Kreativität als solche
Auszug aus einer Rede auf der Konferenz des Europäischen
Schiller-Instituts am 3. Juli 2011.
Das ist wirklich die wichtigste aller strategischen Fragen, mit denen wir
uns heute auseinandersetzen müssen: die Tatsache, daß die menschliche Gattung
in ihren Fähigkeiten absolut einzigartig ist. Es gibt keine andere derartige
Gattung im Universum, von der man weiß, daß sie jemals existiert hat oder
hätte existieren können – auch wenn wir natürlich den Krebsnebel oder ähnliche
Teile der großen Galaxie, in der wir uns befinden, der Milchstraße, noch nicht
vollständig erforscht haben. Es mag da draußen viele Gattungen mit kognitiven
Fähigkeiten geben...
Unsere Organisation in den Vereinigten Staaten hat viel Mühe darauf
verwendet, sich auf eben diese Frage zu konzentrieren: Wie alt ist das Leben?
Seit wann gibt es Leben in dieser Galaxie oder an einem bestimmten Ort in ihr?
Was ist die Natur des Menschen, der erst seit ein paar Millionen Jahren auf
diesem Planeten lebt? Soweit wir wissen, gab es bis vor ein paar Millionen
Jahren keinen Menschen auf diesem Planeten.
Und doch sprechen wir von Milliarden von Jahren dieser Galaxie, in denen
alle uns bekannten Lebensprozesse entstanden sind. Und alles Leben ist
schöpferisch. Aber es gibt einen traurigen Aspekt: daß über 95% aller
bekannten lebenden Arten zu ihrer Zeit als Fehlschläge ausgestorben sind.
Die Frage lautet also: Warum sollten wir in diesen Zeiten, da wir in eine
Periode eingetreten sind, in der mehr lebende Prozesse aussterben werden – in
dieser Phase der Bewegung des Sonnensystems durch die Galaxie –, warum sollten
wir so vermessen sein, uns vorzustellen, daß das menschliche Leben nicht im
Begriff ist, zu verschwinden, wie die Dinosaurier beim letzten
Massenaussterben? ...
Was ist in uns, das es in anderen uns bekannten Lebewesen nicht gibt? Das
irgendwie, auf wundersame Weise, unserer Gattung ein Schicksal verleihen
könnte, das wir keiner anderen lebenden Gattung zugestehen? Der Name für diese
spezifische Eigenschaft, die wir bei der menschlichen Gattung kennen, die es
bei keiner anderen bekannten lebenden Gattung gibt: Es gibt eine Eigenschaft
der Kreativität, die absolut einzigartig für die Menschheit ist...
Was ist also menschlich? Was ist an uns, das potentiell menschlich ist, von
Natur aus menschlich, aber potentiell, das uns befähigt, dort zu überleben, wo
normalerweise keine Tierart überleben kann? Weil wir in der Lage sind, eine
Form des Geistes zu entwickeln, die nicht durch die Vorstellung von fünf
Sinnen, fünf ursprünglichen Sinnen, begrenzt ist. Und wenn wir darüber
hinausgehen in höhere Bereiche und die Ausrichtung unseres Geistes auf
entsprechende Experimente abstimmen, dann zeigt sich der wahre Unterschied der
Menschheit zu anderen Gattungen. Und es zeigt ein Potential für die
Überlebensfähigkeit der Menschheit, wo keine Tierart eine solche Fähigkeit
hätte, die Art von Anpassung vorzunehmen, durch die der Mensch sein eigenes
Überleben bewirken kann: Man nennt es Kreativität! …
Und deshalb brauchen wir eine Bevölkerung, die für diesen Aspekt des
menschlichen Geistes empfänglich ist. Dieser Aspekt des menschlichen Geistes
ist der Ort der menschlichen Kreativität. Und die Förderung dieses Aspekts der
menschlichen Erfahrung – der klassischen künstlerischen Kultur als Ausdruck
des Prinzips der Metapher – ist das Prinzip der typischen Entdeckung, der
Entdeckung eines Prinzips.
Wenn man diese Art des Denkens auf den Bereich der Naturwissenschaft
überträgt, ist es das gleiche! Und dort gibt es Beispiele für die Rolle der
klassischen musikalischen Komposition, wie insbesondere in den anschaulichen
Fällen von Max Planck und Albert Einstein, und auch Wernadskij! Man bekommt
eine Demonstration im Bereich der klassischen künstlerischen Komposition, wo
der Geist experimentiert, um Prinzipien zu entdecken, es zeigt sich das
Verlangen nach diesem experimentellen Ergebnis als Anreiz für die Kreativität
des menschlichen Geistes. Das ist Kreativität. Es bedeutet, aus den
alltäglichen Gewohnheiten, dem Gewöhnungseffekt des Lebens
herauszukommen...
Es geht um die Sensibilität für die Sinne, die wir nicht haben, die aber im
Universum existieren und die wir als solche entdecken. Oder wir können sogar
ein neues Prinzip im Universum erschaffen – und das wurde schon einmal getan!
Wenn wir in diesen Begriffen denken, statt in der vulgären Art von Argumenten
und all den Interpretationen und so weiter, die am Ende gar nichts bedeuten,
darin liegt die Kreativität...
Das Problem der heutigen Gesellschaft besteht darin, daß dieses kostbare
Wissen, das ich persönlich als kostbar erachte, weil ich es erfahren habe, das
Geheimnis der Menschheit ist. Und es liefert das Gespür für die
Absicht, für das Ziel, das uns hin zur Entdeckung treibt, um Prinzipien zu
entdecken – universelle Prinzipien physikalischer und verwandter Wirkungen –,
die sich nicht durch die Modalitäten der sogenannten Sinneswahrnehmung
definieren lassen.
Was uns in großer Musik, in einer großartigen Aufführung bewegt, ist keine
Sinneswahrnehmung: Es ist etwas, das unabhängig von der Sinneswahrnehmung
liegt und dich ergreift! Weil es außerhalb der Domäne des Sensoriums liegt! Es
gibt eine Art von Zauber und Geheimnis in den großen Errungenschaften der
musikalischen Aufführung, besonders in den größten: Weil es ein Kontrast
zwischen verschiedenen Arten von Sinneswahrnehmungen ist – man findet etwas,
was einen mehr als alles andere ergreift, und man kann keinen einzelnen Sinn
definieren, der dafür verantwortlich ist! Es kommt wie Zauberei. Es ist keine
Zauberei: Es ist wahre Menschlichkeit.
|