Transaqua statt nur Nothilfe
Die Tschadsee-Konferenz in Berlin verpaßte die Chance, für ein
Wirtschaftswunder zu mobilisieren, statt wieder nur für zu kurz greifende
humanitäre Hilfe für die Region.
Die Kluft zwischen der westlichen Afrikapolitik, die sich hauptsächlich
durch Interventionen aus sogenannten „humanitären Gründen“ offenbart, und
Afrikas eigenem Wunsch nach Industrialisierung und Modernisierung wird derzeit
immer größer und sichtbarer. Das deutlichste Beispiel dafür ist die
Herangehensweise an die Krise in der Tschadsee-Region, in der das Austrocknen
des großen Binnensees vielen Millionen Menschen die Lebensgrundlage entzogen
hat.
Während eine internationale Konferenz in der nigerianischen Hauptstadt
Abuja am 26.-28. Februar 2018 bereits zu dem Schluß kam, daß die horrenden
Zustände in der Region nur durch das große Wassertransfer- und
Infrastrukturentwicklungsprogramm „Transaqua“ wirklich beseitigt werden
können, war das Auswärtige Amt in Berlin am 3. und 4. September Gastgeber
einer Konferenz zur Tschadseeregion, bei der es eben keinen Raum für
Diskussion über Transaqua gab und man statt dessen erneut lediglich
kurzfristige regionale Nothilfe anbot.
Das Transaqua-Projekt würde Wasser der Zuflüsse des Kongo über einen 2400
km langen Kanal in den Fluß Chari bringen, um so den Tschadsee wieder
aufzufüllen, der in den vergangenen 50 Jahren auf 10 Prozent seiner
ursprünglichen Größe geschrumpft ist. Dafür will man in Afrika einen
Entwicklungsfond in der Höhe von 50 Mrd. US-Dollar aufbauen. Acht afrikanische
Regierungen unterstützen bereits eine Erklärung von Abuja, die dieses Projekt
favorisiert.
Doch in Heiko Maas’ Auswärtigem Amt war von diesem groß und langfristig
denkenden Geist nicht viel zu spüren. Obwohl Vertreter von 70 Nationen,
internationalen Organisationen und der Zivilgesellschaft anwesend waren,
bekundete man zwar stets seine Betroffenheit über der Leid der Menschen vor
Ort, bot jedoch ausschließlich kurzfristigen Beistand an, der die eigentlichen
Gründe des Übels nicht beseitigt. Die Maxime des Außenministers bei seiner
Eröffnungsrede war schlicht, daß es ohne Sicherheit keine Entwicklung gäbe.
Deshalb liefere Deutschland ein Bodenradar, Minensucher und ein Feldlazarett.
2018 und 2019 würde man je 40 Millionen Euro bereitstellen, und bis 2020
zusätzliche 100 Millionen Euro. Man werde „ein offenes Ohr für Afrika“ haben,
sagte Maas, doch eine Antwort, wie die Ursachen der Tschadsee-Krise beseitigt
werden sollen, blieb er schuldig.
Der stellvertretende Generalsekretär des Büros der Vereinten Nationen, in
der humanitäre Angelegenheiten koordiniert werden, Mark Lowcock, beteuerte
zwar, daß man den Teufelskreis der sich ständig wiederholenden Krisen
durchbrechen müssen, bot aber auch nur Schlagworte wie „Sicherheit“,
„friedensstiftende Maßnahmen“ und „Menschenrechte“ an. Solange man die
Herausforderungen in diesen Bereichen nicht gelöst habe, sei es „nicht
möglich, die ursächlichen Gründe anzugehen“, so Lowcock. Der Minister für
humanitäre Maßnahmen und Katastrophenmanagement aus Niger, Laouan Magagi,
sprach zwar als einer der ganz wenigen die Tatsache an, daß 90% des
Tschadseewassers verschwunden und 280.000 Menschen aus der Region Diffa
vertrieben worden seien, er beklagt jedoch, daß die vorhandenen finanziellen
Mittel zu wenig in Entwicklungsprojekte fließen würden. Ein Journalist aus
Niger hatte sich zuvor vom Publikumsmikrofon aus beschwert, daß sich zwar
Hunderte von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) vor Ort tummeln würden, die
Hilfsgelder aber nicht bei der Bevölkerung ankämen und statt dessen in der
Sicherheitsausrüstung und den Gehältern der NGO-Helfer versickerten. Die 15-
bis 18-jährigen afrikanischen Jugendlichen hätten keine Arbeit und zögen aus
wirtschaftlicher Not in von der Terrormiliz Boko Haram kontrollierte
Gebiete.
Auch Mamman Nuhu, der Sekretär der Tschadseebecken-Kommission, der das
Transaqua-Projekt seit langem bekannt ist, blieb mit seinem Redetext im eng
abgesteckten Themenkreis der Krisenprävention, wobei er am Ende seiner Rede
lediglich anmerkte, daß er aufgrund der Kürze der Zeit nicht über
Möglichkeiten, den See wieder aufzufüllen, sprechen könne. Günter Nooke,
persönlicher Afrikaberater von Bundeskanzlerin Merkel, spöttelte gar in seinen
wenig nutzbringenden Ausführungen über „Nachhaltigkeit“, daß ein
Wassertransfer aus dem Kongo die Probleme der Region nicht lösen würde. Er
befürworte das Gründen kleiner privater Unternehmen mit 1-3 Mitarbeitern, also
quasi afrikanische Ich-AGs.
Vertreter der Nachrichtenagentur E.I.R. konnten die Transaqua-Lösung
trotzdem in diversen Gesprächen und Foren aufbringen, so beispielsweise bei
den Konsultationen der zivilgesellschaftlichen Gruppen und bei einem
Pressebriefing mit dem hochrangigen Vertreter der Vereinten Nationen, Achim
Steiner, dessen Entwicklungsorganisationen zu den hauptsächlichen
Unterstützern der Berliner Konferenz zählt. Der E.I.R.-Vertreter fragte
Steiner: „Mein Kollege besuchte die Tschadsee-Konferenz in Abuja im Februar
dieses Jahres und war sehr enthusiastisch, da man eine Charta von Abuja
unterzeichnet hat, einen Fahrplan, der feststellt, daß die gesamte Krise nur
durch den Bau großer Infrastrukturprojekte gelöst werden kann. Acht
Regierungschefs, einschließlich der Tschadseebecken-Kommission, schrieben das
Transaqua-Projekt in diesen Fahrplan, der Wasser vom Kongo ins Tschadbecken
leiten soll. Ein von der italienischen und der chinesischen Regierung
beschlossenes Joint Venture soll eine Machbarkeitsstudie finanzieren. Dieses
Projekt kann in 10-15 Jahren gebaut werden. Das Unternehmen PowerChina
erkundet Möglichkeiten, es innerhalb von 12 Jahren zu bauen. Aber ich frage
mich, wieso dies nicht bei solch einer hochrangigen Konferenz angesprochen
wird. Es würde den Menschen Hoffnung geben, denn humanitäre Hilfe ist immer
kurzfristig und auf Krisen bezogen. Eine Entwicklungsperspektive hingegen
könnte die gesamte Richtung ändern.“
Steiner antwortete darauf: „Kurz gesagt, alle Ideen sind willkommen, alle
Partner sind willkommen. Diese Konferenz, die wir gemeinsam mit Deutschland,
Norwegen und Nigeria abhalten, hat ihren Ursprung in einer Krise, die eine
humanitäre Antwort benötigte und die nun Teil eines breiter angelegten Wegs
ist, den wir von der Reaktion auf die Krise kommend weiter ausbauen wollen hin
zu längerfristiger Entwicklung. Dies ist nicht – und deshalb fand die
Abuja-Konferenz als freistehende Konferenz statt – der einzige Ort, an dem
Entscheidungen über die zukünftige Entwicklung diskutiert werden. In diesem
Sinne kenne ich das Projekt.
Wie Sie sich vorstellen können, übersteigen die finanziellen Auswirkungen
dieses Projekts den Umfang der Beträge, über die wir hier sprechen, um den
Faktor X. Für uns ist das nicht unmittelbar im relevanten Bereich, da es
einfach nicht finanziert werden kann durch den Weg, den wir gerade
mobilisieren können. Wir haben aber Teilen der Diskussion beigewohnt.
Ob man nun mit dem Transfer beginnt oder mit der Wiederherstellung des
Tschadsees, ich denke, wir werden herausfinden, daß diese großen
Infrastrukturvorhaben zum Wassertransfer zwischen den Becken sich als
finanziell realisierbar herausstellen können, oder sich nicht als realisierbar
herausstellen können. Das Aufstauen des Kongoflusses, um damit Strom für ganz
Afrika zu produzieren, existiert seit 30 Jahren schon als Projekt... Da gibt
es andere Faktoren, die eine Rolle spielen.
Aber was ich zum Schluß sagen will, ist: Schauen Sie, es wird bereits eine
Anzahl anderer Maßnahmen ergriffen, um die ökologische Wiederherstellung des
Tschadsees zu adressieren. Man muß also nicht Milliarden ausgeben, um den See
wieder zum Leben zu erwecken. Es gibt Beispiele wie den See Faguibine in Mali,
der wegen des Bürgerkriegs verlassen werden mußte. Der Tschadsee hat heute ein
Zwanzigstel seiner Größe von 1963. Das ist maßgeblich die Folge von
getroffenen Entwicklungsentscheidungen, die teilweise rückgängig gemacht
werden können und die durch Maßnahmen zur Wiederherstellung zumindest eines
Teils des Sees kompensiert werden können. Wo es finanziell, wirtschaftlich und
ökologisch vernünftig ist, in den Wassertransfer zwischen den Becken zu
investieren, bin ich mir sicher, wird Transaqua weiterhin als eine Option
beworben werden. Ich denke, wir werden sehen, ob dessen Wirtschaftlichkeit es
attraktiv genug macht.
Ganz einfach ausgedrückt kann man sagen: wir haben ein Spektrum an
Möglichkeiten. Wir befinden uns dabei an dem einen Ende: humanitär plus
Entwicklung und Stabilisierung. Am anderen Ende sind
Mega-Infrastruktur-Interventionen, die sich in fünf, zehn oder zwanzig Jahren
materialisieren könnten.“
Der Austausch verdeutlicht stellvertretend, daß die Institutionen der
„westlichen Wertegemeinschaft“ noch immer nicht fähig sind, den Kurswechsel zu
vollziehen, der sich nicht nur bei der oben genannten Abuja-Konferenz ereignet
hat, sondern vor allem beim zeitgleich zur Berliner Tschadsee-Konferenz in der
chinesischen Hauptstadt Peking stattfindenden Forum zur
chinesisch-afrikanischen Zusammenarbeit deutlich sichtbar wurde. Über 50
Staatschefs afrikanischer Länder beschlossen dort, die bittere Ära des
Kolonialismus und der Armut hinter sich zu lassen und sich nach dem Vorbild
Chinas zu industrialisieren und modernisieren. Der südafrikanische Präsident
Cyril Ramaphosa sagte, die Beziehungen zwischen Afrika und China hätten nun
ein Goldenes Zeitalter betreten. Es bleibt zu hoffen, daß dieser neue Wind
sehr bald in die Konferenzhallen bundesdeutscher Ministerien einzieht.
SKO