Mexiko, Argentinien und China
Eine Vorreiterstrategie unter dem Gesichtspunkt hybrider
Kriegsführung
Von Daniel Marmolejo
Daniel Marmolejo ist Enthüllungsjournalist, Gewinner des
Nationalen Journalistenpreises von Mexiko sowie Produzent der Dokumentarserie
„Hybrid-Kriegsführung“ und der Sendung „Unbestechlich“. Im zweiten Abschnitt
der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 20. März sagte er
folgendes.
Der kürzliche Besuch des argentinischen Präsidenten Alberto Fernández in
Mexiko fand zu einem ganz besonderen Zeitpunkt statt: der Wiederherstellung
einer demokratischen Ordnung in Bolivien mit Präsident Luis Arce; dem Ende des
„juristischen Krieges“ gegen Argentiniens ehemalige Präsidentin und jetzige
Vizepräsidentin Cristina Fernández; und dem Ende des Alptraums des
„juristischen Krieges“ gegen den brasilianischen Ex-Präsidenten Lula.
Argentinien ist in keinem guten Zustand: Die Jahrhundertschulden des
neoliberalen Ex-Präsidenten Mauricio Macri waren beim offiziellen Besuch von
Fernández in Mexiko zu spüren. Im mexikanischen Präsidentenpalast kritisierte
Fernández die Geschäfte, die unter dem Schutz der früheren Regierung zustande
gekommen waren, und die Rolle der Massenmedien. Er betonte, daß die Schulden,
die das südamerikanische Land gemacht hatte, in die offenen Hände der Freunde
von Mauricio Macri verteilt worden seien.
Das Erbe, das die PRO in Argentinien und die PRIAN in Mexiko – das ist die
Bezeichnung für die korruptesten politischen Parteien, die sich an der
politischen Macht abgewechselt haben – hinterlassen haben, sind ein
dramatisches Beispiel für ein unerhörtes Ausmaß an Raffgier, wobei
Marketing-Strategien eingesetzt wurden, um an die Macht zu kommen, die dann
auch beim Zusammenbruch verwendet wurden.
Die Situation in diesen Ländern sieht so aus, daß die Justiz einen
Widerstandskampf führt und alte hegemoniale Interessen schützt, während die
Presse im Auftrag der lokalen und supranationalen Eliten agiert.
Argentinien und Mexiko sind dabei, ein neues regionales Vorreitermodell
aufzubauen, obwohl die interne Opposition und globalistische Gruppen
versuchen, die politischen Projekte zu zerstören, die die Demokratie ins Leben
gerufen hat. In Argentinien besteht die Hauptopposition aus dem
agroindustriellen Sektor und einem korrupten Justizsystem. In Mexiko gibt es
eine Elite, die weder Steuern zahlt noch ein Regelwerk akzeptieren will, das
ihren wirtschaftlichen Interessen zuwiderläuft – wie im Fall des geplanten
Flughafens von Texcoco, der von López Obrador zugunsten eines anderen
Flughafens namens „Felipe Ángeles“ aufgegeben wurde, der in Kürze auf einem
ehemaligen Militärflugplatz eröffnet werden soll.
Obwohl die Medien eine bösartige Rolle spielen und versuchen, die
Bemühungen und Errungenschaften der lateinamerikanischen Staatschefs zu
untergraben, muß der demokratische Bonus voll ausgeschöpft werden. Präsident
López Obrador versteht, daß wirksame Kommunikation direkt in seinen täglichen
„Morgen-Pressekonferenzen“ stattfindet, in denen er vorstellt, „was wichtig zu
besprechen ist“, Zweifel ausräumt, Falschinformationen korrigiert, seine
Ansichten als Bürger darlegt, sich einfühlt und polemisiert und die großen
Infrastrukturprojekte seiner Regierung vorstellt.
Diese Art der Kommunikation hat es ihm ermöglicht, den Kampf gegen die
Mächte aufzunehmen, die ständig versuchen, die Unterstützung des Präsidenten
in der Bevölkerung zu untergraben, indem sie Strategien anwenden, die typisch
für die hybride Kriegsführung sind. Argentinien ist es nicht gelungen,
effektiv mit der Macht der konzentrierten Medien umzugehen (sie zu stoppen, zu
zerstreuen, ihren Einfluß zu verringern). Sie sind in der Tat eine Macht, die
sich schamlos in den Konglomeraten der Massenmedien äußert, den Sprachrohren
der Finanzmacht der Agroexportfirmen und auch des Diktats der US-Botschaft. Es
ist ein Teufelskreis: Die Botschaft gibt die Richtlinien vor, um die
Interessen der im Agrarsektor agierenden US-Multis zu begünstigen, und sie
werden von den Medien verteidigt und gefördert. Wenn sie durch staatliche
Maßnahmen gefährdet werden, greifen sie an.
Wer diese Strategie nicht versteht, kann sich nicht erklären, wie es sein
kann, daß in einem Land, das Lebensmittel für 400 Millionen Menschen
produziert, mehr als die Hälfte der Bevölkerung täglich auf von der Regierung
finanzierte Tafeln angewiesen ist, weil sie keine Grundnahrungsmittel bekommen
können.
Es gibt einen alten Witz, der in Südamerika erzählt wird, er lautet: „Warum
gibt es in den USA keine Staatsstreiche? Weil es dort keine US-Botschaft
gibt.“
In der Zeit, als in Südamerika progressive Regierungen auf dem Vormarsch
waren, waren in Mexiko die Neoliberalen damit beschäftigt, die Souveränität an
den Meistbietenden auszuhändigen; wir blieben hinter der Zeit zurück. Wäre der
Betrug von Felipe Calderón im Jahr 2006 nicht gelungen, wäre López Obrador zur
gleichen Zeit Präsident geworden, als im Süden des Kontinents die sogenannte
„Winning Decade“ begann. Deshalb haben wir jetzt die große Chance, eine Brücke
zu bauen, die durch die Übereinstimmung der Ziele zwischen Mexiko und
Argentinien zusammengehalten wird.
Bisher ist Mexikos Handelsbilanz positiv, es gibt keine Abwertung des Peso,
die Ausgabendisziplin ist streng, die Korruption wurde von der Spitze der
politischen Macht im Lande zurückgedrängt, die Regierung der „Vierten
Transformation“ von López Obrador hat keinen einzigen Dollar Schulden gemacht,
und wir investieren in die soziale Entwicklung.
Ich habe den Präsidenten persönlich um zwei weitreichende Maßnahmen
gebeten.
Die erste ist, in Mexiko ein soziales Netzwerk zu schaffen, das sich nicht
von einem überterritorialen Standpunkt aus in die demokratischen Prozesse
einmischt und den kulturellen, bildungspolitischen und wirtschaftlichen
Austausch sozialer Art fördert.
Das zweite ist die Schaffung von Kooperationsmodellen in allen Regionen, wo
Infrastrukturprojekte der Regierung umgesetzt werden, die wie die Zahnräder
einer Uhr ineinandergreifen, um ein vernünftiges Arbeitsniveau zu erreichen
und die Entwicklung der zurückgebliebener Gemeinden zu erleichtern.
In beiden Fällen war die Reaktion des Präsidenten positiv.
China kann ein Schlüsselland sein, um die regionale Strategie zu stärken.
Der sogenannte „asiatische Riese“ orientiert sich nicht an ideologischen
Kriterien, die seine Verhandlungsfähigkeit einschränken. Seine Strategie
besteht darin, sich das zunutze zu machen, was im Interesse des Westens ist,
und seine Planung ist mittel- bis langfristig angelegt, so daß er mit
vernünftiger wirtschaftlicher Kapazität, industriellem Potential und
Handelsstrategie vorgehen kann. Umgekehrt brauchen unsere Länder einen
Partner, der ihnen hilft, den Teufelskreis der Abhängigkeit von den
Vereinigten Staaten zu durchbrechen.
François Jullien, ein französischer Philosoph und Sinologe, erklärt in
seiner „Abhandlung über die Effizienz“, daß die Chinesen Effizienz im Sinne
einer natürlichen Transformation begreifen: Der Stratege läßt die Situation
sich zu seinen Gunsten entwickeln, so wie die Natur Pflanzen wachsen läßt oder
wie ein Fluß nie aufhört, sein Flußbett zu vertiefen. Das sind Prinzipien der
sogenannten Biomimikri. Wie bei natürlichen Veränderungen ist die eintretende
Transformation sowohl diskret als auch diffus, auf ihrem Weg nicht
wahrnehmbar, aber in ihren Auswirkungen manifest.
Mehr noch als an die Wirkung von Handlungen glauben die Chinesen an die
Immanenz der Transformation. Bei zahllosen Investitionsprojekten, die die
Einbeziehung von Technologien erfordern, wie dem mexikanischen sozialen
Netzwerk und seinem Datenzentrum, sowie bei einigen der sozialwirtschaftlichen
Modelle, die sich aus dem Vorschlag ergeben, den ich dem Präsidenten
unterbreitet habe, kann China eine entscheidende Rolle spielen. Der
mexikanische Markt mit mehr als 120 Millionen Menschen ist sehr wichtig, denn
man muß weitere 30 Millionen Mexikaner hinzufügen, die in den Vereinigten
Staaten leben.
Ebenso ist die Stabilität Argentiniens zwingend notwendig. Bedenken Sie
nur, daß es eine große Gemeinschaft argentinischer Bürger gibt, die entlang
der touristischen Attraktion der mexikanischen Maya-Eisenbahn leben. Die
Vorteile für Mexiko im Rahmen dieser Kooperationsmodelle sind offensichtlich.
Im agro-industriellen Bereich werden die Vorteile der argentinischen Exporte
natürlich außerordentlich sein. Mexiko hat eine solide industrielle Basis, die
diversifiziert werden kann, und gleichzeitig können wir an der
technologisch-wissenschaftlichen Revolution teilhaben.
Die hybride Kriegsführung hat eine Logik der Effizienz, die dem
widerspricht, was China aus seiner eigenen philosophischen Perspektive
vorschlägt. Die Welt nach der Pandemie wird uns die Gelegenheit bieten, ein
neues Paradigma zu entwickeln: Mexiko und Argentinien müssen sich zusammentun,
um ihre Projekte für wirtschaftliche Unabhängigkeit, soziale Gerechtigkeit und
politische Souveränität zu verwirklichen. Dieser Prozeß hat gerade erst
begonnen.
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