„Rußland hält es für seine Pflicht, Hilfe zu leisten“
Von Dmitrij Poljanskij,
Erster Stellvertreter des Ständigen Vertreters Rußlands bei den Vereinten Nationen
Vielen Dank, sehr geehrte Kollegen, vielen Dank, Frau LaRouche, für Ihren
interessanten Vortrag, da sind viele Dinge zu verarbeiten, und ich bin mir
sicher, daß wir das tun werden. Ich bin, wie Sie wissen, Diplomat, und als
Diplomat drückt man sich etwas anders aus. Ich kann also Ihrem Vortrag einige
Bemerkungen aus einer politischen und diplomatischen Perspektive
hinzufügen.
Es ist absolut klar, daß COVID-19 sehr ernste Probleme geschaffen hat; vor
allem geht es um die Rettung von Menschenleben, die Gewährleistung unserer
gemeinsamen Sicherheit, der biomedizinischen Sicherheit, und die Erhaltung der
menschlichen Umwelt, die angenehm sein und keine Gefahr für Leben und
Gesundheit darstellen sollte.
Es ist absolut klar geworden, daß kein einziger Staat, egal wie mächtig und
wohlhabend, über alle Instrumente zur Bekämpfung der Pandemie verfügt. Um die
Epidemie einzudämmen, mußte jeder drastische Maßnahmen ergreifen, die für die
Volkswirtschaft schädlich sein können. Wir kennen das ganze Ausmaß der
Konsequenzen noch nicht, mit denen die meisten Länder der Welt konfrontiert
sind, das muß noch ermittelt werden. Auch ein halbes Jahr, nachdem wir zuerst
vom Coronavirus gehört haben, verfügt bisher noch niemand über einen Impfstoff
und wirksame Vorschläge für Behandlung.
Keine Zeit für Vorwürfe
Wir können absolut gewinnen, aber dies ist nicht die Zeit für Vorwürfe und
Stigmatisierungen, es ist eine Zeit für Zusammenarbeit und gegenseitige
Unterstützung. Es ist auch nicht die Zeit für einen Wettstreit – wer hat was
getan und wer war erfolgreicher als andere. Dies ist kein
Schönheitswettbewerb. Es ist wirklich eine Zeit, zu helfen, Erfahrungen
auszutauschen und einander zuzuhören und Wege zur Zusammenarbeit zu finden, um
sich dieser in der neueren Zeit beispiellosen Herausforderung für die ganze
Menschheit zu stellen.
Rußland ist bereit, sich dieser Herausforderung gemeinsam mit unseren
Partnern zu stellen. Deshalb halten wir es, während wir alle notwendigen
Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus auf nationaler Ebene ergreifen, auch
für unsere Pflicht, den anderen, unseren Partnern Hilfe zu leisten. Deshalb
haben wir schon in einem sehr frühen Stadium der Ausbreitung des Coronavirus,
Anfang Februar, China, das damals sehr stark betroffen war, persönliche
Schutzausrüstungen und medizinisches Material gespendet. Mehrmals wurden Teams
russischer Ärzte und Virologen nach Italien und Serbien entsandt, die sich zu
der Zeit in einem fortgeschritteneren Stadium der Pandemie befanden.
Jetzt kämpft unser Land selbst mit aller Kraft gegen die Pandemie. Deshalb
begrüßen wir auch jede Hilfe, die meinem Land geleistet werden kann, und wir
arbeiten in dieser Hinsicht mit vielen Ländern zusammen – mit China, mit den
europäischen Ländern, mit den Vereinigten Staaten.
Wie Sie wissen, haben wir Anfang April eine Flugzeugladung mit humanitärer
Fracht nach New York geliefert, und wir sagten, daß dies ganz ohne
Hintergedanken getan haben und daß wir selbst später jede Hilfe annehmen
würden, wenn wir sie für notwendig halten, was, wie wir schon damals wußten,
unvermeidlich eintreten mußte. So wird Kooperation organisiert. Noch einmal,
das ist kein Schönheitswettbewerb, es ist keine Situation, in der einer sagt,
wir hatten Erfolg und andere sind durch die Prüfung gefallen. Das ist der
falsche Zeitpunkt dafür. Es ist eine Zeit, in der man die Bereitschaft zeigt,
Unterstützung zu bieten und einander helfend die Hand zu reichen. So sollten
sich alle verantwortlichen globalen Akteure verhalten.
Sobald sich die Lage in China zu stabilisieren begann, leistete China der
ganzen Welt Hilfe, auch Rußland, und wir begrüßen diese Hilfe sehr. Wir halten
das für normal. Kürzlich wandten sich einige afrikanische Staaten an Rußland
und baten um Hilfe bei der Bekämpfung der Pandemie. Wir erwägen diese Bitten
in Moskau, und ich bin mir absolut sicher, daß wir ihnen zu Hilfe kommen
werden, sobald wir einen größeren Durchbruch bei unserem eigenen Kampf gegen
die Pandemie erreicht haben. Das ist es, was wir derzeit tun. Es ist auch sehr
wichtig zu betonen, daß wir der Überzeugung sind, daß die Antwort auf diese
globale Bedrohung auch global sein sollte. Es wäre ein Fehler, die Dinge zu
fragmentieren und auf die nationalen Grenzen zu beschränken.
Wichtige Rolle der Vereinten Nationen und der WHO
Wir sind auch fest davon überzeugt, daß die Vereinten Nationen hier eine
zentrale Rolle spielen müssen. Es ist wichtig, daß wir alle die WHO als
wichtigste spezialisierte UN-Behörde unterstützen und ihr helfen, globale
Maßnahmen zu koordinieren, und auf ihre Empfehlungen hören. Die WHO ist in
diesen letzten Monaten das Zentrum aller Informationen über die Pandemie
geworden. Ich glaube, daß jeder, der die Chronologie ihrer Handlungen,
Erklärungen und konkreten Entscheidungen studiert, überzeugt sein wird, daß
die WHO effizient war. Darüber hinaus spiegelt sich die Tatsache, daß die WHO
bei der Bekämpfung der Pandemie eine wichtige Rolle gespielt hat und weiterhin
spielt, in der kürzlich verabschiedeten Konsensresolution der
UN-Generalversammlung und in der Abschlußerklärung des G20-Sondergipfels
wider. Man sollte auch nicht das Dokument der Gruppe der 77 und Chinas
vergessen, in dem die koordinierende Rolle der Weltgesundheitsorganisation bei
den weltweiten Bemühungen betont wird. Wir müssen sicherstellen, daß über
diese Organisation universelle medizinische Versorgung gewährleistet ist. Noch
einmal, dies ist eine Zeit, zusammenzustehen, und nicht, andere zu
beschuldigen oder ein Land zu stigmatisieren, weil es etwas getan hat oder
nicht getan hat. Wir sollten wirklich die WHO unterstützen, wir sollten sie
jetzt zu einem Grundpfeiler unserer Bemühungen zur Bekämpfung des Virus
machen, jetzt und vielleicht auch zu einem späteren Zeitpunkt, da es viele
Vorhersagen darüber gibt, daß diese Pandemie schon bald weitere Folgen haben
wird.
Es ist offensichtlich, daß die Ausbreitung des Coronavirus sehr schlimme
Auswirkungen auf die Wirtschaft hat. Wie ich schon sagte, ist es sehr
schwierig, den Schaden und die Konsequenzen für die Entwicklung der
Weltwirtschaft und für die Wirtschaft bestimmter Länder nach der Pandemie
einzuschätzen. Natürlich wirkt sich die Pandemie auch sehr schädlich auf
Unternehmen, Handel und Investitionen sowie Wechselkurse aus. Wir stecken
immer noch mitten drin, deshalb können wir noch nicht wirklich anfangen, die
Schäden zu beseitigen und funktionierende Lösungen zu finden.
Man sieht auch, daß das, was geschieht, die Nachfrage nach verschiedenen
Produkten so gesteigert hat, daß einige Länder sie nicht mehr erfüllen können.
Es ist also auch ein Zeitpunkt für Koordination. Wir glauben, daß die G20
diese Rolle spielen sollte, sie sollte am Steuer sitzen bei der Ausarbeitung
einer Wirtschaftsagenda, um uns allen zu helfen, einen gemeinsamen Rahmen für
gegenseitige wirtschaftliche Antworten zu schaffen, um nach diesen durch die
Pandemie verursachten schweren Schocks die Weltwirtschaft neu aufzuladen.
Es ist auch, ich wiederhole es, eine Zeit für eine tiefe und offene
Solidarität, unabhängig von politischen Agenden und Präferenzen. Wir müssen
vor allem den Entwicklungsländern unsere Aufmerksamkeit widmen, die vor
enormen Herausforderungen stehen und die vor allen anderen unterstützt werden
sollten.
Die Rolle der Medien
Ich möchte noch ein weiteres Thema ansprechen, das zu berücksichtigen ist.
Es ist auch wichtig, daß die Medien und sozialen Netzwerke sich verantwortlich
verhalten. Denn wir sprechen vor allem über die Wirkung des Coronavirus auf
das Gesundheitssystem und auf die Wirtschaft. Aber es ist sehr schwierig, den
Schaden einzuschätzen, der dem Geist, den Wahrnehmungen der Mediennutzer
zugefügt wird – denen, die sich jetzt in Selbstquarantäne befinden. Sie
hungern wirklich nach allen Informationen, die für sie erreichbar sind.
Deshalb ist es in dieser Zeit besonders wichtig, daß die Massenmedien
Zurückhaltung üben und eine verantwortliche Haltung einnehmen, daß sie keine
fake news und nicht verifizierte Informationen verbreiten. Die
Konsequenzen davon können wirklich tiefgreifend sein. Wir messen dem große
Bedeutung bei, und wir versuchen in Rußland, auf nationaler Ebene alle diese
fake news zu bekämpfen, die da verbreitet werden. Wir versuchen, dem
Informationen entgegenzusetzen, die sich wirklich als gut und zuverlässig für
die Öffentlichkeit erwiesen haben.
Es ist auch sehr wichtig, zu bewerten – und das ist vielleicht eine Frage
für Philosophen: Wie wird sich das auf das menschliche Verhalten auswirken?
Werden wir wieder Hände schütteln? Werden wir uns umarmen, wenn das
Coronavirus vorüber ist? Oder werden Menschen psychologisch versuchen, engeren
Kontakt zu vermeiden? Werden sie auch nach dem Ende des Virus weiter soziale
Distanz wahren? Denn das könnte das Verhalten der Menschheit verändern, und
das könnte auch sehr schwerwiegende, ernste Auswirkungen auf konkrete
Einzelpersonen haben, die vielleicht verletzlicher sind und von der
Gesellschaft umarmt werden wollen, und auf die Sozialisierung. Wir müssen
darüber nachdenken und dürfen in dieser Hinsicht nicht in Extreme verfallen,
nicht vom zivilisierten Verhalten der Menschheit abrücken.
Persönliche Kontakte sind notwendig
Und noch etwas: Wir sollten die Situation vermeiden, wo die ganze Welt nur
noch online ist. Denn jetzt haben sich diese Online-Dienste natürlich als sehr
nützlich erwiesen, und sie sind wirklich sehr gefragt. Das ist normal; das ist
sehr gut, weil es eine Menge Ressourcen spart. Aber das sollte nicht den
Kontakt von Mensch zu Mensch ersetzen. Ich kann Ihnen sagen, daß es in der
Diplomatie viele Dinge gibt, die nur über persönliche Kontakte bewerkstelligt
werden können. Es gibt eine Menge vertraulicher Gespräche, die man nicht
online führen kann. Schon jetzt sind der aufrichtigen Kommunikation und
Diskussion von Themen viele Grenzen gesetzt, weil wir uns bisher nicht
persönlich treffen können und wir auf diese elektronischen
Kommunikationsmittel angewiesen sind. Auch hier sollten wir nicht ins Extrem
verfallen, denn es ist zwar sehr verlockend, einen Großteil unserer
Aktivitäten online abzuwickeln und viele Treffen zu organisieren, ohne
einander physisch anzuschauen und die Emotionen des anderen zu spüren. Das ist
sehr praktisch, aber es ist auch sehr falsch. Ich denke, wir müssen uns auch
dieser Falle bewußt sein, die die Welt nach der Pandemie erwarten kann.
Ich werde nicht noch länger sprechen. Für die Zeit, in der ich hier bin,
werde ich bereitstehen, alle Fragen zu beantworten. Zum Schluß möchte ich noch
sagen, daß in der chinesischen Sprache – China wurde hier bereits mehrmals
erwähnt und wird sicher noch oft erwähnt werden – das Wort „Krise“ ein Zeichen
enthält, das auch „Chance“ bedeutet. Das ist sehr weise: daß jede Krise auch
eine Chance ist, nicht nur eine Herausforderung. Wir müssen also noch stärker
aus dieser Krise hervorgehen, und wir müssen zusammenarbeiten und bestimmte
Dinge vergessen, die uns aufgrund irgendeiner Emotion oder falsch
interpretierter Information wichtig erschienen. Wir müssen auf das Ende sehen;
wir müssen das Licht am Ende des Tunnels sehen. Wir müssen verstehen, daß nur
Zusammenarbeit, Koordinierung und globale Reaktion das sind, was die
Menschheit jetzt braucht. Es ist nicht die Zeit, sich zu streiten und zu
zanken und mit dem Finger auf andere zu zeigen und sie zu beschuldigen. Es ist
eine Zeit, um zu helfen, eine Zeit, mitfühlend zu sein, eine Zeit, großzügig
zu sein. Es ist die Zeit, einander wirklich zuzuhören und der Welt, die diese
Lösungen dringend braucht, gemeinsame, praktikable Lösungen vorzuschlagen.
Vielen Dank, und ich wünsche Ihrer Konferenz einen großen Erfolg. Ich danke
Ihnen.
(Der Vortrag wurde aus dem englischen Original übersetzt, die
Zwischenüberschriften von der Redaktion hinzugefügt.)
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