Warum Poesie und Musik die Parteilichkeit überwinden müssen
Von Helga Zepp-LaRouche
Helga Zepp-LaRouche eröffnete die Internetkonferenz des
Schiller-Instituts am 20. März mit dem folgenden Vortrag unter dem Titel
„Endet die Menschheitsgeschichte in einer Tragödie, oder wird sie mit einem
neuen Paradigma weitergehen?“
Hallo, ich grüße Sie überall auf der Welt, wo immer Sie jetzt gerade
sitzen. Es ist mir eine Freude, zu Ihnen zu sprechen.
Als wir den Titel der Konferenz wählten, „Die Welt am Scheideweg: zwei
Monate unter der neuen US-Regierung“, hatten wir mit Turbulenzen gerechnet.
Dennoch ist es unheimlich, wie vorausschauend diese Worte waren. Daß ein
amtierender US-Präsident den russischen Präsidenten einen Mörder nennt, wie es
Präsident Biden in einer ABC-Fernsehsendung tat, bricht ein Tabu. Es
war eine Fangfrage von [dem Interviewer] Stepanopoulos, aber sie hat
funktioniert. Glücklicherweise bewies Präsident Putin guten Humor, indem er
Biden zu einer Live-Internetdebatte einlud, „vielleicht am Freitag oder
Montag“, weil er vorher übers Wochenende in die Taiga fahren wolle, und ihm
ansonsten gute Gesundheit wünschte.
Dennoch, wenn der Präsident des mächtigsten Landes, das 5800
Atomsprengköpfe hat, so etwas über den Präsidenten Rußlands sagt, das 6375
Atomsprengköpfe hat (Stand Januar 2020), dann zeigt das, in welcher Gefahr wir
uns befinden.
Wenn man die Vielzahl der jüngsten Äußerungen und Militärdoktrinen
betrachtet, die Rußland und China immer mehr als strategische Rivalen, Gegner
und Feinde definieren, sieht es so aus, als befänden wir uns im vierten oder
fünften Akt einer globalen Tragödie, die sich schnell dem nähert, was Schiller
den „Punctum saliens“ nannte: den Punkt im Drama, an dem alle vorherigen
Entwicklungen zu einem Moment der Entscheidung zusammenkommen, an dem es vom
Charakter, der Vision und den Handlungen der Hauptdarsteller auf der Bühne
abhängt, ob sie eine Lösung auf einer höheren Ebene finden können, ob sie auf
ein neues Paradigma auf einer höheren Ebene des Denkens zugreifen können und
dem tragischen Ausgang entgehen, oder ob sie die Logik der fehlerhaften Axiome
ausspielen und das Drama als Tragödie endet.
Lyndon LaRouche hat in einem Artikel in EIR vom 9. November 2007
unter dem Titel „Die Macht der Tragödie“1 etwas Erstaunliches
gesagt, was den Grund betrifft, warum wir uns entschieden haben, das erste
Panel diesmal der Notwendigkeit einer Renaissance der Klassik zu widmen. Denn
gerade in den größten klassischen Kunstwerken findet man das Niveau des
Denkens, das man braucht, um mit dieser Krise umzugehen. LaRouche wies darauf
hin, daß man seit Wladimir Wernadskij und Albert Einstein um die Aufteilung
des Universums in streng definierte Phasenräume weiß – das Abiotische, die
Biosphäre und die Noösphäre –, daß es aber noch einen vierten, allgemeinen
Phasenraum gibt, der „die Ebene der klassischen Tragödie, der physikalischen
Wissenschaft, der klassischen künstlerischen Komposition und das Thema der
Staatskunst, wie es Aischylos, Platon, Shakespeare, Lessing und Schiller
kannten, zu einem einzigen Gegenstand vereint. Dieser vierte Phasenraum ist
die wahre Substanz der Geschichte.“ Wenn die Menschheit eine Lösung für die
vielen gegenwärtigen existentiellen Krisen finden will, dann müssen die
politischen Führer auf allen Ebenen der Gesellschaft auf das Denken dieses
vierten Phasenraums zugreifen!
Die Menschheit am Punctum saliens
Die russische Reaktion auf Bidens Bemerkung zeigt, sie sehen, daß wir uns
an einem solchen Punctum saliens befinden. Konstantin Kossatschow,
stellvertretender Sprecher des russischen Föderationsrates, nannte es eine
Bruchlinie: „Diese rüpelhaften Bemerkungen haben alle Erwartungen, daß die
neue Administration eine neue Politik gegenüber Rußland verfolgen wird,
zunichte gemacht.“ Und mit echtem Zorn: „Diese Bemerkungen kommen vom
Präsidenten eines Landes, das alle zwölf Minuten irgendwo auf der Welt eine
Bombe abwirft, wodurch seit 2001 mehr als 500.000 Menschen im Zusammenhang mit
US-Aktionen ums Leben gekommen sind. Könnten Sie das kommentieren, Mister
Biden?“
Es ist erschreckend, wie sich diese Krise in den letzten Jahren aufgebaut
hat, so gut wie ohne Bewußtsein in der Öffentlichkeit, ohne öffentlichen
Diskurs, ohne Debatte unter Intellektuellen, geschweige denn in den
Parlamenten, Schritt für Schritt, dem Abgrund entgegen.
Im Bereich der Militärdoktrinen gab es mit der Veröffentlichung der US
National Security Straetgy (NSS) im Dezember 2017, die erstmals Rußland
und China als geopolitische Rivalen definierte, eine deutliche Verschiebung in
Richtung Konfrontation mit Rußland und China. Es folgte die National
Defense Strategy im Januar 2018, gefolgt von der Nuclear Posture
Review (NPR) und der Schaffung eines US-Weltraum-Kommandos und einer U.S.
Space Force, deren Ziel die amerikanische Vorherrschaft im Weltraum ist, um
China daran zu hindern, neue Regeln im Weltraum zu definieren.
Im März 2021 veröffentlichte das Weiße Haus die Interim National
Security Strategic Guidance. Das 24seitige Dokument erklärt die klare
Absicht, die „Demokratien“ der Welt gegen die „bösartigen“ Einflüsse Rußlands
und Chinas auszurichten, eine „regelbasierte Ordnung“ in der Welt
wiederherzustellen, die NATO praktisch zu globalisieren, mit einem klaren
Fokus auf die Bildung von Allianzen im Indopazifik gegen Rußland und China,
und schnell in eine Position der internationalen Führung in der globalen
Klimawandel-Agenda zurückzukehren, die globalen Kohlenstoffemissionen zu
senken und sicherzustellen, daß die USA und nicht China die Regeln bestimmt.
All dies soll „ein durchsetzungsfähigeres und autoritäreres China
übertrumpfen“ und sich im strategischen Wettbewerb mit China oder jeder
anderen Nation durchsetzen. Das Klima wird zur nationalen Sicherheitspriorität
erhoben. „Wir werden Klimarisikoeinschätzungen in unsere Kriegsplanung,
-modellierung und -simulation einbeziehen, und wir werden die
Widerstandsfähigkeit von Missionen stärken und Lösungen entwickeln, die unsere
Fähigkeiten optimieren und unseren eigenen Kohlenstoff-Fußabdruck reduzieren.“
Ist das nicht sehr seltsam, daß der Klimaschutz zur nationalen
Sicherheitspriorität erklärt wird?
Doch während diese „offiziellen“ Dokumente zumindest formal im Bereich der
militärischen Fachsprache bleiben, wird dieser Schein nicht mehr gewahrt in
Papieren wie „Das längere Telegramm“, das am 28. Januar 2021 vom Atlantic
Council veröffentlicht wurde, verfaßt von einem anonymen ehemaligen
Regierungsmitglied mit „umfassendem Wissen“ über China und angeblich eines der
wichtigsten Papiere, die der Council je veröffentlicht hat. (Der Titel ist
eine bewußte Anspielung auf das „Lange Telegramm“ von George Kennan aus dem
Jahr 1946, das zur Eindämmung der Sowjetunion aufgerufen hatte.)
Dieses Dokument ruft dreist zu einem Insider-Coup gegen Präsident Xi
Jinping durch abtrünnige führende Mitglieder der KP Chinas auf, die bereit
sind, die Idee eines eigenen chinesischen Entwicklungsmodells aufzugeben und
sich der amerikanischen Vorherrschaft auf der Welt zu unterwerfen. Und wer
sind die Hauptfinanziers dieser Denkfabrik? Einige der führenden
US-Waffenhersteller wie Raytheon, General Atomics, Boeing, Lockheed Martin,
Northrop Grumman, und die NATO.
Von der gleichen Art ist die vom britischen Geheimdienst gesteuerte
Nawalny-Operation, die im wesentlichen das gleiche Ziel hat, eine
Regimewechsel-Operation gegen Präsident Putin zu katalysieren.
Bevor es nun zum Dritten Weltkrieg kommt – denn das ist die Zuspitzung, auf
die wir hier blicken –, lassen Sie uns überlegen, was hier passiert.
Haben wir nicht erst vor kurzem, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion,
gehört, daß wir das „Ende der Geschichte“ erreicht hätten, was eines der
idiotischsten Dinge ist, die je gesagt wurden? Daß von diesem Zeitpunkt an die
westlichen Demokratien die ganze Welt übernehmen würden und alle dem
westlichen Wertesystem zustimmen würden, der neoliberalen Ökonomie, der
Gender-Politik, dem Dekonstruktivismus in der Kunst, etc. etc.?
Die verpaßte Chance von 1989
Ein kurzer Rückblick ist hier sinnvoll, denn das ist die Lektion, die
gelernt werden muß, wenn eine Tragödie vermieden werden soll. Es gibt
tatsächlich eine Rivalität zweier konkurrierender Systeme – zwei völlig
unterschiedliche Auffassungen von der Welt, der Rolle des Menschen in ihr und
einer damit verbundenen Vision von der Zukunft der Menschheit.
Im Jahr 1978, als Deng Xiaoping nach dem tiefen Tal der Kulturrevolution
die Reform- und Öffnungspolitik einleitete, war China eines der ärmsten Länder
der Erde. Indem er die besten Aspekte der Tradition der Physikalischen
Ökonomie anwandte, wie sie von Gottfried Wilhelm Leibniz begründet und von
Hamilton, List, Carey und Witte weiterentwickelt wurde, brachte er China auf
einen Kurs kontinuierlicher Innovation, der in den 40 Jahren seither 850
Millionen Chinesen aus der meist extremen Armut herauskatapultierte, was für
jeden unvoreingenommenen Geist eine der herausragenden, wenn nicht die größte
kulturhistorische Leistung der Weltgeschichte darstellt. Das Ziel, die extreme
Armut in ganz China vor Ende 2020 zu beseitigen, wurde erreicht, während in
den USA und der EU der Trend gegenläufig ist.
1991 haben wir den Vorschlag des Produktiven Dreiecks Paris-Berlin-Wien,
der die Antwort von Lyndon LaRouche, meinem verstorbenen Mann, auf den Fall
der Berliner Mauer 1989 war, zur Eurasischen Landbrücke erweitert. Nach dem
Vorbild der alten Seidenstraße ist dies ein System von Entwicklungskorridoren,
das die Bevölkerungs- und Industriezentren Europas mit denen Asiens verbinden
soll, um so alle Binnengebiete des eurasischen Kontinents zu
industrialisieren.
Diese Idee war ein naheliegender Gedanke für jeden, der aus der
philosophischen Tradition von Nikolaus von Kues (Kusanskij), Wernadskij,
Krafft Ehricke kam. Nämlich, daß sich das Leben mit Hilfe der Photosynthese
entwickelt hat, aus den Ozeanen heraus; daß sich Organismen mit einem
Stoffwechsel mit höherer Energieflußdichte entwickeln würden und daß sich
schließlich eine Gattung entwickeln würde, deren schöpferische Vernunft eine
ganz neue Kategorie von Existenz im Universum begründen würde – der Mensch.
Der natürliche Verlauf der Evolution dieser neuen Gattung würde darin
bestehen, sich an den Ozeanen und Flüssen anzusiedeln und durch die
Entwicklung der Infrastruktur ins Landesinnere zu ziehen.
Die Erschließung und Entwicklung der landumschlossenen Gebiete unserer
Kontinente durch diese Entwicklungskorridore war eine ziemlich offensichtliche
Idee, als der Eiserne Vorhang fiel. Wenn die infrastrukturelle Erschließung
aller Kontinente des Planeten abgeschlossen ist, wäre die nächste Phase dieser
Entwicklung der Aufbau von Infrastruktur im nahen Weltraum – Kolonien auf dem
Mond und Mars als Sprungbrett für die Menschheit, um eine galaktische Spezies
zu werden.
Ich habe 1990 in vielen Reden gewarnt, wenn man den Fehler mache, den
zusammengebrochenen kommunistischen Volkswirtschaften ein hemmungsloses System
der freien Marktwirtschaft überzustülpen, dann könne man vielleicht noch eine
Weile die Kasinowirtschaft fortsetzen, aber dann werde es zu einem noch
größeren Zusammenbruch des gesamten Systems kommen.
Wenn das Produktive Dreieck und die Eurasische Landbrücke umgesetzt worden
wären – es gab damals große Unterstützung dafür –, dann wäre dies der perfekte
Friedensplan für das 21. Jahrhundert gewesen. Aber das wurde vom Westen aus
geopolitischen Gründen abgelehnt. Stattdessen bestand die Idee insbesondere in
den Vereinigten Staaten und Großbritannien und Frankreich darin, die ehemalige
Supermacht Sowjetunion in ein rohstoffproduzierendes Dritte-Welt-Land zu
verwandeln. Jeffrey Sachs‘ „Schocktherapie“ in der Jelzin-Zeit bewirkte
tatsächlich eine Bevölkerungsreduktion um etwa eine Million Menschen pro Jahr,
so daß es sich wirklich um einen Völkermord handelte. In den Vereinigten
Staaten begründete die Politik von PNAC – dem „Projekt für ein neues
amerikanisches Jahrhundert“ – 1992 die Idee von Dick Cheney, daß die
Vereinigten Staaten die einzige Supermacht bleiben und niemals einen Rivalen
auf strategischer Ebene zulassen würden.
Im Juni 1992 wurde auf dem Erdgipfel in Rio in Brasilien die entsprechende
Politik vorgeschlagen. Dies war der Beginn einer gigantischen globalen
Offensive der malthusianischen Politik, in der die bisherige Politik des Club
of Rome und dessen Idee von den „Grenzen des Wachstums“ bekräftigt wurden.
Lyndon LaRouche hat dem damals ein eindrucksvolles Buch entgegengesetzt: Es
gibt keine Grenzen des Wachstums.
Der Rio-Gipfel war auch die Bestätigung von Henry Kissingers Doktrin
NSSM-200 von 1974,2 einem unglaublich skandalösen Dokument, das
Bevölkerungsreduzierung forderte und die Idee vertrat, die „Lebensmittelwaffe“
als Mittel zur Bevölkerungskontrolle einzusetzen.
Die Argumente dieser geforderten malthusianischen Herrschaft über eine
unipolare Welt sollten sich oft ändern. Das wechselte von „begrenzten
Ressourcen“ zum wachsenden „Ozonloch“, zum „sauren Regen“, zum „Waldsterben“,
zu „Kernenergie gleich Faschismus“ und jetzt, in der letzten Zeit, zum
„Klimawandel“. Das eigentliche Problem war jedoch immer die oligarchische
imperiale Ordnung einer kleinen Elite und die Bevölkerungskontrolle.
China nutzt seine Chance
Im selben Jahr 1992, nur 14 Jahre nach Inkrafttreten von Dengs
Reformpolitik, hatte China bereits einige Fortschritte erzielt, jedoch
hauptsächlich in den Küstenregionen, im Rest des Landes herrschte immer noch
große Armut. 1996 nahm ich an einer Konferenz in Beijing teil, die wir der
chinesischen Regierung zwei Jahre zuvor vorgeschlagen hatten, mit dem Titel
„Die Entwicklung der Regionen entlang der eurasischen Landbrücke“. Sie
definierte die langfristige, strategische Perspektive für China bis 2010.
Diese Politik wurde jedoch durch die Asienkrise von 1997 unterbrochen.
Im Jahr 2001 wurde China eingeladen, der WTO [Welthandelsorganisation]
beizutreten, in der Erwartung, die Integration in den Weltmarkt würde dazu
führen, daß China „westliche Werte“, westliche Demokratie usw. annimmt, d.h.
den Washingtoner Konsens, die „regelbasierte Ordnung“ der Kasinowirtschaft der
Wall Street und der City of London akzeptiert.
Aber statt das „Ende der Geschichte“ anzuerkennen, griff China die
Tradition von 5000 Jahren chinesischer Geschichte und Kultur neu auf. Xi
Jinping verkündete 2013 in Kasachstan die Neue Seidenstraße (BRI), die in den
siebeneinhalb Jahren seither das größte Infrastrukturprogramm in der
Geschichte wurde, an dem 150 Länder mitarbeiten. Wie der amerikanische Komiker
Bill Maher in einem kurzen Video erklärte: Wer das nicht anerkennt, der ist
„ein dummes Volk“. China baute 40.000 km Schnellzugstrecken, 500 neue Städte
für Millionen von Menschen, es hat modernste Kernfusionsforschung, eine
Mission zur erdabgewandten Seite des Mondes und eine Mission zum Mars, und wie
Xi Jinping kürzlich sagte: China ist dem Ziel der großen Verjüngung der
chinesischen Nation näher als je zuvor in der Geschichte und dabei, eine
Weltmacht in Wissenschaft und Technologie zu werden.
Und auch Putin wurde erst zu dem Dämon, als der er vom atlantischen
Establishment dargestellt wird, nachdem er begonnen hatte, den Status Rußlands
als Weltmacht zu bekräftigen, statt nur als „Regionalmacht“, wie es Obama
unverantwortlicherweise gefordert hatte, als er zum zweiten Mal das
Präsidentenamt antrat.
Tappt Amerika in die Thukydides-Falle?
Wo wird das also enden? Wenn die Biden-Administration, das „Globale
Großbritannien“, die NATO und die EU darauf beharren, Rußland und China
einzudämmen, deren strategische Partnerschaft angesichts der aggressiven
Politik der westlichen Allianz immer stärker wird, wird es dann unweigerlich
zum Dritten Weltkrieg kommen, den niemand überleben würde? Xi Jinping brachte
es 2015 bei einer Reise nach Seattle auf den Punkt: „So etwas wie die
sogenannte Thukydides-Falle gibt es auf der Welt nicht. Aber wenn große Länder
immer wieder den Fehler einer strategischen Fehlkalkulation machen, könnten
sie sich selbst solche Fallen schaffen.“
Der chinesische Botschafter in den USA, Cui Tiankai, verwies mehrfach auf
einen Artikel des Historikers Professor Graham Allison, der die Frage gestellt
hatte, ob die USA und China im Begriff seien, genau in diesem Konflikt zu
landen, den der erste griechische Historiker Thukydides beschrieben hat, und
in den Krieg gegeneinander zu ziehen.
Thukydides, der von 460-404 v.Chr. lebte, hat uns vermittelt, wie das
schöne klassische Griechenland unterging, nachdem die Konkurrenz zwischen
Sparta und Athen zum Peleponnesischen Krieg geführt hatte. Nach den
Perserkriegen 500-479 und 470-448 v.Chr., in denen sich Athen als siegreich
über die Perser erwiesen hatte, war es zu einer Art politischer Supermacht
aufgestiegen, was das oligarchisch regierte Sparta verärgerte, das zuvor die
dominierende Macht gewesen war und sich durch das Eingehen verschiedener
Bündnisse an der Macht zu halten versuchte. Nach dem endgültigen Sieg Athens
über die Perser und dem sogenannten Kallias-Frieden hätte es den Attischen
Bund eigentlich auflösen können, doch unter dem Einfluß der Sophisten in Athen
wandelte es sich zu einem attischen Imperium und machte die bisherigen
freiwilligen Verbündeten zu Tributzahlern und Vasallen.
Am berühmtesten und aufschlußreichsten für unsere heutige Situation ist die
Geschichte, wie Athen die Bewohner der Insel Melos in das neue Arrangement
zwang, die Thukydides im 5. Buch im Dialog zwischen dem Gesandten aus Athen
und dem Vertreter von Melos schildert. Der Athener bemerkt, mit dem Sieg über
die Perser hätte Athen das Recht erworben, zu herrschen; der Mächtige tue, was
er will, und der Schwache habe zu gehorchen. Der Vertreter von Melos
argumentiert, wenn Athen schon das Gesetz nicht respektiere, sollte es
bedenken, daß sich andere an seiner Härte ein Beispiel nehmen könnten, wenn es
selbst einmal besiegt würde.
Der Athener antwortet, die Melosianer sollten sich der Herrschaft der
Athener unterwerfen, da dies für beide Seiten von Vorteil wäre. Der Vertreter
von Melos fragt erstaunt, wie die Sklaverei so vorteilhaft sein könne wie die
Herrschaft, worauf der Athener antwortet, es wäre besser, ein Untertan zu
werden, als getötet zu werden, und für sie wäre es ein Gewinn, wenn sie sie
nicht töten müßten. Auf die Frage, ob sie nicht neutral bleiben könnten,
antwortet der Athener, nein, da ihre Feindschaft Athen weniger schaden würde
als ihre Freundschaft, die als Zeichen der Schwäche Athens gedeutet würde. So
oder so gelte auf der ganzen Welt das Prinzip des Stärkeren. Die Melosianer
argumentierten, daß sie ihre Unabhängigkeit, die sie seit 700 Jahren besaßen,
nicht aufgeben könnten, sondern neutral bleiben wollten. Kurz darauf begann
Athen die Feindseligkeiten, das Volk von Melos mußte sich bedingungslos
ergeben, und die Athener töteten alle Männer und verkauften die Frauen und
Kinder in die Sklaverei.
Thukydides beschreibt dann weiter, wie die Maßlosigkeit die Athener sie zu
immer offensiverem Verhalten verleitet, bis schließlich zur Sizilianischen
Expedition 415-413 v.Chr., bei der sie eine vernichtende Niederlage erleiden,
von der sie sich nie mehr erholten.
Im Zeitalter der thermonuklearen Waffen sollte man sich also zweimal
überlegen, ob man eine Thukydides-Falle schafft, wo keine sein muß.
Der „Great Reset“
Der wichtigste Konflikt ergibt sich aus den völlig gegensätzlichen
Entwicklungswegen dieser beiden Systeme. China und im Prinzip auch die Länder,
die mit ihm bei der BRI zusammenarbeiten, legen größten Wert auf Innovation,
wissenschaftliche und technologische Durchbrüche zur Verbesserung des
Lebensstandards ihrer Bevölkerung, auf die Förderung der Kreativität der
Bevölkerung als Quelle der Innovation. Die Marschroute der malthusianischen
Fraktion auf der anderen Seite ist es, in der Geschichte rückwärts zu gehen,
zu niedrigeren Energieflußdichten, geringerem Verbrauch, weniger Menschen.
Der koordinierte Vorstoß der Zentralbanker seit dem berüchtigten Treffen in
Jackson Hole/Wyoming im August 2019 für einen „Regimewechsel“, den „Great
Reset“, die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft, „Shifting the Trillions“, wie
es in Papieren der EU und der deutschen Regierung heißt, alle Investitionen in
grüne Technologien zu lenken – all das bedeutet eine dramatische Senkung des
Lebensstandards der Bevölkerung in den USA und Europa, eine Zunahme der Armut
weltweit, und angesichts der bereits wütenden Pandemie und des Hungers auf der
Welt eine massive Reduzierung der Bevölkerung im sogenannten
Entwicklungssektor, einen Genozid.
Aischylos stellt diesen Konflikt in seiner Trilogie Der gefesselte
Prometheus dar – den Konflikt zwischen Zeus, dem olympischen Gott, als
Inkarnation des oligarchischen Systems, und Prometheus, den Zeus dafür
bestraft, daß er den Menschen das Feuer und damit Fortschritt und
Produktivität gebracht hat.
Womit wir es zu tun haben, was diesen beiden, direkt gegensätzlichen
Entwicklungssträngen zugrunde liegt, ist das unterschiedliche Menschenbild.
Das prometheische Bild sieht in jedem Menschen eine enorme Bereicherung für
die ganze Menschheit, da jedes Individuum das Potential hat, grundlegende
Entdeckungen in der Naturwissenschaft und in der Gestaltung großer klassischer
Kunst zu machen. Ein schöpferischer Mensch kann die Entdeckung eines
universellen physikalischen Prinzips machen, das eine völlig neue Plattform
schaffen kann, die wiederum die gesamte Produktionsweise der Menschheit auf
einem qualitativ höheren Produktivitätsniveau neu definieren kann – wie z.B.
die Dampfmaschine, Antibiotika, Kernkraft, Laser, etc.
Das malthusianische Menschenbild hingegen sieht in jedem Menschen einen
Parasiten, eine Belastung für Mutter Natur, eine kohlenstoff-fressende Last,
die zur globalen Erwärmung beiträgt, und deshalb gelte: Je weniger solcher
Plagegeister es gebe, desto besser.
Natürlich ist das ganze malthusianische Argument ein wissenschaftlicher
Betrug, denn das Computerprogramm, auf dem die sogenannte Studie Die
Grenzen des Wachstums basierte, war ein manipuliertes Programm, bei dem
zuerst das gewünschte Ergebnis festgelegt und dann das Programm entsprechend
gestaltet wurde. Die Autoren Meadows und Forrester gaben später zu, daß sie
die Rolle des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts bei der
Definition, was eine Ressource ist, ausgelassen hatten. Die malthusianische
Argumentation ist eine glatte Lüge der Oligarchie, verstärkt durch die
politische Korrektheit, die von den Mainstream-Medien verbreitet wird, die von
der Wall Street und der City of London kontrolliert werden, neuerdings auch
von den sozialen Medien, die von den IT-Giganten des Silicon Valley,
Stiftungen und Thinktanks kontrolliert werden, die die Interessen des
Finanzsektors widerspiegeln.
Der künstlich herbeigeführte Paradigmenwechsel, den der Club of Rome im
Auftrag der internationalen Oligarchie in Gang gesetzt hat – nicht neu, aber
mit Millionen von Dollars in vielen Sprachen propagiert –, war sehr effektiv.
Die „Vergrünung“ von Millionen von Köpfen und damit ein Mangel an
wissenschaftlicher Strenge macht sie anfällig für alle Arten von Lügen, auch
für die über Rußland und China.
Die Tragödie der heutigen Zeit
LaRouche schreibt in Die Macht der Tragödie: „Hier, in dieser
Unterdrückung der wissenschaftlichen und verwandten schöpferischen Kräfte des
menschlichen Verstandes der Masse der Bevölkerung, liegt das Wesen der
Hauptkraft der Tragödie.“ Es ist diese „unsichtbare, aber nichtsdestoweniger
wirksame Macht der Tragödie“, von der LaRouche spricht, „die den Willen der
Menschen beugt, um dem gefürchteten Zorn der mächtigen, satanischen Figur des
fiktiven Zeus zu entgehen“, die angesprochen und verändert werden muß.
Lyndon LaRouche wies darauf hin, daß die Tragödie unserer Zeit auf dem
völligen Fehlen eines wissenschaftlichen und rigorosen Verständnisses der
Bevölkerung beruht, daß aber der Begriff der Tragödie Gegenstand einer
strategischen, nachrichtendienstlichen Beurteilung sein muß, die von jedem
ernsthaften Betrachter der gegenwärtigen Situation in den USA untersucht
werden muß.
Beginnen wir also mit einer nüchternen Einschätzung der Lage.
Es ist ganz klar, daß die Politik des neoliberalen Wirtschafts- und
Kultursystems völlig versagt hat. Wenn man sich die Pandemie anschaut, wie
kommt es dann, daß alle asiatischen Kulturen so viel besser abgeschnitten
haben – weniger Todesfälle, schnellere Rückkehr zum normalen Wirtschaftsleben?
Es liegt daran, daß sie auf einem Wertesystem basieren, das das Gemeinwohl in
den Vordergrund stellt, im Gegensatz zur neoliberalen Idee einer
individualistischen Freiheit, in der alles erlaubt ist. Schauen Sie sich
die Hungersnot an, die absolut unglaubliche humanitäre Krise im Jemen, in
Syrien, in vielen Ländern Afrikas und Lateinamerikas. Hunger von biblischen
Ausmaßen ist das Ergebnis dieser neoliberalen Politik des Westens. Warum
beginnt der Westen keine sogenannte „Impfdiplomatie“, wie er sie Rußland und
China vorwirft? Warum hat er die Entwicklungsländer nicht entwickelt? Als
Papst Johannes Paul II. 1990 gefragt wurde, ob der Zusammenbruch der
Sowjetunion beweise, daß das westliche System moralisch überlegen sei,
antwortete er, absolut nicht, weil es von „Strukturen der Sünde“ geprägt sei.
Schauen Sie sich die Dritte Welt an, sagte er, und dann sehen Sie den Grund,
warum ich das sage. Das Versagen des Westens ist das Ergebnis einer tiefen
kulturellen Krise, die nur mit der Dekadenz in der Endphase des Römischen
Reiches vergleichbar ist. Schauen Sie sich unsere Populärkultur an: die
Unterhaltung, die von satanisch bis pervers reicht, die geistige Abstumpfung
des meisten, was die Menschen als Unterhaltung ansehen. Wir haben eine
Erosion, fast eine Amnesie des kulturellen Gedächtnisses unserer großen
Traditionen erlebt. Die große Mehrheit der Jugend hat keine Ahnung von
klassischer Kultur. Sie denken, daß die Rolling Stones „klassisch“ sind. Die
Zeitgenossen wissen nicht einmal, daß sie es vergessen haben.
Die Universalgeschichte der Menschheit
Um dem abzuhelfen, schaue man sich die Universalgeschichte so an, wie
Schiller sie in seiner berühmten Jenaer Antrittsrede 1789 beschrieben hat. Er
sagte, es habe nur ein paar tausend Jahre gedauert, bis sich der Mensch vom
asozialen Höhlenmenschen zur hohen klassischen Kunst entwickelt hat: Dante,
Shakespeare, Bach, Beethoven oder Schiller.
Das hat mit dem absoluten Unterschied zwischen dem Menschen und allen
anderen Lebensformen zu tun. Der Beweis dafür ist die Fähigkeit zur
willentlichen Erhöhung der relativen potentiellen Bevölkerungsdichte, die es
der Menschheit innerhalb einiger Jahrtausende ermöglichte – insgesamt
vielleicht 10.000 oder 20.000 Jahre –, ihre Bevölkerungsdichte von ein paar
Millionen auf heute fast acht Milliarden Menschen zu erhöhen. Wie Lyndon
LaRouche oft betont hat, war kein Menschenaffe und kein domestiziertes
Haustier jemals in der Lage, diese kreative Fähigkeit des Menschen
nachzuahmen. Sie können vielleicht Aspekte des menschlichen Verhaltens
imitieren, aber sie haben nie ein physikalisches Prinzip entdeckt.
Und das ist der absolut grundlegende Unterschied zwischen der Biosphäre und
der Noosphäre, wenn man alle Schöpfer der menschlichen Kultur studiert, wie
sie sich entwickelt haben: die Ursprünge der chinesischen, indischen,
mesopotamischen, ägyptischen und griechischen Kultur, oder wie die
konfuzianische Philosophie die Grundlage für die folgenden 2500 Jahre der
chinesischen Geschichte gelegt hat. Schauen Sie sich die Weisheit der
vedischen Schriften an; die Bibliothek von Alexandria in Ägypten; das
klassische Griechenland; die Gupta-Zeit in Indien; die Zusammenarbeit von
Harun al-Raschid mit Karl dem Großen, die zur karolingischen Renaissance
führte, die es Europa ermöglichte, seine Schätze aus der Vergangenheit
wiederzuentdecken; die Song-Dynastie; die Zusammenarbeit Friedrich von
Hohenstaufens mit der arabischen Welt; die andalusische Renaissance; die
italienische Renaissance; die Entstehung des souveränen Nationalstaates durch
Cusanus und Ludwig XI. in Frankreich; Shakespeare; die Entwicklung der
klassischen Musik von Bach, Beethoven, bis Brahms; Shelley, Keats, Lessing,
Schiller, Edgar Alan Poe. Alle diese Kulturen haben zum menschlichen
Fortschritt beigetragen, und es ist die Gesamtheit und Kontinuität dieser
großen Werke der Kunst, der Wissenschaft, der Poesie, der Musik und der
Architektur, der Malerei und der Staatskunst, die den vierten Phasenraum in
unserem Universum bildet.
Das ist die Universalgeschichte, die uns als menschliche Gattung
auszeichnet und zu der viele große Geister beigetragen haben, die die
Menschheit unsterblich macht.
Es hat in der Geschichte oft eine Debatte darüber gegeben, ob Tiere eine
Seele haben, und jeder Besitzer eines Haustieres wird bekräftigen, daß diese
Tiere eine Seele haben. Aber ich stimme mit Ibn Sina (Avicenna) überein, daß
Tiere zwar eine Seele haben, aber nur eine kollektive Seele, denn man erinnert
sich nicht an einen bestimmten Hund, der das Vergnügen von jemandem war, der
im 4. Jahrhundert lebte, aber man erinnert sich sehr wohl an die Seele von
Sokrates. Wenn jeder Mensch diese Universalgeschichte rekapituliert, dann
nimmt er an diesem vierten Phasenraum teil.
Was ist zu tun?
Wenn wir einen Dialog dieser verschiedenen Kulturen haben, den wir unter
den Vertretern all dieser Kulturen brauchen, dann haben wir eine sehr konkrete
Möglichkeit, die gegenwärtige Krise zu lösen. Es gibt viele konkrete Schritte,
die wir unternehmen müssen, um aus dieser Krise herauszukommen:
- Im militärischen Bereich brauchen wir das Äquivalent der Strategischen
Verteidigungsinitiative: die Idee, Atomwaffen technologisch obsolet zu machen.
Und wir brauchen eine neue Sicherheitsarchitektur.
- Um die Kasinowirtschaft zu beenden, brauchen wir ein globales
Glass-Steagall-Trennbankensystem und ein Neues Bretton-Woods-System, ein neues
Kreditsystem.
- Wir brauchen ein Neues Paradigma in den Beziehungen zwischen den
Nationen, das die Souveränität, die Nichteinmischung, die Existenz eines
anderen Gesellschaftssystems respektiert. Dann werden sich die Dinge komplett
ändern.
- Wir brauchen ein völlig neues, modernes Gesundheitssystem in jedem
einzelnen Land, um die Pandemien – diese und die kommenden – und Krankheiten
zu bekämpfen.
- Wir müssen die landwirtschaftliche Produktion verdoppeln, um Hungersnöte
zu beenden.
- Wir müssen die Armut durch wirtschaftliche Entwicklung für die gesamte
Menschheit für immer ausrotten.
Aber nichts von alledem wird funktionieren, wenn wir nicht ein neues
Paradigma der klassischen Kultur haben, das sich auf das Wesen der Identität
der Menschheit bezieht.
Im Gegensatz zu den Liberalen, die sagen, alles sei erlaubt und jeder solle
nach seinem eigenen Geschmack handeln, sagen wir, daß der Mensch sich durch
ästhetische Erziehung grenzenlos vervollkommnen kann – moralisch,
intellektuell und emotional. Und jeder Mensch hat mit dieser Methode der
ästhetischen Erziehung das Potential, eine schöne Seele und ein Genie zu
werden. Nur wenn wir als Menschheit als Ganze diesen Sprung machen, wird die
Menschheit sicher sein.
Ich danke Ihnen.
Anmerkungen
1. Siehe https://larouchepub.com/lar/2007/3444mask_pelosi_tragedy.html
2. Siehe https://pdf.usaid.gov/pdf_docs/Pcaab500.pdf
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