Der „Green Deal“ trifft Landwirte, Lebensmittel und Menschen
Im Rahmen des zweiten Abschnitts der Internetkonferenz des
Schiller-Instituts am 8. Mai 2021 wurden Ausschnitte aus Interviews gezeigt,
die zwei deutsche Landwirte – Rainer Seidl von der Organisation Land schafft
Verbindung und der unabhängige Landwirt Alf Schmidt – am Rande von ihnen
organisierter Protestaktionen gegeben hatten.
Rainer Seidl, Land schafft Verbindung (LsV), 7.2. 2021 in München
Frage: Warum stehen sie hier? Was ist der Grund?
Rainer Seidl: Das Aktionspaket Pflanzenschutz möchte ich
revidieren... Insektenschutz ist eine Aufgabe, die unsere Landwirte schon seit
Jahrzehnten hervorragend erledigen. Wir haben Naturschutzprogramme wie das
Wiesenbrüterprogramm, Blühstreifen usw., es gibt da wahnsinnig viele
Programme. Und das Ganze ist auf freiwillige Basis gestellt... Durch dieses
Aktionspaket Insektenschutz will man in den FFH-Gebieten, Vogelschutzgebieten,
Naturschutzgebieten und anderen besonderen ausgewiesenen Gebieten gesetzlich
eingreifen, mit Verbot von Pflanzenschutzmitteln, teilweise Dünger usw. Dies
kommt unserer Meinung nach einer Enteignung gleich, weil die Bewirtschaftung,
wie sie benötigt wird, nicht mehr möglich ist.
Frage: Die Politik der Bundesregierung ist ja Teil der
EU-Politik. Dort haben wir es mit dem Programm „Green Deal“ zu tun und dem
„Farm to Fork“-Projekt für die Landwirtschaft. Es gibt von dem amerikanischen
Landwirtschaftsministerium eine Studie, die besagt, daß es, wenn dieses
Projekt umgesetzt wird, in Europa weniger Erzeugung von Nahrungsmitteln gibt,
daß die Erzeugerpreise sinken, aber auf der anderen Seite die Verbraucher mehr
für Nahrungsmittel bezahlen müssen. Was sagen sie dazu?
Seidl: Der „Green Deal“ ist natürlich wieder ein
Rieseneinschnitt in die landwirtschaftliche Produktion. Er sieht ja vor, daß
europaweit 30% der landwirtschaftlichen Nutzfläche wieder in die Natur
zurückgeführt werden soll. Das Gleiche gilt auch für die Meere, die Europa
betreffen... Das nächste ist, daß bis 2030 der Pflanzenschutzmitteleinsatz um
50% reduziert werden soll, und der Düngemitteleinsatz soll um 20% reduziert
werden. Das Ganze und in der Summe betrachtet bedeutet für Deutschland und die
EU, daß die Lebensmittelerzeugung stark eingeschränkt und zurückgefahren wird,
so daß Europa und Deutschland darauf angewiesen sein werden, Lebensmittel in
Zukunft in einem sehr großen Umfang zu importieren.
Frage: Wenn man Nahrungsmittelproduktion aus Europa
auslagert, heißt das letztendlich, daß der Handel wieder mehr Einfluß
bekommt.
Seidl: Ja, der Handel ist ein Problem, weil er der freien
Marktwirtschaft unterliegt. Es ist speziell in Deutschland in der
Vergangenheit passiert, daß die BIG Vier – REWE, Lidl, Aldi, Edeka – 85% des
Lebensmittelmarktes beherrschen und dies natürlich zu einer starken
Konzentration im Lebensmittelhandel führt. Wir meinen auch, daß diese auch die
Lebensmittelpreise bestimmen können. Wir sind eben das unterste Glied, da
bleibt eben für uns nichts mehr übrig, wie sich das momentan darstellt.
Frage: Es gab ja auch einmal bei dem Vorläufer der EU, bei
der EWG, einen Schutz der Landwirte, aber auch der anderen Produzenten vor
Billigimporten. Meinen Sie nicht auch, daß kostendeckende Preise besser und
günstiger wären als das jetzige Subventionssystem?
Seidl: Das ist eine Grundforderung von uns, daß wir wieder
kostendeckende Preise brauchen. Ein kostendeckender Preis ohne erforderliche
Subventionen, denn diese führen nur dazu, daß diese nur der große Handel
bekommt, weil dieser ausrechnen kann, was der Landwirt bekommen muß, damit er
beispielsweise Brotweizen oder Rüben anbauen kann. Mein persönlicher Wunsch
ist, und damit spreche ich auch für viele Landwirte, daß wir von dieser
Subventionspolitik wegkommen und daß wir wieder unsere Gelder aus den
Produkten generieren können, die wir produzieren und damit auch schnell auf
die Forderungen der Gesellschaft reagieren können.
Alf Schmidt, unabhängiger Landwirt, 23.3.21 in Berlin
Alf Schmidt: Ich bin der Anmelder dieser Bauern-Demo. Wir
demonstrieren hier seit 26. Januar. Wir haben bereits bei minus 15 Grad hier
ausgehalten. Wir sind Landwirte aller Sparten. Ich selbst bin selbständiger
freier Landwirt, ich gehöre keinem Verband an, keinem Verein. Das ist der
Vorteil dieser Demo: Es muß sich kein Landwirt unter irgendeine Fahne stellen.
Jeder Verband, seien es Gemüsebauern, Obstbauern, Ackerbauern usw. von den
verschiedensten Verbänden..., sind gleichberechtigte Partner auf dieser
Demo.
Frage: Was sind die Forderungen der Bauern, die hier
demonstrieren, die auch gestern am Brandenburger Tor demonstriert haben?
Schmidt: Wir haben mehrere Forderungen. Eine Forderung von
uns war, warum wir eigentlich angetreten sind – faire Marktpreise für die
Landwirte. Die Landwirte bekommen ja ein paar Fördermittel, woüber sich dann
jeder aufregt, und es heißt, ihr kriegt einen Haufen Geld vom Staat, aber mit
diesen Fördermitteln werden tatsächlich die Produkte gestützt.
Ich bin zum Beispiel Schafhalter. Ich bekomme, wenn ich ein Lamm liefere,
2,60 Euro pro Kilo. Das Lamm kostet mich aber in der Produktion 5,74 Euro. Das
sind meine Vollkosten im Lammbereich. Das heißt, der Rest wird staatlich
gestützt, um die Lebensmittelpreise nicht so hoch zu drücken. Die staatliche
Stütze reicht aber nicht aus, und wir wollen diese auch gar nicht haben,
sondern wir möchten, daß wir ganz normal für unsere Arbeit unseren Lohn
bekommen...
Das ist eine kalte Teilenteignung. Diese Teilenteignung betrifft 1,4 Mio.
ha in Deutschland. Diese Teilenteignung betrifft eine Fläche, auf der ich 5,4
Mio. Menschen mit Lebensmitteln versorgen kann...
Frage: Es gibt einiges, wofür wir als BüSo
(Bürgerrechtsbewegung Solidarität) kämpfen, das auch nicht gewollt ist. Der
erste Schritt wären sofortige Paritätspreise, also Preiserhöhungen, die das
Ziel haben, dem Bauern zu garantieren, daß er wirtschaften kann.
Schmidt: Da trete ich bei euch ein.
Frage: Das zweite sind nationale Notprogramme für
Familienbetriebe und Landwirte, die in Not geraten sind.
Schmidt: Da bin ich dabei.
Frage: Das dritte ist, weltweit die Nahrungsmittelproduktion
zu verdoppeln; d.h. wir bräuchten doppelt so viele Nahrungsmittel. Laut dem
Welternährungsprogramm sollen in diesem Jahr unglaubliche 270 Mio. Menschen
vom Hunger bedroht sein. Da hilft es nichts, wenn einige Leute sagen, Reich
sollte Arm etwas abgeben, sondern...
Schmidt: Es muß ja produziert werden, daß sie etwas abgeben
können. Und wir nehmen diese Produktionsflächen unter sinnlosen Vorwänden aus
der Produktion...
Frage:Du hast den CDU-Abgeordneten auf der Bühne gestern
konfrontiert: „Wenn ihr uns jetzt nicht unterstützt“...
Schmidt: Nein, wenn ihr unsere Betriebe kaputt gehen laßt,
machen wir euch arbeitslos! Dieser Satz ist durch ganz Deutschland gegangen,
man hat mir aus allen Ecken geschrieben. Ich habe das heute Nacht bestimmt
hundertmal gelesen. Alle haben mir geantwortet. Ich sag ja, ich war's.
Wir haben mittlerweile Tausende Plakate gedruckt, die hängen bereits in
Schleswig-Holstein. Die sind ein bißchen
schneller als die anderen da oben, da waren die Druckereien etwas fixer. Die
hängen an jeder Straße, die hängen an jedem Anhänger. Die hängen an den
Strohpuppen. Darin wird erklärt, was alle wissen müssen. Wir greifen jetzt in
den Wahlkampf der Parteien ein, denn wenn sie den ländlichen Raum zerstören,
machen sie ja nicht nur unsere Betriebe kaputt, sondern sie zerstören den
ländlichen Raum und uns Landwirte...
Jetzt siehst du erstmal, wie lieb die Landwirte sind, und man kann uns
alles fragen, wirklich. Aber bei denen gelten wir immer als die größten
Schweine der Nation, wir „vergiften“ alle... Wenn wir Gülle ausbringen, heißt
es „diese Schweine fahren Gülle aus“, kannst du dir das vorstellen? Doch die
Pflanze braucht die Gülle, und ohne sie kannst du keine Pflanzen
produzieren.
Es gibt ein Schulbuch, das eine Kollegin gefunden hat. Da ist eine Kuh
aufgemalt, und die Kuh hat einen Fladen hingeschissen. Da ist ein Pfeil, der
auf den Fladen zeigt, und dahinter steht „Nitrateintrag“. Das ist das Problem
- nicht die Milch oder das Fleisch oder wie Lebensmittel produziert werden,
sondern der Nitrateintrag.
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