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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
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Erfolge Chinas bei der Pandemie- und Armutsbekämpfung

Von Dr. Uwe Behrens

Dr. Uwe Behrens ist Logistik-Manager i.R. in Berlin mit langjährigen beruflichen Erfahrungen in China und Ostasien. Er hielt am 3. Februar beim Internetseminar des Schiller-Instituts den folgenden Vortrag, der für den Abdruck leicht überarbeitet wurde.

Ich habe die Ehre, darüber zu sprechen, welche Erfolge China bei der Bekämpfung der Pandemie und der Armut zu verzeichnen hat. Darüber kann man sehr lange sprechen, ich möchte mich aber nur auf ganz wenige Punkte beschränken, die mich insbesondere beschäftigen.

Im letzten Jahr ist mir immer wieder aufgefallen, daß in den deutschen Medien und auch bei der deutschen Bevölkerung ein großes Unverständnis darüber besteht, wieso die ostasiatischen Länder, insbesondere China, aber auch die anderen ostasiatischen Länder wie Vietnam und Korea, diese Pandemie bisher so gut oder relativ gut gemeistert haben, und Europa eben nicht. Offensichtlich beherrschen diese Länder den Kampf gegen die Corona-Pandemie besser als die europäischen Länder. Und die Frage ist: woran liegt das?

Die üblichen und auch die einfachsten Antworten, die man ständig hört, sind gewöhnlich: Das sind keine demokratischen Regime, auch wenn es da Wahlen gibt – nicht in China, aber in Korea oder Taiwan –, oder die Bevölkerungsstruktur ist eine andere. Aber für mich gibt es da ganz wesentliche, andere Gründe. Ich glaube, das liegt an den gesellschaftlichen und sozialen Werten, an den Wertekategorien, die in den westlichen Ländern, und den Wertekategorien, die in den ostasiatischen Ländern verfolgt werden oder bestehen.

Gemeinwohl vor Eigenwohl

Bereits vor etwa zehn Jahren hat eine US-amerikanische Institution, das Washingtoner Center for Strategic and International Studies, Umfragen vorgenommen, die dann immer wiederholt wurden. In dieser Studie sollten wichtige Werte, wie Meinungsfreiheit, individuelle Rechte und Freiheiten, Harmonie und Berechenbarkeit, durch eine große Zahl von Vertretern der jeweiligen Gesellschaften in einer Rangfolge geordnet werden. Dabei wurde festgestellt, daß in den westlichen Ländern an erster Stelle die individuellen Freiheiten, die individuellen Rechte, die Meinungsfreiheit, die Hauptpunkte der Menschenrechte stehen. In den asiatischen Ländern, speziell den ostasiatischen Ländern, gibt es da eine andere Wertigkeit, da wird als erstes von sozialer Harmonie gesprochen, Berechenbarkeit, und wesentlich später erst kommt die Meinungsfreiheit.

Das wird auch bestätigt in einer anderen Umfrage, die auch durch ein amerikanisches Institut in China durchgeführt und im East Asia Barometer Survey veröffentlicht wurde, wo die Frage gestellt wurde, ob man seine privaten Interessen hinten anstellen soll. Und da haben 81,3% gesagt: Ja, meine privaten Interessen muß ich hinten anstellen, wenn es um die Interessen der Gesellschaft geht.

Das entspricht genau meinen Erfahrungen, die ich in vielen Jahren, die ich in Asien gelebt habe, gemacht habe. Ich habe 27 Jahre in Asien gelebt, davon 19 Jahre direkt in China bzw. in Hongkong und acht Jahre in Indien, wobei ich während der acht Jahre in Indien regelmäßig zwischen Indien und China gependelt bin, da mein Hauptwohnsitz nach wie vor in China war und ich gleichzeitig als Logistik-Manager in ganz Asien ständig unterwegs war, sodaß ich glaube, für mich sagen zu können, daß ich so ungefähr die asiatische Denke verstehe. Und wenn ich sage, daß die Werte sehr unterschiedlich sind zu den westlichen Werten, dann glaube ich, das mit einer bestimmten Sicherheit sagen zu können.

In der Anerkennung dieser unterschiedlichen Wertung der individuellen Rechte oder der sozialen Harmonie, dem Zurückstecken der eigenen Bedürfnisse, liegt nach meiner Meinung und Erfahrung die Ursache der unterschiedlichen Beherrschung der Pandemie.

Wenn ich jetzt auf den Anfang der Corona-Pandemie zu sprechen komme: In Wuhan wurde ja vergangenes Jahr um diese Zeit dieser totale Lockdown durchgeführt, mit aller Härte und Konsequenz, und es wurden im Prinzip elf Millionen Menschen eingesperrt. Es gab einen großen Aufschrei in den westlichen Ländern, wie kann man das machen? Wie schrecklich ist das? Aber erstaunlicherweise wurde das von der Wuhaner Bevölkerung und von der chinesischen Bevölkerung anerkannt und als gerechtfertigt bewertet. Auch was jetzt in den letzten Monaten in China zu beobachten ist, da sind ja in Shijiazhuang, Harbin, Beijing einzelne Coronafälle wieder aufgetreten, und dann wurde die Region sofort abgeschottet und es wurden strenge Lockdown-Bedingungen durchgesetzt. Das wurde akzeptiert. Meine Frau ist Chinesin, sie ist jetzt auch hier in Berlin, weil sie im Augenblick nicht nach China zurückfahren kann, und sie ist ständig im Kontakt mit ihren Freunden und ihrer Familie, die alle bestätigen: Das ist okay so, das muß so gemacht werden, wenn wir die Pandemie beherrschen wollen.

Diese harte Maßnahme des Lockdown wird anerkannt, aber auch, weil die chinesische Regierung gleichzeitig konsequente begleitende Maßnahmen durchgesetzt hat, abgesehen von den geschaffenen Krankenhauskapazitäten sind das vor allem permanente Temperaturmessungen. Da könnten viele natürlich sagen, daß Temperaturmessungen keine direkte Aussage machen, aber in der Masse und Konsequenz und Permanenz das zu machen, hat es eine Aussage. Wenn man einen Bus besteigen will, in einen Bahnhof gehen möchte oder wo auch immer man möchte in ein öffentliches Gebiet, dann wird die Temperatur gemessen. Und das hilft gewaltig, die Pandemie einzuschränken. Und das wird anerkannt.

Das Maskentragen, was hier in Deutschland eine furchtbare Diskussion war, ich würde beinahe sagen, eine lächerliche Diskussion, ist in China oder in Ostasien ganz normal – und zwar, weil es aus Rücksichtnahme heraus gemacht wird. Für die Asiaten – Ostasiaten muß ich sagen, Inder sind ja auch Asiaten, aber sie haben doch eine andere Mentalität –, für die Ostasiaten ist es selbstverständlich, wenn man erkältet ist, dann beschützt man die Umgebung, dann verbreitet man keine Viren, man verbreitet keine Erkältung, und trägt die Maske. Und das ist so tief in den Werten der Asiaten verankert, daß man sagen kann, da ist schon der Ansatz dafür: Gemeinwohl vor Eigenwohl!

Natürlich gab es da auch in Wuhan Probleme. Wo elf Millionen Menschen eingelockt sind, da gibt es sicher einige Tausend, die sich beschweren. Das hat die Bloggerin Fang Fang in einem Buch aufgeschrieben, und das hat hier ja großes Aufsehen erregt. Aber das ist eigentlich nicht das entscheidende, was sich da in China abgespielt hat. Das entscheidende ist, daß die Bevölkerung das alles anerkannt hat.

Digitale Durchdringung der Gesellschaft

Und dann kommt ein zweiter Aspekt, der mich eigentlich sehr beschäftigt, nachdem ich viele Jahre da in Asien gelebt habe und erst seit kurzer Zeit wieder zurück bin in Deutschland: Das ist die digitale Durchdringung der Gesellschaft.

Hier in Deutschland gab es eine furchtbare Diskussion über diese Corona-App – Datenschutz, Datenschutz! Letztendlich funktioniert diese Corona-App nicht, oder nur sehr eingeschränkt. Ich z.B. konnte die App auf mein Huawei-Telefon nicht herunterladen, sie funktioniert nicht mit Huawei, zumindest mit meinem neuesten nicht.

In China haben, glaube ich, wenn man die städtische Bevölkerung sieht, 80% oder 90% der Bevölkerung ein Smartphone, und auf all diese Smartphones wurde sofort diese Corona-App heruntergeladen oder aufgeladen, die natürlich auch verlangt, bestimmte persönliche Daten anzugeben. Nicht nur Daten wie den Geburtsort, Geburtsdatum usw., sondern auch den Wohnort und speziell das konkrete Wohngebiet, um durch diese App zu verfolgen, ob in diesem Wohngebiet ein Infektionsfaktor besteht oder nicht, mit den unterschiedlichen Farben, rot bis grün. Die App ist auch für Menschen im fortgeschrittenen Alter leicht zu installieren und zu nutzen, und sie wird dann genutzt, um, wenn man in einen öffentlichen Bereich gehen will, die App vorzuzeigen mit dem QR-Code, der dann eingelesen wird, und dann wird festgestellt, ob man aus einem infizierten Gebiet kommt oder nicht. Und wenn man daraus kommt und dann diese App rot anzeigt, dann hat man keinen Zutritt. Wenn man Zutritt hat, wird aber auch über die App verfolgt, wo man sich bewegt, und das kann nachverfolgt werden. Dadurch ist es möglich, daß die wenigen aufgetretenen Fälle in den letzten Monaten sofort verfolgt werden konnten und auch eliminiert wurden.

Man kann eigentlich sagen, daß das gesamte „Corona-Handling“ in China und in den anderen ostasiatischen Ländern, Korea noch viel mehr, digital erfolgt. Es gibt keine Briefe mit der verspäteten Aufforderung, ein Impfzentrum zu besuchen. Und das ist der große Unterschied zwischen Asien, Ostasien, und Europa - Deutschland zumindest, aber in anderen Ländern scheint es ja auch nicht viel besser zu sein.

Eine andere Sicht des Staates

Dann kommt noch ein nächster, wesentlicher Faktor hinzu, der jetzt wahrscheinlich viele Hörer verwundern wird. In Europa – in Deutschland zumindest – wird der Staat immer als eine gewisse Zwangsanstalt gesehen: Der Staat will mich überwachen, er will mich kontrollieren. In China ist das ganz anders. Das steht nicht in unseren Zeitungen hier, aber es ist ganz anders. Auch da gibt es eine amerikanische Untersuchung, da wird ganz klar gesagt, daß 93% der chinesischen Bevölkerung den Staat wohlwollend sieht, und im Prinzip als eine Erweiterung der Familie anerkennt: Der Staat will mich beschützen, der tut etwas für mich. Er kontrolliert mich nicht, sondern er hilft mir, daß mein Leben angenehm ist.

Diese Faktoren – wie gesagt, die anderen gesellschaftlichen oder sozialen Werte, die digitale Kontrolle der Corona-Pandemie, und die Anerkennung der Autorität des Staates – scheinen mir die wesentliche Ursache, warum die ostasiatischen Länder diese Pandemie besser beherrschen.

Mir ist klar, daß diese Statements, die ich aus meiner persönlichen Erfahrung mache, im Widerspruch zu dem stehen, was in unseren Medien verbreitet wird, aber darüber sollte man diskutieren.

Natürlich muß man auch sagen, daß nicht alles, was in China oder den ostasiatischen Ländern gemacht wird, auf Europa zu übertragen ist, aber man kann vieles davon lernen, und man kann auch vieles, den europäischen Werten angepaßt, übernehmen. Und das halte ich für sehr wichtig.

Die Erfolge Chinas sprechen dafür. Die chinesische Wirtschaft ist die einzige Wirtschaft, die die Pandemie praktisch – zumindest bis jetzt – in einer V-förmigen Kurve überwunden hat: ein kurzes, steiles Absinken, aber ein genauso steiles Wiederansteigen, und wahrscheinlich wird die chinesische Wirtschaft im Jahr 2021 wieder die Wirtschaft sein, die die Weltwirtschaft aus der Krise herauszieht, denn China hat die Zuwachsrate von 2,3% - jetzt im Augenblick, Januar, im Februar, wird es wahrscheinlich wieder ein wenig heruntergehen, das ist klar, aber so, wie die Wirtschaft aufgestellt ist und wie ich das weiter verfolgt habe, kann man optimistisch sein, daß sie im März, April wieder steil nach oben geht.

Chinas Erfolg bei der Armutsbekämpfung

Das zur Pandemie. Jetzt noch ganz kurz etwas zur Armutsbekämpfung, weil ich auf da auf einen entscheidenden Punkt kommen möchte: Wie es möglich war, daß in China die Armut – die absolute Armut – im Jahr 2020 überwunden werden konnte, obwohl weltweit die Armut zugenommen hat. China konnte einen komplett anderen Trend verzeichnen. Das liegt, nach meinem Dafürhalten, an der Infrastruktur. China hat konsequent die Infrastruktur aufgebaut. Und dabei darf man Infrastruktur nicht nur sehen als Straßen, Schienen, Wasserleitungen und Elektrizität. Nein, man muß zusätzlich die Kommunikation sehen.

Wenn ich dran denke, daß in Deutschland ein Minister oder eine Ministerin gesagt hat, wir brauchen nicht an jeder Milchrampe Internet, dann spricht das dafür, wie weit wir eigentlich hinterher sind. In China gibt es an jeder Milchrampe Internet. Ich bin sehr, sehr viel – 2019 zum letzten Mal, letztes Jahr ging es nicht – in China mit dem Auto privat hin- und hergefahren, und ich habe überall erleben können, daß das Internet verfügbar war. Und was das Internet mit den Menschen macht, kann man daran sehen, daß selbst in den kleinsten Dörfern neue Produktionen entstehen, die über das Internet entwickelt werden, und die Produkte werden über das Internet verkauft. Die digitale Durchdringung der Gesellschaft erscheint mir neben dem allgemeinen Aufbau der Infrastruktur ein entscheidender Punkt für die Überwindung der Armut. Und wenn man das jetzt auf Afrika überträgt, auch da wird es natürlich notwendig sein, die Infrastruktur aufzubauen.

Ich möchte da noch einmal zu sprechen kommen, worüber viel in unseren Zeitungen geschrieben wurde, über die vollkommen leeren Geisterstädte in der inneren Mongolei. In den 90igern habe ich mich immer gewundert, warum man um Beijing eine 4., dann eine 5. und sogar eine 6. Ringstraße mit allen Versorgungsnetzen wie Wasser, Elektrizität, Kommunikation baute, ohne daß die Gegenden – außer mit armseligen Dörfern – besiedelt waren. Die Geisterstädte waren Teil der aufgebauten Infrastruktur für die Umsiedlung der Bevölkerung aus den ärmsten ländlichen Regionen, in denen keine Landwirtschaft möglich ist (nur 12 % Chinas ist landwirtschaftlich nutzbar). Als ich 2019 in diesen Städten war, waren sie weitestgehend bevölkert. Ausgehend von dieser Infrastruktur hat sich sehr schnell Industrie angesiedelt, und Menschen aus ärmeren Regionen ganz Chinas haben sich niedergelassen. Innerhalb kürzester Zeit sind neue Industrie und Wohngebiete entstanden. Viele Menschen konnten ihren Lebensstandard erhöhen. Das hat sich überall in China durchgesetzt: Aufbau einer Infrastruktur als Voraussetzung der Industrialisierung und Urbanisierung.

So hat man das in China gemacht, und das wird auch die einzige Möglichkeit sein, wie es in Afrika gemacht werden kann. Deswegen die Neue Seidenstraße, Belt & Road Initiative – das ist der Weg in die Zukunft, und das halte ich für sehr wichtig, daß man von unserer Seite immer wieder dieses Thema anschneidet.

Nebenbei, in eigener Sache: Nächste Woche kommt ein Buch von mir heraus, ich habe es geschrieben, weil ich hier auch im Lockdown war: Feindbild China – was wir alles nicht über die Volksrepublik wissen (edition ost). Ich habe versucht, darin darzustellen, was in China anders ist als in unseren Vorstellungen. Und habe da die ganzen heißen Eisen angeschnitten wie Xinjiang, Hongkong, South China Sea, usw.

Das waren meine Ausführungen, vielen Dank.