Der Oasenplan ist eine Chance für Palästinenser und Israelis
Von Prof. Dr. Manuel Hassassian
S.E. Prof. Dr. Manuel Hassassian ist Botschafter Palästinas in
Dänemark. Im ersten Abschnitt der Konferenz des Schiller-Instituts zum
Oasenplan am 13. April sagte er folgendes. (Übersetzung aus dem Englischen,
Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt.)
Hallo und vielen Dank für die Einladung. Es ist mir eine Ehre, an diesem
Podium mit angesehenen Gästen teilzunehmen. Dies ist ein internationales
Podium, auf dem globale Botschaften an die Welt gerichtet werden sollten,
insbesondere mit dem Oasenplan des Schiller-Instituts, der im Hinblick auf die
wirtschaftliche Entwicklung weltweit große Resonanz findet.
Doch bevor wir ein wenig über den Oasenplan sprechen, möchte ich auf den
Höhepunkt dieses langwierigen Konflikts, der seit 75 Jahren zwischen
Palästinensern und Israelis herrscht, eingehen.
Wir, die Palästinenser, sind im Laufe der Geschichte viele Male erobert
worden. Das letzte Mal war es im Grunde das britische Mandat, das es Israel
durch die Balfour-Deklaration nach dem Krieg von 1948, als Israel seine
Unabhängigkeit erklärte, auf dem Silbertablett servierte, und es setzte 1967
seine Aggression fort, indem es das Westjordanland, den Gazastreifen und
Ostjerusalem besetzte. Seitdem setzt sich dieser langwierige Konflikt auf der
Grundlage einer „ethnischen Säuberung“ fort – ausgehend von der kolonialen
Siedlerbewegung, mit der das zionistische Projekt der Schaffung eines
Heimatlandes auf Kosten der Vertreibung des palästinensischen Volkes bis 1967
vor Ort Realität wurde, wo sie ihr zionistisches Projekt der Besetzung des
gesamten historischen Palästina fortsetzten.
Seitdem gab es dazu unzählige internationale UN-Resolutionen, Erklärungen
usw., aber sie wurden alle von dieser Besatzung und kolonialen Siedlerbewegung
mißachtet, die von den Vereinigten Staaten von Amerika und auch von den
europäischen Ländern klar unterstützt wurde.
Wir, die Palästinenser, zahlen den Preis für das, was Holocaust genannt
wird, die Vertreibung der Juden aus Europa. Wir zahlen den Preis dafür, indem
wir aus unserem Land vertrieben und entwurzelt wurden und nun schon seit
Jahrzehnten unter Besatzung leben.
Ich möchte nicht weiter auf die Geschichte dieses Konflikts eingehen,
sondern darauf hinweisen, was sich heute um uns herum abspielt. Heute hat
Israel dem gesamten palästinensischen Volk den Krieg erklärt, mit der Absicht,
es zu dezimieren; mit der Absicht, es wieder gewaltsam zu vertreiben; mit der
Absicht, Palästinas Geographie zu übernehmen und Palästinas Demokratie zu
beseitigen.
Ethnische Säuberung
Was wir heute erleben, ist ein Krieg der ethnischen Säuberung, ein
Völkermord, ein Mord, ein Gemetzel. Man findet keine Worte oder Begriffe, um
zu beschreiben, was heute in Gaza geschieht. Israel hat leider die Lizenz zum
Töten, durch die Unterstützung und Komplizenschaft der Vereinigten Staaten von
Amerika. Denn die Waffen, die Israel in den letzten sechs Jahrzehnten
eingesetzt hat, waren amerikanische, britische und europäische. Wir betrachten
heute die Amerikaner als Mitschuldige an diesem Kriegsverbrechen gegen die
Menschheit und das unschuldige palästinensische Volk. Tausende und
Abertausende von Kindern werden kaltblütig abgeschlachtet und
massakriert.
Was soll man über eine Regierung sagen, die sich ihrer „Demokratie“ rühmt
und über die es heißt, sie sei angeblich die Bastion der Demokratie im Nahen
Osten? Die letzten sechs Jahrzehnte haben uns praktisch bewiesen, daß Israel
keine Demokratie ist; Israel ist eine Theokratie. Israel ist ein
Siedlerkolonialstaat. Israel hat sich das Land der Palästinenser angeeignet.
Israel baut mehr Siedlungen. Israel führt neue Angriffe vor Ort durch. Israel
will das palästinensische Volk loswerden.
Israels Absichten unter dem Vorwand des 7. Oktober sind sehr deutlich
geworden. Es verfolgt nicht nur die Hamas, sondern zerstört die Infrastruktur
des Gazastreifens, zerstört die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen,
in Ostjerusalem, ganz zu schweigen vom Westjordanland.
Zunehmender Druck, Konflikte und Tötungen im Westjordanland werden
deutlicher denn je. Jeden Tag werden Menschen getötet, zahllose Palästinenser
werden inhaftiert. Ständig gibt es im Westjordanland Verfolgungsjagden.
Siedler greifen zu den Waffen und gehen gegen unschuldige Palästinenser vor.
Die Armee unterstützt die Siedler bei ihren Angriffen und Morden. Die
kampflustige Mentalität des Westens wird heute von den Siedlern in den
besetzten Gebieten des Westjordanlandes eifrig praktiziert. Ich kann die
grausamen Verbrechen Israels mit seinen abscheulichen Absichten, das
palästinensische Volk auszulöschen, nicht weiter beschreiben.
Dabei handelt es sich um ein Land, das uns einst glauben machte, daß eine
Zwei-Staaten-Lösung möglich wäre. Als wir uns 1988 zu unserem historischen
Kompromiß entschlossen, den Staat Israel anzuerkennen und die
Zweistaatenlösung zu akzeptieren, dachten wir, daß die Zweistaatenlösung mit
den Osloer Verträgen zustande kommt; doch zu unserer großen Enttäuschung haben
sie die Besatzung legitimiert, die Siedlungen in den besetzten Gebieten
vervierfacht und Voraussetzungen für Israels Verschärfung des Konflikts und
Auslöschung der Palästinenser geschaffen.
Schauen wir uns nun die heutige Situation an. Die internationale
Gemeinschaft hat über Mitleidsbekundungen und direkte oder indirekte
Verurteilungen hinaus nichts unternommen, um dieses Gemetzel zu beenden und
den Ansturm der israelischen Kriegsmaschinerie auf unser Volk in Gaza und im
Westjordanland zu stoppen. Wir sind Zeugen der Tatsache, daß die westlichen
Regierungen mit zweierlei Maß messen, daß sie heucheln, daß ihre Vorstellungen
von Menschenrechten hohl sind, weil sie keinerlei Druck auf Israel ausüben, um
diese Massaker, diesen Völkermord zu stoppen. Wir haben gesehen, wie die
Amerikaner auf der einen Seite von humanitärer Hilfe und Grenzöffnung
sprechen, aber gleichzeitig Waffen nach Israel schicken – tonnenweise Bomben
-, um die Palästinenser zu bekämpfen. Sie behaupten, die Hamas bedrohe ihre
Sicherheit, während sie unschuldige palästinensische Menschen tötet.
Die Amerikaner sind also ebenso verantwortlich wie die Israelis für diesen
grausamen Krieg gegen unschuldige Menschen, den ich als Hochmut bezeichnen
würde. Und doch sehen wir gleichzeitig, wie die Welt den täglichen grausamen
Verbrechen Israels zusieht, ohne etwas zu unternehmen.
All diese Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs, die
UN-Resolutionen, die Israel verurteilen, den Rückzug Israels fordern, das
Gemetzel stoppen und was weiß ich noch alles, sind nur Gerede und haben vor
Ort nichts bewirkt. Jeden Tag wachen wir auf und sehen mehr Zerstörung, mehr
Tötung des palästinensischen Volkes. Wie soll das weitergehen?
Israels Dilemma
Wir sehen, daß Israel bei der Verwirklichung seiner Ziele bisher
gescheitert ist, ich würde sogar sagen, grandios gescheitert. Israel schafft
es nicht, Hamas loszuwerden; es schafft es nicht, die zwei Millionen
Palästinenser loszuwerden, die jetzt in Gaza verhungern. Es kann das
palästinensische Streben nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung nicht
loswerden. Denn die Realität hat gezeigt, daß die Palästinenser niemals in die
Knie gehen und noch einmal eine Diaspora akzeptieren werden wie 1948.
Die Israelis stecken also in einem Dilemma: Sie können die Palästinenser
nicht loswerden, und sie können dem Staat Israel nicht wirklich Sicherheit
bringen. Ohne eine Lösung der Palästinenserfrage haben sie im Nahen Osten
keine glückliche Zukunft. Ohne diesen Dreh- und Angelpunkt der Krise im Nahen
Osten, die Palästinenserfrage, zu lösen, wird es niemals Sicherheit und
Stabilität im Nahen Osten geben.
Da die Zeit begrenzt ist, möchte ich nicht weiter hierauf eingehen, sondern
einen Ausblick geben, was getan werden könnte, damit die beiden Nachbarländer
in Frieden leben können.
Ich würde sagen, daß das palästinensische Volk, selbst unter der Besatzung,
die höchste Form der Demokratie praktiziert hat. Wir hatten demokratische
Wahlen – Parlamentswahlen, Präsidentschaftswahlen, Kommunalwahlen und was weiß
ich noch alles. Wir haben unsere Zivilgesellschaft aufgebaut. Wir haben
Verbindungen zwischen unserer Zivilgesellschaft und unserer Regierung
geschaffen, und wir haben im wesentlichen Rede- und Meinungsfreiheit
geschaffen.
Wir versuchen auch, unser Wirtschaftssystem aufzubauen, obwohl wir im
Grunde genommen der israelischen Wirtschaft völlig unterworfen sind. Dennoch
gelingt es uns, nach Möglichkeiten und Ressourcen zu suchen, wie wir eine
nachhaltige Wirtschaftsproduktion aufbauen können.
Natürlich gibt es im Westjordanland keine Grundwasserreserven, weil die
Siedler den größten Teil des Wassers verbrauchen. Ihre Kontrolle über die
Grundwasserleiter schränkt die Produktion unserer landwirtschaftlichen
Erzeugnisse ein, was unseren Fortschritt und unsere wirtschaftliche
Entwicklung in gewisser Weise behindert. Aber wir können uns wirtschaftlich
nicht wirklich entwickeln, wenn wir der israelischen Besatzung, ihrer
Wirtschaft und ihrer Kontrolle über unsere natürlichen Ressourcen völlig
unterworfen sind, ganz zu schweigen von unseren menschlichen Ressourcen.
Deshalb wird es niemals Frieden geben, bevor dieser Konflikt politisch
gelöst ist. Es gibt keine wirtschaftliche Lösung ohne eine politische Lösung
für diesen langwierigen Konflikt, der seit nunmehr acht Jahrzehnten zwischen
zwei epistemischen Gemeinschaften ausgetragen wird.
Deshalb bin ich um so mehr geneigt, über die Aussichten auf Frieden zu
sprechen. Der Frieden beginnt als Wohltätigkeit zu Hause. Zuerst müssen wir
unser Volk vereinen. Wir müssen den Konflikt zwischen Hamas und Fatah beenden.
Und wir brauchen eine einzige Regierung, die ganz Palästina regiert, nämlich
die palästinensische Regierung. Das ist das erste.
Zweitens: Wir wollen, daß der Krieg in Gaza beendet wird. Wir wollen im
Gegenzug die Freilassung der Geiseln. Wir würden gerne an den
Verhandlungstisch zurückkehren, um eine Zweistaatenlösung zu erreichen.
Dazu müssen wir die grundlegenden Voraussetzungen schaffen, um umzusetzen,
was ich gesagt habe. Zu diesem Zweck möchte ich auf den Oasenplan eingehen,
der ausführlich darlegt, wie wir Frieden und Wohlstand in der Region erreichen
können.
Ich stimme zu, daß die politische Lösung an erster Stelle steht; an zweiter
Stelle steht für die Nachhaltigkeit des Friedens der Oasenplan als Rettung und
zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen den
kriegführenden Parteien und Herbeiführung von Frieden und Wohlstand für die
Nationen, die in Konflikte verwickelt waren.
Ich denke, der vorgeschlagene Oasenplan wird ernst genommen. Er hat das
Potential, im palästinensisch-israelischen Konflikt erfolgreich zu sein.
Deshalb habe ich mich bereit erklärt, an dieser Konferenz teilzunehmen –
nicht, um über den Konflikt zu sprechen, sondern um über die Aussichten auf
Frieden in diesem Zusammenhang zu sprechen. Ich glaube, der Oasenplan ist eine
Chance für Palästinenser und Israelis, die sie ergreifen können, um einen
Frieden zu schaffen, der von Dauer ist und Wohlstand bringt und in dem sie
viele Jahre zusammenleben können.
Mehr kann ich heute nicht sagen, aus Zeitgründen kann ich keine tiefere
Analyse des Konflikts vornehmen und auf die komplexen Zusammenhänge eingehen,
die man als Hindernisse für die Schaffung von Frieden und Wohlstand in der
Region sehen könnte. Ich danke Ihnen.
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