"Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen.
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst."
Friedrich Schiller
  Afrika

Transaqua statt nur Nothilfe

Die Tschadsee-Konferenz in Berlin verpaßte die Chance, für ein Wirtschaftswunder zu mobilisieren, statt wieder nur für zu kurz greifende humanitäre Hilfe für die Region.

Die Kluft zwischen der westlichen Afrikapolitik, die sich hauptsächlich durch Interventionen aus sogenannten „humanitären Gründen“ offenbart, und Afrikas eigenem Wunsch nach Industrialisierung und Modernisierung wird derzeit immer größer und sichtbarer. Das deutlichste Beispiel dafür ist die Herangehensweise an die Krise in der Tschadsee-Region, in der das Austrocknen des großen Binnensees vielen Millionen Menschen die Lebensgrundlage entzogen hat.

Während eine internationale Konferenz in der nigerianischen Hauptstadt Abuja am 26.-28. Februar 2018 bereits zu dem Schluß kam, daß die horrenden Zustände in der Region nur durch das große Wassertransfer- und Infrastrukturentwicklungsprogramm „Transaqua“ wirklich beseitigt werden können, war das Auswärtige Amt in Berlin am 3. und 4. September Gastgeber einer Konferenz zur Tschadseeregion, bei der es eben keinen Raum für Diskussion über Transaqua gab und man statt dessen erneut lediglich kurzfristige regionale Nothilfe anbot.

Das Transaqua-Projekt würde Wasser der Zuflüsse des Kongo über einen 2400 km langen Kanal in den Fluß Chari bringen, um so den Tschadsee wieder aufzufüllen, der in den vergangenen 50 Jahren auf 10 Prozent seiner ursprünglichen Größe geschrumpft ist. Dafür will man in Afrika einen Entwicklungsfond in der Höhe von 50 Mrd. US-Dollar aufbauen. Acht afrikanische Regierungen unterstützen bereits eine Erklärung von Abuja, die dieses Projekt favorisiert.

Doch in Heiko Maas’ Auswärtigem Amt war von diesem groß und langfristig denkenden Geist nicht viel zu spüren. Obwohl Vertreter von 70 Nationen, internationalen Organisationen und der Zivilgesellschaft anwesend waren, bekundete man zwar stets seine Betroffenheit über der Leid der Menschen vor Ort, bot jedoch ausschließlich kurzfristigen Beistand an, der die eigentlichen Gründe des Übels nicht beseitigt. Die Maxime des Außenministers bei seiner Eröffnungsrede war schlicht, daß es ohne Sicherheit keine Entwicklung gäbe. Deshalb liefere Deutschland ein Bodenradar, Minensucher und ein Feldlazarett. 2018 und 2019 würde man je 40 Millionen Euro bereitstellen, und bis 2020 zusätzliche 100 Millionen Euro. Man werde „ein offenes Ohr für Afrika“ haben, sagte Maas, doch eine Antwort, wie die Ursachen der Tschadsee-Krise beseitigt werden sollen, blieb er schuldig.

Der stellvertretende Generalsekretär des Büros der Vereinten Nationen, in der humanitäre Angelegenheiten koordiniert werden, Mark Lowcock, beteuerte zwar, daß man den Teufelskreis der sich ständig wiederholenden Krisen durchbrechen müssen, bot aber auch nur Schlagworte wie „Sicherheit“, „friedensstiftende Maßnahmen“ und „Menschenrechte“ an. Solange man die Herausforderungen in diesen Bereichen nicht gelöst habe, sei es „nicht möglich, die ursächlichen Gründe anzugehen“, so Lowcock. Der Minister für humanitäre Maßnahmen und Katastrophenmanagement aus Niger, Laouan Magagi, sprach zwar als einer der ganz wenigen die Tatsache an, daß 90% des Tschadseewassers verschwunden und 280.000 Menschen aus der Region Diffa vertrieben worden seien, er beklagt jedoch, daß die vorhandenen finanziellen Mittel zu wenig in Entwicklungsprojekte fließen würden. Ein Journalist aus Niger hatte sich zuvor vom Publikumsmikrofon aus beschwert, daß sich zwar Hunderte von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) vor Ort tummeln würden, die Hilfsgelder aber nicht bei der Bevölkerung ankämen und statt dessen in der Sicherheitsausrüstung und den Gehältern der NGO-Helfer versickerten. Die 15- bis 18-jährigen afrikanischen Jugendlichen hätten keine Arbeit und zögen aus wirtschaftlicher Not in von der Terrormiliz Boko Haram kontrollierte Gebiete.

Auch Mamman Nuhu, der Sekretär der Tschadseebecken-Kommission, der das Transaqua-Projekt seit langem bekannt ist, blieb mit seinem Redetext im eng abgesteckten Themenkreis der Krisenprävention, wobei er am Ende seiner Rede lediglich anmerkte, daß er aufgrund der Kürze der Zeit nicht über Möglichkeiten, den See wieder aufzufüllen, sprechen könne. Günter Nooke, persönlicher Afrikaberater von Bundeskanzlerin Merkel, spöttelte gar in seinen wenig nutzbringenden Ausführungen über „Nachhaltigkeit“, daß ein Wassertransfer aus dem Kongo die Probleme der Region nicht lösen würde. Er befürworte das Gründen kleiner privater Unternehmen mit 1-3 Mitarbeitern, also quasi afrikanische Ich-AGs.

Vertreter der Nachrichtenagentur E.I.R. konnten die Transaqua-Lösung trotzdem in diversen Gesprächen und Foren aufbringen, so beispielsweise bei den Konsultationen der zivilgesellschaftlichen Gruppen und bei einem Pressebriefing mit dem hochrangigen Vertreter der Vereinten Nationen, Achim Steiner, dessen Entwicklungsorganisationen zu den hauptsächlichen Unterstützern der Berliner Konferenz zählt. Der E.I.R.-Vertreter fragte Steiner: „Mein Kollege besuchte die Tschadsee-Konferenz in Abuja im Februar dieses Jahres und war sehr enthusiastisch, da man eine Charta von Abuja unterzeichnet hat, einen Fahrplan, der feststellt, daß die gesamte Krise nur durch den Bau großer Infrastrukturprojekte gelöst werden kann. Acht Regierungschefs, einschließlich der Tschadseebecken-Kommission, schrieben das Transaqua-Projekt in diesen Fahrplan, der Wasser vom Kongo ins Tschadbecken leiten soll. Ein von der italienischen und der chinesischen Regierung beschlossenes Joint Venture soll eine Machbarkeitsstudie finanzieren. Dieses Projekt kann in 10-15 Jahren gebaut werden. Das Unternehmen PowerChina erkundet Möglichkeiten, es innerhalb von 12 Jahren zu bauen. Aber ich frage mich, wieso dies nicht bei solch einer hochrangigen Konferenz angesprochen wird. Es würde den Menschen Hoffnung geben, denn humanitäre Hilfe ist immer kurzfristig und auf Krisen bezogen. Eine Entwicklungsperspektive hingegen könnte die gesamte Richtung ändern.“

Steiner antwortete darauf: „Kurz gesagt, alle Ideen sind willkommen, alle Partner sind willkommen. Diese Konferenz, die wir gemeinsam mit Deutschland, Norwegen und Nigeria abhalten, hat ihren Ursprung in einer Krise, die eine humanitäre Antwort benötigte und die nun Teil eines breiter angelegten Wegs ist, den wir von der Reaktion auf die Krise kommend weiter ausbauen wollen hin zu längerfristiger Entwicklung. Dies ist nicht – und deshalb fand die Abuja-Konferenz als freistehende Konferenz statt – der einzige Ort, an dem Entscheidungen über die zukünftige Entwicklung diskutiert werden. In diesem Sinne kenne ich das Projekt.

Wie Sie sich vorstellen können, übersteigen die finanziellen Auswirkungen dieses Projekts den Umfang der Beträge, über die wir hier sprechen, um den Faktor X. Für uns ist das nicht unmittelbar im relevanten Bereich, da es einfach nicht finanziert werden kann durch den Weg, den wir gerade mobilisieren können. Wir haben aber Teilen der Diskussion beigewohnt.

Ob man nun mit dem Transfer beginnt oder mit der Wiederherstellung des Tschadsees, ich denke, wir werden herausfinden, daß diese großen Infrastrukturvorhaben zum Wassertransfer zwischen den Becken sich als finanziell realisierbar herausstellen können, oder sich nicht als realisierbar herausstellen können. Das Aufstauen des Kongoflusses, um damit Strom für ganz Afrika zu produzieren, existiert seit 30 Jahren schon als Projekt... Da gibt es andere Faktoren, die eine Rolle spielen.

Aber was ich zum Schluß sagen will, ist: Schauen Sie, es wird bereits eine Anzahl anderer Maßnahmen ergriffen, um die ökologische Wiederherstellung des Tschadsees zu adressieren. Man muß also nicht Milliarden ausgeben, um den See wieder zum Leben zu erwecken. Es gibt Beispiele wie den See Faguibine in Mali, der wegen des Bürgerkriegs verlassen werden mußte. Der Tschadsee hat heute ein Zwanzigstel seiner Größe von 1963. Das ist maßgeblich die Folge von getroffenen Entwicklungsentscheidungen, die teilweise rückgängig gemacht werden können und die durch Maßnahmen zur Wiederherstellung zumindest eines Teils des Sees kompensiert werden können. Wo es finanziell, wirtschaftlich und ökologisch vernünftig ist, in den Wassertransfer zwischen den Becken zu investieren, bin ich mir sicher, wird Transaqua weiterhin als eine Option beworben werden. Ich denke, wir werden sehen, ob dessen Wirtschaftlichkeit es attraktiv genug macht.

Ganz einfach ausgedrückt kann man sagen: wir haben ein Spektrum an Möglichkeiten. Wir befinden uns dabei an dem einen Ende: humanitär plus Entwicklung und Stabilisierung. Am anderen Ende sind Mega-Infrastruktur-Interventionen, die sich in fünf, zehn oder zwanzig Jahren materialisieren könnten.“

Der Austausch verdeutlicht stellvertretend, daß die Institutionen der „westlichen Wertegemeinschaft“ noch immer nicht fähig sind, den Kurswechsel zu vollziehen, der sich nicht nur bei der oben genannten Abuja-Konferenz ereignet hat, sondern vor allem beim zeitgleich zur Berliner Tschadsee-Konferenz in der chinesischen Hauptstadt Peking stattfindenden Forum zur chinesisch-afrikanischen Zusammenarbeit deutlich sichtbar wurde. Über 50 Staatschefs afrikanischer Länder beschlossen dort, die bittere Ära des Kolonialismus und der Armut hinter sich zu lassen und sich nach dem Vorbild Chinas zu industrialisieren und modernisieren. Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa sagte, die Beziehungen zwischen Afrika und China hätten nun ein Goldenes Zeitalter betreten. Es bleibt zu hoffen, daß dieser neue Wind sehr bald in die Konferenzhallen bundesdeutscher Ministerien einzieht.

SKO