Zusammenarbeit für das kulturelle Erbe der Welt:
Ein wichtiger Schlüssel für den Weltfrieden
Von Karel Vereycken
Karel Vereycken ist Maler und Graveur, Kunsthistoriker und Aktivist
des Schiller-Instituts in Frankreich. Im vierten Abschnitt der Internetkonferenz
des Schiller-Instituts am 16. Juni 2024 sagte er folgendes. (Übersetzung aus dem
Englischen.)
Bevor wir über das Weltkulturerbe sprechen, ein paar Worte zu den Begriffen
„Sympathie“, „Empathie“ und „Mitgefühl“ - drei Begriffe, die mit dem Wort
pathos, dem griechischen Wort für „Leiden“ oder „Zuneigung“,
zusammenhängen.
Heute wird „Empathie“ oft austauschbar mit „Sympathie“ und „Barmherzigkeit“
verwendet, aber sie sind nicht wirklich dasselbe. Alle drei beziehen sich auf eine
fürsorgliche Reaktion auf die Notlage eines anderen Menschen (pathos).
- Sympathie bezeichnet ein Gefühl der aufrichtigen Anteilnahme an den
Gefühlen eines Menschen, der etwas Schwieriges oder Schmerzliches erlebt.
- Empathie (Einfühlungsvermögen) ist ein Wort, das im frühen
20. Jahrhundert als Übersetzung des deutschen Wortes „Einfühlung“ geprägt wurde
und bedeutet, mit den Menschen zu fühlen, nicht nur für sie zu
fühlen. Wenn man einfühlsam ist, ist man ganz bei ihnen und fühlt mit, denn man
versetzt sich in ihre Lage.
- Barmherzigkeit (Mitgefühl) geht über Empathie hinaus und
bedeutet Handeln. Sie geht einher mit Altruismus oder dem Wunsch, etwas für die
andere Person zu tun. Einfach ausgedrückt, man kann sich in die Situation des
anderen hineinversetzen und möchte ihm helfen.
Aber Empathie, das Einfühlungsvermögen, ist besonders wichtig für unser Thema
an dieser Stelle, für das „Frieden stiften“, weil sie eine Brücke zwischen
Menschen bauen kann, die sich gegenseitig als „Feinde“ betrachten. Wir können
Empathie für Personen zeigen, die uns überhaupt nicht sympathisch sind. Wir teilen
ihre Gefühle nicht, aber anstelle bloßer Zuneigung engagieren wir uns in dem, was
man „kognitive Empathie“ nennt: Wir wissen genug über den Hintergrund und die
Kultur des anderen, um seine Beweggründe zu verstehen. Als Nebenprodukt kann uns
Empathie helfen, zu vergeben und zu verzeihen, so wie es der Westfälische Friede
verlangt.
Wenn wir heute den Frieden Wirklichkeit werden lassen wollen, dann müssen wir
uns mobilisieren, um das Niveau der Empathie zu erhöhen.
Heutzutage wird die Empathie systematisch unterdrückt:
- durch die Förderung eines brutalen Wettbewerbs (deshalb ist
professioneller Sport „erlaubt“)
- eine Kultur der Bildschirme, und
- immer weniger Dialog von Mensch zu Mensch.
Nach den blutigen Kriegen zwischen Frankreich und Deutschland gab es in Europa
eine Kampagne zur Stärkung der Empathie, als in Frankreich das Goethe-Institut und
in Deutschland die Alliance Française gegründet wurden. Es gab auch die Bewegung
für die Partnerstädte, die es Menschen aus einem Ort ermöglichte, einen Partnerort
im anderen Land zu besuchen. Man unterhielt sich, lachte über Vorurteile und
feierte gemeinsam, man führte einen persönlichen Dialog und lernte, in den
Gesichtern die Gefühle zu lesen, die „hinter“ den Worten standen.
Das Wissen, das man sich über die Kultur, Sprache und Geschichte des anderen
aneignen kann, ist natürlich ein grundlegendes Hilfsmittel, um diese kognitive
Empathie zu entwickeln, die es uns ermöglicht, Menschen als „Produkte“ einer
Geschichte, Kultur und Zivilisation zu sehen, und nicht nur als atomisierte kleine
Einheiten.
Nachdem ich zum Beispiel die Philosophie der Mu'tazila des Bagdader
Abassidenkalifats entdeckt hatte, änderte sich meine gesamte Sicht auf den Islam.
Ich weiß genau, was mit ihrer Zivilisation geschehen ist, ich kenne ihre
Enttäuschungen und Hoffnungen.
China engagiert sich jetzt sehr für den Schutz des vorislamischen Kulturerbes
in Afghanistan und anderen Ländern Zentralasiens. Das ist in seinem eigenen
Interesse. Ein führender chinesischer Archäologe, den ich traf, sagte völlig
richtig, die Schönheit und intellektuelle Herausforderung dieser Kunst „ist der
beste Weg, den Terrorismus zu bekämpfen.“ Nicht Waffen und Drohnen, sondern
Kultur!
In Afghanistan trafen sich damals die Akteure der Seidenstraße, als sich die
griechische Kultur nach Osten und die chinesische Kultur nach Westen
ausbreiteten.
Die Buddhisten waren in diesem Gebiet sowohl auf der Seidenstraße zur See als
auch auf der zu Lande sehr aktiv, das reichte bis nach Pakistan, Indien, Sri
Lanka, Xinjiang und China. Sie beschäftigten sich intensiv mit Metallurgie,
Architektur, Malerei, Bildhauerei, Poesie und Literatur. Der früheste bekannte
gedruckte Text ist ein buddhistischer Text aus dem Jahr 868 nach Christus.
© Barakat Gallery
Abb. 1: Bodhisattva des unendlichen Mitgefühls, um 1250, Song-Dynastie.
© Dallas Museum of Art, Wendover Fund
Abb. 2: Denkender Bodhisattva, Hadda, Gandhara, Afghanistan.
Hinzu kommt die Geburt einer sehr agapischen Form des Mahayana-Buddhismus in
der Region Gandhara (heute hauptsächlich in Pakistan). Seine Anhänger verfolgten
nicht das rein persönliche Ziel des Nirwana (Erleuchtung), sondern freuten sich
darüber, die gesamte Menschheit vom Leiden zu befreien!
Einfühlungsvermögen, Mitgefühl und Barmherzigkeit waren die höchsten
Qualitäten, die in der Gandhara-Kunst verherrlicht wurden, vor allem in Form der
sogenannten Bodhisattvas, das sind gewöhnliche Menschen, die eigentlich erleuchtet
werden sollten, sich aber stattdessen dafür entschieden haben, in dieser Welt zu
bleiben, um das Leiden aller Wesen zu lindern und um anderen zu helfen,
Erleuchtung zu erlangen.1
Die Abbildungen 1 und 2 sind Beispiele dafür.
Einer, der verstanden hatte, daß diese revolutionäre Form des Buddhismus die
Region befrieden konnte, war der indische Ministerpräsident Nehru, er nannte seine
Tochter - die spätere Premierministerin Indira Gandhi - „Indira Priyadashini“,
weil Priyadarshi der Name war, den Kaiser Ashoka der Große (304-232 v. Chr.)
annahm, nachdem er konvertiert und ein buddhistischer Friedensfürst geworden
war.
Im Jahr 1956, kurz vor der Gründung der Bewegung der Blockfreien und nach der
Konferenz von Bandung, veranstaltete Nehru ein einjähriges Fest zu Ehren von „2500
Jahren Buddhismus“ - nicht um einen alten Glauben wieder aufleben zu lassen,
sondern um für Indien den Status als Geburtsort des Buddhismus zu beanspruchen:
ein alter Glaube, der für Gewaltlosigkeit und Pazifismus steht und dazu aufruft,
das schändliche „Kastensystem“ zu beenden, das die Briten verschlimmert hatten und
weltweit aufrechterhalten wollten.
Mes Aynak
Heute arbeiten wir vom Schiller-Institut zusammen mit dem Ibn Sina Research
& Development Center in Kabul an der Rettung der archäologischen Stätte von
Mes Aynak. Wir wollen erreichen, daß die UNESCO sie zum Weltkulturerbe
erklärt.
Mes Aynak ist das zweitgrößte Kupfervorkommen der Welt, und Afghanistan braucht
den Bergbau, um Einnahmen für den dringend nötigen Wiederaufbau des Landes zu
erzielen. Aber über der Mine stehen die Ruinen eines riesigen buddhistischen
Klosterkomplexes, der zwischen dem 1. und 8. Jahrhundert ein wichtiger
Handelsposten an der Seidenstraße war.
Nach unserer Kampagne und vielen Gesprächen zwischen der afghanischen
Regierung, China und dem chinesischen Bergbauunternehmen haben sich alle
Beteiligten darauf geeinigt, daß das gesamte kulturelle Erbe an der Oberfläche
geschützt wird und der Abbau nur mit unterirdischen Techniken geschieht.
Wir haben einen Kampf gewonnen, jetzt müssen wir den Frieden gewinnen.
Anmerkung
1. https://artkarel.com/the-miracle-of-gandhara-when-buddha-turned-himself-into-man/
|