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Friedrich Schiller



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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Ein Geburtstagsgeschenk der Nächstenliebe:
Louis Farrakhan spielt Beethovens Violinkonzert

Von Cloret Ferguson

Wenn man wissen will, ob ein Königreich gut regiert wird, ob seine Moral gut oder schlecht ist, so wird die Qualität seiner Musik die Antwort liefern.
– Konfuzius

Läßt sich etwas ähnliches wie dieses konfuzianische Konzept auch über den Charakter oder über die Verfassung eines einzelnen Menschen sagen? Wenn man einen Amerikaner fragen würde, was ihm zu Louis Farrakhan – dem geistlichen Anführer der Nation of Islam1 – einfällt, dann würden mit Sicherheit die allerwenigsten an eine Geige denken, von Beethoven ganz zu schweigen.

In Amerika, in Afrika, in Asien und sogar in Europa, wo nur wenige die Nation of Islam kennen, erlebten kürzlich Tausende von Online-Zuschauern gemeinsam einen allzu seltenen Moment universeller Wahrheit: Der schwarze Geistliche, Louis Farrakhan von der Nation of Islam, spielte Beethovens Violinkonzert in D-Dur, op. 61 – eine Aufführung, die am 13. Februar 2002 gefilmt, aber erst jetzt zu seinem 88. Geburtstag veröffentlicht wurde. Fast 9000 Menschen verfolgten das Konzert live, und seither haben über 70.000 das Konzert auf YouTube angesehen.2

Helga Zepp-LaRouche, die Gründerin des Schiller-Instituts, hatte Ende letzten Jahres dazu aufgerufen, die Feierlichkeiten zu Beethovens 250. Geburtstag vom Jahr 2020 auf dieses Jahr zu verlängern, während die ganze Welt gegen COVID-19 kämpft und Aktivisten und Unterstützer des Schiller-Instituts sich dafür einsetzen, moderne Gesundheitssysteme und eine grundlegende wirtschaftliche Infrastruktur in allen Ländern der Welt zu schaffen. In diesem Geist verbreitete Farrakhan am 11. Mai eine Ankündigung auf Twitter, in der es hieß: „Zu meinem 88. Geburtstag feiere ich den 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens mit der Weltpremiere meiner Aufführung des Beethoven-Violinkonzerts. Ich lade alle ein, heute Abend um 19 Uhr zuzuschauen.“

© Minister Louis Farrakhan (Youtube)

Louis Farrakhan, geistlicher Kopf der Nation of Islam, führte 2002 Beethovens Violinkonzert in D-Dur Op. 61 auf und veröffentlichte den Live-Videomitschnitt des Konzerts zu seinem 88. Geburtstag am 11. Mai 2021.
„Der wichtigste kulturelle Beitrag aus den Vereinigten Staaten in diesem Jahr.“
– Helga Zepp-LaRouche

Der Geiger Farrakhan ... in seiner Jugend

Im zarten Alter von 5 Jahren und 11 Monaten, so erzählte Farrakhan im Anschluß an das Konzert, bestand seine Mutter mit Nachdruck darauf, daß er das Geigenspiel erlernte. (Er rief alle Mütter dazu auf, ihren Kindern den Fleiß für eine vergleichbare Lebensaufgabe zu vermitteln.) Ein Wendepunkt in seinen musikalischen Studien kam im Alter von neun Jahren, als er ein Konzert des Boston Symphony Orchestra besuchte, in dem Jascha Heifetz Beethovens Violinkonzert spielte. Heifetz' Spiel berührte ihn zutiefst, die Kunst von Heifetz, den er heute noch für den größten Geiger seiner Zeit hält, fesselte ihn genauso wie Beethovens Komposition. Noch heute zeigt er voller Stolz ein signiertes Programmheft dieses Heifetz-Konzerts, das der Meister ihm damals nach dem Konzert hinter der Bühne persönlich überreichte. Angespornt vom Feuer dieses Erlebnisses, nahm er sein Geigenstudium in Angriff und übte täglich sechs bis acht Stunden.

... und als Erwachsener

Daß er sich als Erwachsener wieder der Geige zuwandte, verdankt Farrakhan Sylvia Olden Lee, einer weithin verehrten Musikerin, Pianistin und Gesangslehrerin der Metropolitan Opera, die eine gute Freundin von Lyndon und Helga Zepp-LaRouche war. Farrakhan nahm am 29. Juni 2017 an der Gedenkfeier zu Sylvia Olden Lees 100. Geburtstag in der New Yorker Carnegie Hall teil. Nach seiner Aufführung des Beethoven-Konzerts reflektierte der Prediger darüber, wieviel er ihr verdankt:

    „Sylvia Olden Lee war der wichtigste Einfluß bei meiner Rückkehr zum Studium der Violine nach 42 Jahren ohne formale Ausbildung. Als Jugendlicher hoffte ich, ein großer Geiger zu werden, aber mein Leben nahm einen anderen Verlauf, und ich gab die Geige für mein geistliches Amt auf.

    Ich traf Sylvia Olden Lee Ende der 80er Jahre und lud sie und Elvira Green [eine Sopranistin der Metropolitan Oper, die von Lee gecoacht wurde] zu einem Abendessen ein. Später an dem Abend holte ich meine Geige hervor und begann, etwas aus Mendelssohns Violinkonzert zu spielen, und Frau Lee setzte sich ans Klavier, um mich zu begleiten!

    Später arrangierte sie eine Einladung der National Association of Negro Musicians, deren Mitglied sie war, meine Geige mit ihrer Begleitung bei deren nationaler Versammlung zu spielen.

    Frau Lee ermutigte mich, wieder ,ernsthaft‘ Geige zu spielen, also nahm ich mir eine Lehrerin und trat meine musikalische Reise wieder an... Meine Liebe, mein Respekt und meine tiefe Wertschätzung für sie sind grenzenlos. Jetzt, an meinem Lebensabend, werde ich sie bis zum letzten Atemzug in meinem Herzen tragen.“

1991 wurde die Geigerin Elaine Skorodin Forman, eine Schülerin von Heifetz, seine Lehrerin, die dem Prediger bei seiner professionellen Technik half, und dabei, das äußerst schwierige Mendelssohn-Violinkonzert zu meistern, das er am 17. April 1993 im Alter von 60 Jahren im Konzert aufführte. Doch selbst Forman als seine Lehrerin hatte Zweifel, ob ihr Schüler das noch schwierigere Beethoven-Konzert meistern würde. Die Sicht dieser professionellen Geigerin wurde mit den Worten zitiert: „Wissen Sie, Herr Prediger, selbst ich schaffe es nicht einmal in zehn Jahren“, dieses Werk Beethovens zu erarbeiten und aufzuführen – geschweige denn in sechs Monaten! Sich musikalisch, geistig und körperlich auf ein solch gewaltiges Unterfangen vorzubereiten, ist selbst für Berufsmusiker eine große Herausforderung.


Ludwig van Beethoven (1770-1827), um 1804, Porträt von Willibrord Joseph Mähler.

Wie kam es, daß Farrakhan als Autodidakt an der Geige dennoch das „Unmögliche“ schaffte und 2002 Beethovens Violinkonzert öffentlich aufführte? In der Einleitung des Videos mit dem im Mai veröffentlichten Konzertmitschnitt erinnert sich Ayke Agus, eine gefeierte professionelle Geigerin, die Farrakhans Lehrerin wurde, an ihre erste Reaktion: „Das ist unmöglich!“ Ein Amateur sollte eine solche Herausforderung lieber gar nicht erst wagen, geschweige denn, daß er es in fünf Monaten schaffen könnte. Aber dann schildert Agus, die Jascha Heifetz' Klavierbegleiterin, Assistentin und Protegé bis zu dessen Tod 1987 war, sehr lebendig den Prozeß, der viel über den Charakter sowohl von ihr, der Lehrerin, als auch von Farrakhan als ihrem Schüler verrät.

Ihre Zusammenarbeit begann, nachdem Farrakhan Agus' Buch über das Leben von Jascha Heifetz gelesen hatte und ihr einen Brief schrieb. Agus lud den Geistlichen daraufhin zu einem Meisterkurs ein, den sie in Chicago gab, woraufhin Farrakhan ihr und ihrem Mann Beethovens Werk live vorspielte. Das war der Beginn einer fünf oder sechs Monate langen Periode mit Unterrichtssitzungen, in der Farrakhan Tag und Nacht übte, bis hin schließlich zu der Aufführung im Konzert.

Agus erinnert sich an ihren ersten Eindruck vom Beethoven-Spiel des Predigers:

    „Ich war überwältigt, daß er das ganz allein gelernt hat. Es gab ein paar kleine Fehler hier und da. Aber sein Klang, die Art der Klangqualität, die Tonqualität seines Spiels war so leidenschaftlich. Und so wahrhaftig... Sie wissen schon, es war wie die Wahrheit. Es heißt, der Klang, den jemand aus einem Instrument, einem Streichinstrument herausholt, das ist der Spiegel seiner Seele. Man kann sich also nicht verstecken... Ich habe einfach die Wahrheit gehört. Ich hörte Liebe und Wahrheit... Ich wußte sonst gar nichts über den Geistlichen, doch was ich da von ihm hörte, das war die Wahrheit...“

Bei dieser Gelegenheit, fuhr sie fort, zeigte Farrakhan ihr sein so geschätztes handsigniertes Exemplar des Konzertprogramms von Heifetz' Aufführung des Beethoven-Violinkonzerts mit dem Boston Symphony Orchestra, dirigiert von Serge Koussevitzky.

Nach diesem ersten Hören fragte Farrakhan sie, ob sie ihm das Beethoven-Konzert beibringen würde. „Ich sagte ihm sofort: Ja, ich werde Ihnen helfen.“

Klassische Bildung und Rassismus

Farrakhan machte nach der Aufführung 2002 einige Bemerkungen, die ebenfalls auf dem Video zu sehen sind, und stellte insbesondere zwei junge schwarze Geiger vor, die Mitglieder des Orchesters waren. Die erste war eine 19jährige Frau, die ihm ein Video geschickt hatte, auf dem sie das Violinkonzert von Sibelius spielt, was Farrakhan nach eigenen Angaben zu Tränen rührte; der andere war ein junger Mann, der ihm ein Video mit seiner Aufführung des Tschaikowsky-Violinkonzerts geschickt hatte, über das er ebenso gerührt weinen mußte. Farrakhan sagte über diese beiden jungen schwarzen Talente: „Sie sind alles, was ich mir selbst erhofft hatte – und noch einiges mehr.“

Er sagte dem Publikum, man müsse solche klassisch ausgebildeten schwarzen Musiker unbedingt weithin sichtbar auf Amerikas Bühnen bringen, um die schwarze Bevölkerung zu erreichen, damit sie sich mehr für die klassische Kultur engagiert. Das ist genaue Gegenteil der Idiotie der heutigen „Cancel Culture“, die „tote weiße Männer“ aus der Bildung ausmerzen will.

Farrakhan spricht also den Rassismus als das Verbrechen an, das er ist, schlägt aber gleichzeitig die Mittel vor, mit denen man die bösartige Absicht hinter diesem Verbrechen durchkreuzen kann, indem man durch die Disziplin und das Geschenk der klassischen Kultur eine wahrhaft menschliche Identität anspricht und schafft – jenseits aller „Rassen“. Wenn dieser Weg eingeschlagen wird, kann niemand die Zivilisation des moralischen Potentials berauben, das sich in der Entwicklung großer Talente zum Genie ausdrückt und das die gesamte Gesellschaft erhebt und verändert.

Der Weg zu einem Neuen Paradigma durch den Zusammenfall der Gegensätze

Ob beabsichtigt oder nicht, die Veröffentlichung der Weltpremiere von Farrakhans Beethoven-Konzert als Fortsetzung der Feierlichkeiten zum Beethoven-Jahr ist jetzt, in diesem gefährlichen strategischen Moment der Geschichte, ein liebevoller Anstoß für die ganze Welt, Helga Zepp-LaRouches Aufruf zu folgen und ein Neues Paradigma zu suchen. Als Reaktion auf Farrakhans Konzertvideo sagte Zepp-LaRouche, diese Intervention des geistlichen Anführers der Nation of Islam „ist der wichtigste kulturelle Beitrag aus den Vereinigten Staaten in diesem Jahr“.

Im vergangenen Jahr hatte Zepp-LaRouche die Regierungen der Welt und die gesamte Gesellschaft aufgerufen, dazu beizutragen, die Menschheit vor dem Abgrund der totalen Vernichtung in einem thermonuklearen Krieg zu bewahren, den die westlichen Streitkräfte leicht auslösen könnten, indem ihre von der NATO angeführten Aktionen immer wieder rote Linien überschreiten und die souveränen Rechte der Nuklearmächte Rußland und China verletzen.

Wie ihr berühmter Ehemann Lyndon LaRouche setzt Frau Zepp-LaRouche auf den moralischen Weg zu einer umfassenden Lösung für die wachsende globale Hungersnot, die Krankheiten, für die Atomkriegsgefahr und für die herrschende moralische Gleichgültigkeit in den westlichen Ländern.

Sie ist die treibende Kraft des „Komitees für den Zusammenfall der Gegensätze“ des Schiller-Instituts, einer anti-malthusianischen Widerstandsbewegung. Diese internationale Organisation ebnet einen völlig neuen Weg hin zu kultureller, sozialer, politischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit im Weltmaßstab. Sie basiert auf den Ideen des Nikolaus von Kues, wonach der einzelne die Aufgabe hat, das, an was er glaubt und was er für wahr hält, zu überprüfen und wenn nötig umzustoßen, um im Gegenzug zur Entdeckung eines höheren, übergeordneten Begriffs zu gelangen, der die vielen verschiedenen untergeordneten Begriffe in einer einzigen Menschheit vereint. Der Schlüssel zu diesem Prozeß der Selbstentfaltung ist das Studium, die Aufführung und das Komponieren klassischer Kunstformen.

Was ist das „klassische Prinzip“?

Lyndon LaRouche, der immer schnell bei der Hand war, diese grundlegende Voraussetzung für wahre Kunst zu entmystifizieren, schrieb in seinem Aufsatz „Wie man eine bankrotte Welt wiederaufbaut“ (veröffentlicht in EIR, 20. Dezember 2002):

    „Der Mensch ist in der Lage, universelle physikalische Prinzipien zu entdecken und zu beherrschen, durch die der Mensch seine Macht im und über das Universum vergrößert. Durch große Kunst und durch große Wissenschaft vermitteln wir Kindern, Schülern und Studenten ein Verständnis für diese Fähigkeit, universelle physikalische Prinzipien zu entdecken. Menschen, die so erzogen sind, in der klassischen Kultur, in der klassischen Wissenschaft, schauen in das Gesicht eines anderen Menschen und lieben diesen Menschen, diese Qualität der Kreativität, die den Menschen vom Tier unterscheidet.

    Und da verstehen wir unsere Unsterblichkeit. Wenn wir prinzipielle Entdeckungen hervorbringen und an unsere Kinder, an die, die nach uns kommen, weitergeben, dann leben wir für immer in der Geschichte der Menschheit. Unsere sterbliche Existenz hat dann nicht länger einen Anfang und ein Ende: Unsere sterbliche Existenz ist dann ein Ort in der Ewigkeit, von dem aus wir die Erfahrungen der Generationen vor uns widerspiegeln und unsere Existenz in die Zukunft ausstrahlen. Wir werden die unsterblichen Kinder des Schöpfers des Universums.“

Nichts ist unmöglich – wenn der menschliche Geist fähig ist, sich den Herausforderungen seiner Zeit zu stellen!

Diane Sare und Michael Billington haben zu diesem Artikel beigetragen.


Anmerkungen

1. Die Nation of Islam ist eine religiöse und politische afroamerikanische Bewegung mit rund 50.000 Anhängern.

2. Siehe https://www.youtube.com/watch?v=l-iE9uNKwU0