xi Jinping
ohne ideologische Scheuklappen sorgfältig liest, kommt man zu dem Schluß, daß
das, was Xi unter „nachhaltiger Entwicklung“ versteht, nicht dasselbe ist, was
Politiker und Ökonomen im Westen mit diesem Begriff meinen.
In seiner Rede vor dem 19. Nationalkongreß der Kommunistischen Partei
Chinas am 18. Oktober 2017 beschreibt Xi ausführlich die von ihm und der
Partei formulierten Entwicklungsziele und erklärt deutlich sein Verständnis
der „Wissenschaftlichen Entwicklungsperspektive“. Dies sei eines der fünf
Leitprinzipien der Kommunistischen Partei Chinas (neben dem
Marxismus-Leninismus, dem Denken Mao Zedongs, Deng Xiaopings Theorie und der
Theorie der Drei Vertretungen). In Punkt vier seiner Rede „Einer neuen Vision
von Entwicklung folgen“ sagte Xi: „Entwicklung ist die Grundlage und der
Schlüssel zur Lösung der Probleme unseres Landes.“ Er betonte: „Wir müssen ein
Modell der nachhaltigen Entwicklung verfolgen, das eine höhere Produktion,
einen höheren Lebensstandard und gesunde Ökosysteme einschließt.“
Xi fixiert sich nicht auf „begrenzte Ressourcen“ und deren Verteilung,
sondern verwendet oft die Metapher: „Laßt uns den Kuchen größer machen, statt
um einen kleinen Kuchen zu streiten“, um seinen Parteigenossen nahezulegen,
über den Tellerrand zu schauen. Die meisten indoktrinierten sogenannten
Experten in der westlichen Welt würden darin heute einen Widerspruch in sich
sehen, weil sie überzeugt sind, daß höhere Produktion und höherer
Lebensstandard Umweltprobleme verursachen und uns zwangsläufig vor die Wand
der begrenzten Ressourcen fahren werden.
Eine noch größere Provokation in den Augen westlicher Beobachter sind Xis
wiederholte Forderungen nach der Industrialisierung Afrikas. In seiner Rede
auf dem Forum für China-Afrika-Kooperation (Forum on China-Africa Cooperation,
FOCAC) im südafrikanischen Johannesburg im Dezember 2015 sagte Xi:
„Die Industrialisierung ist ein unvermeidlicher Weg zum wirtschaftlichen
Erfolg eines Landes. China hat innerhalb weniger Jahrzehnte erreicht, wofür
die entwickelten Länder Jahrhunderte brauchten, nämlich ein komplettes
Industriesystem mit einer enormen Produktionskapazität zu erreichen und
einzuführen...
Man kann sich gut vorstellen, daß Afrika, als die in Bezug auf das
Entwicklungspotential vielversprechendste Region der Welt, seine Vorteile
ausspielen und große Erfolge erzielen kann... Die Verwirklichung einer
integrativen und nachhaltigen Entwicklung in Afrika hängt von der
Industrialisierung ab, sie ist der Schlüssel zur Schaffung von Arbeitsplätzen,
zur Beseitigung der Armut und zur Verbesserung des Lebensstandards der
Menschen.“
Präsident Xi sagte das nicht, um den Westen zu provozieren, sondern weil er
ehrlich diese Auffassung vertritt, die völlig im Einklang mit Chinas eigener
bewundernswerter Entwicklungsleistung der letzten drei Jahrzehnte steht.
Die transparenteste und wissenschaftlichste Definition von „nachhaltiger
Entwicklung“ nach Xi Verständnis findet sich in einer Rede mit dem Titel „Ein
tieferes Verständnis des neuen Entwicklungskonzepts“, die er am 18. Januar
2016 auf einer Studiensitzung zur Umsetzung der Beschlüsse der Fünften
Plenarsitzung des 18. Zentralkomitees der KP Chinas hielt. Darin erklärte er,
der Begriff „koordinierte Entwicklung“ habe neue Eigenschaften angenommen. In
der üblichen chinesischen philosophischen Weise, die keine Angst vor
Widersprüchen hat, die zu Lösungen führen, sagte er:
„Koordinierte Entwicklung ist die Einheit von ausgewogener Entwicklung und
unausgewogener Entwicklung. Der Prozeß von Gleichgewicht zu Ungleichgewicht
und dann zum Wiederausgleich ist das Grundprinzip der Entwicklung. Das
Gleichgewicht ist relativ, während das Ungleichgewicht absolut ist. Die
Betonung einer koordinierten Entwicklung zielt nicht auf Gleichmacherei ab,
sondern gibt der Chancengleichheit und einer ausgewogenen Ressourcenverteilung
mehr Bedeutung.“
Xi fuhr fort:
„Koordinierte Entwicklung ist die Einheit von Schwäche und Potential in der
Entwicklung. China befindet sich in einer Phase des Übergangs von einem Land
mit mittlerem Einkommen zu einem Land mit hohem Einkommen. Nach
internationaler Erfahrung ist dies eine Phase verstärkter Interessenkonflikte,
in der unausgewogene Entwicklung und verschiedene Schwächen unvermeidlich
sind. Um eine koordinierte Entwicklung voranzutreiben, sollten wir unsere
Schwächen identifizieren und beheben, um Entwicklungspotentiale zu erschließen
und die Wachstumsdynamik aufrecht zu erhalten.“8
Kein Gleichgewichtszustand: Grenzen überwinden
In dieser und anderen Reden über die Konzepte der Entwicklung hat Xi
betont, daß der Weg zur Überwindung solcher Widersprüche in
wissenschaftlich-technischer Kreativität und Innovation besteht. Xi erkennt
ganz offensichtlich, daß es so etwas wie einen „Gleichgewichtszustand“ nicht
gibt, sondern einen Prozeß des Fortschritts und des nachhaltigen Wachstums,
auch wenn er betont, daß das Ziel ein qualitatives und nicht nur quantitatives
Wachstum ist.
Die Menschen im Westen hören ständig, die moderne Zivilisation sei vor die
Wand gefahren, die Grenzen des Wachstums und der technologischen Entwicklung
seien erreicht, die Tragfähigkeit der Erde stoße an ihre Grenzen, und die
einzige Lösung bestehe darin, die Industrialisierung zu verlangsamen und
umzukehren und die Weltbevölkerung zu reduzieren, weil wir das Wachstum nicht
unbegrenzt fortsetzen können.
© EIR
Abb. 8: Dieses Diagramm der menschlichen Bevölkerungsentwicklung in der
Geschichte spiegelt die einzigartige Eigenschaft des Menschen unter allen uns
bekannten Lebewesen wider: Unsere Spezies durchbricht ständig die Grenzen
ihres Wachstums, indem sie neues Wissen schafft, das neue Ressourcen
erschließt und die Produktionskräfte der Arbeit erhöht.
Die Verfechter des Nullwachstums stützen ihre Theorien schon immer auf
einen fiktiven „Gleichgewichtszustand“ in der Natur zwischen begrenzten
natürlichen Ressourcen und den biologischen Bedürfnissen aller Arten – auch
der Menschen – auf diesem einzigen Planeten! Aber das Leben selbst, die
Biosphäre und die menschliche Spezies haben bewiesen, daß es keinen solchen
statischen Gleichgewichtszustand gibt, sondern ein ständiger Prozeß von
Fortschritt und Entwicklung stattfindet. Dieser Entwicklungsprozeß stößt
allerdings immer wieder auf bestimmte Grenzbedingungen, wenn eine bislang
wesentliche „natürliche Ressource“ erschöpft ist. Kreative und revolutionäre
Technologiesprünge durchbrechen jedoch diese Grenzbedingung und bringen das
Leben auf eine neue und intensivere Plattform des Fortschritts. Mit anderen
Worten, wenn eine Gesellschaft auf eine Mauer trifft, muß sie sich eine Leiter
bauen und auf die Mauer klettern, um auf die neue, aber höhere Plattform der
wirtschaftlichen Entwicklung zu gelangen. Diese Leiter ist der
wissenschaftlich-technische Fortschritt (Abbildung 8).
Kreativität: die größte, unendliche Ressource
Zur Rolle der Wissenschaft als Motor für die Entwicklung eines Landes
erklärte Präsident Xi in einer Rede auf der Fünften Plenartagung des 18.
Zentralkomitees am 29. Oktober 2015:
„Innovative Entwicklung konzentriert sich auf die Wachstumsmotoren. Unsere
Innovationsfähigkeit ist unzureichend. Unsere Wissenschaft und Technik ist
noch nicht vollständig entwickelt und kann keine Impulse zur Förderung der
wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung geben. Das ist die Achillesferse für
eine so große Wirtschaft wie China.“9
Bezüglich des Vorrangs der menschlichen Kreativität vor den sogenannten
natürlichen Ressourcen betonte Xi:
„Deshalb müssen wir Innovation als primäre Triebkraft des Wachstums und
Kern dieses gesamten Unternehmens und die menschlichen Ressourcen als die
primäre Quelle zur Förderung der Entwicklung betrachten. Wir sollten
Innovationen in Theorie, Systemen, Wissenschaft und Technik sowie Kultur
fördern und Innovation zum vorherrschenden Thema in der Arbeit der Partei und
der Regierung sowie in der täglichen Arbeit in der Gesellschaft
machen.“10
Xi erläuterte seinen Parteigenossen die Auswirkungen des wissenschaftlichen
Fortschritts seit der Renaissance auf die industrielle Entwicklung Europas und
später der Vereinigten Staaten:
„Im 16. Jahrhundert begann für die menschliche Gesellschaft eine
beispiellose Periode aktiver Innovation. Die Errungenschaften der
wissenschaftlichen Innovation in den letzten fünf Jahrhunderten sind größer
als die Summe mehrerer vorangegangener Jahrtausende... Jede wissenschaftliche
und industrielle Revolution hat die Sichtweise und das Muster der
Weltentwicklung grundlegend verändert... Seit der zweiten industriellen
Revolution haben die USA die globale Hegemonie aufrechterhalten, weil sie
immer der führende und größte Nutznießer des wissenschaftlichen und
industriellen Fortschritts waren.“11
Xi äußert keine Frustration oder Neid über die fantastischen Fortschritte
Europas und der Vereinigten Staaten in der Vergangenheit, sondern fordert sein
Volk auf, aus diesen Erfolgen zu lernen. Wie Konfuzius in den Analekten
sagt: „Wer lernt, aber nicht denkt, ist verloren. Aber wer denkt, ohne zu
lernen, ist in großer Gefahr.“
Präsident Xis Gedanken stehen sichtlich im Einklang mit denen des
amerikanischen Ökonomen Lyndon LaRouche, der Volkswirtschaft
naturwissenschaftlich definiert und behandelt hat, so wie man auch die Physik
behandelt. LaRouche, der Pionier der Physikalischen Ökonomie, definierte den
Prozeß des Fortschritts der Gesellschaft als den Aufbau neuer
Wirtschaftsplattformen.
LaRouches Sicht der Wirtschaft: eine Abfolge von Wirtschaftsplattformen!
Abb. 9: Lyndon LaRouche (1922-2019) in einer Live-Sendung im Jahr 2010.
Nach seinem Dienst im Zweiten Weltkrieg widmete sich der Ökonom und
Staatsmann Lyndon LaRouche (Abbildung 9) einem zentralen Problem für
das Verständnis von Wirtschaftswachstum: daß es unmöglich erscheint, den
inkommensurablen Wert wissenschaftlicher Revolutionen darzustellen. Als
Beispiel für die damit verbundenen Schwierigkeiten betrachte man die Anfänge
der Dampfmaschine.
Diese neue Technik wandelte die Kraft der Kohle, die als Wärmequelle
genutzt wurde, in eine Quelle von Bewegung um und machte sie damit
unvergleichlich wertvoller. Die Möglichkeit, den Produktionsprozeß von der
Muskelkraft von Menschen und Tieren sowie von lokalen Besonderheiten wie der
Verfügbarkeit von Wind oder fließendem Wasser unabhängig zu machen, veränderte
die Wirtschaftsgeographie grundlegend. Die Produktivkraft eines Arbeiters
erhöhte sich um eine Größenordnung. Waren, die früher mit der Hand hergestellt
werden mußten und deshalb nur den Reichen zur Verfügung standen, konnte man
nun in größerer Zahl effizient produzieren und einer breiteren Bevölkerung
zugänglich machen.
Wie kann man diese verschiedenen Vorteile – bei der Veränderung von
Ressourcen, der Steigerung der Produktivität und der veränderten Bedeutung der
Geographie – wissenschaftlich erfassen?
LaRouche beginnt seine Theorie, indem er den wichtigsten Maßstab der
menschlichen Wirtschaft betrachtet, nämlich die potentielle
Bevölkerungsdichte, die eine Gesellschaft bei einem bestimmten Stand der
kulturellen und wissenschaftlichen Entwicklung erreichen kann, angepaßt an die
geographischen Bedingungen (einschließlich vom Menschen vorgenommene
Verbesserungen dieser Geographie). Dieses Maß, die potentielle relative
Bevölkerungsdichte, liefert ein grobes Verständnis der Wirtschaftskraft
einer Zivilisation. Wahrer wirtschaftlicher Wert liegt in den Prozessen und
Entwicklungen, die dazu beitragen, dieses Maß zu erhöhen.
Ein weiterer Maßstab, den LaRouche betont, ist die Intensität der
Kraftquellen, die eine Gesellschaft verwendet – sowohl am Produktionsort als
auch, weiter gefaßt, pro Kopf und pro Landfläche –, die mit dem
Wirtschaftswachstum ansteigen muß. Dieses Maß, die Energieflußdichte,
beinhaltet sowohl die quantitative Erhöhung der verfügbaren Leistung als auch
ihren Qualität, ausgedrückt in ihrer Intensität bzw. Dichte. So hat
beispielsweise ein Laser eine höhere Energiedichte als eine
Metallschneidemaschine, kann aber auch ein Metallteil mit weniger
Gesamtenergie schneiden. Das spiegelt die höhere Energieflußdichte
wider, die der Laser verkörpert. Ein ähnliches Beispiel ist der
Gesamtenergieverbrauch in einer Volkswirtschaft im Vergleich zum
Stromverbrauch, einer stärker konzentrierten Form der Energie.
Zu den Konzepten der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte und
der Energieflußdichte kommt noch ein weiteres hinzu: das Konzept der
ökonomischen Plattform, das noch eine Stufe über dem der Infrastruktur
steht.
Die Menschheit erschafft
Im Zuge unseres Fortschritts verlassen wir uns zunehmend auf eine
verbesserte Umwelt. Statt auf von Tieren getretenen Pfaden zu laufen oder auf
natürlichen Flüssen zu schiffen, benutzen wir Autostraßen, Eisenbahnen,
U-Bahnen, Gehwege. Wir arbeiten zunehmend in künstlich beleuchteten Gebäuden
und fahren in geschlossenen Fahrzeugen, sicher vor Witterungseinflüssen,
anstatt ungeschützt im Freien zu arbeiten und zu reisen. Diese Grundlage, auf
die wir angewiesen sind, diese künstlich geschaffene Umgebung, wird häufig als
Ansammlung von Elementen der „Infrastruktur“ beschrieben. LaRouche geht bei
diesem Konzept einen neuen Weg, so in einer Schrift aus dem Jahr 2010:
„Wir sollten dann erkennen, daß die Entwicklung der grundlegenden
wirtschaftlichen Infrastruktur immer eine notwendige Schöpfung dessen war, was
zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Existenz unserer menschlichen Gattung als
eine ,synthetische' – statt vermeintlich ,natürliche' – ,bewohnbare' Umwelt
erforderlich ist, um menschliches Leben und Handeln zu verbessern oder
überhaupt zu ermöglichen...
Der Mensch als Schöpfer nach dem Vorbild des Großen Schöpfers äußert sich
in der Schöpfung der ,künstlichen Umgebungen' durch die Menschheit, die wir
manchmal ,Infrastruktur' nennen, von welcher der Fortschritt und sogar der
bloße Fortbestand der zivilisierten Gesellschaft abhängt.“12
LaRouche entwickelt ein neues Konzept der Geschichte der menschlichen
Entwicklung aus der Sicht einer Abfolge von Wirtschaftsplattformen. Die
frühesten menschlichen Zivilisationen waren in ihrer Bewegung zu Lande und auf
den Meeren und Flüssen eingeschränkt. Dabei erforderte die Schiffahrt die
Technologien des Schiffbaus und der Navigation. Der Himmel diente als
Infrastrukturplattform, seine Sterne als Orientierungshilfe. Der Bau neuer
Flüsse in Form von schiffbaren Kanälen markierte die nächste große Stufe des
menschlichen Fortschritts und bot eine neue Plattform für die Entwicklung. Der
Wert des Landes veränderte sich, weil Gebiete, die weit von Siedlungen an den
Küsten und Flüssen lagen, erreichbar wurden, u.a. durch zusätzliche
Straßennetze.
Die nächste große Plattform waren die Eisenbahnen – Flüsse aus Stahl –, bei
denen wir die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Metallurgie und der
Dampfmaschine nutzten, um unsere Beziehung zu Land, Raum und Zeit zu
verändern. Entfernungen, die bis dahin nur in Wochen überbrückbar waren,
konnten nun in Tagen überwunden werden. Die Möglichkeiten des Schienenverkehrs
erhöhten die Vernetzung und das wirtschaftliche Potential des Landes.
Die nächsten großen Plattformen, auf denen die menschliche Zivilisation
basieren wird, werden sich auf neue Technologien mit höherer Energieflußdichte
stützen.
Mit der Realisierung der Kernfusion, die auf den bereits erzielten
Erkenntnissen der kontrollierten Kernspaltung aufbaut, wird sich unser
Verhältnis zu Reisen und Ressourcen grundlegend verändern. Die Verarbeitung
von Erzen, die heute den Einsatz von Koks aus Kohle für ihre chemische
Umwandlung erfordern, kann sich wesentlich einfacher gestalten. Der Wert hoher
Konzentrationen von Mineralvorkommen wird sinken, da man auch niedrigere
Konzentrationen wirtschaftlich nutzen kann. Unser Verhältnis zum Wasser –
einer kostbaren Ressource, die wir in großen Mengen benötigen – wird eine neue
Form annehmen, wenn wir mit der Kernfusion Wasser aus den gewaltigen Meeren
der Welt entsalzen. Unsere Möglichkeiten im Weltraum werden exponentiell
wachsen, wenn wir mit atomgetriebenen Raketen rasend schnell durch das
Sonnensystem fliegen und Asteroiden, die auf die Erde zu stürzen drohen, auf
sichere Bahnen umlenken!
In dieser ganzen Analyse spielt Geld nur eine untergeordnete, wenn auch
wichtige Rolle. Geld ist kein geeigneter Maßstab, um der Dampfmaschine, der
Entwicklung der Eisenbahnen, der Apollo-Mondmission der 60er Jahre oder dem
bevorstehenden Durchbruch der Kernfusion einen Wert zuzuweisen. In allen
diesen Fällen erhöht sich die potentielle Bevölkerungsdichte der menschlichen
Gattung, Prozesse mit höherer Energieflußdichte werden genutzt oder
ermöglicht, und es entsteht eine höhere Plattform der „künstlich“ geschaffenen
Umwelt, auf der sich ganz neuartige Aktivitäten entfalten können.
LaRouche setzte sich hartnäckig für die Schaffung von wirtschaftlichen und
politischen Systemen ein, die mit den Gesetzen der physikalischen Ökonomie in
Einklang stehen – das heißt: nationale und internationale Kreditsysteme, in
denen langfristige Kredite für Projekte bereitgestellt werden können, die die
physische Produktivität der Nation oder Gesellschaft steigern – sehr oft unter
Umständen, unter denen solche Investitionen für einen privaten Investor
finanziell nicht rentabel wären. Anstatt unter vermeintlichen
volkswirtschaftlichen „Gesetzen“ zu leiden, die keine universelle Gültigkeit
haben, muß das Finanzsystem selbst dem schöpferischen Willen des Menschen
unterworfen und mit den langfristigen Zielen der Art in Einklang gebracht
werden.
Der Schlüssel zur Aufwertung unseres Potentials ist die Eroberung des
Weltraums, dieses gewaltigen Bereichs, der immer über unseren Köpfen liegt und
uns einlädt, hinaufzublicken und groß zu denken! Vom Weltraum aus betrachtet
gibt es nur eine Erde, die von einer einzigen Menschheit bevölkert ist. Aus
dem Raum wird das überwältigende Potential dieser schönen, kreativen Spezies
sichtbar. Aus diesem Grund haben viele der größten Weltraumvisionäre und
Konstrukteure tiefe Gedanken über die Menschheit entwickelt. Ein Beispiel
dafür ist der Deutsch-Amerikaner Krafft Ehricke.
Eine nicht erdgebundene Gattung
© EIRNS/Stuart Lewis
Abb. 10: Krafft A. Ehricke
Der Weltraumvisionär Ehricke (Abbildung 10), dessen
wissenschaftliche Beiträge das Apollo-Programm ermöglichten, widersprach der
Philosophie der „Grenzen des Wachstums“ heftig, und seine Argumente waren von
seinem starken Engagement in Wissenschaft und Technik geprägt. In einer Rede
im Jahr 1984 sagte Ehricke:
„Wenn man eine Nullwachstums-Philosophie hat und ins Mittelalter
zurückgeht, dann schafft man ein Umfeld, in dem das, was man von den Menschen
fordert – nämlich mit weniger zu leben und sehr bescheiden zu sein, und dies
und jenes zu sein und nicht zu wachsen –, unmöglich ist, weil unter diesen
Bedingungen ein Kampf jeder gegen jeden ausbrechen muß. Wir sind schon weit
fortgeschritten, wir müssen weitergehen. Das Leben zeigt uns, daß der
technische Fortschritt der richtige Weg ist. Aber basierend auf diesen
technischen Fortschritten müssen die Fortschritte der Spezies und die
Fortschritte unserer Zivilisation kommen.“ 13
Ehricke argumentierte, daß die organische Materie im Laufe der Evolution
auf der Erde einer solchen Krise ausgesetzt war und sie überwunden hat:
„Die Erde war wie eine riesige Blume, die Sonnenenergie aufsaugte und auch
andere Energie nutzte, um grundlegende organische Verbindungen und Aminosäuren
zu bilden. Und als sich hier das Leben zu regen begann, lebte es von diesen
fossilen Stoffen – Haldanes berühmte ,Suppe, die sich selbst auffrißt’, oder
so ähnlich –, und natürlich gingen die Ressourcen irgendwann zur Neige. Und es
ereignete sich die erste große Lebenskrise auf diesem Planeten, weil sie von
zuvor erzeugten organischen Substanzen und schließlich voneinander lebten: die
heterotrophen Zellen von den autotrophen Zellen – sozusagen die Vorläufer der
Pflanzenfresser, der Heterotrophen, und der Pflanzen, der Autotrophen.
Dann geschahen Dinge zum ersten Mal: Das, was eine absolute Grenze für das
Wachstum zu sein schien, war keine Grenze für das Wachstum. Es war ein
Hindernis, das überwunden werden mußte, und es wurde von technischem
Fortschritt überwunden, einem unglaublichen technischen Fortschritt, nämlich
der Photosynthese.“
Ehricke bezeichnete diesen Fortschritt, bei dem die organische Materie im
Weltraum eine neue, außerirdische Ressource – die Sonnenstrahlung – für ihre
Weiterentwicklung und ihr Überleben fand, als die „erste industrielle
Revolution“
Er forderte die Menschheit auf, das gleiche zu tun, indem sie in den
Weltraum reist, um die unbegrenzten Ressourcen, die uns das Sonnensystem und
das Universum bietet, zu erforschen und zu nutzen: „Das geht also weit über
das Frühere hinaus. Und aus diesem und einigen anderen Gründen überschreitet
der Informations-Metabolismus die planetaren Grenzen, und er ist der
Stoffwechsel, durch den jetzt das Leben selbst in den Raum vordringt.“
Krafft Ehricke faßte seine Philosophie der Raumfahrt in drei Gesetzen
zusammen, die er 1957 formulierte:
„Erstes Gesetz: Niemand und nichts in den Naturgesetzen des
Universums legt dem Menschen irgendwelche Beschränkungen auf, außer der Mensch
selbst.
Zweites Gesetz: Nicht nur die Erde, sondern das gesamte Sonnensystem und
alles im Universum, was er im Rahmen der Naturgesetze erreichen kann, ist das
angemessene Feld für die Aktivitäten des Menschen.
Drittes Gesetz: Indem er sich im Weltall ausbreitet, erfüllt der Mensch
sein Geschick als Element des Lebens, ausgestattet mit der Macht der Vernunft
und der Weisheit des moralischen Gesetzes in sich.“14
© NASA/Neil Armstrong
Abb. 11: Der Astronaut Buzz Aldrin auf der Oberfläche des Mondes.
© NASA
Abb. 12: Künstlerische Darstellung der Industrialisierung des Mondes.
In krassem Gegensatz zu der Litanei „Wir haben keinen zweiten Planeten“,
die bei Umweltanliegen ständig nachgebetet wird, haben die Feiern zum 50.
Jahrestag der Mondlandung (Abbildung 11) mit der Apollo-11-Mission
(Neil Armstrong, Edwin „Buzz“ Aldrin und Michael Collins) der USA am 20. Juli
1969 eine neue Welle des Optimismus in der ganzen Welt ausgelöst, weil solche
bahnbrechenden Errungenschaften die Menschen an ihre wahre Mission im Leben
auf der Erde und im Universum erinnern: die Mission, schöpferisch zu
wirken, neue Grenzen von Wissen, Wissenschaft und Technik zu entdecken und zu
erforschen, während man gleichzeitig unzählige Probleme und Konflikte löst,
die Folgen der pessimistischen und zynischen Sichtweise sind, daß die Natur
des Menschen Egoismus sei und Nationen die natürliche Tendenz hätten, sich
gegenseitig zu untergraben und um vermeintlich begrenzte Ressourcen zu
kämpfen.
Die „Zukunftsgemeinschaft für die Menschheit“ –
das Konzept, das der chinesische Präsident Xi Jinping auf der
UN-Vollversammlung im September 2015 vorstellte – sollte nicht mehr an die
Erde gebunden sein, sondern sich überall dorthin erstrecken, wohin die
menschliche Zivilisation im Sonnensystem und im weiteren Universum
hinausreicht (Abbildung 12). Wir sollten die Früchte der
Weltraumforschung aller Nationen feiern, und alle Nationen sollten sie teilen.
Genauso denken die besten amerikanischen und europäischen Astronauten und
Weltraumforscher. Als Armstrong die Mondoberfläche betrat, sagte er, dies sei
„ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein gewaltiger Sprung für die
Menschheit“. Er proklamierte es bewußt nicht als „großen Sprung für Amerika“,
sondern für die ganze Menschheit, weil er die volle Bedeutung dieser Leistung
verstand.
Buzz Aldrin forderte kürzlich in einem Beitrag zu einer Veranstaltung der
George Washington-Universität mit dem Titel „Ein gewaltiger Sprung:
Weltraumdiplomatie in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ die Schaffung
einer „Internationalen Weltraum-Allianz“, in der die USA mit den
Raumfahrtprogrammen Chinas, Rußlands, Europas, Japans und Indiens
zusammenarbeiten. Er argumentierte zu Recht, kein Land allein könne die
Kolonisierung des Mondes und seine Nutzung als Startbasis für bemannte
Marsmissionen effizient bewältigen. Neben der technischen Notwendigkeit ist
die Zusammenarbeit auch ein Mittel, um weltweit Frieden zu schaffen und die
wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit zu fördern, die letztendlich
alle Nationen der Welt einbeziehen sollte.
Harrison („Jack“) Schmitt, einer der Astronauten der Apollo-17-Mission, der
die letzte bemannte Landung auf dem Mond mitmachte und der vielleicht der
einsichtsvollste Sprecher des Raumfahrtprogramms ist, sagte dem Daily
Telegraph: „Die Besiedelung von Mond und Mars ist äußerst wichtig für die
Ausbreitung der menschlichen Gattung im gesamten Sonnensystem und
möglicherweise darüber hinaus.“15 Schmitt sagte, wenn man sich den
„100. Jahrestag von Apollo“ vorstelle, werde es zu diesem Zeitpunkt
„Siedlungen auf dem Mond geben, Menschen, die dort dauerhaft leben und die
Ressourcen des Mondes fördern... Siedlungen auf dem Mond werden ein
Kinderspiel sein.“
© NASA
Abb. 13: Künstlerische Darstellung des Starts eines Weltraumtransporters
von einer Landesonde auf dem Mond.
Die besondere Eignung des Mondes als Startbasis für die Verwirklichung
weiterer Raumträume ergibt sich aus seinen physikalischen Eigenschaften. Der
Mondregolith (Boden) enthält einzigartige Ressourcen, seine geringe Masse
ermöglicht einfache Starts, und seine Nähe zur Erde macht ihn zu einem günstig
gelegenen Ort (Abbildung 13).
Eine der einzigartigen Ressourcen des Mondes betrifft die
Energieversorgung. Die besten Konzepte für die Nutzung der Fusionsenergie
erfordern Kernreaktionen ohne Freisetzung von Neutronen (ungeladene Partikel,
die sich nicht durch elektromagnetische Felder kontrollieren lassen), und der
ideale Brennstoff für diese Reaktionen ist Helium-3. Dieses spezielle
Heliumisotop ist auf der Erde fast gar nicht vorhanden, wird aber ständig von
der Sonne ausgestoßen. Da der Mond kein Magnetfeld (und keine Atmosphäre) hat,
wird dieser von der Sonne großzügig ausgestoßene Brennstoff vom Mondboden
aufgefangen, wo heute Millionen von Tonnen existieren. Dieses Heliumisotop,
der beste Brennstoff für die Kernfusion, kann der Menschheit sowohl im
Weltraum als auch auf der Erde dienen, um den Energiebedarf aller Nationen
wahrscheinlich auf Jahrhunderte zu decken.
Die Industrialisierung des Mondes bietet noch einige andere Vorteile. Man
kann das Wasser auf dem Mond in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegen und sie
als Treibstoff für Raketen verwenden. Man kann Metalle abbauen, um vor Ort auf
dem Mond eine Industrie zu schaffen. Diese Industrie wird von der geringen
Größe des Mondes profitieren: Infolge der geringeren Schwerkraft auf dem Mond
braucht man weniger als ein Zehntel der Energie, um eine Nutzlast von der
Oberfläche des Mondes zur Erdumlaufbahn zu heben, verglichen mit der Energie,
die man benötigen würde, um die gleiche Nutzlast von der Erdoberfläche in die
Erdumlaufbahn zu bringen. Und da der Mond relativ nah ist, ist die Reisezeit
nicht lang.
Schmitt betonte diese Vorteile der Erschließung des Mondes:
„Helium-3 ist ein idealer Brennstoff für die Stromerzeugung, da es keinen
radioaktiven Abfall erzeugt und der Bedarf an elektrischer Energie nicht
abnehmen wird; die Zivilisation ist darauf angewiesen, und dies ist eine der
wichtigsten potentiellen und langfristigen Quellen.
Die Trümmerschicht des Mondes bietet die Möglichkeit, Wasser, Wasserstoff
und Sauerstoff als Brennstoffe zu produzieren. Sie ist auch sehr fruchtbar,
wenn man also Nahrungsmittel erzeugen will, ist das machbar. Siedlungen auf
dem Mond werden ein Kinderspiel sein.“
Die Industrialisierung des Mondes kann ein gemeinsames Entwicklungsprojekt
der ganzen Welt werden. Sie eröffnet nicht nur die Pioniergebiete des
Weltraums, sie fegt auch die pessimistische und unwissenschaftliche Ideologie
der begrenzten Ressourcen beiseite. Eines der wichtigsten Ziele der
chinesischen Mondmission ist das Sammeln von Helium-3, das auf der
Mondoberfläche in einzigartiger Weise reichlich vorhanden ist.
Schlußbemerkung
Lyndon LaRouche ist bekannt für seinen Einsatz für die Kernfusion und ein
ausgereiftes Mond-Mars-Programm, das jahrzehntelang als Motor für neue
wissenschaftliche und technologische Durchbrüche dienen würde. In seinem
Präsidentschaftswahlkampf 1988 produzierte er ein halbstündiges Video „Die
Frau auf dem Mars“ (The Woman on Mars), worin er sein Programm für das
allgemeine Publikum der amerikanischen Wählerschaft und für Denker in aller
Welt detailliert darlegt.
In einem Vortrag im Jahr 2010 stellte LaRouche die Beweggründe dar, warum
die Menschheit in den Himmel vorstößt:16
„Deshalb müssen wir zum Mars, nicht weil wir dorthin wollen, sondern weil
wir es nicht versäumen dürfen, hinzukommen! ... Wir gehen zu
einem neuen Konzept der grundlegenden wirtschaftlichen Infrastruktur über, die
mit den Weltraumpionieren in den 1920er Jahren begann... Wir begannen zu
erkennen, daß die Menschheit eine neue Dimension braucht, über
Eisenbahnen hinaus, über alte Wassersysteme hinaus, eine neue Dimension für
die Selbstverwirklichung der Menschheit im Sonnensystem.
Es geht nicht nur darum, ,dorthin zu gelangen’. Es geht darum, dem Menschen
eine Mission zu geben, eine natürliche Mission für die Menschheit, auf die wir
die Kultur gründen werden, die die Möglichkeiten der Menschheit ausweitet und
auch die Sicherheit der Menschheit erhöht. Das heißt, wir müssen uns selbst
weiterentwickeln, anstatt nur auf einem Planeten herumzusitzen und diesen
Planeten zu erschöpfen und nichts anderes zu tun, als fett und faul zu werden.
Stattdessen sollten wir uns eine Mission vornehmen!
Laßt uns 75 Jahre vorausblicken, drei Generationen. Und gehen wir von dem
aus, was wir jetzt haben: Wir haben eine Jugend, junge Menschen unter 25
Jahren, die sich in einem katastrophalen Bildungszustand befindet. Sie werden
nirgendwo hinkommen, es sei denn, wir tun etwas für sie. Wir müssen ihnen eine
Aufgabe und eine Chance geben, die sie inspiriert, damit ihre Kinder nicht so
verdammt dumm sind. Deshalb braucht man drei aufeinander folgende Generationen
der Entwicklung...
Ich bin sicher, daß wir die wissenschaftlichen und technischen Fähigkeiten
über drei aufeinander folgende Generationen weiterentwickeln können, indem wir
diese ganze Zeit über unsere Menschen auf ein höheres Produktivitätsniveau
bringen, um auszugleichen, was wir verloren haben, und um darüber
hinauszugehen...
Wir wissen, daß wir den Mond, der uns mit der von uns bereits entwickelten
Technik leicht zugänglich ist, erschließen müssen. Wir wissen, daß wir eine
Industrie auf dem Mond aufbauen können, weil man viele Dinge nicht von der
Erde hinaufheben und von der Erde hinaufschleppen will – das ist einfach mit
viel zuviel Aufwand verbunden. Fliegt zum Mond, bringt eure Technologie zum
Mond, entwickelt Industrie auf dem Mond: Man kann dort die Raumschiffe und
anderes bauen, was man braucht, um zum Mars zu fliegen!“
Der Mondregolith enthält viele der Grundelemente, die für die industrielle
Produktion von Raketenkomponenten und Treibstoff erforderlich sind. Es enthält
sogar ein spezielles Heliumisotop, Helium-3, das als idealer Brennstoff für
die Kernfusion dienen kann und alles auf der Erde wirtschaftlich sinnvoll
Verfügbare übertrifft. Und wenn die Komponenten auf dem Mond gebaut sind,
können sie leicht in den Erdorbit gebracht werden. Der Transport von
Nutzlasten von der Mondoberfläche zur Erdumlaufbahn kostet nicht einmal 10%
der Energie, sie von der Erdoberfläche zur Erdumlaufbahn zu bringen!“
LaRouche fuhr fort:
„Warum fliegen wir zum Mars? Weil das in der Natur des Menschen liegt: Die
Natur des Menschen äußert sich darin, daß wir keine Gattung mit festgelegtem
Verhalten sind. Wir sind eine Gattung, die sich weiterentwickeln muß, so wie
die Menschheit sich trotz aller Rückschläge schon entwickelt hat. Die
Menschheit hat sich seit der Zeit, für die wir die ersten Belege des Menschen
auf diesem Planeten haben, stark verbessert. Verbessert durch Technik,
durch intellektuelle Entwicklung, angeregt durch Technologie, durch
Verbesserungen in der Kultur, insbesondere der klassischen Kultur.
Und der Zweck des Menschen ist es, seinen Platz im Universum zu finden.
Machen Sie sich keine Sorgen darüber, was das Ziel ist. Wir müssen unseren
Platz im Universum finden: Wir müssen uns entwickeln! Die Menschheit ist
kreativ. Die Menschheit muß erschaffen! Die Menschheit muß sich
entwickeln!
Und wenn wir das tun – das Raumfahrtprogramm, wie wir es entwickeln würden
–, ist meine Einschätzung, daß es drei Generationen dauern wird, bis wir die
Fähigkeit entwickelt haben, Menschen tatsächlich sicher auf den Mars zu
bringen, das Problem der Gravitation im interplanetaren Flug zu lösen und so
weiter. Wir können es schaffen! Wir haben noch keine Bevölkerung, die für
diese Mission ausgebildet ist. Aber wir haben eine Bevölkerung, die
bereitsteht, aus der Verzweiflung herausgeholt zu werden und dafür zu planen,
daß die Enkel der jungen Menschen von heute dieses Problem lösen werden! Und
es sollte unsere Mission sein, der Vereinigten Staaten insbesondere und der
ganzen Erde, sich dieser Aufgabe zu widmen, um der Menschheit einen
Sinn und ein klares Ziel für eine Zukunft zu geben, die der Menschheit gehören
sollte.
Die Menschheit wurde zu einem bestimmten Zweck in dieses Universum
gebracht. Wir sind uns nicht immer ganz sicher, was dieser Zweck ist. Aber
eines wissen wir mit Sicherheit: Es erfordert die Entwicklung der geistigen
Kräfte der Menschheit, der geistigen Kräfte des Fortschritts des Menschen –
das hat die Geschichte gezeigt. Wenn es etwas bedeutet, Kinder und Enkel zu
haben, dann besteht die Zukunft darin, dafür zu sorgen, daß die Kinder und
Enkelkinder eine Stufe nach oben gehen, zu dem, was heute noch unmöglich ist.
Und wir sollten das tun, was wir bisher getan haben, aufgrund unserer
bisherigen Erfahrungen, um die Art von Fortschritt, die Veränderungen im
Verhalten und Fortschritt und die Zunahme der Macht der Menschheit zu
schaffen, um große Probleme, wie etwa Krankheiten und Probleme aller
Art zu lösen.“
Drei Generationen in der Zukunft
Was ist der wichtigste Brennpunkt für diese menschliche Mission? LaRouche
gibt die Antwort:
„Deshalb müssen wir dem ganzen einen Namen geben, und der Name, den wir ihm
kurzfristig geben, ist die Marsmission. Und wir sagen, daß wir
innerhalb von drei Generationen dieses heruntergekommene Land, dieses arme,
gebrochene, ruinierte und verratene Land übernehmen werden und in
Zusammenarbeit mit anderen Ländern auf diesem Planeten die Technologien und
die Menschen entwickeln, die diese Mission erfüllen können, und die den
Menschen Schritt für Schritt zu seiner wahren Würde führen, um den Platz der
Menschheit im Universum zu erkennen. Nicht bloß zu dem, was wir im Universum
tun werden, sondern letztendlich, um zu wissen, daß wir da sind!
Das ist es, was wir brauchen.
Wissen Sie, die Leute reden von Unsterblichkeit und so weiter – was
bedeutet das? Bloß ein Mensch mehr, der gezeugt wird, um die zu ersetzen, die
gestorben sind? Nein. Unsterblichkeit ist die Gewißheit, daß man heute lebt,
weil man etwas tut, was zur Entwicklung der menschlichen Macht in der Zukunft
beiträgt. Unsere Unsterblichkeit liegt in den Enkeln und weiter in den
Urenkeln. Unsere Unsterblichkeit, der Sinn unseres Lebens ist das, was
dabei herauskommt! Daß wir ein fester Bestandteil des Universums sind!
Denn durch die Entwicklung innerhalb des Universums haben wir gezeigt, daß wir
mehr sind als ein Tropfen auf diesem Planeten: Wir sind ein Teil des
Universums für immer!
Abb. 14: Die Autoren Hussein Askary (links) und Jason Ross
mit ihrem Bericht „Verlängerung der Neuen Seidenstraße nach Westasien und
Afrika“.
Und das sollte uns motivieren.“
Diese Orientierung auf eine große Mission kann uns inspirieren, die
notwendigen Plattformen der wirtschaftlichen Entwicklung zu entwickeln, um den
Menschen aller Länder der Welt ein Leben zu ermöglichen, das es uns
ermöglicht, sinnvoll danach zu streben, etwas von bleibendem Wert zur gesamten
Menschheitsgeschichte beizutragen.
Dieser Entwicklungsprozeß, dieses Ziel endlos weiter zu verfolgen, ist im
wahrsten Sinne des Wortes der nachhaltigste.
Die Verfasser (Abbildung 14) sind die Autoren des Sonderberichts
Extending the New Silk Road to West Asia and Africa“ (https://schillerinstitute.com/extending-new-silk-road-west-asia-africa)
des Schiller-Instituts vom November 2017. Hussein Askary (hussein.askary@brixsweden.com,
www.brixsweden.com)
ist irakisch-schwedischer Staatsbürger, Gründungsmitglied des Belt and Road
Institute in Schweden (BRIX). Jason Ross (jason@21stcenturysciencetech.com,
www.21sci-tech.com)
ist amerikanischer Staatsbürger und Chefredakteur des Magazins 21st
Century Science and Technology. Beide sind langjährige Mitglieder des 1984
von Helga Zepp-LaRouche gegründeten Internationalen
Schiller-Instituts.
Anmerkungen
1. Die ehemalige norwegische Premierministerin Gro Harlem Brundtland
leitete die von den Vereinten Nationen einberufene Weltkommission für Umwelt
und Entwicklung, die 1987 den Bericht „Our Common Future“, auch bekannt als
Brundtland-Report, veröffentlichte, siehe:
http://www.un-documents.net/wced-ocf.htm
2. Präsident Xi Jinping kündigte im September 2013 in einer Rede an der
Nasarbajew-Universität in Kasachstans Hauptstadt Astana die Schaffung des
„Wirtschaftsgürtels der Seidenstraße“ an. Der Gürtel ist ein landgestützter
Wirtschaftskorridor, der sich von Ostchina bis Westeuropa erstreckt und 69
Nationen in seinen Weg einbezieht. Einen Monat später kündigte er im
indonesischen Jakarta die Absicht an, gemeinsam mit anderen Nationen die
Maritime Seidenstraße des 21. Jahrhunderts zu starten. Dazu gehört der Bau
zahlreicher Häfen auf den Seewegen des Pazifiks, des Indischen Ozeans und des
Mittelmeers. Die beiden Projekte ergänzen sich und bilden zusammen die Belt
and Road Initiative (BRI), siehe: http://english.gov.cn/beltAndRoad/
3. Siehe „Pakistan’s Trade Deficit Stands at $30.19B“, Salman Siddiqui,
Express Tribune, 14. August 2018:
https://tribune.com.pk/story/1780174/2-pakistans-trade-deficit-stands-3-19b/
4. Zahlen aus dem „State of Industry Report 2015“ der Nationalen
Aufsichtsbehörde Pakistans für die Stromversorgung, verfügbar unter https://nepra.org.pk/Publications/State%20of%20Industry%20Reports/State%20of%20Industry%20Report%202015.pdf
5. Eine detaillierte Beschreibung der am CPEC beteiligten Energieprojekte
finden Sie auf der offiziellen Website des Projekts: http://cpec.gov.pk/energy
6. Da der erwartete Leistungsfaktor von Sonne und Wind nicht mehr als 30%
betragen wird, sollte die von diesen Systemen zu erwartende Energie auf
höchstens ein Drittel ihrer nominellen Leistung geschätzt werden. Diese
Projekte sind aufgrund der geringen Intensität ihrer Energiequellen auch
teuer. Unter Berücksichtigung ihrer Kosten und ihrer wahrscheinlichen
Leistungsfaktoren wird die (sehr unregelmäßige) Stromerzeugung dieser Projekte
ein Mehrfaches der Kosten für Kohle- oder große Wasserkraftwerke
verursachen.
7. Eine vorübergehende Ausnahme bilden die wenigen Länder, die aufgrund
ihrer Geographie in der Lage sind, große Wasserkraftwerke und Geothermie zu
nutzen. Island ist derzeit ein solches Beispiel. Aber die zukünftige
Entwicklung erfordert Energie, die über das hinausgeht, was mit diesen Mitteln
bereitgestellt werden kann.
8. Xi Jinping, The Governance of China, Vol. II, S. 226-227
(Hervorhebung hinzugefügt).
9. Siehe The Governance of China, Vol. II, S. 217. Rede mit
dem Titel „Leitfaden Entwicklung mit neuen Konzepten“.
10. Ebd., Hervorhebung hinzugefügt.
11. Ebd.
12. Lyndon LaRouche, „Was Ihr Buchhalter nie verstanden hat: Die
Geheimwirtschaft“, Executive Intelligence Review, 28. Mai 2010, https://larouchepub.com/lar/2010/3721secret_economy.html.
13. „Industrialisierung und Besiedelung des Mondes – Geburt der
polyglobalen Zivilisation“, vorgestellt auf der Konferenz der Nationalen
Akademie der Wissenschaften im Oktober 1984 über „Mondbasen und
Weltraumaktivitäten des 21. Jahrhunderts“.
14. Zitiert nach Marsha Freeman, Hin zu neuen Welten: Die Geschichte der
deutschen Weltraumpioniere, Washington, D.C., Wiesbaden 1995, S. 334.
15. https://www.telegraph.co.uk/science/2019/07/21/mining-moon-could-help-save-humanity-says-last-apollo-astronaut/
16. Lyndon LaRouche, „ Change Is a'Comin' “, Executive Intelligence
Review, 16. Juli 2010: https://larouchepub.com/lar/2010/webcasts/3727jun26_opener.html