Afrika entwickeln – zusammen mit China!
Von Rainer Apel
Die Distanz und Zurückhaltung, die von der deutschen Wirtschaftsministerin
Brigitte Zypries beim Beijinger Seidenstraßengipfel zutage gelegt wurde, ist
leider repräsentativ für das Kleindenken der deutschen Außen- und
Außenwirtschaftpolitik. Die hierzulande praktizierte „Politik der kleinen
Schritte“ ist kaum noch in der Lage, größere Entwicklungen konstruktiv zu
deuten – die Beijinger Strategie der Neuen Seidenstraße wird mit Mißtrauen
oder sogar als Bedrohung wahrgenommen. Daß es sich hierbei um einen bisher nie
dagewesenen wirtschaftlichen Aufbruch handelt, der von den meisten Ländern der
Welt ausdrücklich begrüßt wird, paßt nicht ins geopolitische Denkmuster der
deutschen Politik, die nichts verändern und krampfhaft am alten Paradigma
festhalten will, in dessen Zentrum noch der Kalte Krieg mit seiner klaren
Trennung der Welt zwischen Ost und West, Nord und Süd steht. Das dient nicht
den Interessen eines notwendigerweise auf Wachstum angewiesenen, führenden
Exportlandes wie Deutschland.
Die Welt und deren Wirtschaftsordnung sind gerade dabei, sich grundlegend
zu verändern, und wenn sich die deutsche Industrie nicht aktiv daran
beteiligt, droht ihr die Gefahr, von anderen aufstrebenden Nationen überholt
und abgehängt zu werden. Noch besitzt Deutschland Restkenntnisse der
Magnetbahn- und Atomtechnik, aber deren Weiterentwicklung findet jetzt
international ohne deutsche Mitwirkung statt. Auch der bisherige Vorsprung der
deutschen Kernfusionsforschung kann schnell dahinschmelzen, und Automobile,
Maschinen und logistische Systeme werden in großen Stückzahlen bereits auch
anderswo gebaut. Die hierzulande oft an den Tag gelegte Selbstzufriedenheit
stößt sich hart an den Realitäten. Aber der traditionelle Adler in der
deutschen Staatsfahne hat dem Vogel Strauß Platz gemacht, der seinen Kopf ins
Sandloch senkt, so scheint es. Deutsche Investitionen im Ausland sind, so der
UNCTAD-Bericht für 2016, im vergangenen Jahr um ganze zwei Drittel von 93
Milliarden auf 35 Milliarden Dollar gefallen – nicht gerade ein Zeichen für
Zukunftsorientierung.
So kann es nicht bleiben. Deutschland muß wieder dynamisch werden, und das
ist auch möglich. Das neben dem eurasischen Teil der Neuen Seidenstraße
interessanteste Aktionsfeld für die deutsche Politik ist der Kontinent vor der
europäischen Haustür, den unsere Politiker erst im Zuge der großen
Flüchtlingswelle von 2015 wirklich entdeckt haben: Afrika. Nordafrika, auf das
sich die deutsche Politik derzeit konzentriert, ist aber nur Durchgangsstation
der Flüchtlinge, die überwiegend aus West- und Ostafrika kommen. Dort durch
substantielle Investitionen in Infrastruktur und Produktion Millionen neuer
Arbeitsplätze und damit einen Anreiz für junge Afrikaner zu schaffen, ist als
Herausforderung erkannt – zumindest Gerd Müller, der deutsche
Entwicklungsminister, weist immer wieder zurecht darauf hin.
Aber dort für Entwicklung zu sorgen, geht über den Rahmen klassischer
Entwicklungspolitik hinaus, es wird ein ganz neuer Ansatz benötigt, und dazu
gibt es einen guten Vorschlag, der auf der Essener Konferenz des
Schiller-Instituts im Oktober 2016 gemacht wurde: Deutschland und andere
europäische Länder, China und afrikanische Länder sollten zusammenarbeiten bei
großen Projekten, die der wirtschaftlichen Entwicklung des Schwarzen
Kontinents dienen. Zahlreiche Projekte, zumal im Eisenbahnsektor, werden von
China bereits im Alleingang finanziert, die Chinesen wünschen aber
ausdrücklich die Zusammenarbeit mit den Europäern. Auch wenn nicht alle
europäischen Länder Interesse zeigen sollten: in jedem Fall kann eine
deutsch-chinesische Kooperation zum großen Nutzen Afrikas sein.
Welche Projekte wären denn hierfür geeignet?
Kraftwerksbau
Eines der ganz wenigen Großprojekte der deutschen Industrie im Ausland in
den letzten Jahren ist die Errichtung von zwei riesigen Gaskraftwerkskomplexen
durch die Firma Siemens. Nach seiner Fertigstellung wird das 8 Milliarden Euro
teure Projekt etwa die Hälfte der ägyptischen Bevölkerung mit Strom versorgen.
Ägypten hat auch ein Atomenergieprogramm, dazu hat aber Deutschland nach
seinem Ausstieg aus der Kernkraft nichts anzubieten, die Ägypter arbeiten da
mit den Russen zusammen. In jedem Fall kann Deutschland aber für afrikanische
Länder ohne eigene Erdgasressourcen in der Wasserkrafttechnik aktiv werden.
Das vor 30 Jahren von italienischen Ingenieuren entworfene Transaqua-Projekt,
das dem weitgehend ausgetrockneten Tschadsee Wasser, das man den nördlichen
Zuflüssen des Kongo entnimmt, zur Wiederauffüllung zuleiten soll, ist ein
geeignetes Projekt auch für deutsche Wasserbautechniker. Weitere Infrastruktur
wie Straßen, Eisenbahnlinien, Kanäle soll laut dem italienischen Entwurf
zwischen dem Tschadsee und dem Kongobecken errichtet werden, die
Energieversorgung würde aus den Stauwerken, die an den erwähnten
Kongozuflüssen entstehen, gespeist.
Da der Kongo nach dem Amazonas der wasserreichste Fluß der Welt ist, wäre
die Durchführung eines weiteren Großprojekts ohne Gefahr einer
Wasserverknappung möglich: der Bau des Grand Inga, eines gigantischen
kongolesischen Staudammkomplexes mit einer Gesamtleistung von 40 Gigawatt
Stromerzeugung, was dem Dreifachen des chinesischen Drei-Schluchten-Damms
entspräche und den Bedarf des gesamten Mittelgürtels von Afrika decken könnte.
Da deutsche und chinesische Ingenieure bereits beim Drei-Schluchten-Damm große
technische Herausforderungen in enger Zusammenarbeit gemeistert haben, kann
diese Partnerschaft für beide Projekte – den Tschadsee und Grand Inga -
erneuert werden. Für das Tschad-Projekt ist seitens Chinas bereits Interesse
gezeigt worden.
Eisenbahnbau
Das derzeitige chinesische Engagement beim Bau neuer Bahntrassen in
Ostafrika ist eindrucksvoll, stellt jedoch nur einen Anfang dar. Der
allergrößte Teil Afrikas wartet, mit Ausnahme der noch zur Kolonialzeit und
vorwiegend in Küstennähe errichteten Bahnstrecken, immer noch auf die eisenbahnmäßige Erschließung. Einige zehntausend Kilometer an
Bahntrassen sind das Mindestprogramm für den Schwarzen Kontinent – selbst bei
nur eingleisigem Ausbau wären das immer doppelt so viele Kilometer an
Bahnschienen. Allein die durch die Turbulenzen des „Arabischen Frühlings“
leider abgebrochene Realisierung der Nordafrikabahn quer durch Libyen entlang
der Mittelmeerküste erfordert viermal 1400 Kilometer Schienen bei
doppelgleisigem Ausbau. Vor 2012 wollten China und Rußland diese Strecke in
zwei Abschnitten errichten – es spräche nichts dagegen, wenn Deutschland heute
dabei mitmachte.
Schienen bestehen aus besonders hochwertigem Spezialstahl. Deutschland ist
eines der wenigen Länder weltweit, das solchen Stahl für diesen Zweck
herstellt, heute allerdings mangels neuer Großprojekte im Land selbst und in
Europa nur noch in geringen Mengen. Ein Afrikaprogramm verlangt nach sehr viel
mehr Schienenstahl. Dieser, ebenso wie die Betonschwellen und der Schotter für
die Gleisbette sowie Baustoffe für Brücken und Tunnel, kann in solchen Mengen
nur vor Ort sinnvoll erzeugt werden, dazu müssen regional in Afrika
Fertigungsanlagen errichtet werden, und da kann der deutsche Anlagenbau direkt
oder in Gemeinschaftsunternehmen mit China aktiv werden.
Da (wie wenig bekannt ist) auch Brasilien einer der großen Investoren im
Abbau von Erzen und Mineralien in Afrika ist, könnte die deutsche
Zusammenarbeit mit China, das in Äthiopien und Kenia bereits in der
beschriebenen Weise beim Bahnbau vorgegangen ist, auf Brasilien erweitert
werden, das über die BRICS-Gruppe ohnehin mit China eng verbunden ist.
Weil der Transport von Rohstoffen in Afrika noch überwiegend auf der Straße
erfolgt, ist der Bau von Trassen für den Güterverkehr unabdingbar, wenn nicht
nur wie bisher die Exporte in andere Teile der Welt abgewickelt werden sollen,
sondern Afrika sich auch selbst entwickeln will und dazu einen intensiven
Güteraustausch innerhalb des Kontinents benötigt. Hier wäre ein bisher
vernachlässigter, aber vielversprechender Forschungsbereich für Deutschland
und China, die seit den 80er Jahren abgebrochene Arbeit an einem
Güter-Magnetbahn-System wiederaufzunehmen und in Afrika eine
Bahnfrachttechnik, die dem 21. Jahrhundert angemessen wäre, zur großräumigen
Anwendung zu bringen. Ohnehin würde auch der Personenverkehr auf den ganz
großen Kontinentalstrecken Ost-West (Mombasa-Lagos) und Nord-Süd
(Kairo-Kapstadt, Tripoli-Brazzaville) von superschnellen Magnetbahnsystemen
profitieren.
Raumfahrt
Der Mittelgürtel der Erdlandmasse wird oberhalb des Äquators seit
Jahrzehnten für die Raumfahrt genutzt – Florida von den Amerikanern und
Französisch-Guayana von den Europäern. Auf demselben Gürtel liegt auch ein
größerer Teil Afrikas, der für den Bau von Raumflughäfen geeignet wäre. Da
etliche afrikanische Länder bereits eigene Satelliten in die Erdumlaufbahn
gebracht haben, allerdings bisher von Indien und Kasachstan aus, und weitere
Länder in die Raumfahrt einsteigen wollen, bietet sich die Errichtung
zumindest eines Raumflughafens auf afrikanischem Boden an. Die Bildung von
Wolken, oft ein Anlaß zur Verschiebung von geplanten Starts in Florida oder
Französisch-Guayana, würde in den afrikanischen Trockengebieten vermieden,
Starts von dort aus wären also vorteilhaft.
Der Aufbau eines eigenen Raumfahrtsektors in Afrika würde außerdem die
Zielgruppe talentierter junger Afrikaner in die Lage bringen, Fachwissen in
einem Pioniersektor der Hochtechnik auszubilden, was von Vorteil auch für
andere technische Bereiche wäre. Die künftige wirtschaftliche Entwicklung
afrikanischer Länder stünde somit mehr und mehr auf eigenen Füßen. Außerdem
wäre es von enormer Bedeutung für das Menschheitsziel Raumfahrt, wenn künftige
permanente Raumstationen, Stützpunkte für die Forschung auf Mond und Mars auch
Astronauten aus Afrika unter ihren Besatzungen hätten. Dies wäre mit
Sicherheit im Sinne des deutschen Raumfahrtpioniers Krafft Ehricke, der die
gesamte Menschheit teilnehmen lassen wollte am Vorstoß ins Weltall, und da
gehört Afrika mit dazu.