"Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen.
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst."
Friedrich Schiller
  Afrika

Afrika entwickeln – zusammen mit China!

Von Rainer Apel

Die Distanz und Zurückhaltung, die von der deutschen Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries beim Beijinger Seidenstraßengipfel zutage gelegt wurde, ist leider repräsentativ für das Kleindenken der deutschen Außen- und Außenwirtschaftpolitik. Die hierzulande praktizierte „Politik der kleinen Schritte“ ist kaum noch in der Lage, größere Entwicklungen konstruktiv zu deuten – die Beijinger Strategie der Neuen Seidenstraße wird mit Mißtrauen oder sogar als Bedrohung wahrgenommen. Daß es sich hierbei um einen bisher nie dagewesenen wirtschaftlichen Aufbruch handelt, der von den meisten Ländern der Welt ausdrücklich begrüßt wird, paßt nicht ins geopolitische Denkmuster der deutschen Politik, die nichts verändern und krampfhaft am alten Paradigma festhalten will, in dessen Zentrum noch der Kalte Krieg mit seiner klaren Trennung der Welt zwischen Ost und West, Nord und Süd steht. Das dient nicht den Interessen eines notwendigerweise auf Wachstum angewiesenen, führenden Exportlandes wie Deutschland.

Die Welt und deren Wirtschaftsordnung sind gerade dabei, sich grundlegend zu verändern, und wenn sich die deutsche Industrie nicht aktiv daran beteiligt, droht ihr die Gefahr, von anderen aufstrebenden Nationen überholt und abgehängt zu werden. Noch besitzt Deutschland Restkenntnisse der Magnetbahn- und Atomtechnik, aber deren Weiterentwicklung findet jetzt international ohne deutsche Mitwirkung statt. Auch der bisherige Vorsprung der deutschen Kernfusionsforschung kann schnell dahinschmelzen, und Automobile, Maschinen und logistische Systeme werden in großen Stückzahlen bereits auch anderswo gebaut. Die hierzulande oft an den Tag gelegte Selbstzufriedenheit stößt sich hart an den Realitäten. Aber der traditionelle Adler in der deutschen Staatsfahne hat dem Vogel Strauß Platz gemacht, der seinen Kopf ins Sandloch senkt, so scheint es. Deutsche Investitionen im Ausland sind, so der UNCTAD-Bericht für 2016, im vergangenen Jahr um ganze zwei Drittel von 93 Milliarden auf 35 Milliarden Dollar gefallen – nicht gerade ein Zeichen für Zukunftsorientierung.

So kann es nicht bleiben. Deutschland muß wieder dynamisch werden, und das ist auch möglich. Das neben dem eurasischen Teil der Neuen Seidenstraße interessanteste Aktionsfeld für die deutsche Politik ist der Kontinent vor der europäischen Haustür, den unsere Politiker erst im Zuge der großen Flüchtlingswelle von 2015 wirklich entdeckt haben: Afrika. Nordafrika, auf das sich die deutsche Politik derzeit konzentriert, ist aber nur Durchgangsstation der Flüchtlinge, die überwiegend aus West- und Ostafrika kommen. Dort durch substantielle Investitionen in Infrastruktur und Produktion Millionen neuer Arbeitsplätze und damit einen Anreiz für junge Afrikaner zu schaffen, ist als Herausforderung erkannt – zumindest Gerd Müller, der deutsche Entwicklungsminister, weist immer wieder zurecht darauf hin.

Aber dort für Entwicklung zu sorgen, geht über den Rahmen klassischer Entwicklungspolitik hinaus, es wird ein ganz neuer Ansatz benötigt, und dazu gibt es einen guten Vorschlag, der auf der Essener Konferenz des Schiller-Instituts im Oktober 2016 gemacht wurde: Deutschland und andere europäische Länder, China und afrikanische Länder sollten zusammenarbeiten bei großen Projekten, die der wirtschaftlichen Entwicklung des Schwarzen Kontinents dienen. Zahlreiche Projekte, zumal im Eisenbahnsektor, werden von China bereits im Alleingang finanziert, die Chinesen wünschen aber ausdrücklich die Zusammenarbeit mit den Europäern. Auch wenn nicht alle europäischen Länder Interesse zeigen sollten: in jedem Fall kann eine deutsch-chinesische Kooperation zum großen Nutzen Afrikas sein.

Welche Projekte wären denn hierfür geeignet?

Kraftwerksbau

Eines der ganz wenigen Großprojekte der deutschen Industrie im Ausland in den letzten Jahren ist die Errichtung von zwei riesigen Gaskraftwerkskomplexen durch die Firma Siemens. Nach seiner Fertigstellung wird das 8 Milliarden Euro teure Projekt etwa die Hälfte der ägyptischen Bevölkerung mit Strom versorgen. Ägypten hat auch ein Atomenergieprogramm, dazu hat aber Deutschland nach seinem Ausstieg aus der Kernkraft nichts anzubieten, die Ägypter arbeiten da mit den Russen zusammen. In jedem Fall kann Deutschland aber für afrikanische Länder ohne eigene Erdgasressourcen in der Wasserkrafttechnik aktiv werden. Das vor 30 Jahren von italienischen Ingenieuren entworfene Transaqua-Projekt, das dem weitgehend ausgetrockneten Tschadsee Wasser, das man den nördlichen Zuflüssen des Kongo entnimmt, zur Wiederauffüllung zuleiten soll, ist ein geeignetes Projekt auch für deutsche Wasserbautechniker. Weitere Infrastruktur wie Straßen, Eisenbahnlinien, Kanäle soll laut dem italienischen Entwurf zwischen dem Tschadsee und dem Kongobecken errichtet werden, die Energieversorgung würde aus den Stauwerken, die an den erwähnten Kongozuflüssen entstehen, gespeist.

Da der Kongo nach dem Amazonas der wasserreichste Fluß der Welt ist, wäre die Durchführung eines weiteren Großprojekts ohne Gefahr einer Wasserverknappung möglich: der Bau des Grand Inga, eines gigantischen kongolesischen Staudammkomplexes mit einer Gesamtleistung von 40 Gigawatt Stromerzeugung, was dem Dreifachen des chinesischen Drei-Schluchten-Damms entspräche und den Bedarf des gesamten Mittelgürtels von Afrika decken könnte. Da deutsche und chinesische Ingenieure bereits beim Drei-Schluchten-Damm große technische Herausforderungen in enger Zusammenarbeit gemeistert haben, kann diese Partnerschaft für beide Projekte – den Tschadsee und Grand Inga - erneuert werden. Für das Tschad-Projekt ist seitens Chinas bereits Interesse gezeigt worden.

Eisenbahnbau

Das derzeitige chinesische Engagement beim Bau neuer Bahntrassen in Ostafrika ist eindrucksvoll, stellt jedoch nur einen Anfang dar. Der allergrößte Teil Afrikas wartet, mit Ausnahme der noch zur Kolonialzeit und vorwiegend in Küstennähe errichteten Bahnstrecken, immer noch auf die eisenbahnmäßige Erschließung. Einige zehntausend Kilometer an Bahntrassen sind das Mindestprogramm für den Schwarzen Kontinent – selbst bei nur eingleisigem Ausbau wären das immer doppelt so viele Kilometer an Bahnschienen. Allein die durch die Turbulenzen des „Arabischen Frühlings“ leider abgebrochene Realisierung der Nordafrikabahn quer durch Libyen entlang der Mittelmeerküste erfordert viermal 1400 Kilometer Schienen bei doppelgleisigem Ausbau. Vor 2012 wollten China und Rußland diese Strecke in zwei Abschnitten errichten – es spräche nichts dagegen, wenn Deutschland heute dabei mitmachte.

Schienen bestehen aus besonders hochwertigem Spezialstahl. Deutschland ist eines der wenigen Länder weltweit, das solchen Stahl für diesen Zweck herstellt, heute allerdings mangels neuer Großprojekte im Land selbst und in Europa nur noch in geringen Mengen. Ein Afrikaprogramm verlangt nach sehr viel mehr Schienenstahl. Dieser, ebenso wie die Betonschwellen und der Schotter für die Gleisbette sowie Baustoffe für Brücken und Tunnel, kann in solchen Mengen nur vor Ort sinnvoll erzeugt werden, dazu müssen regional in Afrika Fertigungsanlagen errichtet werden, und da kann der deutsche Anlagenbau direkt oder in Gemeinschaftsunternehmen mit China aktiv werden.

Da (wie wenig bekannt ist) auch Brasilien einer der großen Investoren im Abbau von Erzen und Mineralien in Afrika ist, könnte die deutsche Zusammenarbeit mit China, das in Äthiopien und Kenia bereits in der beschriebenen Weise beim Bahnbau vorgegangen ist, auf Brasilien erweitert werden, das über die BRICS-Gruppe ohnehin mit China eng verbunden ist.

Weil der Transport von Rohstoffen in Afrika noch überwiegend auf der Straße erfolgt, ist der Bau von Trassen für den Güterverkehr unabdingbar, wenn nicht nur wie bisher die Exporte in andere Teile der Welt abgewickelt werden sollen, sondern Afrika sich auch selbst entwickeln will und dazu einen intensiven Güteraustausch innerhalb des Kontinents benötigt. Hier wäre ein bisher vernachlässigter, aber vielversprechender Forschungsbereich für Deutschland und China, die seit den 80er Jahren abgebrochene Arbeit an einem Güter-Magnetbahn-System wiederaufzunehmen und in Afrika eine Bahnfrachttechnik, die dem 21. Jahrhundert angemessen wäre, zur großräumigen Anwendung zu bringen. Ohnehin würde auch der Personenverkehr auf den ganz großen Kontinentalstrecken Ost-West (Mombasa-Lagos) und Nord-Süd (Kairo-Kapstadt, Tripoli-Brazzaville) von superschnellen Magnetbahnsystemen profitieren.

Raumfahrt

Der Mittelgürtel der Erdlandmasse wird oberhalb des Äquators seit Jahrzehnten für die Raumfahrt genutzt – Florida von den Amerikanern und Französisch-Guayana von den Europäern. Auf demselben Gürtel liegt auch ein größerer Teil Afrikas, der für den Bau von Raumflughäfen geeignet wäre. Da etliche afrikanische Länder bereits eigene Satelliten in die Erdumlaufbahn gebracht haben, allerdings bisher von Indien und Kasachstan aus, und weitere Länder in die Raumfahrt einsteigen wollen, bietet sich die Errichtung zumindest eines Raumflughafens auf afrikanischem Boden an. Die Bildung von Wolken, oft ein Anlaß zur Verschiebung von geplanten Starts in Florida oder Französisch-Guayana, würde in den afrikanischen Trockengebieten vermieden, Starts von dort aus wären also vorteilhaft.

Der Aufbau eines eigenen Raumfahrtsektors in Afrika würde außerdem die Zielgruppe talentierter junger Afrikaner in die Lage bringen, Fachwissen in einem Pioniersektor der Hochtechnik auszubilden, was von Vorteil auch für andere technische Bereiche wäre. Die künftige wirtschaftliche Entwicklung afrikanischer Länder stünde somit mehr und mehr auf eigenen Füßen. Außerdem wäre es von enormer Bedeutung für das Menschheitsziel Raumfahrt, wenn künftige permanente Raumstationen, Stützpunkte für die Forschung auf Mond und Mars auch Astronauten aus Afrika unter ihren Besatzungen hätten. Dies wäre mit Sicherheit im Sinne des deutschen Raumfahrtpioniers Krafft Ehricke, der die gesamte Menschheit teilnehmen lassen wollte am Vorstoß ins Weltall, und da gehört Afrika mit dazu.