Für ein Europa der Vaterländer mit dem Westfälischen Frieden
Von Alessia Ruggeri
Alessia Ruggeri ist Sprecherin des Comitato per la Repubblica und
Vorsitzende von UPI Italia, einer Vereinigung der Selbständigen. In der
Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 9. April hielt sie den folgenden
Vortrag.
Gegenwärtig leidet die Welt unter einem schweren Mangel an Demokratie,
Vertrauen und zunehmender Verwirrung. Die Bürger erkennen sich in den
politischen Institutionen nicht mehr wieder, und auch zwischen den Staaten
selbst besteht kein Vertrauen mehr. In einer zunehmend vernetzten Welt erleben
wir eine zunehmende Fragmentierung der Gesellschaften und die Erosion der
Demokratie im Westen.
Als Italienerin erlebe ich den Albtraum, politischen Entscheidungen
ausgesetzt zu sein, die nach meiner Überzeugung der Sicherheit meines Landes und
der Verwirklichung des von uns allen gewünschten Friedens abträglich sind. Ich
hörte Friedensappelle, die unsere politische Führung an Rußland richtete,
während sie gleichzeitig Waffen in die Ukraine schickte. Sogar unter den
humanitären Hilfsgütern auf dem Flughafen von Pisa wurden geheime Waffen
entdeckt, und die Flughafengewerkschaften weigerten sich, sie in die Flugzeuge
zu laden.
Frieden zu beschwören und gleichzeitig Waffen zu schicken, ist wie der
Versuch, ein Feuer zu löschen, indem man Benzin hineingießt.
Die Regierung Draghi hat beschlossen, 2% des Bruttoinlandsprodukts für den
Kauf von Waffen bereitzustellen und sich ganz den Entscheidungen der EU
anzuschließen. Und das, während in unserem Land Unternehmen geschlossen werden
und seit Jahren keine Investitionen in die Forschung, in Schulen, in
Krankenhäuser und in die Realwirtschaft getätigt werden.
Als Gewerkschafterin vertrete ich Tausende von Kleinunternehmern im ganzen
Land, die ihre Betriebe schließen mußten. Und während das italienische Parlament
die Lieferung von Waffen an die Ukraine billigt, was gegen unsere Verfassung
verstößt, ist die große Mehrheit der Italiener, wie Umfragen zeigen, gegen die
Wiederaufrüstung und wünscht sich statt dessen eine Wirtschaftspolitik, die die
Beschäftigung fördert.
Man muß zwischen der Realwirtschaft und der Finanzwirtschaft unterscheiden:
die Finanzwirtschaft ist die Spekulationsblase, die von den Großen der Welt
bewegt wird und die nichts mit den Bürgern zu tun hat. Die Realwirtschaft sind
wir, die Unternehmen, die das Rückgrat der Wirtschaft bilden.
Was die Außenpolitik unserer Regierung und leider auch der anderen
europäischen Regierungen angeht, so scheinen alle das Versprechen vergessen zu
haben, welches die NATO-Mitgliedsstaaten nach dem Fall der Berliner Mauer dem
damaligen sowjetischen Staatschef Gorbatschow gegeben haben, in dem sie sich
verpflichteten, sich nicht einen Zentimeter weiter östlich als Deutschland
auszudehnen.
Wir mußten sogar miterleben, daß die Führungen der NATO-Mitgliedsländer diese
Vereinbarung wiederholt leugneten, doch offensichtlich wiederholt widerlegt
wurden. Auch das trilaterale Abkommen von Minsk wurde vorsätzlich nicht
eingehalten und begraben, bevor Putin die beiden separatistischen Republiken
anerkannte.
Ich mußte beschämend die folgende Aussage einer italienischen Tageszeitung
lesen: „Ukraine-Rußland-Krieg: Wenn die Tötung Putins die einzige Lösung ist“.
Ich habe keine Äußerung der Empörung über diesen Aufruf zur Ermordung Putins
gesehen, und auch nicht über das Massaker in Odessa, bei dem 48 Menschen,
darunter eine schwangere Frau, bei lebendigem Leib verbrannt wurden.
Mit großer Begeisterung habe ich den Aufruf des Schiller-Instituts begrüßt,
eine neue Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur für alle Nationen zu
schaffen, die sich am Westfälischen Frieden orientiert. Der Westfälische Friede
beendete dreißig Jahre blutiger Kriege zwischen Katholiken und Protestanten.
In diesem heiklen Moment ist es notwendig, sich auf das Modell des Europas
der Vaterländer, auf de Gaulle und den Westfälischen Frieden zu beziehen. Jemand
nannte den General einmal einen „Saboteur“ und unterstellte ihm den Willen,
diejenigen zu behindern, die sich für die europäische Integration einsetzten. Im
Gegenteil: De Gaulle war ein überzeugter Europabefürworter, lehnte aber die
Schaffung supranationaler Strukturen ab, die zu Föderalismus führen würden. In
der Tat kann man heute sagen, daß die Europäische Union im Laufe der Zeit jeden
Mitgliedsstaat seiner Souveränität beraubt hat.
Das Europa der Vaterländer wollte eine Kraft sein, die autonom zwischen den
Vereinigten Staaten und der Sowjetunion steht, und nicht ein Europa, das aus dem
fortschreitenden Verlust der Souveränität der Staaten resultiert. Kurz gesagt,
ein vom atlantischen und sowjetischen Block unabhängiges Europa, das in der Lage
ist, eigenständige Entscheidungen zu treffen.
An diesem Tag möchte ich mich an zwei Italiener erinnern, den Bürgermeister
von Florenz La Pira und Papst Johannes XXIII., die in den 60er Jahren dazu
beitrugen, eine Brücke zwischen Ost und West zu schlagen, um den Frieden zu
bewahren. Und unter Berufung auf diesen Geist und die Enzyklika Pacem in
Terris wende ich mich wie der Papst an alle Menschen guten Willens und rufe
zu einer Welt des Friedens ohne Blöcke auf.
Ein Europa der Vaterländer mit dem Westfälischen Frieden ist keine Utopie,
sondern ein Projekt, das jeden inspirieren sollte, der wirklich Frieden
will.
Ich danke noch einmal der Vorsitzenden des Schiller-Instituts, Helga
Zepp-LaRouche.
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