Eulenspiegel: Glückliches Ereignis
Was Amerika und China von Schiller und Goethe lernen können
Liebe Leser, es ist eine schöne Tradition, daß wir immer im November an
Friedrich Schiller erinnern, wenn sich sein Geburtstag wieder jährt, dieses Jahr
zum 262. Mal. Heute wollen wir uns dabei mit einer Frage befassen, die für die
Zukunft sehr wichtig ist: Was haben China und Amerika mit Schiller und Goethe zu
tun? Was können sie von den beiden lernen?
Aber der Reihe nach. Wie die meisten Leser wahrscheinlich wissen, waren
Schiller und Goethe eng befreundet. Das war aber nicht von Anfang an so,
jahrelang waren beide sich nicht grün. Sie erkannten zwar das Talent des anderen
an, mochten aber Verschiedenes an dessen Werken und Person nicht, waren
vielleicht auch eifersüchtig auf des Anderen Ruhm, usw. So hielten sie lieber
Abstand, vor allem der zehn Jahre ältere Goethe mied Schiller bewußt, selbst
wenn der sich in Weimar ganz in der Nähe aufhielt.
Aber eines Tages führte ein guter Geist sie doch zusammen. Goethe schildert
das in seiner kurzen Schrift Glückliches Ereignis – eine wirklich
treffende Überschrift, wenn man über 200 Jahre später an die erfreulichen Folgen
dieses Zusammentreffens denkt. Goethe selbst schreibt darin, daß diese
Ereignisse „Anlaß gaben zu einem der höchsten Verhältnisse, die mir das Glück in
spätern Jahren bereitete“.
Er war nach Jena gefahren, um einen naturwissenschaftlichen Vortrag zu hören,
den auch Schiller besuchte. Goethe erinnert sich: „…einstmals fand ich Schillern
daselbst, wir gingen zufällig beide zugleich heraus, ein Gespräch knüpfte sich
an, er schien an dem Vorgetragenen teilzunehmen, bemerkte aber sehr verständig
und einsichtig und mir sehr willkommen, wie eine so zerstückelte Art, die Natur
zu behandeln, den Laien, der sich gern darauf einließe, keineswegs anmuten
könne.“
Ins Gespräch vertieft gelangten sie an Schillers Haus, Goethe wurde
hereingebeten und trug seine „Metamorphose der Pflanzen“ mit Worten und
Zeichnungen vor, worauf sich zwischen beiden ein hitziger Disput über „Idee und
Erfahrung“ entwickelte. Goethe schreibt weiter: „Der erste Schritt war jedoch
getan. Schillers Anziehungskraft war groß, er hielt alle fest, die sich ihm
näherten; … seine Gattin, die ich, von ihrer Kindheit auf, zu lieben und zu
schätzen gewohnt war, trug das Ihrige bei zu dauerndem Verständnis, alle
beiderseitigen Freunde waren froh, und so besiegelten wir … einen Bund, der
ununterbrochen gedauert und für uns und andere manches Gute gewirkt hat.“
Manches Gute, wie wahr! Wilhelm Meister, der zweite Teil des
Faust, andere große Werke Goethes wären ohne das Zureden Schillers
möglicherweise nie entstanden. Und Schiller hatte das Dichten zu dem Zeitpunkt
sogar ganz aufgegeben! Hätte die Zusammenarbeit ihn nicht inspiriert, dann wären
Meisterwerke wie Die Jungfrau von Orleans, Wilhelm Tell und Die
Glocke, Die Bürgschaft oder Die Kraniche des Ibykus vielleicht nie
geschrieben worden.
Was wäre der Kultur Deutschlands und der Welt entgangen, wenn sich die beiden
nicht zusammengerauft hätten!
Was hat das nun mit China und Amerika zu tun? Auch die sind sich derzeit
nicht grün. Sie erkennen zwar zähneknirschend einige Erfolge des anderen an,
sind aber eifersüchtig darauf, und etliches an der Kultur, Politik und
Gesellschaft des anderen missfällt ihnen. Besonders die „ältere“ Weltmacht USA
fürchtet um ihren Rang, wünscht keinen Kontakt über das unbedingt Nötige hinaus
und spuckt sogar kriegerische Töne.
Welch‘ glückliches Ereignis wäre es, wenn die beiden sich zu einer ähnlichen
Zusammenarbeit und Freundschaft entschließen könnten wie Schiller und Goethe.
Was könnten sie nicht gemeinsam für die Welt tun, wenn sie sich zusammenraufen!
„Alle beiderseitigen Freunde wären froh“ und sollten darauf hinarbeiten.
Übrigens können sie dabei durchaus den gegenseitigen Respekt wahren: Auch
Schiller und Goethe haben sich bis ans Lebensende mit „Sie“ angesprochen.
In diesem Sinne, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, lieber Friedrich
Schiller! Es grüßt
Ihr Eulenspiegel
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