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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
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„Die Verbindung Rußland-China als Teil der Neuen Weltordnung: Wie kann Indien ebenfalls beteiligt werden?“

Von Atul Aneja

Atul Aneja ist Redakteur der Webseite IndiaNarrative. Im ersten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 26. Juni hielt er den folgenden Vortrag.

Zu Beginn möchte ich dem Schiller-Institut für die Einladung zu dieser außerordentlich wichtigen Konferenz danken. In den nächsten etwa zehn Minuten werde ich über die Einbindung Rußlands und Chinas in die eine neue Weltordnung sprechen. Was kann Indien dazu beitragen?

Wir leben in schwierigen, turbulenten, aber dennoch spannenden Zeiten. Die COVID-19-Pandemie ist noch nicht vorbei, aber wie andere Pandemien in der Vergangenheit wird auch diese vorübergehen. Wie wird die Welt nach der COVID-Pandemie aussehen, und welche Rolle werden Länder wie Indien, China und Rußland bei der Definition einer neuen Weltordnung spielen? Genauer gesagt, welche spezifische Rolle kann Indien durch sein Engagement mit Rußland und China für die Definition einer neuen Weltordnung spielen?

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst sagen, daß schon vor dem Ausbruch von COVID-19 die Umrisse einer neuen Weltordnung ganz deutlich vor unseren Augen sichtbar waren. Mit Verlaub, diese von den USA dominierte unipolare Welt, die wohl mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 begann, ist bereits zu Ende gegangen, deutlich sichtbar an dem starken Rückgang der wirtschaftlichen und militärischen und sogar der weichen Macht der USA.

Damit einher geht ein relativer Aufstieg der aufgestiegenen Länder und Schwellenländer wie China, Indien, Rußland, Brasilien und Südafrika. In der Tat, die unipolare Welt weicht einer multipolaren Welt, in der sich der Schwerpunkt sowohl der harten als auch der weichen Macht schnell über den Westen hinaus verlagert, auch wenn die Europäische Union und die Vereinigten Staaten in einer multipolaren Welt weiterhin eine einzigartige und einflußreiche Rolle spielen werden.

Ebenso wahr ist, daß der Westen nicht mehr in der Lage sein wird, den Globus zu dominieren, wie es vielleicht seit Beginn der Industriellen Revolution der Fall war. Mit dem Aufstieg der multipolaren Welt geht auch das Phänomen des Aufstiegs zivilisatorischer Staaten einher, unter anderem verkörpert durch China, Rußland, Indien und den Iran.

Welche spezifische Rolle kann und sollte Indien in der sich rasch entwickelnden multipolaren Welt spielen, in der China und Rußland die wichtigsten Pole sind?

In erster Linie muß sich Indien selbst als zivilisatorischer Staat sowohl mit China als auch mit Rußland stärker verbinden. Beispielsweise müssen sich Indien und China auf der grundlegenden kulturellen und spirituellen Ebene wieder verbinden. Schließlich verbreitete sich der Buddhismus von Indien nach China über die alte Seidenstraße, die physisch die Westküste Indiens über die Region Xinjiang mit dem weit entfernten Chang‘an [heute Xi’an] in Chinas Provinz Gansu verband. Händler, Mönche und politische Persönlichkeiten reisten über die alte Seidenstraße und erzeugten eine einzigartige kulturelle Osmose, wie wir aus den prächtigen Grotten in den Höhlen von Dunhuang erfahren, ähnlich der Agenta-Kunst. Und dies war auch in ganz China sichtbar.

Indische Universitäten wie Nalanda luden chinesische Gelehrte und Mönche ein, ihr weltliches und geistiges Wissen über den Buddhismus zu vertiefen. Nachdem Xuanzang durch mehrere Teile Indiens gereist war, wurde er zum Sinnbild des intensiven Austauschs der indischen und chinesischen Kulturen. Der indische Mönch Kumarajiva spielte eine bahnbrechende Rolle bei der Übersetzung in Sanskrit verfaßter buddhistischer Texte ins Mandarin, während der indische Mönch Malananta nicht nur nach China reiste, sondern maßgeblich dazu betrug, daß der Buddhismus auch in Südkorea und schließlich in Japan Fuß faßte.

Im Bewußtsein ihres gemeinsamen spirituellen Erbes haben sich sowohl der indische Premierminister Narendra Modi als auch der chinesische Präsident Xi Jinping daran gemacht, die aktuellen Vereinbarungen im digitalen Zeitalter um eine zivilisatorische Ebene zu erweitern. Dies geschah durch ihre Treffen in Xi'an 2015, in Wuhan 2018 und zuletzt in Chennai. Es gab allerdings eine vorübergehende Störung in den Beziehungen der beiden Länder wegen eines Grenzstreits, der, denke ich, nicht so bald verschwinden wird. Dennoch werden früher oder später die mächtigen historischen Strömungen der Multipolarität und das Verlangen nach einer Wiederbelebung der post-westlichen Zivilisation die beiden Nachbarn wahrscheinlich wieder auf den Pfad der kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit bringen.

Auch mit Rußland ist Indien eng verbunden. Leo Tolstois tiefer Eindruck auf Gandhi hatte den Weg der Gewaltlosigkeit geprägt, der zum Muster des indischen Freiheitskampfes gegen die britische Kolonialherrschaft wurde. Gemeinschaften indischer Geschäftsleute trugen ihren Teil dazu bei, die beiden Nationen zusammenzubringen, und wir erfuhren von der Anwesenheit von Sarays oder Rasthäusern, die von den Marwaris, einer indischen Händlergemeinde an den Ufern des Kaspischen Meeres, in Astrachan in Rußland gebaut wurden. Während des Kalten Krieges hatten Indien und die Sowjetunion besondere Beziehungen, was sich auch in der Zeit nach dem Kalten Krieg fortsetzte.

Gestützt auf seine historische Erfahrung kann Indien sowohl China als auch Rußland helfen, indem es Eurasien anstelle der sogenannten Indopazifik-Region zum Schwerpunkt seines internationalen Engagements macht. Das bedeutet, sich an den neuen Regeln zu beteiligen, die Eurasien vor dem Hintergrund der Wiederbelebung der alten Seidenstraße – der Eurasischen Landbrücke, wie sie von Frau Helga Zepp-LaRouche und ihrem verstorbenen Ehemann Lyndon LaRouche konzipiert wurde – wieder verbinden sollen.

Wie kann Indien sich an das eurasische Verbindungsnetz anschließen? Es gibt mindestens drei Anknüpfungspunkte, die Indien mit Eurasien verbinden können.

Erstens könnte Indien über den Korridor Bangladesch-China-Indien-Myanmar, kurz BCIM-Korridor, mit China verbunden werden. Diese Route kann das indische Kalkutta (Kolkata) mit Kunming in China entlang eines 2500 km langen Korridors verbinden, der durch Bangladesch und Myanmar verläuft, bevor er in China endet.

Nach Rußland und Zentralasien kann man aus Indien per Schiff vom Hafen Mumbai zum iranischen Hafen Tschahbahar am Indischen Ozean fahren; von dort führt die Tschahbahar-Route nordwärts nach Afghanistan auf dem Weg nach Usbekistan, Zentralasien und Rußland.

Indien, der Iran und Rußland sind auch Partner im Internationalen Nord-Süd-Transportkorridor, dem INSTC. Auch diese Land-See-Route beginnt im indischen Mumbai und fädelt sich dann den Weg durch Bandar Abbas im Iran zu einem Landkorridor, der von Bandar Anzali an der iranischen Küste des Kaspischen Meeres nach Astrachan auf der russischen Seite des Kaspischen Meeres führt. Landrouten verbinden dann den INSTC mit dem russischen Hinterland, mit Abzweigungen nach Aserbaidschan und Armenien in Kaukasien.

Anfang dieses Jahres hatte Indien vorgeschlagen, die Tschahbahar-Route und die INSTC-Route zu einem riesigen integrierten Netz zu verbinden, wobei ein Abzweig auch in den rohstoffreichen russischen Fernen Osten führen würde. Indien verhandelt mit Rußland auch über einen Beitritt zur Eurasischen Wirtschaftsunion, der EAEU.

Abgesehen von der Beschleunigung des Transports und anderen Formen der Verflechtung kann Indien den Prozeß der politisch-wirtschaftlichen Integration sowohl mit China als auch mit Rußland unter dem multilateralen Rahmen der BRICS intensivieren. Mit der signifikanten Institutionalisierung der BRICS durch die Gründung der BRICS-Bank oder Neuen Entwicklungsbank mit Sitz in Shanghai kann Indien den nächsten Schritt machen, indem es sich nicht nur an Rußland und China anbindet, sondern auch an andere Regionen, insbesondere in Lateinamerika und Afrika, indem es engere Beziehungen zu zwei großen regionalen Schwergewichten, Brasilien in Lateinamerika und Südafrika in Afrika, schafft. Indem man die BRICS vorantreibt, kann es möglich werden, eine BRICS-Weltordnung aufzubauen, in der die Schwellenländer der Welt auch ihren Sitz am hohen Tisch der „Global Governance“ bekommen.

Innerhalb und außerhalb des BRICS-Formats kann Indien eine wichtige Rolle bei der Schaffung einer neuen globalen Gesundheitsordnung einnehmen, die der gesamten Menschheit und nicht nur der globalen Elite dient.

Was kann Indien im Gesundheitssektor tun, das der Welt nützt? Bevor die zweite Welle von COVID-19 Indien traf, war Indien als größter Produzent von Impfstoffen auf der Welt auf dem besten Wege, preiswerte Impfungen vor allem für Länder des globalen Südens bereitzustellen. Unter dem Wahlspruch „Impf-Maitri“, d.h. „Impf-Freundschaft“, war Indien dabei, Impfstoffe in Entwicklungsländer zu exportieren, u.a. in Südasien und Afrika. Dieser Prozeß wurde zwar unterbrochen, aber er kann und muß durch große internationale Investitionen, die nach Indien in den Impfstoffsektor fließen, wieder aufgenommen werden. Angesichts seines riesigen Pools an Humanressourcen kann Indien zur globalen Impfstoff-Drehscheibe werden, um große Mengen preiswerter Impfstoffe zu produzieren und in die ganze Welt zu liefern.

Bei einer lückenhaften Gesundheitsinfrastruktur kann Indien auch Ausgangspunkt für die Demonstration des Konzepts der ganzheitlichen Gesundheit werden, das auch den Einfluß von Bildung und Ernährung umfaßt. Mit China als Partner können Indien und China auch bei der Nutzung des indischen Ayurveda-Gesundheitssystems, einem uralten Gesundheitssystem, und des Systems der chinesischen Medizin zusammenarbeiten. Das indische Yoga und das chinesische Tai Chi können ebenfalls zusammenkommen, um die moralischen und spirituellen Dimensionen der ganzheitlichen Gesundheit zu betonen.

Durch die Vertiefung der Beziehungen zu China und Rußland kann Indien eine wichtige Rolle bei der Entwicklung eines reifen, integrierten und kooperativen multipolaren Weltsystems spielen, das die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Dimensionen einer neuen Weltordnung umfaßt.

Damit möchte ich schließen und danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.