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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Romeo und Julia in unserer Gesellschaft

Von José Vega

José Vega von der LaRouche-Jugendbewegung hielt am 13. Dezember bei der Internetkonferenz des Schillerinstituts den folgenden Vortrag.

    Zwei Häuser waren – gleich an Würdigkeit –
    Hier in Verona, wo die Handlung steckt,
    Durch alten Groll zu neuem Kampf bereit,
    Wo Bürgerblut die Bürgerhand befleckt.
    Aus dieser Feinde unheilvollem Schoß
    Das Leben zweier Liebender entsprang,
    Die durch ihr unglücksel’ges Ende bloß
    Im Tod begraben elterlichen Zank.
    Der Hergang ihrer todgeweihten Lieb
    Und der Verlauf der elterlichen Wut,
    Die nur der Kinder Tod von dannen trieb,
    Ist nun zwei Stunden lang der Bühne Gut;
    Was dran noch fehlt, hört mit geduld’gem Ohr,
    Bringt hoffentlich nun unsre Müh hervor.

Hallo, zusammen. Mein Name ist José Vega. Ich wurde gebeten, einen Vortrag über Romeo und Julia zu halten, was ich jeden Tag tun könnte, denn offen gesagt ist Romeo und Julia mein Lieblingsstück von Shakespeare, und das aus gutem Grund. Ich glaube wirklich, daß es eines der Stücke ist, die einem wirklich helfen können, die heutige Kultur zu verstehen und herauszufinden, wo man wirklich steht.

Romeo und Julia ist nicht die größte Romanze, nicht die größte Liebesgeschichte, die je erzählt wurde. Es ist die größte Geschichte vom Tod, die je erzählt wurde. Denn es sind nicht nur die Menschen, die in dem Stück sterben, sondern die ganze Gesellschaft stirbt, sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinne, und ich werde erklären, warum.

Aber zuerst möchte ich die gängige Vorstellung zerstören, was das Wort vom „unglücksel‘gen Ende“ der Liebenden bedeutet. Manche Leute sagen, daß Romeo und Julia einfach nur Pech hatten, in diesem Sinne interpretieren viele moderne Gelehrte Shakespeares Ausdruck „star-crossed lovers“, wörtlich: „Liebende unter einem schlechten Stern“. Sie hatten Pech oder die Sterne standen nicht zu Ihren Gunsten. Vielleicht waren sie mit den Sternen irgendwie „über Kreuz“ (star-crossed), sie haben das mythische Wesen da oben verärgert. Es sah auf sie herab und sagte: „Wißt ihr was? Ihr beiden werdet euch heute umbringen.“

Aber nein, das ist nicht das, was Shakespeare meinte. Denn ich glaube nicht, daß Shakespeare abergläubisch war. Shakespeare würde niemals jemandem zustimmen, der sagt, daß alles nur vom Schicksal abhängt. Wir wissen das, weil Cassius in Julius Cäsar, einem anderen Stück von Shakespeare, zu Brutus folgendes sagt: „Der Fehler, lieber Brutus, liegt nicht in unseren Sternen, sondern in uns selbst.“ Ohne näher auf das Zitat einzugehen, sagt Shakespeare damit im Grunde geradeheraus, daß es nicht die Schuld der Sterne ist, wenn wir in dem Schlamassel stecken, in dem wir heute stecken; es liegt an uns, es liegt an dem, was wir tun. Alle Probleme der Welt sind auf das zurückzuführen, was wir getan haben; wir, also die Menschheit, haben es getan.

Es macht also keinen Sinn, eine höhere Macht zu beschuldigen oder Gott für alle Probleme der Welt verantwortlich zu machen, denn schließlich hat Gott Sie nicht einfach schutzlos hier in die Welt gestellt: Er gab Ihnen einen Verstand und er gab Ihnen Vernunft. Also, zu sagen, Gott sei daran schuld, wie die Dinge heute sind, das ist kein überzeugendes Argument, denn offen gesagt, Sie müssen das selbst herausfinden. Deshalb sind Sie hier.

Romeo und Julia standen also unter einem schlechten Stern wegen zu viel Aberglauben. Romeo verliebt sich auf den ersten Blick in Julia; das ist eine bestimmte Art von „Aufrichtigkeit der Gefühle“. Er vergißt alle Gefühle für das Mädchen, das er vorher geliebt hat, Rosalinde, die man nie sieht, sie wird nur im ersten Akt erwähnt. Dann vergißt er sie sofort wieder.

Die Leute blenden Rosalinde gerne aus, weil sie das ganze romantische Bild sehr stört. Man kann dann nicht mehr sagen, daß es nur Liebe auf den ersten Blick war. Aber Shakespeare benutzt das auf seine Weise: Romeo verliebt sich quasi sofort in Julia, weil das infantil ist. Und ich denke, das ist eigentlich einem literarischen Zeitgenossen Shakespeares in einer anderen Sprache entlehnt, Cervantes, der hat eine vergleichbare Charakterisierung einer infantilen Art von Liebe. Er beschreibt die Liebe auf den ersten Blick nicht als echte Liebe, sondern als ein Verlangen, eine Begierde. Es war ein Verlangen, das er hatte, er wollte Julia einfach haben. Also, diese Idee, daß Romeo sich auf den ersten Blick verliebt hat, das ist einfach nicht real; es ist keine echte Liebe, Shakespeare hätte niemals zugestimmt, daß das echte Liebe ist.

Ich erwähne das aber, weil ihre „Liebe“, wie gesagt, infantil war, aber auch eine Flucht. Eine Flucht wovor? Nun, vor der Gesellschaft, in der sie leben. Denn ganz am Anfang des Stückes, nach dem Prolog, werden uns zwei Figuren vorgestellt, Simson und Gregorio. Und wir sehen sie nie wieder, aber in jedem Shakespeare-Stück kommen die tragischen Bedingungen der Gesellschaft oder des Schauplatzes am Anfang zur Sprache, im ersten Akt, in der ersten Szene. Und wir sehen, wie Simson und Gregorio offen darüber reden, Männer zu ermorden und Mädchen zu vergewaltigen. Diese ganzen vulgären, abstoßenden Reden, die sie führen – das ist Shakespeares Art zu sagen, daß das in Verona die Norm ist. So reden die Menschen in dieser Gesellschaft. So sind eben die Zustände.

Würde irgendein Mensch ernsthaft in so einer Situation aufwachsen wollen? Natürlich nicht. Denken Sie an unsere heutige Welt. Wir erfüllen irgendwie dieselben Voraussetzungen. Heute beschönigen wir irgendwie unsere Filme und Fernsehsendungen und andere Medien, in denen wir nur Gewalt, Kraftausdrücke, blutige, total unmoralische Handlungen sehen, die auf dem Bildschirm gezeigt werden und die das reale Leben der Menschen widerspiegeln sollen. Unsere Gesellschaft erfüllt also bereits diese Bedingungen einer tragischen Gesellschaft, genau wie Verona am Anfang des Stücks. Was ich für verrückt halte, denn wir leben in der größten Geschichte vom Tod, die je erzählt wurde.

Ich verspreche Ihnen, wenn ich fertig bin, werde ich Sie nicht pessimistisch zurücklassen; das würde ich niemals wollen. Ich erzähle Ihnen nur, wie Shakespeare eine Gesellschaft darstellte, die zu verkommen ist. Und in einigen Fällen mag unsere eigene Gesellschaft so aussehen, aber die leuchtende Hoffnung, unsere Gesellschaft zu retten, liegt wirklich bei Ihnen, bei den Menschen, die das hier sehen und bereit sind, mir zuzuhören. Und vor allem bei den jungen Leuten, denn all die Menschen, die die Welt zu einem bösen Ort gemacht haben, müssen irgendwann aussterben. Wir müssen diejenigen am Leben erhalten, die sich dafür einsetzen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, denn sonst übernehmen wir einfach die gleichen Probleme, die die Gesellschaft schrecklich gemacht haben – wie die verfeindeten Familien in Romeo und Julia.

Sehen Sie, die sich bekriegenden Familien, die Montagues und die Capulets, wissen nicht einmal, warum sie sich streiten. Es ist nur ein alter Streit. So ähnlich wie heute. Wir in Amerika nehmen es als selbstverständlich hin, daß die Demokraten schrecklich sind oder die Republikaner schrecklich sind. Alles ist schrecklich. Mercutio, eine andere Figur in dem Stück, denkt genau so. Mercutio denkt, daß beide Familien falsch liegen: Die Montagues sind ätzend, die Capulets sind ätzend. Er sagt, als er stirbt: „Die Pest für eure beiden Häuser!“ Was ein wenig eine Vorahnung ist, denn es nimmt vorweg, was am Ende des Stückes kommt. Jedenfalls benutzen Romeo und Julia sich gegenseitig, um dieser tragischen Gesellschaft zu entkommen, anstatt sich zu entscheiden, etwas dagegen zu tun. Ich denke, das könnte hier Shakespeares Kommentar sein, der sagt: Was können sie dagegen tun oder was sollten sie dagegen tun?

Das ist eine gute Frage. Das ist etwas, mit dem ich selbst auch gerungen habe. Was kann man tatsächlich gegen eine zerfallende Gesellschaft tun? Wie heute – was können wir gegen eine Gesellschaft tun, die heute zerfällt?

Das wahre Problem ist, daß es damals kein Schiller-Institut gab. Sie hatten keinen Lyndon LaRouche in der Gesellschaft von Verona; das hätten sie wahrscheinlich gebraucht. Das ist unser Vorteil heute, daß wir diese Veranstaltungen haben. Denn das Stück endet damit, daß eine große Pest kommt. Romeo ist tot, Julia ist tot, und die Familien beschließen endlich, ihre sinnlose Fehde beizulegen. Aber alle jungen Leute sind tot: Tybalt ist tot, Mercutio ist tot, Romeo, Paris, Julia – all die jungen Charaktere sind tot. Also sind die einzigen Menschen tot, durch die sich die Gesellschaft buchstäblich fortpflanzen kann. Die Pest ist nur die verspätete Ankündigung des Todes der Gesellschaft. Das Stück endet, damit, daß alle sterben. Deshalb ist es die größte Geschichte vom Tod, die je erzählt wurde, und das macht sie so tragisch.

Der Tod von Romeo und Julia ist nicht das Tragische. Alle sterben. Wir wiederholen dieselben Fehler gerade jetzt. Aber, wie ich schon sagte, wir haben das Schiller-Institut, also müssen wir nicht denselben Fehlern zum Opfer fallen, die die Gesellschaft von Verona gemacht hat. Denn wir haben tatsächlich Lösungen, im Gegensatz zu den vermeintlichen Autoritäten in dem Stück Romeo und Julia.

Denken wir an jemanden wie Bruder Lorenzo, der es zwar gut meint, aber ehrlich gesagt mit allem, was er tut, nur Öl in das Feuer gießt, das schon ausgebrochen ist, indem er Romeo und Julia bei ihren fehlgeschlagenen, infantilen Versuchen hilft, zusammenzukommen und gemeinsam zu fliehen. Wir wissen nicht, was passiert wäre, wenn sie jemals ihr Happy End bekommen hätten. Aber die vermeintliche moralische Autoritätsperson nährt ihre infantile Liebe und fördert sie, anstatt sie zu beenden oder einfach die Stimme der Vernunft zu sein – oder die Stimme der Vernunft für die ganze Gesellschaft zu sein. Statt dessen entscheidet er sich, nicht großartig einzugreifen, er hält sich einfach heraus und entscheidet sich, nur den jungen Leuten bei der Flucht zu helfen, anstatt die ganze Gesellschaft zu reparieren.

Also würde ich jeden, der sich das ansieht, einfach fragen: „Bist du bereit, ein Held zu sein und für deine Gesellschaft einzustehen und zu sagen: Ich weigere mich, meine Gesellschaft sterben zu lassen? Oder wollt ihr wie Romeo und Julia sein und einfach fliehen?“ Ob nun Ihr Geist irgendeine Art von Drogenkonsum durchmacht, oder ob Sie damit beschäftigt sind, wer Ihr nächstes Date ist, in das Sie sich verlieben können, die Angst bleibt. Sie müssen sich entscheiden, und die Lösungen, die Ihnen in den letzten drei Panels präsentiert werden, sind der Weg nach vorne, um die Probleme unserer Gesellschaft zu lösen, damit wir unsere tragischen Zustände überwinden können, anstatt ihr Opfer zu werden. Ich danke Ihnen.