Wir müssen wegkommen von der Verteufelung des chinesischen Engagements in
Afrika
Interview mit Stefan Liebing,
Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft
Das folgende Interview mit Stefan Liebing, Hauptgeschäftsführer
des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft, entstand am 5. Juli 2018, am
Rande German African Business Day, den der Afrika-Verein in Berlin
veranstaltete. Das Gespräch führte Stephan Ossenkopp, Anmerkungen der
Redaktion sind in Klammern gesetzt.
Stephan Ossenkopp: Sie erwähnten in Ihrem Eingangsvortrag
[beim German African Business Day] die BRICS-Staaten, auch als mögliche
Wettbewerber in Afrika. Wie ist das deutsche oder europäische Verhältnis
vis-a-vis Afrika mit den BRICS-Staaten? Gibt es da
Kooperationsmöglichkeiten?
Stefan Liebing: Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die wir
von den Chinesen lernen können. Es gibt auch Dinge, die wir nicht lernen
sollten. Was Standards angeht, was möglicherweise Qualität angeht, glaube ich,
daß Deutschland schon eher vorne ist. Aber es gibt eine Reihe von Dingen, die
wir von den Chinesen lernen können, und dazu gehört in Afrika, wo
wirtschaftliche Entscheidungen immer auch politisch getrieben sind, sich ganz
eng abzustimmen zwischen Regierung und privatem Sektor. Ich glaube, da sind
wir noch nicht so gut – nicht nur darin, wenn es darum geht, private
Investitionen zu versichern, abzusichern, Garantien auszusprechen, sondern
beispielsweise auch, wenn es darum geht, mit einer Stimme zu sprechen und
Konzepte und Paketangebote als Deutschland AG vorzulegen.
Viele meiner afrikanischen Freunde sagen mir, sie würden gern mit den
Deutschen arbeiten, nicht immer mit den Chinesen, wir haben aber oft keine
Auswahl. Wenn Sie ausschreiben „Wer baut uns einen großen
Infrastrukturkorridor mit Straße, Pipeline, Raffinerie, Hafen?“, und was auch
immer dabei ist, dann finden Sie in Deutschland ja gar keinen, der das aus
einer Hand macht. Das macht die chinesische Regierung, die sich dann
herumdreht und sagt: „Hier ExIm-Bank, hier Baukonzern, hier Öl- und
Gasunternehmen, wir werden das irgendwie gemeinsam anbieten.“
Und dann gibt es strukturell Dinge, die wir von den Asiaten lernen können.
Daneben glaube ich, daß wir auch Dinge haben, die wir gemeinsam anpacken
können. Da sehe ich vor allem Infrastrukturprojekte, die ja immer eine große
Baukomponente und dann eine High-Tech-Komponente haben. Wenn ich mir anschaue,
daß Voith eine Kooperation hat mit den Chinesen, dergestalt, daß die
Hochtechnologie-Komponenten, die Turbinen, aus Deutschland kommen, und die
Bauleistungen, den großen Damm zu bauen – das sind ja oft 70-80 % des
Auftragsvolumens für ein Wasserkraftwerk –, das machen die chinesischen
Bauunternehmen. Ich habe in Deutschland übrigens auch kaum mehr
Bauunternehmen, die in Afrika aktiv sind. Also schon deshalb macht es jede
Menge Sinn, wenn man sich zusammentut, dort, wo man Stärken hat, die sich
ergänzen, und nicht direkt im Wettbewerb steht.
Ossenkopp: Ein Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums
stellt ziemlich offen dar, daß wir die Fähigkeit, schlüsselfertige
Großprojekte abzuliefern, verloren haben. Ist das nicht ein großer Verlust,
und sollten wir diese Fähigkeiten nicht eigentlich wiederherstellen
können?
Liebing: Ja, es ist natürlich ein Verlust, aber man muß auch
sagen, der Anlagenbau ist natürlich etwas, was technologisch in vielen Fällen
nicht mehr ganz an der Spitze ist, was etablierte Technologien sind. Und in
vielen Bereichen gibt es Dinge, die die Chinesen und die Asiaten inzwischen
auch können, die Sie genauso gut in Südkorea wie in Deutschland bekommen. Das
ist einfach die Entwicklung. Irgendwann waren wir auch mal Spitze in der
Textilindustrie. Das sind wir auch nicht mehr, weil wir zu teuer sind und kein
Technologievorsprung da ist. So wird es immer wieder Branchen geben, die sich
von Deutschland heraus in die Schwellenländer bewegen, weil die
Schwellenländer irgendwann auch in der Lage sind, diese Branchen abzudecken.
Dann werden wir oft zu teuer sein in unserem Qualitätsanspruch.
Deshalb glaube ich, daß das per se nicht schlimm ist, in einer weiterhin
hoffentlich multilateral freihandelsgetriebenen Welt, wenn wir nicht aus einer
Hand schlüsselfertige Projekte abliefern können. Aber es wird wichtig sein, zu
überlegen, wie können wir mit Unternehmen und anderen Ländern so kooperieren,
daß unsere High-Tech Komponenten, wo wir weiterhin führend sind,
zusammenpassen mit dem, was andere vielleicht auch günstiger anbieten
können.
Stichwort Bauleistungen: Niemand auf der Welt braucht Deutschland, um ein
Auto zusammenzuschrauben. Das kann jedes indische Unternehmen inzwischen auch.
Das kann Rußland, das können die Chinesen. Keiner auf der Welt kann eine
S-Klasse bauen. Deshalb wird die S-Klasse in allen Regierungen weiterhin
gefahren, weil es das beste Auto auf der Welt ist.
Das heißt, wir müssen aufpassen, daß wir unsere Stärken erhalten und diese
Technologievorsprünge so nützen, daß wir sie in einem Paket zusammenfahren.
Das VW-Werk in Ruanda ist eine Kooperation mit der CFAO aus einem
afrikanisch-französischen Unternehmen, was die konkrete Umsetzung vor Ort
angeht. Da gibt es viele solcher Partnerschaften, und da kann man viel mehr
mit Asien machen als bisher.
Ossenkopp: In Afrika wird im September ein großer
China-Afrika-Gipfel stattfinden. Es gibt Indizien, daß Afrika weg von den
etablierten Industrieländern nach China umschwenkt, unabhängig von dem
politischen Modell, da China es geschafft hat, in den vergangenen 40 Jahren
700 Millionen Menschen aus der Armut zu ziehen, was ja auch das
vordringlichste Ziel Afrikas ist. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Liebing: Es sind ja mehrere Aspekte. Ich sehe nicht die
Entwicklung, daß man sich in Afrika wegorientiert von Europa hin zu China. Im
Gegenteil, ich habe den Eindruck, was die wirtschaftliche Zusammenarbeit
angeht, werden die Verbindungen schwächer. China leitet viele Mittel um in die
Seidenstraßen-Initiative, die Afrika nur noch am Rande, nämlich in Ostafrika
und an den Häfen trifft, aber ansonsten weitgehend ausklammert. Mein Gefühl
ist, es gibt weniger Soft Loans, weniger Concessional Financing von China in
Afrika für die großen Infrastrukturprojekte. Ich sehe gleichzeitig, daß man
aus Qualitäts- und auch aus politischen Gründen sich eher Europa wieder
zuwendet. Schauen Sie sich an, der Machtwechsel in Südafrika, der sicher nicht
dazu geführt hat, daß man sich stärker nach China orientiert, sondern unter
dem neuen Präsidenten wahrscheinlich eher wieder etwas in Richtung Europa
gehen wird.
Bei der Frage, ob sich Afrikaner am chinesischen Modell als einer Blaupause
für ihre eigene Entwicklung orientieren, also die Frage, wollen die Afrikaner
ein ähnliches politisches und wirtschaftliches Modell, staatsgelenkter
Kapitalismus sozusagen, implementieren? Da würde ich sagen, das gibt es in
einzelnen Fällen, ja, Äthiopien ist so ein Beispiel. Und möglicherweise sind
da auch Dinge dabei, die sinnvoll sind. Am Anfang etwas stärker Wirtschaft zu
koordinieren, stark auf Infrastruktur zu setzen, das will ich gar nicht
ausschließen. Aber generell kann ich eigentlich diese Tendenz nicht sehen, im
Gegenteil.
Ossenkopp: Sie nannten die Seidenstraßen-Initiative, die die
Haltung vieler China-kritischer Länder geändert hat. Ich erwähne mal Japan,
das sich China relativ stark annähert. Es gab im vergangenen Jahr einen
Seidenstraßen-Gipfel in Peking, zu dem der Premierminister Abe den
Vorsitzenden seiner Partei entsandt hat. Es wird vermutet, daß Abe dieses Jahr
China besuchen wird, um im Zuge von Verhandlungen die Außenwirtschaftsregeln
zu verändern, um mit China zusammenzuarbeiten bei der Entwicklung in
Drittstaaten wie z.B. Afrika. Ist diese Entwicklung für westeuropäische
Länder, die ja auch oft Vorbehalte haben gegenüber China, maßgeblich?
Liebing: Um ehrlich zu sein glaube ich, daß wir etwas
ähnliches tun sollten. Wir schieben das auch an. Ich habe gerade gesagt, es
hat jede Menge Logik, wenn Deutschland und ähnliche Länder mit China gemeinsam
in dritten Ländern etwas tun, weil es bestimmte Bereiche gibt, die die
Chinesen gut abdecken können, während wir sie kaum mehr selbst haben, oder
zumindest nur schwer wettbewerbsfähig sind. Wenn wir diese Zusammenarbeit
hinbekommen, ist es ja letztlich ein ganz ähnliches Modell.
Ich nenne das „trilaterale Ansätze“. Zwei entwickelte Länder oder Regionen,
die gemeinsam versuchen, etwas Sinnvolles in Afrika voranzubringen. Wir haben
im vergangenen Jahr eine ganze Veranstaltungsserie dazu gemacht, wo wir
japanische Vertreter eingeladen haben und gesagt haben „Was können wir,
Deutschland und Japan gemeinsam in Afrika machen“. Wir haben etwas ähnliches
mit China gemacht. Ich bin in Kontakt mit dem chinesischen Botschafter und der
Bundesregierung, und höre, daß die chinesische Regierung auch regelmäßig der
deutschen Bundesregierung genau diese Vorschläge macht: Laßt uns
zusammenarbeiten, wenn es darum geht, Drittmärkte gemeinsam zu erschließen.
Ich glaube, da muß man wegkommen von so einer Einschätzung „Da sitzen die
bösen Chinesen, die möchten uns Afrika wegnehmen“.
Nochmals, es gibt Dinge, die dort verbesserungswürdig sind, wenn es um
Standards geht: Sicherheit, Arbeits-, Gesundheits-, Umweltstandards und
Qualitätsstandards. Da können wir sicher noch etwas in die Kooperation
einbringen. Aber wir müssen wegkommen von diesem Verteufeln dieses
chinesischen Engagements auf dem Kontinent. Wenn wir das zusammen machen, kann
es auch nur besser werden – für die Afrikaner besser werden, weil wir
vielleicht auch eine andere Sicht auf die Dinge einbringen, was die Form von
Zusammenarbeit angeht. Deshalb: if you can’t beat them, join them. Laßt
es uns doch gemeinsam anpacken und unsere Stärken einbringen.
Ossenkopp: Die AIIB (Asiatische
Infrastruktur-Investitionsbank) hat sich mittlerweile zu einer umfassenden
multilateralen Finanzierungsorganisation herausgebildet. Selbst der ECFR
(European Council on Foreign Relations) sagt, es ist eben nicht das
Gegenmodell zur Weltbank oder das Anti-Modell gegen den Westen, als das es in
der Presse oft dargestellt wurde. Es ist immerhin ein 100-Milliarden-Fonds,
und mit dem CRA (Contingent Reserve Arrangement) kommen sogar weitere 100 Mrd.
hinzu. Auch der Silk Road Fund, der mit 55 Mrd. wichtig ist für Afrika, ist ja
bereits von einem Bundesbankvertreter besucht worden. Können wir da über das
Bundesfinanzministerium und die Bundesbank solche multilateralen Instrumente
nutzen, um gemeinsam Projekte in Afrika zu finanzieren?
Liebing: Das fängt an. Es ist aber wirklich erst ein Anfang.
Ich selbst bin großer Fan dieser Afrika50-Initiative, wo die Afrikaner selbst
einen solchen Infrastrukturfonds aufgelegt haben. Da sind die Hälfte der
afrikanischen Regierungen inzwischen beigetreten. Die haben jetzt mal eine
Milliarde zusammengelegt. Die Freunde von Afrika50 waren auch hier, sprechen
mit der Bundesregierung. Der Plan ist, erst einmal mit drei Milliarden
anzufangen. Wenn Sie jetzt rechnen, daß Sie mit einer Eigenkapitalrate von
vielleicht 30% klarkommen, heißt das, Sie können immerhin für 10 Milliarden
Infrastruktur bauen.
Deren Engpaß sind die guten Projekte momentan. Ich glaube gar nicht, daß
wir einen Engpaß an Geldern haben für Infrastruktur, sondern wir haben einen
Engpaß an Bankable Projects. Und dafür brauchen Sie Gelder, Hochrisikokapital,
die Sie in frühe Entwicklungsphasen stecken können. Sobald Sie ein Projekt
haben, das baureif ist, mit allen Verträgen, Garantien, Versicherungen
abgeschlossen, finden Sie auf der Welt viel mehr Geld, als Sie gebrauchen
können. Das Problem ist die Phase von der Idee bis zur Baureife, und das zu
finanzieren, ist, was Afrika50 mit seinen Budgets macht.
Wir haben der Bundesregierung vorgeschlagen, für deutsche Unternehmen eine
Versicherung anzubieten für die Projektentwicklungsphase. Ein deutscher
Projektentwickler für einen Windpark, der nach Afrika geht, muß, bis er
überhaupt weiß, ob er investieren und Geld verdienen kann, mal 4-5 Millionen
ausgeben: Studien, Land sichern, Anwälte, Hinfliegen, was auch immer. Wir
haben gesagt „Laßt uns mal ein Versicherungsmodell machen.“. Wenn dieses
Investment erfolgreich wird, zahlt er natürlich eine Versicherungsprämie und
reduziert seine Gewinne ein bißchen. Wenn das Investment nichts wird, kriegt
er einen Teil seiner Vorlaufkosten aus dieser Versicherung erstattet. Wir
haben gesagt „Laßt uns einen Topf machen“. Ich bin sicher, der wird sich auch
wieder auffüllen über erfolgreiche Projekte. Aber laßt uns mal 100 Millionen
nehmen aus dem deutschen Entwicklungshaushalt. Herr Müller
(Bundesentwicklungsminister Gerd Müller) bekommt jetzt 900 Millionen
zusätzlich, und von diesen 900 Millionen laßt uns mal 100 Millionen nehmen, in
einen Topf legen und den mal leerlaufen. Ich bin relativ sicher, daß das
einfach die Anzahl der Infrastrukturprojekte vervielfachen wird, die wir
machen werden mit relativ wenig Geld. Wenn Sie 10 Millionen einem
Windprojektentwickler aus Deutschland geben, der hier die Energiewende gemacht
hat, also 10 Millionen absichern, dann kann der vier Projekte machen, wo er
heute nur zwei machen kann. Bei konstanter Erfolgswahrscheinlichkeit würde das
ja heißen, ich verdopple auch die Anzahl der Projekte, die am Ende gebaut
werden, mit relativ wenig Geld.
Das sind so Dinge, die wir gerade versuchen, mit der Bundesregierung zu
diskutieren. Man kann das natürlich auch multilateral machen. Afrika50 darf
10% der Mittel auch für solche Frühphasen ausgeben und investieren. Um ehrlich
zu sein, ist es mir Wurscht, wie wir das organisieren. Ob wir deutsche
Entwicklungsgelder in eine asiatische Developmentbank geben, die dann über die
Chinesen mit unseren Partnern in Afrika (arbeitet)…, da gibt es andere, die
bessere Ideen haben, wie man es strukturiert, und ich habe keine Ahnung, am
meisten Steuern spart oder sonstwas. Für mich ist der Punkt, wir müssen das
machen! Wir haben einen Vorschlag gemacht, wie so etwas organisiert sein kann.
Ich bin aber sehr offen, wenn jemand schlaueres kommt und bessere Vorschläge
hat, dann machen wir es auf eine andere Art und Weise. Es muß nur jetzt mal
gemacht werden. Und das diskutieren wir seit einem Jahr. Wir hatten heute vor
einem Jahr den Präsidenten (Staatspräsident Alpha Condé aus Guinea) am
Vorabend des G20-Gipfels. Vor einem Jahr haben wir angefangen, zu diskutieren
in der Bundesregierung. Seit einem Jahr ist nichts davon umgesetzt worden, und
das ist es, was ich für den deutschen Mittelstand so ärgerlich finde.