Friedrich Schiller Denkmal
Friedrich Schiller



Hauptseite
       

Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Der Oasenplan ist eine Chance für Palästinenser und Israelis

Von Prof. Dr. Manuel Hassassian

S.E. Prof. Dr. Manuel Hassassian ist Botschafter Palästinas in Dänemark. Im ersten Abschnitt der Konferenz des Schiller-Instituts zum Oasenplan am 13. April sagte er folgendes. (Übersetzung aus dem Englischen, Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt.)

Hallo und vielen Dank für die Einladung. Es ist mir eine Ehre, an diesem Podium mit angesehenen Gästen teilzunehmen. Dies ist ein internationales Podium, auf dem globale Botschaften an die Welt gerichtet werden sollten, insbesondere mit dem Oasenplan des Schiller-Instituts, der im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung weltweit große Resonanz findet.

Doch bevor wir ein wenig über den Oasenplan sprechen, möchte ich auf den Höhepunkt dieses langwierigen Konflikts, der seit 75 Jahren zwischen Palästinensern und Israelis herrscht, eingehen.

Wir, die Palästinenser, sind im Laufe der Geschichte viele Male erobert worden. Das letzte Mal war es im Grunde das britische Mandat, das es Israel durch die Balfour-Deklaration nach dem Krieg von 1948, als Israel seine Unabhängigkeit erklärte, auf dem Silbertablett servierte, und es setzte 1967 seine Aggression fort, indem es das Westjordanland, den Gazastreifen und Ostjerusalem besetzte. Seitdem setzt sich dieser langwierige Konflikt auf der Grundlage einer „ethnischen Säuberung“ fort – ausgehend von der kolonialen Siedlerbewegung, mit der das zionistische Projekt der Schaffung eines Heimatlandes auf Kosten der Vertreibung des palästinensischen Volkes bis 1967 vor Ort Realität wurde, wo sie ihr zionistisches Projekt der Besetzung des gesamten historischen Palästina fortsetzten.

Seitdem gab es dazu unzählige internationale UN-Resolutionen, Erklärungen usw., aber sie wurden alle von dieser Besatzung und kolonialen Siedlerbewegung mißachtet, die von den Vereinigten Staaten von Amerika und auch von den europäischen Ländern klar unterstützt wurde.

Wir, die Palästinenser, zahlen den Preis für das, was Holocaust genannt wird, die Vertreibung der Juden aus Europa. Wir zahlen den Preis dafür, indem wir aus unserem Land vertrieben und entwurzelt wurden und nun schon seit Jahrzehnten unter Besatzung leben.

Ich möchte nicht weiter auf die Geschichte dieses Konflikts eingehen, sondern darauf hinweisen, was sich heute um uns herum abspielt. Heute hat Israel dem gesamten palästinensischen Volk den Krieg erklärt, mit der Absicht, es zu dezimieren; mit der Absicht, es wieder gewaltsam zu vertreiben; mit der Absicht, Palästinas Geographie zu übernehmen und Palästinas Demokratie zu beseitigen.

Ethnische Säuberung

Was wir heute erleben, ist ein Krieg der ethnischen Säuberung, ein Völkermord, ein Mord, ein Gemetzel. Man findet keine Worte oder Begriffe, um zu beschreiben, was heute in Gaza geschieht. Israel hat leider die Lizenz zum Töten, durch die Unterstützung und Komplizenschaft der Vereinigten Staaten von Amerika. Denn die Waffen, die Israel in den letzten sechs Jahrzehnten eingesetzt hat, waren amerikanische, britische und europäische. Wir betrachten heute die Amerikaner als Mitschuldige an diesem Kriegsverbrechen gegen die Menschheit und das unschuldige palästinensische Volk. Tausende und Abertausende von Kindern werden kaltblütig abgeschlachtet und massakriert.

Was soll man über eine Regierung sagen, die sich ihrer „Demokratie“ rühmt und über die es heißt, sie sei angeblich die Bastion der Demokratie im Nahen Osten? Die letzten sechs Jahrzehnte haben uns praktisch bewiesen, daß Israel keine Demokratie ist; Israel ist eine Theokratie. Israel ist ein Siedlerkolonialstaat. Israel hat sich das Land der Palästinenser angeeignet. Israel baut mehr Siedlungen. Israel führt neue Angriffe vor Ort durch. Israel will das palästinensische Volk loswerden.

Israels Absichten unter dem Vorwand des 7. Oktober sind sehr deutlich geworden. Es verfolgt nicht nur die Hamas, sondern zerstört die Infrastruktur des Gazastreifens, zerstört die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen, in Ostjerusalem, ganz zu schweigen vom Westjordanland.

Zunehmender Druck, Konflikte und Tötungen im Westjordanland werden deutlicher denn je. Jeden Tag werden Menschen getötet, zahllose Palästinenser werden inhaftiert. Ständig gibt es im Westjordanland Verfolgungsjagden. Siedler greifen zu den Waffen und gehen gegen unschuldige Palästinenser vor. Die Armee unterstützt die Siedler bei ihren Angriffen und Morden. Die kampflustige Mentalität des Westens wird heute von den Siedlern in den besetzten Gebieten des Westjordanlandes eifrig praktiziert. Ich kann die grausamen Verbrechen Israels mit seinen abscheulichen Absichten, das palästinensische Volk auszulöschen, nicht weiter beschreiben.

Dabei handelt es sich um ein Land, das uns einst glauben machte, daß eine Zwei-Staaten-Lösung möglich wäre. Als wir uns 1988 zu unserem historischen Kompromiß entschlossen, den Staat Israel anzuerkennen und die Zweistaatenlösung zu akzeptieren, dachten wir, daß die Zweistaatenlösung mit den Osloer Verträgen zustande kommt; doch zu unserer großen Enttäuschung haben sie die Besatzung legitimiert, die Siedlungen in den besetzten Gebieten vervierfacht und Voraussetzungen für Israels Verschärfung des Konflikts und Auslöschung der Palästinenser geschaffen.

Schauen wir uns nun die heutige Situation an. Die internationale Gemeinschaft hat über Mitleidsbekundungen und direkte oder indirekte Verurteilungen hinaus nichts unternommen, um dieses Gemetzel zu beenden und den Ansturm der israelischen Kriegsmaschinerie auf unser Volk in Gaza und im Westjordanland zu stoppen. Wir sind Zeugen der Tatsache, daß die westlichen Regierungen mit zweierlei Maß messen, daß sie heucheln, daß ihre Vorstellungen von Menschenrechten hohl sind, weil sie keinerlei Druck auf Israel ausüben, um diese Massaker, diesen Völkermord zu stoppen. Wir haben gesehen, wie die Amerikaner auf der einen Seite von humanitärer Hilfe und Grenzöffnung sprechen, aber gleichzeitig Waffen nach Israel schicken – tonnenweise Bomben -, um die Palästinenser zu bekämpfen. Sie behaupten, die Hamas bedrohe ihre Sicherheit, während sie unschuldige palästinensische Menschen tötet.

Die Amerikaner sind also ebenso verantwortlich wie die Israelis für diesen grausamen Krieg gegen unschuldige Menschen, den ich als Hochmut bezeichnen würde. Und doch sehen wir gleichzeitig, wie die Welt den täglichen grausamen Verbrechen Israels zusieht, ohne etwas zu unternehmen.

All diese Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs, die UN-Resolutionen, die Israel verurteilen, den Rückzug Israels fordern, das Gemetzel stoppen und was weiß ich noch alles, sind nur Gerede und haben vor Ort nichts bewirkt. Jeden Tag wachen wir auf und sehen mehr Zerstörung, mehr Tötung des palästinensischen Volkes. Wie soll das weitergehen?

Israels Dilemma

Wir sehen, daß Israel bei der Verwirklichung seiner Ziele bisher gescheitert ist, ich würde sogar sagen, grandios gescheitert. Israel schafft es nicht, Hamas loszuwerden; es schafft es nicht, die zwei Millionen Palästinenser loszuwerden, die jetzt in Gaza verhungern. Es kann das palästinensische Streben nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung nicht loswerden. Denn die Realität hat gezeigt, daß die Palästinenser niemals in die Knie gehen und noch einmal eine Diaspora akzeptieren werden wie 1948.

Die Israelis stecken also in einem Dilemma: Sie können die Palästinenser nicht loswerden, und sie können dem Staat Israel nicht wirklich Sicherheit bringen. Ohne eine Lösung der Palästinenserfrage haben sie im Nahen Osten keine glückliche Zukunft. Ohne diesen Dreh- und Angelpunkt der Krise im Nahen Osten, die Palästinenserfrage, zu lösen, wird es niemals Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten geben.

Da die Zeit begrenzt ist, möchte ich nicht weiter hierauf eingehen, sondern einen Ausblick geben, was getan werden könnte, damit die beiden Nachbarländer in Frieden leben können.

Ich würde sagen, daß das palästinensische Volk, selbst unter der Besatzung, die höchste Form der Demokratie praktiziert hat. Wir hatten demokratische Wahlen – Parlamentswahlen, Präsidentschaftswahlen, Kommunalwahlen und was weiß ich noch alles. Wir haben unsere Zivilgesellschaft aufgebaut. Wir haben Verbindungen zwischen unserer Zivilgesellschaft und unserer Regierung geschaffen, und wir haben im wesentlichen Rede- und Meinungsfreiheit geschaffen.

Wir versuchen auch, unser Wirtschaftssystem aufzubauen, obwohl wir im Grunde genommen der israelischen Wirtschaft völlig unterworfen sind. Dennoch gelingt es uns, nach Möglichkeiten und Ressourcen zu suchen, wie wir eine nachhaltige Wirtschaftsproduktion aufbauen können.

Natürlich gibt es im Westjordanland keine Grundwasserreserven, weil die Siedler den größten Teil des Wassers verbrauchen. Ihre Kontrolle über die Grundwasserleiter schränkt die Produktion unserer landwirtschaftlichen Erzeugnisse ein, was unseren Fortschritt und unsere wirtschaftliche Entwicklung in gewisser Weise behindert. Aber wir können uns wirtschaftlich nicht wirklich entwickeln, wenn wir der israelischen Besatzung, ihrer Wirtschaft und ihrer Kontrolle über unsere natürlichen Ressourcen völlig unterworfen sind, ganz zu schweigen von unseren menschlichen Ressourcen.

Deshalb wird es niemals Frieden geben, bevor dieser Konflikt politisch gelöst ist. Es gibt keine wirtschaftliche Lösung ohne eine politische Lösung für diesen langwierigen Konflikt, der seit nunmehr acht Jahrzehnten zwischen zwei epistemischen Gemeinschaften ausgetragen wird.

Deshalb bin ich um so mehr geneigt, über die Aussichten auf Frieden zu sprechen. Der Frieden beginnt als Wohltätigkeit zu Hause. Zuerst müssen wir unser Volk vereinen. Wir müssen den Konflikt zwischen Hamas und Fatah beenden. Und wir brauchen eine einzige Regierung, die ganz Palästina regiert, nämlich die palästinensische Regierung. Das ist das erste.

Zweitens: Wir wollen, daß der Krieg in Gaza beendet wird. Wir wollen im Gegenzug die Freilassung der Geiseln. Wir würden gerne an den Verhandlungstisch zurückkehren, um eine Zweistaatenlösung zu erreichen.

Dazu müssen wir die grundlegenden Voraussetzungen schaffen, um umzusetzen, was ich gesagt habe. Zu diesem Zweck möchte ich auf den Oasenplan eingehen, der ausführlich darlegt, wie wir Frieden und Wohlstand in der Region erreichen können.

Ich stimme zu, daß die politische Lösung an erster Stelle steht; an zweiter Stelle steht für die Nachhaltigkeit des Friedens der Oasenplan als Rettung und zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen den kriegführenden Parteien und Herbeiführung von Frieden und Wohlstand für die Nationen, die in Konflikte verwickelt waren.

Ich denke, der vorgeschlagene Oasenplan wird ernst genommen. Er hat das Potential, im palästinensisch-israelischen Konflikt erfolgreich zu sein. Deshalb habe ich mich bereit erklärt, an dieser Konferenz teilzunehmen – nicht, um über den Konflikt zu sprechen, sondern um über die Aussichten auf Frieden in diesem Zusammenhang zu sprechen. Ich glaube, der Oasenplan ist eine Chance für Palästinenser und Israelis, die sie ergreifen können, um einen Frieden zu schaffen, der von Dauer ist und Wohlstand bringt und in dem sie viele Jahre zusammenleben können.

Mehr kann ich heute nicht sagen, aus Zeitgründen kann ich keine tiefere Analyse des Konflikts vornehmen und auf die komplexen Zusammenhänge eingehen, die man als Hindernisse für die Schaffung von Frieden und Wohlstand in der Region sehen könnte. Ich danke Ihnen.