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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Das Gemeinwohl aller Menschen erfordert ein weltweites modernes Gesundheitssystem

Von Dr. Joycelyn Elders und Dr. David Satcher

Dr. Joycelyn Elders (1993-94) und Dr. David Satcher (1998-2002) waren jeweils als Surgeon General Leiter der öffentlichen Gesundheitsdienste der Vereinigten Staaten. Im vierten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts sagten sie folgendes.

Dr. Joycelyn Elders: Guten Tag! Ich freue mich sehr, daß ich heute nachmittag zusammen mit Dr. David Satcher an dieser sehr wichtigen Kurzkonferenz teilnehmen kann. Ich grüße Sie alle aus der ganzen Welt, die heute zusammengekommen sind, um eine Zukunft für das gemeinsame Wohl aller Menschen zu schmieden.

Vor über einem Jahr wurde ich von Helga und anderen aufgerufen, dabei zu helfen, den Geist eines Zusammentreffens von Gegensätzen zu initiieren, um die Pandemie- und Hungerkrise auf der ganzen Welt anzupacken. Ich habe damals erklärt, daß das größte Problem meiner Meinung nach darin besteht, daß wir nur ein System zur Krankenversorgung haben, aber kein System zur Gesundheitsversorgung. Ein Gesundheitssystem beinhaltet auch die Prävention von Krankheiten. Es geht darum, durch öffentliche Gesundheitsmaßnahmen zu verhindern, daß eine Krankheit zu einer Epidemie wird. Es bedeutet, zu verhindern, daß eine Epidemie ausbricht. Es bedeutet, zu garantieren, daß kein Mensch, egal wie arm, egal in welchem Land er lebt, von der Behandlung und Prävention dieses Virus ausgeschlossen ist.

Unsere Fortschritte mit der raschen Entwicklung und Nutzung mehrerer Impfstoffe in den Vereinigten Staaten und international sind beträchtlich. Wenn wir uns jedoch die Welt als Ganzes betrachten, ist der Kampf noch nicht vorbei. Das Virus wütet in Afrika. Und niemand kennt die genauen Zahlen, weil es keine gibt. In Südafrika ist eine dritte Infektionswelle im Anmarsch. In den letzten zwei Wochen hat sie sich verdoppelt, von 3700 Infektionen täglich auf über 7500, und die Zahl der Todesfälle ist um 48% gestiegen. In Brasilien sind mehr als 500.000 Menschen gestorben. Es gibt Berichte, daß die neue Delta-Variante, die sich im Land verbreitet, 10 bis 20mal ansteckender ist als die früheren Stämme.

Das alles verdeutlicht, was wir letztes Jahr gesagt haben: Wir werden diese Pandemie nicht besiegen, bis die ganze Welt versorgt ist, nicht nur mit Impfstoffen, sondern mit einem modernen Gesundheitssystem in jedem Land. Dazu gehört ausdrücklich, wie ich in meinen früheren Vorträgen für das Schiller-Institut erklärt habe, daß man Wasser, Nahrung und Energie genauso benötigt wie Krankenhäuser, medizinisches Fachpersonal und örtliche Gesundheitshelfer.

Wir müssen uns mit der Pandemie auseinandersetzen, aber das wahre Zeichen für Erfolg ist erst, wenn wir verhindern, daß in Zukunft Pandemien auftreten. Um das zu erreichen, muß sich jetzt die ganze Welt zusammentun. Wir müssen junge Menschen in diese Aufgabe einbinden.

Lassen Sie uns alle zusammenarbeiten, im Geiste der Kooperation statt Konfrontation. Es gibt noch viel zu tun, und wir müssen versuchen, es zu schaffen. Dieses Virus hat uns die Augen geöffnet. Wir sehen jetzt klar. Wenn wir nun also das Problem ins Auge fassen, uns konzeptionelle Fragen stellen und uns klar machen, was zu tun ist, dann lassen Sie es uns gemeinsam verwirklichen. Wir dürfen nicht bloß zuschauen und alles geschehen lassen, sondern wir müssen verhindern, daß es geschieht. Wir müssen uns zusammentun. Fangen wir jetzt an. Wir müssen erfolgreich sein, ein Scheitern können wir uns nicht leisten. Ich danke Ihnen.

Dr. David Satcher: Vielen Dank. Lassen Sie mich sagen, daß ich mich sehr freue, hier bei Ihnen zu sein und mit Dr. Elders und den Mitgliedern des Schiller-Instituts zusammenzuarbeiten. Ich bin sehr beeindruckt von Ihrer Arbeit und von dem, was Sie in der Welt tun, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Ich stimme dem zu, was Dr. Elders sagte, nämlich daß die öffentliche Gesundheit im Mittelpunkt stehen sollte. Die Medizin ist sehr wichtig, ich war mein ganzes Leben in der Medizin tätig, aber ich glaube, die entscheidende Frage ist: Wie kommen wir zusammen, für die öffentliche Gesundheit?

Mir gefällt diese Definition der öffentlichen Gesundheit, die besagt: Öffentliche Gesundheit sind die gesammelten Bemühungen einer Gesellschaft, die Bedingungen zu schaffen, unter denen die Menschen gesund sein können. Wenn man darüber nachdenkt – ob wir nun über COVID-19 oder eine andere Herausforderung für unsere Gesundheit sprechen, einschließlich der Epidemie von Gewalt und Hunger –, müssen wir die Menschen irgendwie zusammenbringen und auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Das ist es, wozu uns die öffentliche Gesundheit herausfordert.

Ich möchte nur kurz auf einige der Gelegenheiten eingehen, die sich mir im Bereich der öffentlichen Gesundheit geboten haben. Vor kurzem habe ich vor Studenten in Harvard über die Höhen und Tiefen des öffentlichen Gesundheitswesens gesprochen. Wenn ich an die Höhepunkte des öffentlichen Gesundheitswesens denke, denke ich immer an Impfungen; ich denke an die gemeinsamen Bemühungen, die, glaube ich, um 1796 begannen und 1978 zur Ausrottung der Pocken führten. Dann haben wir natürlich, wie Dr. Elders betont, große Anstrengungen unternommen, um die Kinderlähmung auszurotten. Ich denke, wir sind da auf dem richtigen Weg.

Es ist interessant, daß eines der Hindernisse bei die Ausrottung der Kinderlähmung nur wenig mit der Medizin zu tun hat, sondern eher mit der Gewalt: Solange in Afghanistan und Pakistan gekämpft wird, werden wir nicht in der Lage sein, die Kinderlähmung in diesen Gebieten auszurotten, weil wir die Kinder nicht mit Impfstoffen versorgen können.

Es stimmt also, wie Sie sagten, daß die Menschen zusammenkommen müssen, jenseits von politischen Grenzen und anderem, was uns davon abhält, gemeinsam für das Gemeinwohl zu arbeiten, besonders für die Kinder.

Dr. Elders hat, glaube ich, erwähnt, daß wir, als ich Mitte der 90er Jahre Direktor der [US-Seuchenbekämpungsbehörde] CDC war, bevor ich Surgeon General wurde, eine Entscheidung getroffen haben, daß wir eine große Anstrengung zur Ausrottung der Kinderlähmung unternehmen wollten. Wir hatten den Erfolg der Ausrottung der Pocken um 1978 gesehen, und Anfang der 90er Jahre, als ich Direktor der CDC war, beschlossen wir, daß es an der Zeit war, Polio zu bekämpfen. Also nahmen wir Indien und Afrika ins Visier. In Indien gab es damals die meisten Polio-Erkrankten, und Afrika war sehr dicht dahinter. Jedenfalls fing die CDC in Indien an, wo das Pockenprogramm so erfolgreich gewesen war. Wir starteten einen Versuch, Polio zu eliminieren.

Ich verwende Worte wie „eliminieren“ und „ausrotten“ in dem Bewußtsein, daß eine Krankheit, wenn sie ausgerottet ist, nirgendwo auf der Welt mehr existiert. Also das, was in Indien mit den Pocken geschah, die letzten Fälle von Pocken sah man in Indien um 1978. Aber was die Kinderlähmung betrifft, so haben wir sie vielerorts beseitigt, auch in den Vereinigten Staaten, aber wir haben Polio nicht ausgerottet, denn solange es Polio in anderen Ländern gibt – und das ist so etwas wie die Philosophie dieser Organisation –, solange es irgendwo Polio gibt, sind wir alle von Polio bedroht. Und wir müssen zusammenarbeiten, um dieses Ziel zu erreichen.

Ich möchte diese Definition der öffentlichen Gesundheit, die mir gefällt, wiederholen: Öffentliche Gesundheit sind die kollektiven Bemühungen einer Gesellschaft, die Bedingungen zu schaffen, unter denen die Menschen gesund sein können. Wenn man darüber nachdenkt, gehören zu diesen Bedingungen auch die Probleme, mit denen wir gerade zu kämpfen haben: die Impfung der Menschen. Man ist in einer sehr starken Position, wenn die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung gegen COVID-19 oder eine andere Krankheit geimpft ist.

Das Problem ist, daß man erst in einer sehr starken Position ist, wenn man allen Bürgern das zur Verfügung stellt, was sie brauchen, um sich nicht mit einem Virus wie Polio oder COVID-19 zu infizieren. Daran arbeiten wir jetzt in Bezug auf COVID-19.

Die öffentliche Gesundheit besteht aus kollektiven Bemühungen einer Gesellschaft, und das ist wichtig, um die Bedingungen zu schaffen, unter denen die Menschen gesund sein können. Wir hatten dabei einige Erfolge, aber auch einige große Mißerfolge, wenn es darum geht, sicherzustellen, daß eine qualitativ hochwertige öffentliche Gesundheit für alle Menschen Realität ist. Wir sind noch nicht soweit, aber als erstes müssen wir uns darüber klar werden, daß wir ein starkes öffentliches Gesundheitssystem anstreben.

Wir vergessen dabei nicht die Medizin, denn ein starkes öffentliches Gesundheitssystem schließt einen guten Zugang zur Gesundheitsversorgung ein, wobei man niemanden ausschließt, sondern sicherstellt, daß sie für alle zugänglich ist. Ein starkes öffentliches Gesundheitssystem schließt die Medizin ein, die Medizin ist ein Teil der öffentlichen Gesundheit. Wir müssen wirklich sicherstellen, daß wir ein Gesundheitssystem haben, das für alle zugänglich ist. Ohne das gibt es kein starkes öffentliches Gesundheitssystem. Aber Medizin allein ist keine öffentliche Gesundheit, also müssen wir weiter daran arbeiten, daß die Voraussetzungen gegeben sind.

Lassen Sie mich sagen, daß ich hier im Süden eine Menge Erfahrungen gemacht habe. Ich sitze hier in meinem Büro in Atlanta, das sich auf dem Campus der Morehouse School of Medicine befindet. Ich habe hier am Morehouse College studiert und war in den frühen 60er Jahren in der Studentenbewegung aktiv. Diese Studentenbewegung hat mich sehr für meine medizinische Karriere motiviert, denn ich habe nicht studiert, um ins Gefängnis zu gehen. Aber viele von uns [von der schwarzen Bürgerrechtsbewegung] landeten im Gefängnis, einige von uns sogar im Zuchthaus. Nicht, weil wir es darauf anlegten, verhaftet zu werden, sondern weil wir überzeugt waren, daß wir die Verantwortung haben, die Welt besser zu machen, als sie war.

Als ich nach Atlanta kam, gab es in der Innenstadt Geschäfte, in denen wir [Schwarzen] nicht einkaufen und nicht arbeiten konnten. All diese Dinge mußten sich ändern, und ich muß sagen, daß ich in den 45 Jahren, die ich hier in Atlanta verbracht habe, die meisten dieser Veränderungen miterlebt habe. Atlanta ist ein großartiger Ort, aber man mußte einige echte Herausforderungen in Bezug auf die Einstellung der Menschen und die Menschenrechte überwinden.

Ich freue mich sehr, ein kleiner Teil davon gewesen zu sein. Dr. Benjamin Elijah Mays hat uns nicht ermutigt, ins Gefängnis zu gehen, aber er hat uns auch nicht davon abgehalten. Ich glaube, er hätte wahrscheinlich Ärger mit unseren Eltern bekommen, wenn er uns ermutigt hätte, ins Gefängnis zu gehen, aber jedenfalls hat er am Dienstagmorgen darüber gesprochen, wie wichtig es ist, für seine Rechte einzustehen – über die Kraft des Widerstands.

Sie können sich vorstellen, welchen Einfluß das auf Martin Luther King hatte, zehn Jahre bevor ich hier Student wurde. Das war Benjamin Elijah Mays, eine großartige Führungspersönlichkeit, er sagte, daß wir die Qualität oder den Sinn unseres Lebens niemals als selbstverständlich ansehen dürfen. Wir müssen uns immer weiter dafür einsetzen, daß das Leben anderer Menschen besser wird.

Ich denke, die Organisation, mit der wir es jetzt zu tun haben, zeichnet sich durch eine gemeinsame Sorge um das Leben aller Menschen aus. Ob die Menschen etwas zu essen bekommen oder nicht, ob es Gewaltlosigkeit gibt oder nicht – in vielerlei Hinsicht müssen wir zusammenarbeiten, um die Welt zu verbessern.

Es ist jetzt viel die Rede von George Floyd, und natürlich wissen die meisten von uns, daß diese Dinge weitergehen, während wir hier sprechen. Wir haben noch viel zu tun, um die Gewalt zu überwinden, denn obwohl wir uns zur Gewaltlosigkeit verpflichtet haben, haben wir immer noch mit Gewalt zu kämpfen. Und das werden wir so lange tun, bis wir uns in Bezug auf die Rechte der Menschen und ihren Wert, die Rolle der Polizei und dergleichen mehr einig sind.

Ich weiß noch, wie es war, verhaftet zu werden, aber ich muß zugeben, daß Atlanta in dieser Hinsicht anständiger war als die meisten Städte. Wir wurden zwar verhaftet, aber ich kann mich nicht erinnern, jemals von Polizisten geschlagen worden zu sein, als wir verhaftet wurden. Wir wurden nur verhaftet und kamen ins Gefängnis.

Wenn wir zusammenarbeiten, können wir die Welt zu einem besseren Ort machen. Wir können COVID-19 beseitigen und ganz sicher ausrotten. Wir können Hungersnöte, Armut und Hunger ganz sicher beseitigen und ausrotten. Aber wir müssen zusammenarbeiten; wir müssen diese Dinge zu einer Priorität machen. Ich empfehle dieser Organisation, diese Dinge zu einer Priorität zu machen. Frieden ist nicht nur ein Wort; es ist ein enormer Gewinn für jede Gesellschaft, wenn Frieden herrscht und die Menschen zusammenarbeiten, um die ganze Welt friedlich zu machen.

Dabei möchte ich es belassen, und ich hoffe, daß diese Konferenz uns dem Ziel näher bringt, gemeinsam für das Gemeinwohl zu arbeiten. Ich weiß, daß wir das schaffen können. Ich danke Ihnen.