Schiller in einer Zeit der Pandemie
Von Carolina Domínguez
Guten Tag. Ich bin Carolina Domínguez vom Schiller-Institut in Mexiko.
Ich würde gerne mit Ihnen über unsere Bewegung sprechen. Es ist eine
lebendige Bewegung; wir haben laufende Aktivitäten, Kurse, Treffen, an denen
Sie teilnehmen können.
Vor der Pandemie hatten wir einen wichtigen Einfluß an den Universitäten,
besuchten junge Leute, arbeiteten mit ihnen an der Geometrie, um Paradoxe zu
schaffen, die ihnen helfen würden, aus dieser Komfortzone herauszukommen, und
um ihnen erklären zu können, was in der Welt geschieht. Wir haben große
Transparente mitgenommen, die die wichtigsten Infrastrukturprojekte der Welt
zeigen. Wir setzen das nun online fort.
Bevor ich mit dieser Präsentation beginne, möchte ich Ihnen ein Video
zeigen, das wir mit einigen Jugendlichen, die in unserer Bewegung [in Mittel-
und Südamerika] engagiert sind, zusammengestellt haben. Die Idee dieses Videos
ist es, Sie über einige der Antworten zu informieren, die wir in der Krise,
die wir durchleben, von jungen Menschen erhalten haben.
Eine davon ist allgemeine Apathie, die nicht über die Blase hinausgeht, in
der sie leben.
Die zweite ist eine gewalttätige Reaktion gegen das System.
Die dritte, die wir gefunden haben, sind Jugendliche, die sich in die
Politik einmischen wollen, um einen Job zu bekommen und die Dinge „von innen“
zu verändern.
Die vierte und häufigste ist, wo ich glaube, daß die Mehrheit von uns dabei
ist: „Okay, ich weiß, daß das System bankrott ist, ich weiß, daß die Dinge
nicht gut sind – aber ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß nicht, wie
ich diese Situation ändern kann und in welche Richtung ich gehen soll.“
Deshalb möchte ich Ihnen dieses sehr kurze Video zeigen, damit Sie einen
Eindruck davon bekommen, wie die Jugend denkt.
Antworten der Jugendlichen
(Beginn des Videos)
Antonio: Guten Tag, guten Tag. Mein Name ist Antonio
Sánchez. Ich bin Venezolaner und ich bin Mitglied des Schiller-Instituts.
Zurzeit gibt es eine Krise des internationalen Finanzsystems, die durch
nicht rückzahlbare Schulden verursacht wird, die hauptsächlich aus
Finanzderivaten bestehen. Es gibt auch eine Krise der physischen
Weltwirtschaft, die sich vor allem in einer Hungersnot äußert, von der
Millionen von Menschen betroffen sind. Wir haben einige Studenten in
verschiedenen Ländern Iberoamerikas gefragt: Wie reagieren die jungen Menschen
in Ihren Ländern auf diese komplizierte Situation? Hier sind einige der
Ansichten, die wir erhalten haben.
Alondra: Nun, ich glaube, sie sind besorgt, aber sie haben
das Gefühl, daß sie nichts dagegen tun können. Hinzu kommt, daß sie, wenn sie
nach Lösungen für ihre Probleme suchen und letztendlich vor Ort so gut sie
können entscheiden, aber nicht das Grundproblem angehen. Am Ende sind sie
immer entmutigt oder deprimiert. Sie können nicht einmal ihre negativen
Emotionen aussprechen oder ausdrücken, noch ehrlich zu sich selbst sein, weil
sie frustriert sind, weil sie wollen, daß die Dinge anders sind, und dann
denken, das sei unmöglich. Diese beiden Faktoren verwirren die jungen Menschen
am Ende, und es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als in ihrer Komfortzone
weiterzumachen und sich dem System anzuschließen.
Mauricio: Hallo, mein Name ist Mauricio Aguilera. Ich komme
aus Chile, und ich bin Mitglied des Schiller-Instituts. Ich möchte Ihnen etwas
über die Situation erzählen, die wir in Chile haben. Im vergangenen Jahr gab
es Proteste wegen der schlechten wirtschaftlichen und institutionellen
Situation des Landes, wobei ein großer Teil der Jugend des Landes
hinausgegangen ist, um zu protestieren. Viele taten dies gewaltsam, andere,
die Mehrheit, weil sie die Nase voll hatten von der fehlenden
Zukunftsperspektive und einem Mangel an echten Lösungen. Es gibt auch einen
großen Teil, der apathisch ist. Doch bei diesen Protesten gab es und gibt es
keine Lösungen für eine bessere Zukunft, für eine gewisse Orientierung – trotz
der Tatsache, daß es eine Kampagne zur Änderung der Verfassung und zur
Änderung des Wirtschaftsmodells gibt, das uns all diese Probleme gebracht hat.
Meiner Meinung nach spielt Schiller dabei mit einer Reihe seiner Werke eine
wichtige Rolle, wie zum Beispiel die Briefe über die ästhetische Erziehung
des Menschen, Solon und Lycurgus und viele andere. Das ist es, was
ich sagen wollte. Ich danke Ihnen vielmals.
Sebastián: Hallo zusammen. Ich bin Sebastián Acosta aus
Kolumbien. Meine persönliche Meinung ist, daß die Antwort der Jugend auf die
gegenwärtige Situation, die wir durchleben, darin besteht, zu demonstrieren,
daß sie ihre Rechte einfordert. Einige haben die Entscheidung getroffen, in
die USA oder nach Europa auszuwandern, auf der Suche nach einer besseren
Zukunft, um ihren Familien helfen zu können.
Daniel: Hallo, wie geht es Ihnen? Mein Name ist Daniel
Dufreine Arevalo Carranco, und ich freue mich, Sie aus Mexiko begrüßen zu
dürfen. Diese Gesellschaft trifft die Jugend hart; sie hat sie im Stich
gelassen. Sie hat ihnen ihre Träume und Hoffnungen genommen, aber nicht in der
Art und Weise, wie die berühmte Greta Thunberg das Bild malt. Vielmehr ist es
der Faktor Zeit. Diese Gesellschaft hat uns gezwungen, bestimmte Aufgaben
schnell zu erledigen, damit wir ein wenig Zeit für uns selbst haben. Deshalb
lade ich die Jugendlichen ein, sich anderen Jugendlichen anzuschließen, die
den Mut und die Identität haben, dies zu tun, um die Axiome zu ändern, die
diese Gesellschaft zu diesem Zusammenbruch, zu ihrem Bankrott geführt haben.
Und dafür sind wir hier: Menschen mit Träumen und Hoffnungen, die es in die
Hand nehmen werden, die Welt zu verändern. Vielen Dank dafür.
Sebastián: Hallo. Ich bin Sebastián Debernardi von der
Jugendbewegung des Schiller-Instituts in Iberoamerika; ich komme aus Lima,
Perú. Ich möchte Ihnen ein wenig von den Ereignissen erzählen, die sich in
meinem Land ereignet haben und mit denen wir derzeit konfrontiert sind. In den
letzten fünf Jahren hatten wir vier Präsidenten; zwei von ihnen sind
zurückgetreten, einer wurde abgesetzt, und einer wird noch acht Monate bis zu
den nächsten Wahlen amtieren. Wir hatten auch einen Präsidenten der
Judikative, der zurückgetreten ist, und dasselbe tat der Generalstaatsanwalt;
wir hatten einen Kongreß, der geschlossen wurde, und eine wirtschaftliche
Situation, die sich von Tag zu Tag verschlechtert, mit massiven
Arbeitsplatzverlusten und einer Pandemie, die die gesamte Bevölkerung in
Mitleidenschaft gezogen hat. Angesichts all dessen sind an einigen Tagen junge
Leute zu massiven Protesten hinausgegangen, und es gab auch Proteste von
Bauern, Erzeugern, Transportarbeitern und ganz allgemein. Leider hat keiner
dieser Proteste eine Vision für die Zukunft; sie bringen nur zum Ausdruck, daß
sie die Nase voll haben.
(Ende des Videos)
Was ist zu tun?
Carolina Domínguez: Um auf die Frage zurückzukommen, die eine
der ehrlichsten Fragen ist, die ich je gehört habe und die ich mir auch selbst
gestellt habe: Was sollen wir tun?
Ich möchte Ihnen das Werk des deutschen Dichters, Historikers und
Dramatikers Friedrich Schiller vorstellen, insbesondere seine Briefe über
die ästhetische Erziehung des Menschen. Für uns ist das Werk Schillers die
fundamentale Grundlage für die Qualitäten, die notwendig sind, um den
Charakter aufzuzeigen, der für die Führung heute und immer erforderlich
ist.
Ich beginne diese Diskussion über seine Ästhetischen Briefe mit
einem Paradox, das Schiller präsentiert und das Teil dessen ist, was wir in
dem Video mit den Jugendlichen gesehen haben. Schiller stellt fest: „Der
Mensch kann sich auf zwei entgegengesetzten Wegen von seiner Bestimmung
entfernen, einerseits durch Rohheit und Gewalt, andererseits durch
Erschlaffung.“
Wie Sie sehen können, ist dies nicht nur ein Problem unserer Zeit, sondern
etwas, das Schiller auch zu seiner Zeit gesehen hat. Schiller stellt also
dieses Paradox dar, indem er feststellt: „Wie kann er [der Mensch] von dieser
doppelten Verirrung zu seinem Schicksal zurückgeführt werden?“
Das zweite Paradox, das ich für das wichtigste halte, das Schiller in
seinem ganzen Buch darstellt, ist das Paradox zweier Widersprüche im Menschen.
Er sagt: „Die Entfernung zwischen Materie und Form ist unendlich und kann
schlechterdings durch nichts
vermittelt werden... Es gibt absolut keine Mitte zwischen ihnen.“
Schiller erwähnt dieses Paradox und löst es in seinem gesamten Werk
Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen auf.
Das Paradox ist: Wie überwinden wir den Widerspruch zwischen Gefühl und
Gedanke, um die menschliche Natur wiederherzustellen?
Schiller sagt, daß wir, um diese Vereinigung zu erreichen, diese beiden
Zustände mit höchster Präzision trennen müssen. Mit anderen Worten: den
Unterschied erkennen und in der Lage sein, die Trennung mit maximaler
Präzision vorzunehmen. Dann verbringt er einige Zeit damit, über die
Qualitäten des Fühlens und des Denkens zu diskutieren.
Das zweite, was Schiller vorstellt, um diese Einheit der Widersprüche
erreichen zu können, ist, „daß beide Zustände in einem Dritten gänzlich
verschwinden und keine Spur der Teilung in dem Ganzen zurückbleibt“.
Dieses Dritte, auf das sich Schiller bezieht, ist ein höheres Prinzip, das
beide enthält, das sie nicht vermischt, wo nicht das eine verdrängt, damit das
andere existieren kann oder umgekehrt, sondern das beide enthält, weil sie
zwar verschieden sind, aber beide in einem weit höheren Prinzip enthalten
sind.
Ich möchte, daß Sie auch dieses Paradox im Auge behalten, um zu sehen, wie
Schiller es auflöst, denn ich glaube, wenn wir ehrlich sind, ist es etwas, das
wir uns oft gefragt haben.
Schiller geht auf dieses Paradox mit einer ganz nichtlinearen Antwort ein.
Er sagt:
„Jeder individuelle Mensch, kann man sagen, trägt der Anlage und Bestimmung
nach, einen reinen idealischen Menschen in sich, mit dessen unveränderlicher
Einheit in allen seinen Abwechselungen übereinzustimmen die große Aufgabe
seines Daseins ist. Die Anlage zu der Gottheit trägt der Mensch
unwidersprechlich in seiner Persönlichkeit in sich.“
Sie erkennen vielleicht, daß dies ein weiteres Paradox ist, das er uns vor
Augen führt, um das frühere Paradox aufzulösen. Er sagt, daß es im Menschen,
jenseits dieser Widersprüche zwischen Denken und Fühlen, auch das gibt, was
beständig ist und was sich ständig verändert, was sich verwandelt. Schiller
fragt, was das ist, und antwortet: „Aus der Wechselwirkung zwei
entgegengesetzter Triebe und aus der Verbindung zwei entgegengesetzter
Prinzipien haben wir das Schöne hervorgehen sehen.“
In den Paradoxien, die wir gesehen haben, beinhaltet das erste Paradox den
Gegensatz und Widerspruch zwischen Apathie und Gewalt; das zweite Paradox
findet sich zwischen Gefühl und Gedanke; und das dritte Paradox besteht
zwischen dem, was im Menschen dauerhaft ist, und dem, was sich ständig
wandelt. Schiller bewirkt ihre Vereinigung. Er löst sie mit Hilfe eines
höheren Prinzips auf, das größer ist als sie alle, nämlich der Schönheit.
Aus der Wechselwirkung zweier gegensätzlicher Zustände und Prinzipien
entsteht Schönheit, deren höchstes Ideal wir suchen. Für Schiller stellt die
Schönheit eine Auflösung des Widerspruchs der Gegensätze dar. Schönheit ist
ein höheres Prinzip als das, was als Paradox erscheint; und der Mensch ist auf
der Suche nach Schönheit in der Lage, diesen Widerspruch, von dem wir
gesprochen haben, aufzulösen.
All dies tut er in seinen Ästhetischen Briefen – es gibt 27 davon.
Das erste, was ich mich fragte, war, zu denken: „Gut – Schönheit. Und wie
komme ich zur Schönheit? Was ist für Schiller Schönheit? Wie komme ich zu
ihr?“ Eines der Prinzipien, die Schiller entwickelt, ist der Beitrag des
Menschen, der in den gesellschaftlichen Prozeß eingreifen will, woraus ein
Bedürfnis wird, etwas gegen die Verhältnisse zu tun. Dazu sagt Schiller: „Alle
Verbesserung im Politischen soll von Veredlung des Charakters ausgehen – aber
wie kann sich… der Charakter… bei aller politischen Verderbnis veredeln?“
Diese Frage stellt Schiller, um dann zu entwickeln, wie man zur Schönheit
gelangt. Wie können wir den menschlichen Charakter veredeln, wenn wir in einer
korrupten Gesellschaft und einem korrupten Staat leben? Es scheint keine
Antwort zu geben; es scheint, daß wir uns in einem Teufelskreis befinden. Doch
Schiller findet wieder eine Lösung, und er weist uns den Weg dorthin. Die
Lösung, die Schiller findet, ist sehr wichtig: Es ist Kunst, klassische
Kunst.
Schiller löst die Paradoxien auf
Nun, die Idee der Kunst stellt für Schiller den Weg dar, der uns zu dieser
Schönheit führt und der die früheren Paradoxien auflöst: Das Paradox, das
zwischen einer gewalttätigen und einer apathischen Haltung besteht. Das
Paradox zwischen Gefühl und Gedanke. Das Paradox zwischen dem, was im Menschen
beständig ist, und dem, was sich ständig verändert. All dies ist in der
Schönheit enthalten, und der Weg dahin führt über die Entwicklung der schönen
Kunst.
Was ist nun schöne Kunst? Wie erreichen wir schöne Kunst? Schiller widmet
einen großen Teil der letzten Abschnitte seiner Briefe der Erklärung, was
Kunst ist. Er gibt nicht nur Beispiele, sondern er stellt auch ein Prinzip der
Methode vor, mit der schöne Kunst geschaffen wird.
In einigen seiner Briefe, dem 8. und 9. Brief, antwortet er vor allem der
Jugend, indem er sagt – wobei wir hier ein wenig paraphrasieren: Wenn mich ein
junger Wahrheitsliebhaber fragen würde, wie er in das Geschehen in der
Gesellschaft eingreifen kann, sagt Schiller: „Lebe mit deinem Jahrhundert,
aber sei nicht sein Geschöpf; erkühne dich, weise zu sein. Erziehe die
siegende Wahrheit, stelle sie aus dir heraus in der Schönheit, daß nicht bloß
der Gedanke ihr huldige, sondern auch der Sinn ihre Erscheinung liebend
ergreife. Gib der Welt, auf die du wirkst, die Richtung zum Guten, so wird der
ruhige Rhythmus der Zeit die Entwicklung bringen.“
Dies ist mehr als ein Ratschlag; es ist die Erziehung der Jugend, die
Schiller vorschlägt. Es ist ein Wandel und eine Lösung für die Paradoxien, die
wir gesehen haben. Er sagt nicht einfach: Sucht Schönheit, und ihr werdet
Schönheit durch Kunst finden; sondern er baut etwas auf. Für uns ist Schiller
eine grundlegende Grundlage für den Aufbau einer Jugendbewegung – der
Gesellschaft im allgemeinen, aber vor allem der Jugend.
Ich möchte diesen letzten Teil lesen. Schiller spricht darüber, was
Schönheit darstellt, was der Mensch suchen muß:
„Die Schönheit macht die Menschheit bloß möglich, und es ist im übrigen
unserm freien Willen anheimstellt, inwieweit wir sie wirklich machen wollen...
Beim Gebrauch desselben kommt es aber auf unsere eigene Willensbestimmung
an.“
Dies ist keine Zumutung. Wenn Sie die Schönheit suchen, finden Sie mehr als
eine Möglichkeit. Der Mensch entscheidet mit seinem freien Willen, wie weit er
dieses Prinzip der Schönheit für den Menschen entwickeln will.
Ich möchte diese Ausführungen abschließen, indem ich auf den eingangs
erwähnten Punkt zurückkomme: Wir schaffen eine große politische Kraft; wir
schaffen eine Kraft, die in der Lage ist, die Geschichte zu verändern. Diese
Kraft ist die Veredelung des Charakters der Bevölkerung, zu der natürlich auch
wir gehören. Innerhalb dieser Veredelung des Charakters ermöglicht uns dies
den Aufbau wahrer politischer Freiheit, die jedoch den höchsten Grad an
Schönheit darstellt, den man erreichen kann.
Ich lade Sie also ein, die Antworten auf die Paradoxien zu finden, auf die
unser Verstand gestoßen ist und auf die unser Herz gestoßen ist, wenn wir die
Situation sehen, mit der die Welt konfrontiert ist. Die LaRouche-Bewegung
setzt sich dafür ein, diese Arbeit vor allem mit der Jugend zu leisten, um die
notwendigen Führungsqualitäten zu erziehen, nämlich jene Veredelung der
menschlichen Seele. Ich danke Ihnen dafür.
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