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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Gibt es einen Weg zur Verbesserung der Beziehungen
zwischen den Vereinigten Staaten und Rußland?

Von Andrej Kortunow

Andrej Kortunow ist Generaldirektor des Russischen Rates für Internationale Angelegenheiten (RIAC).

Es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen, an dieser Konferenz und speziell an dieser Sitzung teilzunehmen. Es wurde hier schon viel gesagt, und ich denke, mein Hauptbeitrag zur Diskussion besteht darin, daß ich etwas Geschlechtervielfalt in eine sonst rein weibliche Runde einbringe. Lassen Sie mich also versuchen, Ihnen einige meiner Ansichten über den aktuellen Stand der bilateralen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Russischen Föderation mitzuteilen: Wohin gehen wir?

Doch bevor ich das tue, möchte ich mir erlauben, auf das Vermächtnis von Friedrich Schiller zurückzukommen. Da es sich um das Friedrich-Schiller-Institut und die Friedrich-Schiller-Konferenz handelt, halte ich es für angemessen, an die Weisheit des großen deutschen Denkers zu erinnern. Normalerweise erinnern wir uns an Schiller als Dichter und Schriftsteller, aber er war eindeutig mehr als das. Er war ein Visionär, er war ein Philosoph, er war ein Lehrer und Erzieher. Er hat eine Reihe wichtiger Schriften über Aufklärung und Erziehung verfaßt.

Ich möchte auf eines davon zurückkommen, es trägt den Titel Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Ich erinnere mich nicht mehr an das genaue Zitat, aber ich erinnere mich an den Sinn seiner Botschaft. Er schrieb: „Lebe mit deinem Jahrhundert, aber sei nicht sein Geschöpf; leiste deinen Zeitgenossen, was sie bedürfen, nicht was sie loben.“

Ich denke, das ist eine sehr wichtige Botschaft, die für die heutige Situation in den internationalen Beziehungen sehr relevant ist. Die politischen Führer von heute versuchen in der Regel, ihren Wählern das zu bieten, was diese wollen, und nicht das, was sie wirklich brauchen. Sie versuchen, den Meinungsumfragen zu folgen; sie versuchen, die Stimmungsschwankungen in der Öffentlichkeit widerzuspiegeln.

Ich frage mich, ob wir das wirklich Führung nennen können. Die Führung sollte in der Lage sein, Schritte zu unternehmen, die als unpopulär oder riskant empfunden werden, und Schritte, die viele ablehnen würden. Wer Führung bieten will, muß seiner Wählerschaft manchmal den Rücken zuwenden. Man sollte der Wählerschaft vorangehen, nicht ihr hinterherlaufen.

Daran sollten wir denken, wenn wir über die aktuelle US-Politik sprechen, auch über die US-Politik gegenüber der Russischen Föderation. Wir nähern uns einem kleinen Jubiläum: Sechs Monate sind vergangen, seit sich Präsident Biden und Präsident Putin in Genf getroffen haben. Das war Mitte Juni dieses Jahres. Viele Menschen hatten gehofft, daß dieses Treffen vielleicht einen Wendepunkt in den Beziehungen markieren würde – vielleicht würden beide Seiten beginnen, sich von der Krise zu lösen, von dieser sehr schwierigen Beziehung, die sie mindestens einige Jahre lang hatten.

Und man kann in der Tat behaupten, daß es in den letzten sechs Monaten einige positive Veränderungen in den Beziehungen gegeben hat. Am wichtigsten ist, daß die Rüstungskontrollverhandlungen zwischen Rußland und den Vereinigten Staaten wieder aufgenommen wurden. Es ist ein harter Kampf, denn es gibt sehr unterschiedliche Ansätze, wie man über das neue START-Abkommen hinaus vorgehen sollte. Rußland besteht darauf, über strategische Waffen im allgemeinen zu sprechen, sowohl über nukleare als auch über nicht-nukleare, während die Vereinigten Staaten sich lieber ganz auf Kernwaffen konzentrieren würden, sowohl strategische als auch nicht-strategische. Aber wie dem auch sei, der Dialog wird fortgesetzt und wird hoffentlich noch vor dem Auslaufen des neuen START-Abkommens Früchte tragen.

Wir führen auch allgemeinere Gespräche mit den Vereinigten Staaten über strategische Stabilität. Auch hier ist der Dialog nicht einfach. Ich denke, daß die Ausgangspositionen sehr unterschiedlich sind, und es ist eine ziemliche Herausforderung, die unterschiedlichen Auffassungen von strategischer Stabilität in Einklang zu bringen. Nichtsdestotrotz halte ich es für sehr wichtig, daß dieser Dialog fortgesetzt wird, und wir hoffen, daß er produktiv sein wird und zu einer gemeinsamen strategischen Kultur des 21. Jahrhunderts führt.

Zu guter Letzt möchte ich noch die Bedeutung des amerikanisch-russischen Dialogs über Cybersicherheit hervorheben. Viele Menschen waren sehr pessimistisch, was diese Initiative anging; sie dachten, sie würde schon kurz nach dem Beginn scheitern. Aber es scheint, daß der Dialog weitergeht und nicht hoffnungslos ist.

Es wäre jedoch falsch zu behaupten, es habe einen Durchbruch gegeben und die Regierung habe sich dramatisch zum Besseren verändert. Das ist leider nicht der Fall. Wir sehen, wie der diplomatische Krieg zwischen Rußland und den Vereinigten Staaten weitergeht. Es gibt immer weniger Diplomaten in der russischen Botschaft in Washington und in der US-Botschaft in Moskau. Es besteht definitiv ein ernsthafter Informationskrieg zwischen den beiden Staaten, und erst kürzlich haben die Vereinigten Staaten Rußland beschuldigt, Truppen an der ukrainischen Grenze zu stationieren, was Moskau strikt dementiert. Nebenbei gesagt bestreitet zu diesem Zeitpunkt selbst die Ukraine diese Vorwürfe der Vereinigten Staaten. Die Vereinigten Staaten haben immer mehr Sanktionen gegen Rußland verhängt, und wir haben in vielen regionalen Fragen recht unterschiedliche Positionen.

Man könnte also sagen, das Glas ist halb voll, oder es ist halb leer. Ich denke, die letzten sechs Monate haben gezeigt, daß ein „Neustart“ nicht möglich ist; eine Entspannung ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Das liegt vor allem daran, daß beide Seiten grundverschiedene Ansichten über die Welt, über das internationale System haben – darüber, was fair ist und was nicht, was in den internationalen Beziehungen legitim ist und was nicht. Dennoch glaube ich, daß es selbst unter den gegenwärtig recht schwierigen Umständen Möglichkeiten gibt, voranzukommen.

Obwohl die Vereinigten Staaten ihre Eindämmungspolitik gegen China und Rußland fortsetzen werden, denke ich, daß sowohl China als auch Rußland die Möglichkeit haben, in bestimmten Fragen Vereinbarungen mit den Vereinigten Staaten zu treffen.

Ein gutes Beispiel, an das ich laut denken möchte, ist die Vereinbarung aller drei Großmächte, die Resolution des UN-Sicherheitsrats von 2020 über humanitäre Korridore in Syrien zu verlängern. Ich denke, das war eine wichtige Entscheidung, die es ermöglicht hat, einen Konflikt und wohl auch eine humanitäre Katastrophe in der Provinz Idlib zu vermeiden.

Wenn wir in der Lage sind, uns in Bezug auf Syrien zu einigen, könnten wir uns wahrscheinlich auch in Bezug auf Afghanistan einigen. Ich schließe mich den Ausführungen der Stellvertretenden Ständigen Vertreterin der Mission der Russischen Föderation bei den Vereinten Nationen (siehe die Rede von Anna Ewstignejewa in dieser Ausgabe, Red.) voll und ganz an, aber die Standpunkte zu Afghanistan liegen leider immer noch sehr weit auseinander, und eine Annäherung dieser Standpunkte wäre eine ziemlich schwierige und wichtige Aufgabe.

Aber ich glaube, daß wir mit den Vereinigten Staaten in bestimmten regionalen Fragen weiter zusammenarbeiten können; Afghanistan ist eine davon, aber wir können auch über das iranische Nuklearportfolio, die Arktis und Nordkorea sprechen. Und das ist definitiv etwas, wo Rußland, die Vereinigten Staaten und China, wenn nicht gemeinsame Interessen, so doch zumindest überlappende Interessen finden könnten.

Die nächsten Monate werden entscheidend sein und uns zeigen, ob wir in globalen Fragen wie der Nichtverbreitung von Kernwaffen und dem Klimawandel zusammenarbeiten können. Ich denke auch, daß es noch nicht zu spät ist, eine fruchtbare Zusammenarbeit bei der COVID-19-Pandemie zu beginnen, zumindest was die gegenseitige Anerkennung von Impfstoffen und die Unterstützung des globalen Südens bei der Herstellung und Verteilung von Impfstoffen an die ärmsten Bevölkerungsschichten angeht.

Das ist machbar, wird aber nichts an der primär kontroversen Natur der amerikanisch-russischen Beziehungen ändern. Ich denke, daß diese Beziehungen auch in den kommenden Jahren ziemlich angespannt sein werden. Ich rechne nicht mit einer dramatischen Veränderung dieser Beziehungen, zumindest nicht vor dem Jahr 2024, in dem wir vielleicht einen Generationswechsel in der US-Politik beobachten können, wenn andere Leute ins Weiße Haus und auch auf den Capitol Hill kommen.

Lassen Sie mich zum Abschluß meines kurzen Vortrags noch einmal auf Friedrich Schiller zurückkommen. Ich denke, daß es für die führenden Politiker unserer Zeit von entscheidender Bedeutung ist, über ihre alltäglichen institutionellen Interessen, über ihre unmittelbaren Wahlkreise oder Interessengruppen hinauszugehen und nicht nur im Sinne eng definierter nationaler Interessen ihres jeweiligen Landes zu denken, sondern vielmehr im Sinne globaler Kommentare.

Mir ist klar, daß das naiv und nicht sehr praktisch klingen mag, aber nur so können wir das Überleben unserer Gattung sichern. Andernfalls, fürchte ich, steuern wir auf eine epische Katastrophe mit unvorhersehbaren Folgen zu. Ich danke Ihnen.