Ein Geburtstagsgeschenk der Nächstenliebe:
Louis Farrakhan spielt Beethovens Violinkonzert
Von Cloret Ferguson
Wenn man wissen will, ob ein Königreich gut regiert wird, ob seine Moral
gut oder schlecht ist, so wird die Qualität seiner Musik die Antwort
liefern.
– Konfuzius
Läßt sich etwas ähnliches wie dieses konfuzianische Konzept auch über den
Charakter oder über die Verfassung eines einzelnen Menschen sagen? Wenn man
einen Amerikaner fragen würde, was ihm zu Louis Farrakhan – dem geistlichen
Anführer der Nation of Islam1 – einfällt, dann würden mit
Sicherheit die allerwenigsten an eine Geige denken, von Beethoven ganz zu
schweigen.
In Amerika, in Afrika, in Asien und sogar in Europa, wo nur wenige die
Nation of Islam kennen, erlebten kürzlich Tausende von Online-Zuschauern
gemeinsam einen allzu seltenen Moment universeller Wahrheit: Der schwarze
Geistliche, Louis Farrakhan von der Nation of Islam, spielte Beethovens
Violinkonzert in D-Dur, op. 61 – eine Aufführung, die am 13. Februar 2002
gefilmt, aber erst jetzt zu seinem 88. Geburtstag veröffentlicht wurde. Fast
9000 Menschen verfolgten das Konzert live, und seither haben über 70.000 das
Konzert auf YouTube angesehen.2
Helga Zepp-LaRouche, die Gründerin des Schiller-Instituts, hatte Ende
letzten Jahres dazu aufgerufen, die Feierlichkeiten zu Beethovens 250.
Geburtstag vom Jahr 2020 auf dieses Jahr zu verlängern, während die ganze Welt
gegen COVID-19 kämpft und Aktivisten und Unterstützer des Schiller-Instituts
sich dafür einsetzen, moderne Gesundheitssysteme und eine grundlegende
wirtschaftliche Infrastruktur in allen Ländern der Welt zu schaffen. In diesem
Geist verbreitete Farrakhan am 11. Mai eine Ankündigung auf Twitter, in der es
hieß: „Zu meinem 88. Geburtstag feiere ich den 250. Geburtstag Ludwig van
Beethovens mit der Weltpremiere meiner Aufführung des
Beethoven-Violinkonzerts. Ich lade alle ein, heute Abend um 19 Uhr
zuzuschauen.“
© Minister Louis Farrakhan (Youtube)
Louis Farrakhan, geistlicher Kopf der Nation of Islam, führte 2002 Beethovens
Violinkonzert in D-Dur Op. 61 auf und veröffentlichte den Live-Videomitschnitt
des Konzerts zu seinem 88. Geburtstag am 11. Mai 2021.
„Der wichtigste kulturelle Beitrag aus den Vereinigten Staaten in diesem Jahr.“
– Helga Zepp-LaRouche
Der Geiger Farrakhan ... in seiner Jugend
Im zarten Alter von 5 Jahren und 11 Monaten, so erzählte Farrakhan im
Anschluß an das Konzert, bestand seine Mutter mit Nachdruck darauf, daß er das
Geigenspiel erlernte. (Er rief alle Mütter dazu auf, ihren Kindern den Fleiß
für eine vergleichbare Lebensaufgabe zu vermitteln.) Ein Wendepunkt in seinen
musikalischen Studien kam im Alter von neun Jahren, als er ein Konzert des
Boston Symphony Orchestra besuchte, in dem Jascha Heifetz Beethovens
Violinkonzert spielte. Heifetz' Spiel berührte ihn zutiefst, die Kunst von
Heifetz, den er heute noch für den größten Geiger seiner Zeit hält, fesselte
ihn genauso wie Beethovens Komposition. Noch heute zeigt er voller Stolz ein
signiertes Programmheft dieses Heifetz-Konzerts, das der Meister ihm damals
nach dem Konzert hinter der Bühne persönlich überreichte. Angespornt vom Feuer
dieses Erlebnisses, nahm er sein Geigenstudium in Angriff und übte täglich
sechs bis acht Stunden.
... und als Erwachsener
Daß er sich als Erwachsener wieder der Geige zuwandte, verdankt Farrakhan
Sylvia Olden Lee, einer weithin verehrten Musikerin, Pianistin und
Gesangslehrerin der Metropolitan Opera, die eine gute Freundin von Lyndon und
Helga Zepp-LaRouche war. Farrakhan nahm am 29. Juni 2017 an der Gedenkfeier zu
Sylvia Olden Lees 100. Geburtstag in der New Yorker Carnegie Hall teil. Nach
seiner Aufführung des Beethoven-Konzerts reflektierte der Prediger darüber,
wieviel er ihr verdankt:
„Sylvia Olden Lee war der wichtigste Einfluß bei meiner Rückkehr zum
Studium der Violine nach 42 Jahren ohne formale Ausbildung. Als Jugendlicher
hoffte ich, ein großer Geiger zu werden, aber mein Leben nahm einen anderen
Verlauf, und ich gab die Geige für mein geistliches Amt auf.
Ich traf Sylvia Olden Lee Ende der 80er Jahre und lud sie und Elvira Green
[eine Sopranistin der Metropolitan Oper, die von Lee gecoacht wurde] zu einem
Abendessen ein. Später an dem Abend holte ich meine Geige hervor und begann,
etwas aus Mendelssohns Violinkonzert zu spielen, und Frau Lee setzte sich ans
Klavier, um mich zu begleiten!
Später arrangierte sie eine Einladung der National Association of Negro
Musicians, deren Mitglied sie war, meine Geige mit ihrer Begleitung bei deren
nationaler Versammlung zu spielen.
Frau Lee ermutigte mich, wieder ,ernsthaft‘ Geige zu spielen, also nahm ich
mir eine Lehrerin und trat meine musikalische Reise wieder an... Meine Liebe,
mein Respekt und meine tiefe Wertschätzung für sie sind grenzenlos. Jetzt, an
meinem Lebensabend, werde ich sie bis zum letzten Atemzug in meinem Herzen
tragen.“
1991 wurde die Geigerin Elaine Skorodin Forman, eine Schülerin von Heifetz,
seine Lehrerin, die dem Prediger bei seiner professionellen Technik half, und
dabei, das äußerst schwierige Mendelssohn-Violinkonzert zu meistern, das er am
17. April 1993 im Alter von 60 Jahren im Konzert aufführte. Doch selbst Forman
als seine Lehrerin hatte Zweifel, ob ihr Schüler das noch schwierigere
Beethoven-Konzert meistern würde. Die Sicht dieser professionellen Geigerin
wurde mit den Worten zitiert: „Wissen Sie, Herr Prediger, selbst ich schaffe
es nicht einmal in zehn Jahren“, dieses Werk Beethovens zu erarbeiten und
aufzuführen – geschweige denn in sechs Monaten! Sich musikalisch, geistig und
körperlich auf ein solch gewaltiges Unterfangen vorzubereiten, ist selbst für
Berufsmusiker eine große Herausforderung.
Ludwig van Beethoven (1770-1827), um 1804, Porträt von Willibrord Joseph Mähler.
Wie kam es, daß Farrakhan als Autodidakt an der Geige dennoch das
„Unmögliche“ schaffte und 2002 Beethovens Violinkonzert öffentlich aufführte?
In der Einleitung des Videos mit dem im Mai veröffentlichten Konzertmitschnitt
erinnert sich Ayke Agus, eine gefeierte professionelle Geigerin, die
Farrakhans Lehrerin wurde, an ihre erste Reaktion: „Das ist unmöglich!“ Ein
Amateur sollte eine solche Herausforderung lieber gar nicht erst wagen,
geschweige denn, daß er es in fünf Monaten schaffen könnte. Aber dann
schildert Agus, die Jascha Heifetz' Klavierbegleiterin, Assistentin und
Protegé bis zu dessen Tod 1987 war, sehr lebendig den Prozeß, der viel über
den Charakter sowohl von ihr, der Lehrerin, als auch von Farrakhan als ihrem
Schüler verrät.
Ihre Zusammenarbeit begann, nachdem Farrakhan Agus' Buch über das Leben von
Jascha Heifetz gelesen hatte und ihr einen Brief schrieb. Agus lud den
Geistlichen daraufhin zu einem Meisterkurs ein, den sie in Chicago gab,
woraufhin Farrakhan ihr und ihrem Mann Beethovens Werk live vorspielte. Das
war der Beginn einer fünf oder sechs Monate langen Periode mit
Unterrichtssitzungen, in der Farrakhan Tag und Nacht übte, bis hin schließlich
zu der Aufführung im Konzert.
Agus erinnert sich an ihren ersten Eindruck vom Beethoven-Spiel des
Predigers:
„Ich war überwältigt, daß er das ganz allein gelernt hat. Es gab ein
paar kleine Fehler hier und da. Aber sein Klang, die Art der Klangqualität,
die Tonqualität seines Spiels war so leidenschaftlich. Und so wahrhaftig...
Sie wissen schon, es war wie die Wahrheit. Es heißt, der Klang, den jemand aus
einem Instrument, einem Streichinstrument herausholt, das ist der Spiegel
seiner Seele. Man kann sich also nicht verstecken... Ich habe einfach die
Wahrheit gehört. Ich hörte Liebe und Wahrheit... Ich wußte sonst gar nichts
über den Geistlichen, doch was ich da von ihm hörte, das war die
Wahrheit...“
Bei dieser Gelegenheit, fuhr sie fort, zeigte Farrakhan ihr sein so
geschätztes handsigniertes Exemplar des Konzertprogramms von Heifetz'
Aufführung des Beethoven-Violinkonzerts mit dem Boston Symphony Orchestra,
dirigiert von Serge Koussevitzky.
Nach diesem ersten Hören fragte Farrakhan sie, ob sie ihm das
Beethoven-Konzert beibringen würde. „Ich sagte ihm sofort: Ja, ich werde Ihnen
helfen.“
Klassische Bildung und Rassismus
Farrakhan machte nach der Aufführung 2002 einige Bemerkungen, die ebenfalls
auf dem Video zu sehen sind, und stellte insbesondere zwei junge schwarze
Geiger vor, die Mitglieder des Orchesters waren. Die erste war eine 19jährige
Frau, die ihm ein Video geschickt hatte, auf dem sie das Violinkonzert von
Sibelius spielt, was Farrakhan nach eigenen Angaben zu Tränen rührte; der
andere war ein junger Mann, der ihm ein Video mit seiner Aufführung des
Tschaikowsky-Violinkonzerts geschickt hatte, über das er ebenso gerührt weinen
mußte. Farrakhan sagte über diese beiden jungen schwarzen Talente: „Sie sind
alles, was ich mir selbst erhofft hatte – und noch einiges mehr.“
Er sagte dem Publikum, man müsse solche klassisch ausgebildeten schwarzen
Musiker unbedingt weithin sichtbar auf Amerikas Bühnen bringen, um die
schwarze Bevölkerung zu erreichen, damit sie sich mehr für die klassische
Kultur engagiert. Das ist genaue Gegenteil der Idiotie der heutigen „Cancel
Culture“, die „tote weiße Männer“ aus der Bildung ausmerzen will.
Farrakhan spricht also den Rassismus als das Verbrechen an, das er ist,
schlägt aber gleichzeitig die Mittel vor, mit denen man die bösartige Absicht
hinter diesem Verbrechen durchkreuzen kann, indem man durch die Disziplin und
das Geschenk der klassischen Kultur eine wahrhaft menschliche Identität
anspricht und schafft – jenseits aller „Rassen“. Wenn dieser Weg eingeschlagen
wird, kann niemand die Zivilisation des moralischen Potentials berauben, das
sich in der Entwicklung großer Talente zum Genie ausdrückt und das die gesamte
Gesellschaft erhebt und verändert.
Der Weg zu einem Neuen Paradigma durch den Zusammenfall der
Gegensätze
Ob beabsichtigt oder nicht, die Veröffentlichung der Weltpremiere von
Farrakhans Beethoven-Konzert als Fortsetzung der Feierlichkeiten zum
Beethoven-Jahr ist jetzt, in diesem gefährlichen strategischen Moment der
Geschichte, ein liebevoller Anstoß für die ganze Welt, Helga Zepp-LaRouches
Aufruf zu folgen und ein Neues Paradigma zu suchen. Als Reaktion auf
Farrakhans Konzertvideo sagte Zepp-LaRouche, diese Intervention des
geistlichen Anführers der Nation of Islam „ist der wichtigste kulturelle
Beitrag aus den Vereinigten Staaten in diesem Jahr“.
Im vergangenen Jahr hatte Zepp-LaRouche die Regierungen der Welt und die
gesamte Gesellschaft aufgerufen, dazu beizutragen, die Menschheit vor dem
Abgrund der totalen Vernichtung in einem thermonuklearen Krieg zu bewahren,
den die westlichen Streitkräfte leicht auslösen könnten, indem ihre von der
NATO angeführten Aktionen immer wieder rote Linien überschreiten und die
souveränen Rechte der Nuklearmächte Rußland und China verletzen.
Wie ihr berühmter Ehemann Lyndon LaRouche setzt Frau Zepp-LaRouche auf den
moralischen Weg zu einer umfassenden Lösung für die wachsende globale
Hungersnot, die Krankheiten, für die Atomkriegsgefahr und für die herrschende
moralische Gleichgültigkeit in den westlichen Ländern.
Sie ist die treibende Kraft des „Komitees für den Zusammenfall der
Gegensätze“ des Schiller-Instituts, einer anti-malthusianischen
Widerstandsbewegung. Diese internationale Organisation ebnet einen völlig
neuen Weg hin zu kultureller, sozialer, politischer und wirtschaftlicher
Zusammenarbeit im Weltmaßstab. Sie basiert auf den Ideen des Nikolaus von
Kues, wonach der einzelne die Aufgabe hat, das, an was er glaubt und was er
für wahr hält, zu überprüfen und wenn nötig umzustoßen, um im Gegenzug zur
Entdeckung eines höheren, übergeordneten Begriffs zu gelangen, der die vielen
verschiedenen untergeordneten Begriffe in einer einzigen Menschheit vereint.
Der Schlüssel zu diesem Prozeß der Selbstentfaltung ist das Studium, die
Aufführung und das Komponieren klassischer Kunstformen.
Was ist das „klassische Prinzip“?
Lyndon LaRouche, der immer schnell bei der Hand war, diese grundlegende
Voraussetzung für wahre Kunst zu entmystifizieren, schrieb in seinem Aufsatz
„Wie man eine bankrotte Welt wiederaufbaut“ (veröffentlicht in EIR, 20.
Dezember 2002):
„Der Mensch ist in der Lage, universelle physikalische Prinzipien zu
entdecken und zu beherrschen, durch die der Mensch seine Macht im und über das
Universum vergrößert. Durch große Kunst und durch große Wissenschaft
vermitteln wir Kindern, Schülern und Studenten ein Verständnis für diese
Fähigkeit, universelle physikalische Prinzipien zu entdecken. Menschen, die so
erzogen sind, in der klassischen Kultur, in der klassischen Wissenschaft,
schauen in das Gesicht eines anderen Menschen und lieben diesen Menschen,
diese Qualität der Kreativität, die den Menschen vom Tier unterscheidet.
Und da verstehen wir unsere Unsterblichkeit. Wenn wir prinzipielle
Entdeckungen hervorbringen und an unsere Kinder, an die, die nach uns kommen,
weitergeben, dann leben wir für immer in der Geschichte der Menschheit. Unsere
sterbliche Existenz hat dann nicht länger einen Anfang und ein Ende: Unsere
sterbliche Existenz ist dann ein Ort in der Ewigkeit, von dem aus wir die
Erfahrungen der Generationen vor uns widerspiegeln und unsere Existenz in die
Zukunft ausstrahlen. Wir werden die unsterblichen Kinder des Schöpfers des
Universums.“
Nichts ist unmöglich – wenn der menschliche Geist fähig ist, sich den
Herausforderungen seiner Zeit zu stellen!
Diane Sare und Michael Billington haben zu diesem Artikel
beigetragen.
Anmerkungen
1. Die Nation of Islam ist eine religiöse und politische afroamerikanische
Bewegung mit rund 50.000 Anhängern.
2. Siehe https://www.youtube.com/watch?v=l-iE9uNKwU0
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