Friedrich Schiller Denkmal
Friedrich Schiller



Hauptseite
       

Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Hat das Genfer Gipfeltreffen die Beziehungen zwischen den USA und Rußland verändert?

Von Dr. Andrej Kortunow

Andrej Kortunow ist Generaldirektor des russischen Rates für Internationale Angelegenheiten (RIAC), der führenden Denkfabrik, die dem Außenministerium angegliedert ist. Im ersten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 26. Juni 2021 hielt er den folgenden Vortrag.

Liebe Frau LaRouche, liebe Freunde und Kollegen, es ist mir unbedingt eine Freude, an dieser Diskussion teilzunehmen. Ich denke, diese Veranstaltung kommt zur rechten Zeit, und ich hoffe, sie wird für alle Teilnehmer nützlich sein. Ich hoffe, daß sie inspirierend und auch intellektuell befriedigend sein wird.

Ich wurde gebeten, einige meiner Eindrücke zum jüngsten Biden-Putin-Gipfel in Genf zu schildern. Lassen Sie mich einige Minuten Ihrer Zeit in Anspruch nehmen, um über dieses Thema zu sprechen.

Lassen Sie mich zunächst sagen, daß die Erwartungen in Moskau ziemlich niedrig waren. Als Biden gewählt wurde, war die allgemeine Stimmung in Moskau, und ich nehme an, auch im Kreml, angesichts der Wahlkampfrhetorik Präsident Bidens und seines Teams ziemlich pessimistisch. Es gab viel Schwarzmalerei darüber, wie sich die Beziehungen entwickeln könnten – viele erwarteten, daß wir viel härtere Sanktionen gegen Rußland und eine Menge negativer Rhetorik aus dem Weißen Haus erleben würden.

Diese Erwartungen waren teilweise richtig, wie Sie wissen. Präsident Biden hat in einem seiner Interviews sogar geäußert, Präsident Putin sei ein Mörder, was ihm natürlich in Moskau nicht viele Freunde machen dürfte.

Aber auf der anderen Seite hat er in Bezug auf die Rüstungskontrolle, in Bezug auf die strategische Stabilität, denke ich, viele Analysten in meinem Land überrascht, und nicht nur in Rußland. Denn in der Tat war eine der ersten Entscheidungen der neuen Administration, das Neue START-Abkommen ohne Bedingungen zu verlängern. Er hat also etwas getan, was Präsident Trump leider nicht getan hat. Die vorherige Administration hatte zwar eine Verlängerung des Neuen START-Abkommens in Aussicht gestellt, aber es wurden viele Bedingungen zu dieser Verlängerung ins Spiel gebracht.

Dieser erste Schritt wurde in Moskau deutlich begrüßt. Es folgte eine Runde von Sanktionen gegen Rußland, aber diese Sanktionen waren hauptsächlich symbolisch. Die Biden-Administration hat nicht versucht, kritische Bereiche der russischen Wirtschaft wie den Energiesektor oder das russische Finanzsystem ins Visier zu nehmen. Rußland wurde nicht mit dem Iran oder Nordkorea auf eine Stufe gestellt. So waren die Sanktionen natürlich ein beträchtliches Ärgernis, und man beobachtete auch einen ständigen diplomatischen Krieg zwischen den beiden Ländern, aber es stellte sich heraus, daß es besser war, als viele erwartet hatten.

Das Treffen, das jetzt vor ein paar Wochen in Genf stattfand, war also ein Treffen mit sorgfältig gesteuerten Erwartungen auf beiden Seiten. Ich denke, beide Seiten haben erkannt, daß man nicht mit einem „Reset“ oder gar einer Entspannung in den Beziehungen rechnen könnte. Nicht nur, weil ihre Positionen zu wichtigen internationalen Fragen divergieren, bei Themen wie der Ukraine oder Syrien oder Venezuela. Aber noch wichtiger ist, daß ihre Ansichten über die Grundlagen des internationalen Systems und über die Zukunft des internationalen Systems oder über die wünschenswerte künftige Weltordnung ebenfalls recht unterschiedlich, wenn nicht sogar entgegengesetzt waren.

Es war also klar, daß es keine gute persönliche Chemie zwischen den beiden Staatschefs gab. Dennoch waren beide bereit, gewisse politische Risiken einzugehen, um in Genf zusammenzukommen, vor allem, um die Beziehungen stabiler und berechenbarer zu machen. Beide waren, und ich denke, sie sind es immer noch, daran interessiert, die Kosten dieser gegnerischen Beziehung zu reduzieren und die Risiken, die mit dieser gegnerischen Beziehung verbunden sind, zu verringern. Das war also die Absicht von Herrn Putin, als er nach Genf kam.

War der Gipfel erfolgreich? Ich würde ihn mit einer 2 oder vielleicht sogar 2+ bewerten.

Erstens, weil sich beide Seiten darauf geeinigt haben, den strategischen Rüstungskontrolldialog fortzusetzen. Auch hier möchte ich nicht zu optimistisch klingen, es wird für beide Seiten ein harter Kampf werden. Die Vorstellungen darüber, wie wir vom Neuen START-Abkommen zu neuen Reduzierungen der Nukleararsenale beider Länder kommen sollen, sind nicht die gleichen. Die russische Seite konzentriert sich eher in erster Linie auf strategische Systeme – sowohl nukleare als auch nicht-nukleare –, während die Vereinigten Staaten es vorziehen, über nukleare Systeme – sowohl strategische als auch nicht-strategische – zu sprechen. Es gibt also einen unterschiedlichen Ansatz, der nicht leicht unter einen Hut zu bringen sein wird.

Darüber hinaus gibt es natürlich viele davon abhängige Fragen, die im Neuen START-Abkommen nicht richtig behandelt wurden. Es gibt BMD (Raketenabwehr)-Systeme, die die Vereinigten Staaten in Europa, in Polen und Rumänien, stationiert haben. Es gibt taktische Atomwaffen, die Rußland ebenfalls in Europa hat und die die Vereinigten Staaten einzudämmen versuchen. Es gibt leider auch ein dekonstruiertes INF-Abkommen, so daß es theoretisch zu einem neuen Wettrüsten in Europa mit Mittelstrecken- und Kurzstreckenraketen kommen kann. Ganz zu schweigen von neuen technologischen Entwicklungen im Verteidigungsbereich. Es gibt viele neue Dimensionen des Wettrüstens, wie Cyber-, Weltraum- und Hyperschallwaffen, und autonome tödliche Systeme, und Prompt Strike und Künstliche Intelligenz. Tatsache ist, daß niemand wirklich weiß, wie man mit all diesen Agenden umgehen soll, aber jetzt haben wir eine Atempause, und wir haben viereinhalb Jahre, bis das Neue START-Abkommen ausläuft. Hoffentlich wird diese Zeit produktiv genutzt und bis dahin werden wir ein neues Konzept der Rüstungskontrolle haben.

Auch hier würde ich davor warnen, zu optimistisch zu sein. Es war wichtig, daß sich beide Seiten darüber einig waren, daß man einen Atomkrieg nicht wirklich gewinnen kann und deshalb ein Atomkrieg nicht geführt werden soll und darf. Aber die Bewegung in Richtung einer neuen nicht-nuklearen Welt wird wahrscheinlich langsam und ziemlich heikel sein. Dennoch denke ich, daß das ein positives Zeichen ist, und hoffentlich werden wir mehr Kommunikation zwischen den amerikanischen und russischen Militärs und zivilen Experten und Diplomaten sehen, und vielleicht können wir in Kürze Fortschritte erzielen.

Lassen Sie mich nun zum Thema Cyberkrieg kommen. Ich denke, das ist ein viel kontroverseres und schwierigeres Thema als die strategische Rüstungskontrolle, weil wir bei der Rüstungskontrolle eine gemeinsame strategische Kultur haben, die sich seit den späten 1960er Jahren allmählich herausgebildet hat. Im Cyber-Bereich haben wir eine solche Kultur nicht, und es herrschen sehr unterschiedliche Auffassungen davon, wie man Cyber-Kriegsführung angehen sollte.

Seit vielen Jahren besteht die russische Seite darauf, daß es eine gemeinsame Taskforce geben sollte, um Möglichkeiten der Cyber-Kontrolle zu erkunden. Die Vereinigten Staaten, insbesondere unter der Trump-Administration, haben diese Idee immer abgelehnt. Als sich Putin und Trump zum ersten Mal in Hamburg am Rande des G-20-Gipfels trafen, schien Präsident Trump einer Art gemeinsamen Taskforce mit den Russen zum Thema Cyber zuzustimmen, aber als er nach Washington zurückkehrte, sagte er praktisch, er sei nicht bereit, diesen Weg einzuschlagen.

Also, wir werden sehen, wie es läuft. Ich denke, es ist ein positives Zeichen, daß es eine solche Gruppe geben könnte, aber man sollte bedenken, daß die Wahrnehmung von Cyberangriffen in Moskau und in Washington sehr unterschiedlich ist – obwohl man in beiden Hauptstädten über die Fähigkeit der anderen Seite besorgt ist, sich mit dem Einsatz hochentwickelter Cyberwaffen in ihr innenpolitisches System oder in die nationale Wirtschaft einzumischen. Aber wie man die Cyber-Kriegsführung einschränken kann, wie man das Problem der Zuschreibung [von Cyberattacken] lösen kann, wie man eine verläßliche rote Linie im Cyber-Bereich ziehen kann, das ist etwas, das noch diskutiert und hoffentlich vereinbart werden muß.

Lassen Sie mich nun zu den regionalen Fragen kommen. Offensichtlich wurde in Genf ein sehr breites Spektrum an regionalen Themen besprochen. Bei einigen davon sehe ich keine Aussichten auf sofortige gemeinsame Aktionen oder auch nur auf eine Koordination. Ich glaube nicht, daß sie in Genf in der Lage waren, die Kluft in der Wahrnehmung dessen, was in und um die Ukraine oder in und um Weißrußland vor sich geht, zu verringern. Aber ich denke, bei Themen wie Afghanistan gibt es wahrscheinlich mehr Gemeinsamkeiten. Ich denke, daß man sich möglicherweise sogar auf einige parallele Aktionen in Syrien einigen konnte, zum Beispiel in Bezug auf die humanitäre Situation in Idlib oder auf mögliche Verhandlungen zwischen den syrischen Kurden und der Führung in Damaskus. Ich denke, daß man wahrscheinlich auch über Nordkorea sprechen konnte, und vielleicht über die iranische Frage insgesamt, unter der Voraussetzung, daß die Vereinigten Staaten immer noch bereit sind, zum JCPOA [Atomabkommen] zurückzukehren.

Lassen Sie mich abschließend hinzufügen, daß es natürlich einige globale Ansichten gab, bei denen Rußland und die Vereinigten Staaten mehr oder weniger ihre Ansichten und Visionen teilen. Dazu möchte ich auf den Klimawandel verweisen, aber auch auf eine mögliche Zusammenarbeit in der Arktis. Es gab definitiv Möglichkeiten, sich auf etwas im Zusammenhang mit dem internationalen Terrorismus und auf eine mögliche Zusammenarbeit im Weltraum zu einigen.

Abschließend denke ich, daß es wichtig ist, daß die beiden Botschafter jetzt wieder dort sind, wo sie sein sollten, nämlich in Moskau bzw. in Washington. Aber damit ist die Sache noch nicht abgeschlossen, denn natürlich ist es zwar großartig, wenn Botschafter zurück sind, aber man muß auch die Stäbe zurückbringen. Botschafter sind wie Generäle, sie brauchen ihre Armeen. Wenn der diplomatische Krieg nicht vorbei ist, fürchte ich, daß weder John Sullivan noch Anatolij Antonow an ihren jeweiligen Standorten viel zu tun haben werden.

Ich weiß, daß meine Redezeit abläuft. Ich möchte den anderen Rednern nicht zu viel davon wegnehmen, aber lassen Sie mich nur noch sagen, daß die nächsten paar Monate uns zeigen werden, ob eine Stabilisierung der amerikanisch-russischen Beziehungen möglich ist – oder ob wir diese Abwärtsbewegung fortsetzen, mit noch größeren Risiken und der klaren Gefahr einer unbegrenzten Konfrontation. Ich bleibe mäßig optimistisch, daß diese Beziehung wahrscheinlich stabilisiert werden kann, aber gleichzeitig denke ich, man sollte im Auge behalten, daß die Beziehung weiter sehr schwierig und in einigen Fällen konfrontativ sein wird.

Wenn wir über eine wirkliche Veränderung der Beziehung nachdenken, dann wird diese Veränderung nicht ohne neue innovative Ideen auskommen, die über die konventionellen Weisheiten hinausgehen. Ich hoffe, daß Konferenzen wie die, an der wir heute teilnehmen, einen Beitrag dazu leisten können, über die konventionellen Weisheiten hinauszugehen und über kreativere, unorthodoxe Wege nachzudenken, um die amerikanisch-russischen Beziehungen zu verbessern, aber auch über allgemeinere Probleme des globalen Managements, die wir alle heute angehen müssen.

Ich danke Ihnen.