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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Wir brauchen ein System, das auf souveränen Staaten gründet

Von Marco Zanni

Marco Zanni, Vorsitzender der Fraktion „Identität und Demokratie“ des Europäischen Parlaments, hielt bei der Internet-Konferenz des Schiller-Instituts den folgenden Vortrag.

Guten Tag allerseits, und vielen Dank an das Schiller-Institut, daß Sie mir die Gelegenheit geben, in einer so wichtigen Konferenz und vor einem so wichtigen Publikum zu sprechen.

Es liegt auf der Hand, daß wir gerade jetzt in besonderen Zeiten leben, in dem Sinne, daß heute die Schwierigkeiten, die die Europäische Union bereits vor der COVID-19-Krise hatte, durch diese Pandemie noch komplizierter und schädlicher werden, verglichen mit dem Wirtschaftsmodell, für das wir uns entschieden haben und das wir seit vielen Jahren nutzen.

Heute werde ich versuchen, meine Perspektiven als Mitglied des Europäischen Parlaments und auch als italienischer Politiker darzulegen, zu den Geschehnissen vor der Pandemie und insbesondere unmittelbar nach der Finanzkrise 2008, die die ganze Welt in Mitleidenschaft gezogen hat, wie die Pandemie die Welt prägt, und was wir in Zukunft brauchen, um Wohlstand, Wachstum und Multilateralismus in der Welt wiederherzustellen.

Ich werde aus der europäischen Perspektive beginnen. Sie wissen, daß sich die Europäische Union und insbesondere die Eurozone, nachdem sie von der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 betroffen war, die sich in der Eurozone in eine Staatsschuldenkrise verwandelte, nie ganz von dieser Krise erholen konnte. So hatte die Eurozone Mühe, das Niveau der wirtschaftlichen Aktivität, das wir vor 2008 hatten, wieder zu erreichen. Dabei stützten wir uns auf schlechte Regeln – d.h. auf Austerität, die sich auf das Niveau der wirtschaftlichen Aktivitäten auswirkte, insbesondere auf die Höhe der Investitionen in die Infrastruktur in der Europäischen Union, die heute in den europäischen Ländern auf historischen Tiefständen sind, und auf die Macht einer unvollständigen Zentralbank, wie es die EZB [Europäische Zentralbank] heute ist. Aber leider gab es nichts anderes, und so versuchte die EZB, mit ihrer außergewöhnlichen und unkommerziellen Geldpolitik, das gesamte Konstrukt der Europäischen Union mit ihrem falschen Wirtschafts- und Entwicklungsmodell aufrechtzuerhalten und zu retten.

Wir erlebten also, wie ich bereits sagte, ein verlangsamtes Wirtschaftswachstum, historisch niedrige Investitionen insbesondere in die Infrastruktur, ein historisch niedriges Niveau der wirtschaftlichen und industriellen Aktivitäten in einigen Ländern – sehr schwere Zeiten bei dem Versuch, die Lücke zu anderen Entwicklungsländern auf der Welt zu schließen, z.B. in Bezug auf Investitionen in neue Technologien, in künstliche Intelligenz, in „Fin-Tech“ [Finanztechnologie], in neue Technologien, die bei der Entwicklung der Welt helfen könnten.

Und zu dieser Schwierigkeit addierte sich die Pandemie ab Dezember 2019 und Januar 2020. Wir alle erlebten aufgrund der COVID-19-Krise einen enormen Rückgang des BIP, unserer wirtschaftlichen Aktivitäten, im Grunde auf der ganzen Welt. Wir haben heute Schwierigkeiten, zu verstehen, wie wir uns von dem gewaltigen Schlag erholen können, den wir erlebt haben und immer noch erleben – aber auch, wie wir diese Situation, diese Krise nutzen können, um die Wirtschafts- und Entwicklungsmodelle, auf denen die modernen Volkswirtschaften basierten und auf die sie sich in den letzten 20 Jahren gestützt haben, einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen. Und auch, wie man die multilateralen Institutionen, die zur Unterstützung dieses Systems geschaffen wurden, so gestalten kann, daß sie besser geeignet sind für die Realwirtschaft, für die Menschen und für einen sicheren Weg des Wachstums und des Wohlbefindens für unsere Menschen und unsere Länder. Das ist nicht leicht, denn das Modell, von dem wir ausgehen, hat unsere Volkswirtschaften zerrüttet, hat Divergenzen geschaffen und stützt sich auf Strategien, die die Fähigkeiten unserer Länder noch mehr einschränken. Wir brauchen diese Fähigkeiten und das Konzept der nationalen Souveränität.

Was war falsch?

Schauen wir uns an, was an unserem Wirtschafts- und Entwicklungsmodell falsch war; schauen wir uns an, was die Pandemie zu unseren Schwierigkeiten beigetragen hat; schauen wir uns die Krise des Multilateralismus an, der auf spekulativer Finanzierung, auf spekulativem Handel statt auf der Realwirtschaft beruht. Ich kann mir eine neue Art der Entwicklung vorstellen, die nicht mehr auf spekulativer Finanzierung, auf Banken, auf Derivaten und auf der Kluft zwischen Armen und Reichen beruht - einen Multilateralismus, der auf dem Konzept der souveränen Nationen beruht.

Das erste, was wir also tun müssen, um unser wirtschaftliches Entwicklungsmodell zu verbessern, ist, das Konzept souveräner Nationen als zentral zu bekräftigen, denn eine Zusammenarbeit, von der alle profitieren, kann nur garantiert werden, wenn wir die Souveränität anderer Länder anerkennen und die Tatsache, daß souveräne Nationen der Hauptpfeiler moderner Demokratien sind. Es handelt sich hier nicht um Globalisierung auf der Grundlage spekulativer Finanzen, sondern um eine multilaterale Zusammenarbeit auf der Grundlage souveräner Nationen.

Dazu müssen wir die Art und Weise, wie wir damit in den vergangenen Jahren umgegangen sind, neu gestalten. Wir wissen, daß der Tiefe Staat in modernen Volkswirtschaften versucht, den Aufstieg oder die Renaissance souveräner Nationen zu verhindern. Sie zogen es eindeutig vor, unser Entwicklungsmodell auf eine unkontrollierte Globalisierung und unkontrollierte Finanzen zu stützen. Aber dieses Modell führte uns in eine Krise, weil diese unkontrollierte finanzielle Freiheit Finanzblasen fütterte. Um das Platzen dieser Finanzblasen zu verhindern, mußten die Zentralbanken eingreifen und noch mehr Finanzblasen füttern. Dieses System, das System, das von den Eliten auf der ganzen Welt, in vielen entwickelten Ländern vom Tiefen Staat unterstützt wird, schadet also dem Überleben unserer Volkswirtschaften sehr.

Wir müssen dem Einhalt gebieten. Wir müssen unsere multilateralen Institutionen umgestalten. Wir müssen ein neues Konzept souveräner Staaten schaffen. Wir müssen das respektieren, und wir müssen unser wirtschaftliches Entwicklungsmodell auf der Grundlage eines Multilateralismus mit souveränen Nationen umgestalten.

Ich denke, was im November in den Vereinigten Staaten geschehen wird, wird von grundlegender Bedeutung dafür sein, wie es in Zukunft weitergeht. Und dafür, ob wir unser System auf die Art und Weise umgestalten können, von der ich spreche.

Ich denke, was Herr Trump bisher getan hat, war wirklich erstaunlich. Bedenken Sie, daß er vom Tiefen Staat der USA bekämpft wurde, der keinen Frieden in der Welt will, der kein System will, das aus einer multilateralen Win-Win-Kooperation besteht. Wenn es Trump also gelingt, ein zweites Mandat zu erhalten, werden meiner Meinung nach alle Spannungen, die wir in der Vergangenheit zwischen den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union, China und Rußland erlebt haben, überwunden sein. Und der Win-Win-Multilateralismus wird endlich etabliert werden.

Ich denke, daß dies die Gelegenheit sein wird, alle führenden Politiker der Welt – USA, Europäische Union, Rußland, China, Japan, Entwicklungsländer, G-20 – an einen Tisch zu bringen, um das Tempo für ein neues Wirtschaftssystem festzulegen, das nicht mehr auf spekulativen Finanzen, nicht mehr auf zu großen Banken und auf Derivaten basiert, sondern auf einer Politik, die für die Realwirtschaft gemacht ist, und einer Politik, die darauf abzielt, die Kluft zwischen den reichsten und den ärmsten Menschen zu verringern.

Diese Kluft hat in den letzten 20 Jahren zugenommen. Wir brauchen ein System, das diese Kluft schnell verringert – ein System, das viel in die Infrastruktur und in neue Technologien investiert. Wir brauchen dies nicht nur in Volkswirtschaften, die in Bezug auf BIP und Wachstum düstere Zeiten erlebt haben, wie mein Land Italien, sondern auch in vermeintlich reichen Ländern wie Deutschland. Das Niveau der Infrastruktur in Deutschland ist noch problematischer als in Italien oder anderen europäischen Ländern. Dasselbe gilt für die Vereinigten Staaten. Wir brauchen ein System, das Werte für unsere Bürger und unsere Unternehmen schafft, statt nur für die Banker. Das ist das System, das ich will.

Die Pandemie gibt uns die Gelegenheit, unser Wirtschafts- und Entwicklungsmodell neu zu gestalten, es zu überdenken. Wir werden bei der Wiederherstellung des Wachstums, bei der Wiederherstellung des Wohlstands in unseren Ländern und bei unseren Menschen nur erfolgreich sein, wenn wir verstehen, daß das, was wir in der Vergangenheit gemacht haben, falsch ist. Das Füttern von Wirtschafts- und Finanzblasen bedroht unser System, bedroht unsere Lebensweise. Wir müssen zu einem System übergehen, das nicht mehr auf spekulativen Finanzen beruht, sondern auf sichtbar souveränen Staaten, die in einer Win-Win-Kooperation zusammenarbeiten. Das ist die Art und Weise, wie wir mit der enormen Krise umgehen müssen, mit der wir heute leben.

Nochmals herzlichen Dank an meine Freunde vom Schiller-Institut. Vielen Dank an Ihre Zuhörer, und ich hoffe, Sie alle bald persönlich zu sehen, damit wir unsere Ideen für eine bessere Welt aus souveränen Nationen, die miteinander kooperieren, besser entwickeln können. Auf Wiedersehen.