"Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen.
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst."
Friedrich Schiller
  Afrika

Die Lüge von Chinas „Schuldenfallen-Diplomatie“

Von Hussein Askary und Jason Ross

Hussein Askary und Jason Ross sind die Autoren der 260 Seiten umfassenden englischsprachigen Studie „Extending the New Silk Road to West Asia and Africa”, die im November 2017 vom Schiller-Institut veröffentlicht wurde. Der folgende Artikel ist die Kurzfassung einer längeren Schrift, worin der Vorwurf, China treibe die Entwicklungsländer bewußt in eine Schuldenfalle, um sie von sich abhängig zu machen, widerlegt wird.

In gewissen Kreisen des transatlantischen Raums im Umfeld der Londoner City und der Wall Street herrscht Panik – aus zwei Gründen:

    1. Ihr bankrottes Währungs- und Finanzsystem, einschließlich des Eurosystems, ist offensichtlich in die Endphase seiner Selbstauflösung eingetreten.

    2. Als Alternative breitet sich über weite Teile der Erde ein neues Paradigma der internationalen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen aus – dank der Gürtel- und Straßen-Initiative (Belt & Road Initiative, BRI), der neuen Entwicklungspolitik der BRICS-Länder, der Ausweitung der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), dem Bündnis zwischen der von China angeführten BRI und der von Rußland angeführten Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) und des wirtschaftlichen Kooperationsprozesses zwischen China und Afrika.

Anstatt das nächstliegende zu tun und die Vereinigten Staaten und Europa zu ermutigen, sich diesem neuen Paradigma anzuschließen, riskieren diese Kräfte einen Weltkrieg, um den Weg ins neue Paradigma zu versperren und zu verhindern, daß sich auch der Westen ihm anschließt. Dazu setzen sie nicht zuletzt auf Lügen und Desinformation.

Ihre Verleumdungen und Lügenmärchen gegen China sind Teil der von London und der Wall Street ausgehenden Hysterie gegen die erfolgreichen Bemühungen von US-Präsident Donald Trump um ein freundschaftliches und kooperatives Verhältnis zu Rußland und China, weil diese Bemühungen die geopolitischen Absichten des Britischen Empire und seiner Finanzeliten durchkreuzen können.

Korrupte Mainstream-Medien, akademische Einrichtungen und Denkfabriken arbeiten mit Hochdruck daran, neue Lügen zu erfinden – manchmal im Gewande akademischer Studien – und neue Phrasen zu prägen, die dann von den einflußreichen politischen Institutionen aufgegriffen werden in dem vergeblichen Versuch, das neue Paradigma aufzuhalten. Rußland ist offenkundig ein ständiges Ziel von Verleumdungen und Wirtschaftssanktionen, aber auch China erfährt zunehmend die gleiche Behandlung. Die jüngste dieser Propagandalügen, die in akademischen und verwandten Institutionen verbreitet wird, ist die von einem „heimtückischen Plan“ hinter Chinas Seidenstraßen-Initiative, arme Entwicklungsländer in eine „Schuldenfalle“ zu locken. „Schuldenfalle“ und „Schuldbuch-Diplomatie“ lauten die neuen Phrasen, die nun häufig verwendet werden, um Chinas Politik zu diffamieren.

Der Ausdruck „Schuldbuch-Diplomatie“ – in dem Sinn, daß China Macht über andere Länder gewinnen will, indem es sie dazu verleitet, mehr Schulden aufzunehmen, als sie zurückzahlen können – wurde in einer Studie vom Mai 2018 geprägt, die im Auftrag und nach den Wünschen des US-Außenministeriums verfaßt wurde. Der Autor ist Sam Parker vom Belfer Center für Wissenschaft und internationale Angelegenheiten der Kennedy-Schule an der Harvard-Universität.1 Das Außenministerium nahm diese Studie als Vorwand, überall auf der Welt über die möglichen Folgen der BRI Alarm zu schlagen. Der Autor des Berichtes, Sam Parker, hat erst 2018 seinen Master-Abschluß gemacht, hat keine besonderen volkswirtschaftlichen Vorkenntnisse und hat noch nie etwas über die Volkswirtschaften Chinas oder anderer Entwicklungsländer publiziert.

Gleich von Anfang an bringt Parker seine von Mackinder inspirierte, britisch geprägte geopolitische Weltsicht2 klar zum Ausdruck, wenn er schreibt:

    „Schuldbuch-Diplomatie an sich ist weder ein wirtschaftliches Instrument noch ein strategisches Ziel. Vielmehr ist es eine immer wertvollere Technik, die China anwendet, um aufgelaufene Schulden als Hebel dafür zu benutzen, seine existierenden strategischen Ziele voranzutreiben. Drei strategische Ziele für Chinas Schuldbuch-Diplomatie wären:

    • Aufreihen einer ,Perlenkette’, um seine Macht entlang der wichtigen südasiatischen Handelsrouten zu projizieren,

    • Untergraben der von den USA angeführten regionalen Opposition gegen Chinas umstrittene Ansprüche im Südchinesischen Meer,

    • und Unterstützung der Bestrebungen der Marine der Volksbefreiungsarmee (People’s Liberation Army Navy, PLAN), sich über die erste Inselkette hinaus in die blauen Gewässer des Pazifik auszuweiten.“

Die ungeheuerliche Ironie bei alledem ist, daß Parker China zu Unrecht genau die Verbrechen vorwirft, die die Londoner City, der Weltwährungsfonds und die transatlantischen Banken seit Jahrzehnten begehen – nämlich, wucherische Schulden als Mittel zu nutzen, um die Entwicklungsländer in Armut zu halten und ihnen militärische und geopolitische Zugeständnisse abzunötigen.

Hambantota: das einzige, noch dazu falsche Beispiel

Als Beispiel dafür, wie China angeblich andere Länder über den Tisch ziehen will, wird immer wieder der Hafen Hambantota auf Sri Lanka angeführt. Genauer gesagt, Hambantota ist das einzige Beispiel, das Chinas Kritiker überhaupt vorzuweisen haben. Und es ist falsch. Die drei Phasen der Entwicklung dieses Projektes, darunter der Bau eines Containerterminals, kosten zusammen 1,1 Mrd.$. Es war aber keine chinesische Idee, sondern ein Plan der Regierung von Sri Lanka, den einzigen großen Hafen des Landes – den Hafen von Colombo – zu entlasten und in sicherer Entfernung von dem blutigen Bürgerkrieg im Norden des Landes einen internationalen Hafen und eine Industriezone zu schaffen. Dieser Plan geht auf das Jahr 2002 zurück, lange bevor die BRI konzipiert wurde. Der Bau von Kraftwerken und Industriezonen zur Förderung der Wirtschaftsaktivitäten war Teil des Wirtschaftsprogramms der Regierung, das sich „Sri Lanka zurückgewinnen“ nannte.

Die Kritiker betrachten den Hafen Hambantota nicht in seinem nationalen und globalen Kontext – ein weiterer, typischer Fall von „Lügen durch Weglassen“. Erstens unterstellen sie, daß Sri Lanka für alle Zeiten ein armes Land bleiben wird, ohne Industrie, moderne Landwirtschaft oder andere Wirtschaftsaktivitäten, die eine moderne Infrastruktur wie diesen Hafen erfordern.

Zweitens unterschlagen sie gewöhnlich, daß die meisten Handelsrouten zwischen Ostasien und Europa nur etwa 6-9 Seemeilen vor Sri Lankas Südküste verlaufen. Man kann sich den potentiellen Nutzen dieses gewaltigen Handelsvolumens leicht vorstellen, aber bisher hat er nur geringen Einfluß auf Sri Lankas Wirtschaft. Der Hafen birgt ein enormes Potential für die zukünftige Entwicklung von Schiffahrtsdienstleistungen, als Umschlagsplatz und zum Aufbau von Industriezonen, die von den leicht zugänglichen Transportwegen zu den Weltmärkten profitieren.


Wenn die Geschichte des Hafens Hambantota nicht in ihrem Kontext betrachtet wird, entsteht der Eindruck, China hätte einen Hafen an einer einsamen, leeren Küste einer Insel irgendwo im Niemandsland gebaut. Tatsächlich liegt Hambantota nur 6-9 Seemeilen entfernt von einer der wichtigsten und am meisten befahrenen Routen der Handelsschiffahrt weltweit.

Der Bau des Hafens wurde 2008 von der China Harbour Engineering Company und der Sinohydro Corporation begonnen. 85% der Kosten des Projekts wurden durch einen Kredit finanziert, den Chinas Export-Import-Bank zur Verfügung stellte. Der Hafen wurde 2010 für den kommerziellen Betrieb geöffnet, aber die Auslastung blieb hinter den Erwartungen zurück. Angesichts der geringen Einnahmen und hohen Finanzierungskosten für den Hafenbau schloß die Hafenbehörde Sri Lanka Ports Authority (SLPA) 2016 eine Vereinbarung, derzufolge das chinesische Staatsunternehmen CMPorts (China Merchants Port Holdings Company), 70% des Hafens für 99 Jahre pachtet und 85% der Anteile am Hafen und an den Industriegebieten übernimmt und sich verpflichtet, in die weitere Entwicklung der dortigen Einrichtungen zu investieren. Das chinesische Unternehmen soll weitere 700-800 Mio.$ im Hafenareal investieren. Der Zweck der Vereinbarung war, Sri Lanka die Schuldenlast abzunehmen.3

Wenn man Parker glauben will, dann wurde Sri Lanka ein Kredit für ein Projekt aufgeschwatzt, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt war, in der Absicht, den Hafen zu übernehmen, sobald die Zahlungen fällig wurden. Aber ist das die einzige sinnvolle Erklärung? Wenn dieses Einzelbeispiel überhaupt einen allgemeinen Trend zeigt, dann die Gleichgültigkeit der internationalen Finanzinstitutionen und ihrer Verbündeten gegenüber dem Bestreben der Entwicklungsländer, Armut und wirtschaftliche Rückständigkeit zu überwinden. Parker schreibt selbst, daß sich Sri Lanka nach einem jahrzehntelangen verheerenden Bürgerkrieg „an Japan, Indien, den Weltwährungsfonds, die Weltbank und die Asiatische Entwicklungsbank gewandt hatte, um Gelder für den Bau eines großen Hafens in dem unterentwickelten und verschlafenen Nest Hambantota zu erhalten, aber die Finanzierung wurde aufgrund von Bedenken bezüglich Menschenrechten und Wirtschaftlichkeit verweigert“. China dagegen wies Sri Lanka nicht ab und half dem Land, ein Ziel, das es sich gestellt hatte, zu erreichen.

Ein wichtiger Aspekt der Wirtschaft, den heutige Ökonomen und Journalisten meist nicht verstehen, ist der, daß der Wert von Infrastruktur nicht primär darin liegt, ob sie unmittelbar finanziellen Gewinn abwerfen – vielmehr liegt die wesentliche Rolle der Infrastruktur darin, daß sie eine unverzichtbare Voraussetzung für den Aufbau einer modernen Wirtschaft ist, indem sie die Produktivität der Volkswirtschaft des gesamten Landes anhebt. Der „Gewinn“ aus den Investitionen liegt nicht allein in den Gebühren, die man den Nutzern der Infrastrukturanlagen abnimmt, sondern in den Einnahmen der produktiven Industrie und Landwirtschaft, die diese Anlagen nutzen.

War die schlechte Auslastung des Hafens einfach nur eine Fehlkalkulation seitens der Chinesen, eine Fehlinvestition, die sich nicht wie geplant rentierte? Wenn China für ein gescheitertes Flughafen- oder Hafenprojekt, das es jetzt besitzt, Milliarden in den Sand gesetzt hat, sollte man dann nicht eher erwarten, daß Chinas Gegner über die Unfähigkeit des Landes spotten, anstatt über diese „Fehler“ in Angst und Panik zu verfallen? Nur die Zukunft wird zeigen, ob diese Investitionen ein Fehlschlag waren, nicht aber „Sicherheitsanalysten“ wie Sam Parker.

Entwicklungsländer werden wie Unmündige behandelt

Es fällt auf, daß die europäischen und amerikanischen Politiker, Akademiker und Autoren, wenn sie über Entwicklungsländer sprechen, unbewußt so reden, als wären die Menschen in diesen Nationen Kinder, die nicht für sich selbst sprechen können. Das sagt viel darüber aus, wie tief verwurzelt und vorherrschend die koloniale Mentalität – die sog. „Bürde des weißen Mannes“ - bei den transatlantischen Oligarchen heute immer noch ist.

Liberias früherer Minister für öffentliche Bauten W. Gyude Moore, der davor auch stellv. Stabschef der damaligen Staatspräsidentin war, erläuterte kürzlich in einem Podcast-Interview, wie die Afrikaner selbst die chinesische Finanzierung sehen. Als Beamter, der selbst viele Infrastrukturprojekte mit der chinesischen Seite ausgehandelt hat, sagte er zu der Art und Weise, wie China im Westen oft dargestellt wird:

    „Wenn China so dargestellt wird, als wäre es der große böse Akteur, der andere Länder in bösartiger Absicht mit Schulden überlädt, dann wird damit den Ländern fast ihre Handlungsfähigkeit abgesprochen. Es scheint fast so, als wären die afrikanischen Länder naiv oder verstünden nicht, was mit ihnen geschieht, als würde China sie mehr oder weniger über den Tisch ziehen. Damit macht man die Afrikaner und die afrikanischen Staatsführungen fast zu Kindern... Aufgrund der begrenzten Geldsummen, die von den internationalen Finanzinstitutionen kommen, müssen sich Länder wie Liberia anderswo umschauen... Eines der wenigen Länder, mit denen Länder wie Liberia – die vielleicht nicht die beste Kreditgeschichte haben, nachdem ihm gerade 5 Mrd.$ Schulden erlassen wurden – noch reden können, ist China... Ein Land wie Liberia kann sich unmöglich allein auf die Weltbank oder die Afrikanische Entwicklungsbank verlassen, um seine Infrastruktur finanzieren zu können – es wäre nichts passiert.“4

Er geht dann näher auf den Zusammenhang zwischen notleidenden Schulden und Zukunftsinvestitionen ein: „Um ihre Schulden zurückzahlen zu können, müssen die Volkswirtschaften den Punkt erreichen, an dem sie tatsächlich Einnahmen generieren“, aber ohne Infrastruktur sei das unmöglich. „Es ist fast wie mit dem Huhn und dem Ei.“

Zu dem Fall Hambantota sagte Gyude Moore: „Alle kommen auf diesen Hafen in Sri Lanka zu sprechen, aber China hat Milliarden von Dollars als Kredit ausgegeben. Und weil dieser Hafen in Sri Lanka das einzige Beispiel ist, das die Leute nennen können, kann er meiner Meinung nach nicht als das A und O betrachtet werden, wie China mit seinen Partnern umgeht.“

Die tatsächliche Schuldenfalle

Der historische Meister der Schuldenfalle war und ist das Britische Empire. Seine Methoden wurden nach 1971 in der Ära nach Bretton Woods von Einrichtungen wie dem Weltwährungsfonds und der Weltbank übernommen, sie unterjochten Länder durch unbezahlbare Schulden, um sie zu plündern, die produktiven Kapazitäten ihrer Realwirtschaft zu ruinieren und sie schließlich zu zwingen, ihre nationale Souveränität ganz aufzugeben. In der britisch dominierten, imperialen Weltordnung des 19. Jahrhunderts diente Geld, genauso wie im Weltfinanzsystem der Post-Bretton-Woods-Ära, als eine von privaten Interessen kontrollierte „globale“ Ware statt als politisches Werkzeug souveräner Staaten zur Förderung der Produktivität der Gesellschaft und des Gemeinwohls ihrer Bürger.

Ein lehrreiches Beispiel aus dem 19. Jahrhundert ist die Art und Weise, wie die Briten und ihre französischen Verbündeten Ägypten durch massive Schulden zum Gefangenen machten und es zwangen, nach und nach seine Rohstoffe und Arbeitskraft den Briten zu überlassen, bis es ganz die Souveränität über seine Wirtschafts- und Finanzpolitik verlor und schließlich sogar von den Briten militärisch besetzt wurde.

Anfang der 1860er Jahre war Ägypten einer der großen Baumwollerzeuger auf den Weltmärkten. Mit Beginn des Amerikanischen Bürgerkriegs 1861 ging die Produktion von Baumwolle in den amerikanischen Südstaaten drastisch zurück, und der Preis von Baumwolle auf den internationalen Märkten schoß in die Höhe. Für Ägypten sprudelten die Einnahmen aus dem Baumwollverkauf, und es nahm bei britischen und französischen Banken Kredite auf, um den Anbau des gewinnträchtigen Erzeugnisses auszuweiten. Doch als der Amerikanische Bürgerkrieg 1865 endete und die nordamerikanische Baumwollproduktion wieder aufgenommen wurde, stürzten die Preise ab. Plötzlich steckte Ägypten in einer Finanzkrise. Die britischen und französischen Banken borgten Ägypten weiter Geld, um die Schulden zu bedienen, aber zu immer höheren Zinsen, und die Schulden stiegen immer weiter an.

Unterdessen baute die französische Suezkanal-Gesellschaft von 1859-69 den Suezkanal unter einer Konzession des Khediven Said Pascha. Nach dem 99jährigen Pachtvertrag finanzierten und bauten die Franzosen den Kanal und erhielten dafür die Aktienmehrheit der Gesellschaft. Dem Khediven sollten 44% der Anteile gehören.

Als Said Paschas Nachfolger, der Khedive Ismail Pascha, 1865 seine Schulden bei den britischen Banken nicht bedienen konnte, überließ er ihnen als Teil der Schuldenrückzahlung alle seine Anteile an der Suezkanal-Gesellschaft. Aber damit war das Problem noch nicht gelöst. In den Jahren zuvor hatte der Khedive große Flächen Ackerland, vor allem im Nildelta, enteignet und den ägyptischen Bauern weggenommen, und sie gezwungen, als Knechte auf seinen neuen Baumwoll- und Zuckerplantagen zu arbeiten, um so mehr Einnahmen zur Bezahlung seiner Schulden zu generieren. Als er 1876 erneut zahlungsunfähig war, war er gezwungen, seine Plantagen den britischen Banken zu überlassen. Britische und französische Bankiers besetzten buchstäblich die ägyptischen Amtsstuben (so, wie es heute der Weltwährungsfonds tut), um die Wirtschafts- und Finanzpolitik zu diktieren. Einer der britischen „Bankberater“, mit dem offiziellen Titel „General-Rechnungsprüfer“, war Evelyn Baring von der berühmten Bankiersfamilie gleichen Namens. Rosa Luxemburg beschrieb dies treffend so, daß „die ägyptische Bauernwirtschaft in gewaltigem Umfang vom europäischen Kapital aufgezehrt wurde“.5 Der Grund und Boden, die Fellachen, die Regierung und der Khedive wurden Eigentum des Empire.

Als eine Gruppe von Offizieren des ägyptischen Militärs 1882 eine Militärrevolte inszenierte, nutzten die Briten dies als Vorwand, das Land zu besetzen. 1883 stieg Baring (der 1901 zum Earl of Cromer ernannt wurde) vom Schuldeneintreiber zum britischen Generalkonsul und damit zum faktischen Herrscher Ägyptens auf, er regierte bis 1907. Die britische Besetzung und Herrschaft über Ägyptens Wirtschaft dauerte faktisch bis 1952 an, als republikanische Kräfte unter General Gamal Abdel-Nasser das rückständige System des Khediven stürzten. Erst einige Jahre später wurde die (inzwischen vollständig britische) Suezkanalgesellschaft 1956 nationalisiert.

Auch aus der Ära nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems Anfang der 1970er Jahre gibt es zahllose vergleichbare Beispiele, in denen die Finanzinteressen des transatlantischen Systems die politische und militärische Macht der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Europas nutzten, um andere Entwicklungsländer in ähnlicher Weise in die Schuldenfalle zu treiben. EIR hat die Fälle Mexiko und Brasilien in den 1980er Jahren ausführlich analysiert.6 Nach einem anfänglichen Angriff von Spekulanten der Londoner City oder der Wall Street auf die Währungen oder Finanzmärkte eines Landes tritt der Weltwährungsfonds auf die Bühne und bietet der betroffenen Nation eine „Rettung“ in Form neuer Kredite an. Aber diese Kredite sind an horrende Konditionen geknüpft, wie etwa die erzwungene Abwertung der Währung, die Steigerung der Exporte – meist Rohstoffe und Agrarerzeugnisse –, Kürzungen bei Infrastrukturinvestitionen und Forschungsprojekten, im Gesundheits- und Bildungssystem und andere Sparmaßnahmen, um die Kosten zu senken und „den Haushalt auszugleichen“. In fast allen Fällen sind nach jeder Runde solcher „Strukturanpassungen“ durch IWF und Weltbank die Schulden der betroffenen Länder nicht geschrumpft, sondern weiter gewachsen, was eine neue Runde von Krediten mit der Bedingung weiterer drakonischer Sparmaßnahmen erforderlich macht – etwa, daß der Staat gezwungen wird, öffentlichen Besitz, seien es produktive Unternehmen oder Rohstoffe, an ausländische Unternehmen zu verkaufen. Regierungen, die sich gegen die Angriffe auf ihre Volkswirtschaften oder die Interventionen von IWF und Weltbank wehrten, wurden zum Ziel von Verleumdungskampagnen in den Medien, gefolgt von politischen Destabilisierungen durch Farbrevolutionen oder im schlimmsten Fall politische oder militärische Staatsstreiche, manchmal sogar Mordanschläge auf das Staatsoberhaupt.

Lügen zu „Chinas Schuldenfalle“ richtiggestellt

Ein hocherstaunlicher Aspekt bei den Lügenmärchen über Chinas „Schuldenfallen-Diplomatie“ ist, daß die Autoren in den Medien oder akademischen Studien keinerlei Beweise für ihre Behauptungen liefern. Nichts von dem, was sie anführen, hält einer näheren Überprüfung stand.

Die Fakten belegen sogar das genaue Gegenteil dessen, was die chinafeindlichen Berichte suggerieren. So zeigen beispielsweise wohldokumentierte Untersuchungen der China Africa Research Initiative an der Schule für Fortgeschrittene Internationale Studien (SAIS-CARI) der Johns-Hopkins-Universität, daß Afrika die meisten Schulden nicht etwa bei China hat, sondern bei den transatlantischen Mächten und den von ihnen geprägten Einrichtungen wie IWF oder Weltbank.

Die erste Feststellung von SAIS-CARI im Weißbuch zum Forum der China-Afrika-Kooperation (FOCAC) 2018 lautet: „Chinas Kredite sind derzeit kein wesentlicher Faktor für Schuldenprobleme in Afrika. Viele Länder haben jedoch von China und anderen hohe Kredite aufgenommen. Bei allen neuen FOCAC-Kreditzusagen wird Afrikas wachsende Schuldenlast wahrscheinlich berücksichtigt.“

Dem Weißbuch zufolge machte China von 2000-2016 Afrika Kreditzusagen über 133 Mrd.$, davon 2016 eine sehr große über 30 Mrd.$ im Zuge des FOCAC-Treffens von Johannesburg 2015. Viele afrikanische Länder haben Schulden bei China, aber nur bei drei Ländern – Dschibuti, Republik Kongo und Sambia – machen die chinesischen Kredite den größten Anteil ihres Kreditrisikos aus. In Kamerun, dem Land mit dem vierthöchsten Anteil chinesischer Schulden an der Gesamtverschuldung, entfallen auf China nur ein Drittel der gesamten Schulden.

Wie wir in unserer Studie „Extending the New Silk Road to West Asia and Africa” aufzeigen, sind Chinas Kredite und ausländische Direktinvestitionen (FDI) in Afrika kleiner als die anderer ausländischer Einrichtungen, aber sie sind stärker auf den Aufbau von Infrastruktur, Industrie und Landwirtschaft ausgerichtet, während die Investitionen amerikanischer und europäischer Unternehmen mehr auf den Bergbau und auf Finanzdienstleistungen ausgerichtet sind.

China ist auch einer der wichtigsten Spender für Nothilfen für die afrikanischen Nationen und ihr wichtigster Partner bei Forschungen in den Bereichen Landwirtschaft und Gesundheit geworden. Viele Entwicklungsprojekte in Afrika und in Südasien haben die Chinesen nicht mit Krediten finanziert, sondern gespendet. Ein Fall aus jüngster Zeit sind zwei neue Brücken auf den Philippinen, die Bonindo-Intramuros-Brücke und die Estrella-Pantaleon-Brücke, die beide von China finanziert und gebaut werden. Anläßlich der feierlichen Grundsteinlegung im Juli schlugen Massenmedien Alarm und schürten Panik, China wolle die Philippinen in die Schuldenfalle treiben. Aber bei der Zeremonie, an der auch der philippinische Staatspräsident Rodrigo Duterte persönlich teilnahm, widerlegte der chinesische Botschafter diese Behauptung: „Lassen Sie mich ganz klar sagen: Diese Projekte, diese beiden Brücken, werden mit chinesischen Zuschüssen bezahlt, das heißt, wir werden sie kostenlos bauen.“ Er betonte: „Es hat niemals eine Schuldenfalle gegeben. Es beruht alles auf gegenseitigen Vereinbarungen.“ China habe niemals „auch nur ein einzige Grundstück in diesem Land erbeten“. Alle Projekte werden dem philippinischen Staat gehören. „Es geht also nicht darum, Sie in Schulden zu stürzen. Ich denke, Ihr Wirtschaftsteam ist klug genug.“

Auf der Treppe der Industrialisierung

Die Spannungen, die als Reaktion auf die Seidenstraßen-Initiative und auf das neue Paradigma in den internationalen Beziehungen entstanden sind, sind rational nicht gerechtfertigt. Sie beruhen ausschließlich auf falschen Vorstellungen über die wirtschaftlichen und Machtbeziehungen zwischen den Nationen, welche die Vereinigten Staaten und viele Nationen in der EU zu einer negativen Haltung gegenüber der BRI verleiten.

Die Situation ist vergleichbar mit einer schmalen Treppe der Industrialisierung, auf der China und die Entwicklungsländer aufsteigen, während die Vereinigten Staaten und Europa auf dem Weg in die Deindustrialisierung hinabsteigen. Nun haben sie den Punkt erreicht, wo sie sich mitten auf der Treppe gegenüberstehen und sich gegenseitig den Weg verstellen. Das ist der Ursprung der Spannungen. Eine der beiden Seiten muß sich entscheiden, sich der anderen anzuschließen, indem sie sich in die gleiche Richtung bewegen, sodaß es beiden Seiten möglich wird, sich frei zu bewegen. Außerdem wäre es für beide Seiten vorteilhaft, die Treppe zu verbreitern oder, wie Präsident Xi bei der Beschreibung der chinesischen Entwicklungspolitik sagte, „den Kuchen [des Wirtschaftswachstums] zu vergrößern“, damit alle einen fairen Anteil bekommen können, anstatt sich um einen kleinen Kuchen zu streiten.

Der einzige rationale Weg für die Vereinigten Staaten und Europa ist der, den Lyndon LaRouche und Helga Zepp-LaRouche schon seit langer Zeit aufgezeigt haben, nämlich, sich dem neuen Paradigma der wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung, für das die BRI das beste Beispiel ist, anzuschließen. Deshalb organisiert das Schiller-Institut unter der Führung von Helga Zepp-LaRouche eine Petitionskampagne für eine Sonderkonferenz der Vereinigten Staaten, Rußlands, Chinas und Indiens, um eine neues System fester Wechselkurse für weltweiten Handel und Entwicklung nach dem Vorbild des von Franklin Roosevelt konzipierten Bretton-Woods-Systems zu schaffen. Dieses „Neue Bretton-Woods-System“ wäre der richtige Rahmen, in dem die Kräfte, die sich in der BRI die Hände reichen, die vielen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme, die in den letzten Jahren einen Großteil der Welt erfaßt haben, gemeinsam lösen und nicht zuletzt auch die Volkswirtschaften der Vereinigten Staaten und der EU-Länder retten können.


Anmerkungen

1. Sam Parker, Debtbook Diplomacy, („Schuldbuch-Diplomatie – Chinas strategische Nutzung seines neugewonnenen wirtschaftlichen Einflusses und die Konsequenzen für die US-Außenpolitik“), Harvard, Mai 2018. Vor seiner Tätigkeit an der Harvard-Universität war Parker, den biographischen Angaben in der Studie zufolge, Sonderassistent des Unterstaatssekretärs für Öffentliche Angelegenheiten im Heimatschutz-Ministerium. Und „als Akademischer Fellow am US-Pazifik-Kommando verfaßte er einen Bericht über die Antizipation und Bekämpfung der chinesischen Bemühungen, den amerikanischen Einfluß in Südasien und Ozeanien zu bekämpfen“. Die Studie beruht auf alten britischen geopolitischen Konzepten und Vorurteilen gegenüber China. Alle Artikel, die sich auf den Begriff der „Schuldbuch-Diplomatie“ beziehen, sind erst seit Mitte Mai 2018 erschienen.

2. Sir Halford John Mackinder (1861-1947), einer der Begründer der modernen britisch-imperialen Geopolitik.

3. Die Vereinbarung sieht jedoch nicht vor, daß die Schulden von 1,4 Mrd.$ gegenüber Chinas Ex-Im-Bank automatisch erlassen werden, sondern vielmehr, daß CMPort 973,658 Mio.$ (85% der insgesamt 1,12 Mrd.$) auf die Bankkonten der SLPA einzahlen wird. Ob die Regierung von Sri Lanka diese Summe dazu verwendet, die ursprünglichen Kredite an China zurückzuzahlen, muß die Regierung von Sri Lanka entscheiden. Details der Vereinbarung findet man im Internet unter: http://www.cmport.com.hk/EN/news/Detail.aspx?id=10007328

4. The China-Africa Podcast, 4. Aug. 2018, „An Insider View of the China-Africa ,Debt-Trap’ Debate”.

5. Einen faszinierenden und detaillierten Bericht über diese Schuldenfalle findet man in Rosa Luxemburgs Schrift Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus (1913), Abschnitt III, Kapitel 30, „Die internationale Anleihe“.

6. Siehe z.B. Dennis Small, „Banker’s Math vs. Human Math: Do You Know How To Count?” über die brasilianische Schuldenkrise 1980-1990, EIR, 19. März 1999, und “How the IMF’s Policies Destroy the Physical Economy of Nations”, EIR 5. Mai 1995.