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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Der Plan des Schiller-Instituts zur Entwicklung Haitis

Von Richard Freeman und Cynthia Rush
– Erster Teil –

Jeder moralische, mitfühlende Mensch war entsetzt über die Bilder, die am Wochenende des 18. und 19. September durch die Weltmedien gingen, als 12.000 haitianische Migranten unter der Del Rio International Bridge in Texas unter unmenschlichen Bedingungen zusammengepfercht wurden, während sie verzweifelt hofften, in den Vereinigten Staaten Asyl zu finden. Nach dem schrecklichen Erdbeben in Haiti vom 12. Januar 2010 waren Zehntausende Haitianer aus ihrem zerstörten Land geflohen und hatten Zuflucht in anderen iberoamerikanischen Ländern gesucht, die sie nun wieder verließen, als das Gerücht aufkam, die USA böten haitianischen Migranten einen Sonderstatus.

Das war nicht der Fall, und die Regierung Biden, die sich gerne ihrer „humanen“ Einwanderungspolitik brüstet, begann am 19. September, Haitianer wie Vieh in Flugzeuge zu verfrachten, um sie alle in den nächsten sechs Wochen in ihre „Heimat“ zurückzubringen – obwohl Haiti von einer wütenden COVID-Pandemie, einem Zusammenbruch der Wirtschaft und zusätzlich den Folgen des Erdbebens der Stärke 7,2 vom 14. August geplagt ist. Von den vielen verschiedenen Nationalitäten von Migranten, die sich an der US-Grenze versammelt haben, wurden nur die Haitianer sofort abgeschoben. Viele, die am 20. September in der Hauptstadt Port-au-Prince landeten, berichteten, daß man ihnen beim Einsteigen nicht einmal sagte, wohin die Reise ging. Einige erklärten, sie seien während des Fluges an Händen, Hüften oder Füßen gefesselt worden.

Man fühlt sich fast schon an die Judentransporte im Dritten Reich erinnert, die auf Eisenbahnwaggons verladen und in den Tod geschickt wurden. Jedenfalls erinnert es an den Rassisten Thomas Jefferson, der verkündete, nachdem er 1801 Präsident geworden war, sobald die kriegführenden Nationen Großbritannien und Frankreich Frieden geschlossen hätten, würden die Vereinigten Staaten zusammen mit ihnen daran gehen, „die Pest“ (der Schwarzen) auf die Insel Saint Domingue – das heutige Hispaniola, wo Haiti liegt – „zu verbannen“.

Ein besonders erschütterndes Video der aktuellen Krise zeigt einen US-Grenzschutzbeamten zu Pferd, der haitianische Migranten im Wasser des Rio Grande (dem Grenzfluß zu Mexiko) mit den Zügeln bedroht und sie zusammentreibt, als wären sie entflohene Sklaven einer Südstaatenplantage des 19. Jahrhunderts.

Angesichts dieser „verwerflichen Gleichgültigkeit“ einer Regierung, welche die Folgen ihrer mörderischen Politik bewußt ignoriert, flehen die haitianischen Behörden die Vereinigten Staaten vergeblich an, die Abschiebungen zu stoppen, weil sie unter den derzeitigen Krisenbedingungen keinen solchen Zustrom von Menschen bewältigen können.

Am 20. September zitierte der Miami Herald den Leiter des haitianischen Migrationsamtes, Jean Negot Bonheur Delva: „Wenn man in diesem Moment Menschen nach Haiti zurückführt, angesichts von COVID-19, sollten die USA versuchen, Haiti mit einem humanitären Moratorium zu helfen.“

Die schreckliche Situation schreit nach dringender humanitärer Hilfe, aber auch nach einem Schnellprogramm für wirtschaftliche Entwicklung. Die USA und andere müssen die Mission annehmen, die der verstorbene amerikanische Staatsmann und Ökonom Lyndon LaRouche kurz nach dem Erdbeben von 2010 skizzierte, als er die US-Regierung aufforderte, einen 25-jährigen Vertrag mit Haiti zu unterzeichnen, um beim Wiederaufbau der Wirtschaft zu helfen. Das haitianische Volk sei „einer schrecklichen Geschichte ausgesetzt gewesen. Man hat ihm dies versprochen und es betrogen, man hat ihm das versprochen und es betrogen, und wieder versprochen und betrogen. Aber nie erfüllt.“ Jetzt sei es an der Zeit, die Zusagen zu erfüllen, betonte LaRouche damals. Keine Trostpflaster oder Flickschusterei. „Wir schließen einen Vertrag mit der Regierung, einen Vertrag zwischen den Vereinigten Staaten und Haiti, um den Wiederaufbau ihres Landes in einer Form zu gewährleisten, in der es tatsächlich ein funktionierendes Land sein wird, das überleben kann.“

Heute, ein Jahrzehnt später, kann und muß die von LaRouche beschriebene Mission erfüllt werden, und jetzt muß auch China als wichtiger Partner einbezogen werden, um Haiti aus der erdrückenden Armut zu befreien und es zum Modellfall für die wirtschaftliche Entwicklung der westlichen Hemisphäre und der Welt zu machen.

Richtig ist, daß Haiti im Einzugsbereich von Erdbeben und Wirbelstürmen liegt. Das ist ein Problem, das man mit moderner Technik in den Griff bekommen kann. Die größte Schwierigkeit ist, daß das Land unter einem ungeheuren Mangel an moderner Infrastruktur leidet, die für den Aufbau eines universellen Gesundheits- und Abwassersystems unverzichtbar ist. Für ein solches System benötigt man sauberes Wasser, funktionierende Straßen- und Schienenkorridore, Bildung, Stromversorgung, Häfen und Flughäfen. Alle diese Infrastrukturen erfordern erdbebensichere Städte, mit Strukturen, wie man sie in Japan gebaut hat, und den Aufbau einer landwirtschaftlichen Infrastruktur mit Hochtechnologie, damit die Landwirte ein wachsendes, nahrhaftes Nahrungsmittelangebot erzeugen können.

Der Wiederaufbau Haitis ist eine gewaltige Aufgabe, weil das Land zwei Jahrhunderte lang absichtlich mit malthusianischer Politik zerstört wurde. Jeder einzelne Sektor der physischen Wirtschaft muß von Grund auf neu oder wieder aufgebaut werden, um der verarmten Bevölkerung zu helfen. Aber das ist keine unlösbare Aufgabe, wenn China und die Vereinigten Staaten zusammen mit anderen Ländern des Karibischen Beckens und Mittelamerikas im Rahmen einer erweiterten Gürtel- und Straßeninitiative in der gesamten Region zusammenarbeiten.

Dazu muß Haiti diplomatische Beziehungen zu China aufnehmen. Es ist noch eines der wenigen Länder der Welt, das stattdessen diplomatische Beziehungen zu Taiwan unterhält. China besteht zu Recht darauf, nur mit Ländern zusammenzuarbeiten, die das Ein-China-Prinzip anerkennen, und Haiti wäre gut beraten, dem Vorbild der benachbarten Dominikanischen Republik zu folgen, die kürzlich mit Taiwan brach und Beziehungen zu China aufnahm, wenn es Hoffnung auf eine chinesische Beteiligung am Wiederaufbau haben will.

Vorsätzlicher Völkermord...

Jedesmal, wenn eine „Naturkatastrophe“ das Land heimsuchte, wurde Haiti einer vorsätzlichen Entvölkerungspolitik unterworfen. Seit 125 Jahren wird Haiti von der Londoner City, der Wall Street und anderen transatlantischen Banken (besonders französischen) ausgeplündert, später kamen der Weltwährungsfonds (IWF) und andere multilaterale Kreditgeber hinzu, und dem Land wird systematisch das Recht verweigert, sich zu einer modernen Nation zu entwickeln. Angesichts wiederholter Katastrophen hat man es immer wieder schutzlos sich selbst überlassen – das Erdbeben vom 14. August 2021 ist nur der jüngste Fall.

Das Programm des Schiller-Instituts für den Wiederaufbau und Aufbau Haitis, dessen erster Entwurf hier vorgestellt wird, umfaßt einen einheitlichen Infrastrukturplan, der über ein Hamiltonisches System – das als zentrales Element einer Konkurssanierung des zerfallenden internationalen Finanzsystems eingerichtet werden muß – mit großzügigen projektgebundenen Krediten finanziert wird. Nach vorläufigen Schätzungen des Schiller-Instituts wird ein tragfähiges Wiederaufbauprogramm für Haiti zwischen 175 und 200 Milliarden Dollar kosten, also 17,5-20 Mrd. Dollar jährlich über zehn Jahre.

Der Staatsmann und Wirtschaftswissenschaftler Lyndon LaRouche sagte in einem internationalen Internetforum am 13. März 2010 über die Prioritäten der Entwicklung:

    „Schauen Sie sich den Fall [der Erdbeben] in Kalifornien an, das ist in gewissem Sinne ein vergleichbarer Fall... Schauen Sie sich die Zahl der Todesopfer, Verletzten und anderes bei den kalifornischen Beben im Vergleich zu Haiti an. Was macht den Unterschied? Die Infrastruktur!“

Früher hatte LaRouche in einem Radiointerview am 4. März 2004 über Haiti folgendes gesagt:

    „Meiner Meinung nach sollte man immer vom schlimmsten Fall ausgehen, um eine Strategie festzulegen. Im eigenen Land schaut man sich die ärmste Bevölkerungsschicht an und fragt sich: ,Wird diese Strategie für ihre Kinder und Enkel funktionieren?‘ Und wenn sie für die Ärmsten funktioniert, dann wird sie wahrscheinlich für alle funktionieren. So wie Franklin Roosevelt das definiert hat: Wendet euch immer an den ,vergessenen Mann‘. Nehmt die Menschen, die am meisten Opfer von Ungerechtigkeit oder Vernachlässigung sind, und fangt dort an; und beweist, daß ihr euch wirklich für das Allgemeinwohl der Menschen einsetzt, indem ihr zeigt, daß ihr bereit seid, euch diesem Problem zu stellen. Seht dem Problem ins Auge und sprecht darüber, wie es zu lösen ist.“

© EIR




Abb. 1: Parameter der physischen Ökonomie

a) Hunger, Armut, Analphabetenrate

b) Zugang zu Kanalisation und Elektrizität

c) Ausbau der Eisenbahnen (km/km2 Landfläche) und Kindersterblichkeit (pro 1000 Geburten)

Wenn die dramatischen Defizite der haitianischen Infrastruktur, insbesondere in den Bereichen Energie und Gesundheitswesen, nicht überwunden werden, ist die Bevölkerung zu einer Zukunft in Primitivität, Unterentwicklung und endloser Armut verurteilt. Gegenwärtig hat dieses Land mit elf Millionen Einwohnern die höchste Sterblichkeitsrate bei Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren sowie die höchste Müttersterblichkeit in der westlichen Hemisphäre, sogar schlimmer als die vieler afrikanischer Länder. Die Lebenserwartung liegt bei 64,3 Jahren und ist mit Abstand die niedrigste in ganz Iberoamerika. Berichten zufolge sind 40% der Arbeitskräfte arbeitslos, aber die Realität ist weitaus schlimmer: 59% der Bevölkerung verdienen weniger als 2,43 Dollar pro Tag, ein „Lohn“, der die Mehrheit in ein Leben unterhalb des Existenzminimums getrieben hat, das menschenunwürdig ist. Einigen schockierenden Schätzungen zufolge sind 80% der Bevölkerung von Armut betroffen. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen berichtet, daß 40% der haitianischen Bevölkerung, 4,4 Millionen Menschen, von Ernährungsunsicherheit betroffen sind, wobei auch diese Zahl wahrscheinlich eher zu niedrig angesetzt ist. Im vergangenen Jahr belegte Haiti auf dem Welthunger-Index Platz 104 von 107 Ländern.

Die drei hier vorgestellten Diagramme ausgewählter vergleichender physisch-ökonomischer Parameter (siehe Abbildungen 1a, 1b und 1c) geben eine Momentaufnahme dieser Zerstörung. Sie basieren auf den neuesten verfügbaren Daten (in der Regel aus der Mitte der 2010er Jahre) der Vereinten Nationen, der Weltbank und anderer multilateraler Organisationen, um konsistente Zeitreihen für die verglichenen Länder darzustellen. Bei einigen Parametern wird die schreckliche Realität in Haiti noch deutlich untertrieben.

Das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, das diese Situation hervorgerufen hat, und die kriminelle Gleichgültigkeit, die die Weltgemeinschaft über Jahrzehnte und Jahrhunderte an den Tag gelegt hat, hatten zur Folge, daß große Teile der haitianischen Wirtschaft vom internationalen Drogenhandel (der von der Londoner City aus organisiert wird) und seinen kriminellen Banden übernommen wurden. In immer neuen Flüchtlingswellen flohen die Menschen von der Insel. Heute leben etwa zwei Millionen Haitianer im Ausland, die Hälfte davon in den USA, die andere Hälfte in Ländern Iberoamerikas und in Europa.

Die sanitären Einrichtungen in Haiti sind völlig unzureichend, erst recht angesichts der COVID-19-Pandemie; sauberes Wasser und Abfallbehandlung sind fast nicht vorhanden. Der Aufruf der Gründerin und Vorsitzenden des Schiller-Instituts Helga Zepp-LaRouche, die Pandemie durch den Aufbau moderner Gesundheitssysteme in allen Ländern der Welt zu bekämpfen, muß in Haiti umgesetzt werden. Wie sie in einer Grundsatzrede am 8. Mai 2021 sagte: „Der Aufbau eines modernen Gesundheitssystems in jedem Land kann und muß der Anfang sein, um die Unterentwicklung der Entwicklungsländer dauerhaft zu überwinden.“ Die Armut, der Mangel an zureichender Ernährung und die außer Kontrolle geratene COVID-19-Pandemie machen dies dringend erforderlich.

Das Fehlen eines angemessenen Gesundheitssystems in Verbindung mit dem Fehlen erdbebensicherer Gebäude führte zu der Situation, die der UNICEF-Vertreter in Haiti, Bruno Maes, am 2. September beschrieb: „Das Leben von Tausenden vom Erdbeben betroffenen Kindern und Familien ist jetzt in Gefahr, nur weil sie keinen Zugang zu sicherem Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygiene haben.“ Unter Berufung auf UNICEF berichteten die Vereinten Nationen am selben Tag, daß mehr als eine halbe Million Kinder im Südwesten Haitis keinen Zugang zu Unterkunft, Trinkwasser und sanitären Einrichtungen haben und „zunehmend von akuten Atemwegsinfektionen, Durchfallerkrankungen, Cholera und Malaria bedroht sind“.

Es ist erschreckend, daß Haiti unter den 200 Ländern der Welt den letzten Platz beim Stromverbrauch pro Kopf einnimmt und 75% seiner Energie aus Holzkohle (die durch Verbrennung von Holz gewonnen wird) bezieht, einer Technologie aus dem 16. Jahrhundert, die wirtschaftlichen Fortschritt unmöglich macht und eine gefährliche Umweltverschmutzung sowie ein Gesundheitsrisiko darstellt. Die installierte Stromerzeugungskapazität beträgt gerade einmal 350 MW, und der durchschnittliche jährliche Stromverbrauch pro Kopf liegt bei 37 Kilowattstunden. Zum Vergleich: In Spanien lag der jährliche Pro-Kopf-Stromverbrauch im Jahr 2020 bei 5275 Kilowattstunden, mehr als 140 Mal höher als in Haiti.

... keine „natürlichen“ Katastrophen

Neoliberale Politik, „Strukturanpassungen“ und Privatisierungsprogramme des IWF hatten Haitis Wirtschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts bereits weitgehend ruiniert. Doch das verheerende Erdbeben der Stärke 7,0 am 12. Januar 2010, bei dem 319.000 Menschen ums Leben kamen, war nochmals ein Wendepunkt. Im Oktober jenes Jahres folgte eine schreckliche – und vorhersehbare – Cholera-Epidemie, und in den Jahren danach folgten eine Reihe weiterer extremer Wetterereignisse. Zusammen versetzten sie einer schwachen Nation tödliche Schläge. Als sich das Erdbeben ereignete, dessen Epizentrum Port-au-Prince war, flüchteten fast zwei Millionen Einwohner aus der Hauptstadt und wurden obdachlos in elenden, unhygienischen Lagern zusammengepfercht, deren einziger Schutz Zelte, oft aber auch nur Planen oder Bettlaken waren.

Unmittelbar nach dem 12. Januar warnte Lyndon LaRouche, es werde zu einer Gesundheitskatastrophe kommen, wenn nicht sofort Maßnahmen ergriffen würden, um die Obdachlosen zu evakuieren, sie in höher gelegene Gebiete zu bringen und in Notunterkünften unterzubringen, bevor die Regenzeit beginnt. Er forderte, das Pionierkorps der US-Armee einzusetzen, um die notwendigen Unterkünfte und medizinischen Einrichtungen zu bauen und sauberes Wasser bereitzustellen.

US-Präsident Barack Obama lehnte LaRouches Vorschläge ab und ließ statt dessen zu, daß Port-au-Prince von einem Heer gut finanzierter Nichtregierungsorganisationen (NGOs) überflutet wurde, die mit Millionen um sich warfen, aber nichts Konkretes leisteten. Es geschah nichts, um die gefährlichen, erbärmlichen Bedingungen in der Hauptstadt und anderen vom Erdbeben betroffenen Städten zu verbessern. Armselige „provisorische“ Unterkünfte wurden nach dem Beben zum jahrelangen Dauerzustand, und der Choleraausbruch im Oktober des Jahres war vorprogrammiert. Selbst heute noch sind in einigen Gebieten am Stadtrand von Port-au-Prince die nach dem Erdbeben von 2010 errichteten „provisorischen“ Lager dauerhafte Gemeinschaften, darunter die ursprünglichen Zelte für die Opfer und andere aus Ziegelsteinen und allerlei minderwertigen Materialien zusammengebastelte „Häuser“.

Das Erdbeben, das Haiti am 14. August dieses Jahres erschütterte und dessen Epizentrum 150 km westlich von Port-au-Prince nahe der Stadt Petit-Trou-de-Nippes lag, richtete in dem Land, das sich nie von der Katastrophe von 2010 erholt hatte, erneut enorme Zerstörungen an. Haiti hatte keine Technologien zum Erdbebenschutz oder irgendwelche andere Hilfe erhalten, um sich mit modernen Methoden von dem Erdbeben von 2010 zu erholen.

So folgte auf diese Katastrophe die durch das El-Niño-Phänomen verursachte Dürre von 2015 bis 2017, die den mangels Mechanisierung und Bewässerung ohnehin schwachen Landwirtschaftssektor auslöschte und in einigen Landesteilen Ernteverluste bis zu 70% verursachte.

Im Oktober 2016 wütete der Hurrikan Matthew im Südwesten Haitis und zerstörte rund 200.000 Häuser teilweise oder vollständig, so daß 1,4 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigten. In zwei der zehn haitianischen Departements, Grand`Anse und Sud, wurde die Ernte fast vollständig zerstört, was die bestehende Nahrungsmittelknappheit erheblich verschärfte.

Der endgültige Schlag kam im Februar 2018, als der IWF strategisch intervenierte, um die Wirtschaft gezielt zu zerstören, indem er ein mageres Paket von 96 Millionen Dollar an zinsgünstigen Darlehen und Zuschüssen unter der Bedingung anbot, daß die Regierung die Treibstoffsubventionen kürzte. Als die Regierung im Juli dieser Forderung nachkam, schoß der Benzinpreis für den Durchschnittsbürger um 38% in die Höhe und lag mit 4,60 Dollar pro Gallone sogar über dem Preis in den Vereinigten Staaten. Der Preis für Dieselkraftstoff stieg um 47%, der für Kerosin um 51%. Die Folge waren verbreitete und oft gewalttätige Straßendemonstrationen.

So war das Land nicht in der Lage, sich gegen das Erdbeben vom 14. August 2021 zu wehren, bei dem nach Regierungsangaben mehr als 2200 Menschen starben und mehr als 300 vermißt werden, die vermutlich unter Trümmern begraben sind. Mehr als 12.000 Menschen wurden verletzt, und schätzungsweise 600.000 Menschen benötigen humanitäre Hilfe; mehr als 50.000 Häuser sind völlig zerstört und weitere 77.000 beschädigt, insgesamt also 127.000. Seit Jahrzehnten werden Häuser in Haiti nicht vorschriftsmäßig gebaut, weil Bauherren die Kosten für so wichtige, aber teure Materialien wie Zement scheuen. Daher waren die Häuser nicht erdbebensicher, und viele dieser schlampig gebauten Häuser stürzten innerhalb von Minuten unter einer Staubwolke ein.

Dabei kann eine moderne Infrastruktur und grundlegende wirtschaftliche Entwicklung die schlimmsten Folgen von Stürmen, Erdbeben und Dürren zu fast 95% oder mehr beseitigen oder abmildern. Japan zum Beispiel hat große Summen in die Erdbebenvorsorge investiert und die Forschung dazu vorangetrieben. Von den 14 oder 15 bekannten tektonischen Platten der Welt laufen vier in Japan zusammen, wo es über 2000 aktive Verwerfungen gibt; jedes Jahr ereignen sich mehrere Erdbeben, doch meistens mit geringen Folgen. Japans Geheimnis: Grundlagenforschung und Investitionen in die Infrastruktur – was sich im Falle Haitis leicht wiederholen läßt.

Wirtschaftliche Soforthilfe ist der einzige Weg, um chronische Armut, Unterernährung und Krankheiten zu beenden und den Haitianern die Chance zu bieten, ihre schöpferischen Fähigkeiten zu entfalten, um ihre Wirtschaft auf eine höhere Entwicklungsstufe zu heben.

Ein grundlegendes chinesisches Projekt

Chinas Engagement ist von zentraler Bedeutung für ein haitianisches und regionales Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramm, das zwangsläufig die Dominikanische Republik, die sich die Insel Hispaniola mit Haiti teilt, und die anderen Nationen des Karibischen Beckens und Mittelamerikas einbeziehen muß, die gemeinsam als Teil der Weltlandbrücke fungieren werden. Wie China mit den vielen Projekten, die es im Rahmen seiner Gürtel- und Straßeninitiative (BRI) in anderen Teilen der Welt finanziert, bewiesen hat, verfügt es über die finanziellen Mittel, das technologische Know-how und vor allem den Willen, die gewaltigen Herausforderungen von Situationen wie der auf Haiti zu bewältigen – ähnlich dem, was China in Afrika unternimmt.

Wenn Haiti Chinas diplomatischen Status ändert, kann China sofort mit bereits fertig geplanten Projekten beginnen, um in Port-au-Prince die Kanalisation, die Wasser- und Abwasseraufbereitung, das Verkehrsnetz und moderne Wohnungen komplett neu aufzubauen.

© SMEDRIC/Bati Ayiti Video

Abb. 2: Komponente des SMEDRIC-Entwicklungsplans: Bau von Abwasserkanälen und einer Kläranlage für 180.000 m3 Abwasser täglich.


Abb. 3: Komponente des SMEDRIC-Entwicklungsplans: Bau einer Wasseraufbereitungsanlage für 225.000 m3 Trinkwasser täglich.


Abb. 4: Komponente des SMEDRIC-Entwicklungsplans: Straßen und Eisenbahnen.


Abb. 5: Komponente des SMEDRIC-Entwicklungsplans: Regenwassersammlung und -ableitung.


Abb. 6: Komponente des SMEDRIC-Entwicklungsplans: Stromerzeugung und -verteilung.

Im August 2017 haben zwei chinesische Unternehmen – das Southwest Municipal Engineering and Design Research Institute of China (SMEDRIC) und die Metallurgical Corporation of China (MCC) – eine Reihe detaillierter Projekte im Wert von 4,7 Mrd. Dollar für den Wiederaufbau der Hauptstadt und ihrer Umgebung vorgeschlagen. Bei der Veröffentlichung seines Vorschlags und in einem dazu produzierten kurzen Video wies das Unternehmen SMEDRIC darauf hin, daß diese Projekte für Haitis Hauptstadt Teil eines umfassenderen 30-Milliarden-Dollar-Vorschlags für das gesamte Land seien. Einem Telesur-Artikel vom 1. September 2017 zufolge entstand die Idee für diese Reihe von Projekten auf dem BRI-Gipfeltreffen vom 14.-15. Mai 2017 in Peking. Kurz darauf unternahm eine chinesische Delegation einen achttägigen Planungsbesuch in Haiti und traf sich mit lokalen Beamten.

Die Vorschläge von SMEDRIC für Port-au-Prince sind beeindruckend, wie die folgenden Grafiken veranschaulichen.

- Bau einer neuen Kläranlage in Port-au-Prince, die 180.000 Kubikmeter Abwasser pro Tag behandeln kann (siehe Abbildung 2). Die Kläranlage wird nach dem dreistufigen Prinzip von Vorbehandlung, Erstbehandlung und biologischer Zweitbehandlung arbeiten. Bisher gibt es in der Stadt, in deren Großraum mehr als drei Millionen Menschen leben, keine einzige Kläranlage. Weder in Port-au-Prince noch in anderen haitianischen Städten gibt es eine zentrale Kanalisation.

- Bau einer Wasseraufbereitungsanlage, die 225.000 Kubikmeter pro Tag zu sicherem und reinem Trinkwasser aufbereiten kann (siehe Abbildung 3).

- Installation von 450 öffentlichen Toiletten, drei pro km², Einrichtung einer geordneten Müllabfuhr und Bau einer Mülldeponie, die 1500 Tonnen pro Tag aufnehmen kann.

- Wie in dem Kurzvideo von SMEDRIC dargestellt wird, ist ein weiterer Teil des Plans „Straßenbau, wie z.B. Aus- und Wiederaufbau, Verbreiterung, Sanierung und Verkehrseinrichtungen. Der Bereich umfaßt zwölf Hauptstraßen mit begleitenden Einrichtungen mit einer Gesamtlänge von 100 km, wobei die Straßenentwässerung ein wichtiger Bestandteil der Arbeiten ist.“ Hundert Kilometer mögen nicht viel erscheinen, aber wenn es sie in und um Port-au-Prince gibt, mit Entwässerung und verbreitert, ist das sehr wichtig (siehe Abbildung 4).

- In einer Reihe von Plänen wird der Bau von Entwässerungsanlagen vorgeschlagen, die Überschwemmungen bei „100- und 50-jährlichen Hochwassern“ verhindern können, d.h. Überflutungen, die als solche eingestuft werden, weil sie so außergewöhnlich sind und so viel Wasser ansammeln, daß sie nur einmal in 100 oder 50 Jahren auftreten. Das Regenwasser wird in Rohren aufgefangen und in die Flüsse und das Meer abgeleitet. Dies ist ein erster wichtiger Schritt zur Eindämmung von Überschwemmungen, insbesondere angesichts der Tatsache, daß Port-au-Prince in einem extrem gefährdeten Überschwemmungsgebiet liegt (siehe Abbildung 5).

- Bau eines 600-Megawatt-Erdgaskraftwerks, das auf 2000 Megawatt erweitert werden kann (siehe Abbildung 6).

- Bau eines neuen Rathauses als zentrales Wahrzeichen im Rahmen des Wiederaufbaus der Altstadt von Port-au-Prince.

Der Bürgermeister von Port-au-Prince, Ralph Youri Chevery, befürwortete den Plan in einem Schreiben vom 25. August 2017 an Xie Yong Jian, Berater des Southwest Municipal Engineering Design and Research Institute of China, enthusiastisch: „Wir freuen uns, den Vorschlag für die Bauplanung des Port-au-Prince Municipal Renovation Project zu akzeptieren.“

Zur gleichen Zeit, als SMEDRIC seine Vorschläge machte, veröffentlichte das haitianische Ingenieurbüro Bati Ayiti, das mit der Metallurgical Corporation of China (MCC) zusammenarbeitet, eine eigene Broschüre mit dem Titel „Ein Infrastrukturprojekt für Haiti in Zusammenarbeit mit der Metallurgical Corporation of China“. Sie enthielt diese zusätzliche Information: „Der chinesische Staat und weitere chinesische Privatinvestoren streben ein Investitionsziel von 30 bis 70 Milliarden Dollar in Haiti und bis zu 100 Milliarden Dollar auf dem karibischen Markt an, mit dem Ziel, Haiti in den nächsten zehn Jahren zu einem wichtigen Entwicklungszentrum zu machen.“

Diese wundervollen Vorschläge, deren Umsetzung den Prozeß der völligen Verwandlung von Port-au-Prince und dem ganzen Land eingeleitet hätte, sind nie über das Planungsstadium hinausgekommen.

Das Schiller-Institut erfuhr damals, daß der Internationale Währungsfonds und die damit verbundenen Wall-Street-Interessen Druck auf Haiti ausübten, die Vorschläge abzulehnen. Die US-Regierung und ihr Außenministerium, die bereits nervös waren, weil Panama nur zwei Monate zuvor, am 13. Juni, mit Taiwan gebrochen hatte, wollten keinen Plan tolerieren, für den Haiti mit Taiwan brechen würde.

Die Eisenbahnlinie Haiti-Dominikanische Republik

Ein Vorschlag der China Civil Engineering Construction Corporation (CCECC) für den Bau einer Eisenbahnlinie zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik erweitert die Diskussion über die Umgestaltung Haitis mit chinesischer Hilfe um eine weitere Dimension. Am 20. Februar 2018 veröffentlichte die haitianische Online-Publikation Hougansydney.com einen Artikel mit dem Titel „Projekt zum Bau einer internationalen Eisenbahnlinie zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik, das dem [dominikanischen] Präsidenten Danilo Medina vorgeschlagen wurde“. Darin wird der Vorschlag des Dominikanischen Regionalen Entwicklungsrats (CRD) aus der Region Cibao an Medina beschrieben, eine Bahnstrecke zu bauen, die im Südosten des Landes in der Hafenstadt Haina beginnt, gegen den Uhrzeigersinn verlaufend die Hafenstädte miteinander verbindet und durch den Norden der Dominikanischen Republik führt, bis „die Reise in Haiti endet“. Damit dies funktioniert, muß es in Haiti eine Eisenbahn geben.

Dieser Vorschlag ist nicht neu, er wird seit Jahren diskutiert und geht bereits auf das Jahr 2008 zurück. Aber nachdem die dominikanische Regierung am 1. Mai 2018 bekannt gegeben hatte, daß sie mit Taiwan gebrochen und diplomatische Beziehungen zu Peking aufgenommen hatte, legten der CRD und die China Civil Engineering Construction Corporation (CCECC) im September desselben Jahres Medina einen offiziellen Vorschlag für den Bau einer internationalen Eisenbahnlinie vor. Sie sollte von der CCECC finanziert werden und die Dominikanische Republik mit Haiti verbinden; der Vorschlag umfaßte auch mehrere große Infrastrukturprojekte, die in der Dominikanischen Republik gebaut werden sollten. Laut einem Bericht von BNamericas hat der CRD den Vorschlag im Mai 2021 wieder aufgegriffen, aber Quellen in der Dominikanischen Republik zufolge hat der derzeitige Präsident Luis Abinader, der seit seinem Amtsantritt im August 2020 von den USA unter Druck gesetzt wird, sich von China zu distanzieren, den Vorschlag nicht weiter verfolgt.

Da derartige Projekte stets von Chinas Nationaler Entwicklungs- und Reformkommission (der alten Fünfjahresplanbehörde) geprüft und genehmigt werden, kann man davon ausgehen, daß die Regierung den Plan für wichtig hält. Die von der Metallurgical Corporation of China genannte Investitionssumme von 30-70 Mrd. Dollar in Haiti entspricht den geplanten Investitionen für den gesamten strategischen China-Pakistan-Wirtschaftskorridor (CPEC), die sich auf 62 Mrd. Dollar belaufen. Das deutet darauf hin, daß es den Chinesen ernst damit ist, Haiti „in den nächsten 10 Jahren zu einem wichtigen Entwicklungszentrum“ in der Karibik zu machen, wobei dies immer auch Mittelamerika einschließt.

© EIR

Abb. 7: Vorgeschlagene Projekte für eine Belt & Road-Initiative in Mittelamerika und der Karibik.

Die Pläne würden dann in eine Reihe von Vorschlägen für die Seidenstraße zu Lande und zu Wasser integriert. Sie wären verbunden mit dem erweiterten Panamakanal, dem vorgeschlagenen Großen Interozeanischen Kanal in Nikaragua, dem Bau einer Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnlinie durch die Darien-Lücke, dem Bau einer bi-ozeanischen, transkontinentalen Eisenbahn (eine der Strecken würde im brasilianischen Hafen Santos am Atlantischen Ozean beginnen und Bolivien bis zum peruanischen Callao-Distrikt am Pazifischen Ozean durchqueren) sowie weiteren Projekten im Zusammenhang mit der Weltlandbrücke. China hat für mehrere dieser Projekte Entwürfe entwickelt und die Finanzierung angeboten.

Ein neuer Tiefwasserhafen in Fort Liberté an der Nordküste Haitis wird zusammen mit ähnlichen Projekten in Ponce (Puerto Rico) und Mariel (Kuba) als Teil der Maritimen Seidenstraße einen wichtigen Umschlagplatz für den weiteren Frachttransit zur Golf- und Atlantikküste der USA bilden (siehe Abbildung 7).

Der zweite Teil, den wir in der kommenden Woche abdrucken, behandelt im einzelnen die folgenden Bereiche eines umfassenden Aufbauplans:
1. Energie und Elektrizität,
2. ein universelles Gesundheitssystem,
3. Hunger und Landwirtschaft,
4. Eisenbahnen und Straßen,
5. Flug- und Seehäfen,
6. sanitäre Einrichtungen und Wasseraufbereitung,
7. Industrie und Arbeitskräfte,
8. Bildung.