Kernenergie in Südafrika und Afrika
Von Dr. Kelvin Kemm
Dr. Kelvin Kemm ist CEO des Beratungsunternehmens Stratek Business Strategy Consultants und ehemaliger Vorstandschef der South African Nuclear Energy Corporation. Bei der Internetkonferenz des Schiller-Instituts sagte er am 5. September folgendes.
Ich bin Dr. Kelvin Kemm, Kernphysiker aus Pretoria in Südafrika, von der Firma
Stratek Business Strategy Consultants. Ich arbeite auf einer Vielzahl von Gebieten,
nicht nur im Nuklearbereich, sondern in allen möglichen Geschäftsbereichen, in denen
wir nach Lösungen suchen müssen, die für uns Menschen in Afrika funktionieren.
Ob Sie es glauben oder nicht, Afrika ist größer als die Vereinigten Staaten,
China, Europa, Indien und Japan zusammengenommen. Allein Südafrika hat die gleiche
Größe wie ganz Westeuropa. Die Entfernung von meinem Wohnort in Pretoria bis
Kapstadt an der Südspitze des Landes entspricht der Entfernung von Rom bis London.
Wir stellen oft fest, wenn wir in Europa unterwegs sind und wir mit Europäern
sprechen, und sie sprechen davon, daß etwas weit weg ist, dann meinen sie 100 km.
Uns macht es nichts aus, 100 km zu einem Treffen zu fahren und dann zurückzufahren.
Für uns ist ein langer Weg 500 km oder mehr.
Wir müssen uns also überlegen, wie wir Lösungen finden, die für Afrika
funktionieren. Es wird davon ausgegangen, daß viele der europäischen Lösungen
funktionieren, und wir in Afrika machen oft den gleichen Fehler. Wir hören jemanden
sagen: „Es gibt ein Fernsehsystem, und es gibt ein Telefonsystem, es gibt ein
So-und-so-System, das wir importieren wollen.“ Also sagen wir uns: „Na gut, schauen
wir es mal an. Es funktioniert in Deutschland, oder es funktioniert in Frankreich
oder der Schweiz.“ Aber dann stellen wir fest, daß die Entfernungen für sie 20 km
zwischen den Funkmasten oder so betragen. Für uns werden es 200 km oder mehr sein,
damit es auf die gleiche Weise funktioniert. Oft schauen wir uns also um und fragen:
„Was müssen wir tun?“ Und die Herausforderung besteht darin, selbst zu denken, und
zwar unter den eigenen Bedingungen.
Wir bauen hier in Südafrika Staudämme, und zwar Dämme, die Trinkwasser speichern.
Die Dämme sind so ausgelegt, daß sie eine fünfjährige Dürreperiode überstehen. Wenn
es in Großbritannien ein paar Wochen lang nicht regnet, fangen sie an, sich Sorgen
über Dürre und Wasserknappheit zu machen. Hier sind die Dämme für Jahre ausgelegt.
Die Art des Ansatzes ist also einfach ganz anders.
Viele Menschen aus der Ersten Welt gehen in viele afrikanische Länder und sagen
ihnen, daß Wind und Sonne die Antwort sind, weil es so aussieht, als ob es in meinem
Land in Europa funktioniert. Aber es ist unehrlich, so etwas zu tun.
Man muß hinschauen und sagen: Wie können Sambia, Botswana, der Kongo, Mosambik
usw. ihren Strombedarf decken und was würde ihnen nützen? Südafrika ist zur
Stromerzeugung überwiegend von Kohle abhängig; wir sind eines der wenigen Länder der
Welt, das mit riesigen Kohlevorkommen gesegnet ist, die wir für unsere eigene
Stromerzeugung nutzen. Wir exportieren auch sehr viel Kohle. Aber die Kohle ist ganz
im Nordosten des Landes konzentriert. Wie ich bereits angedeutet habe, ist die
Entfernung von dort, wo sich die Kohle befindet, weiter vom Süden entfernt als die
Entfernung zwischen Rom und London. Es ist nicht praktikabel, den Strom so weit zu
transportieren.
Afrika braucht Kernenergie
Deshalb wurde vor 50 Jahren das Kernkraftwerk Koeberg unten im Süden konzipiert.
Koeberg ist jetzt fast 40 Jahre alt und hat noch eine ganze Reihe von Jahren vor
sich. Aber wir haben jetzt Pläne für den Bau weiterer Kernkraftwerke an der Küste
des südlichen Teils des Landes. Die Küste, weil wir dort den Strom aus dem Süden
heraufholen müssen, und auch, weil das Meer für ein großes Kernkraftwerk in großem
Maßstab zur Verfügung steht.
Kernkraft ist die Antwort für den größten Teil Afrikas, wenn nicht sogar für ganz
Afrika. Nicht unbedingt große 3000-Megawatt-Kraftwerke, aber zum Beispiel kleine
Kraftwerke wie die südafrikanischen Pläne zur Entwicklung des so genannten
Kugelhaufenreaktors, des PBMR, der 1200 Megawatt leistet, gegenüber einem Kraftwerk
der Größe Koebergs, das 2000 Megawatt leistet.
Der Kugelhaufenreaktor wurde von Südafrikanern in Südafrika entworfen, um unseren
Bedingungen Rechnung zu tragen. So wurde er beispielsweise so konstruiert, daß er
mit Gas gekühlt wird und daher kein großes Wasservolumen zur Kühlung benötigt. Er
kann im Landesinneren aufgestellt werden, wo sich einige der Bergbauaktivitäten
befinden, denn einige der riesigen Bergbauaktivitäten benötigen sehr viel Energie.
Warum nicht einen Kernreaktor in der Nähe der Bergwerke aufstellen? In den
südafrikanischen Bergwerken unter Tage gibt es Hunderte von Kilometern Straße unter
der Erde. Unter Tage gibt es Geschäfte; es gibt Bildungseinrichtungen für die
Arbeiter; es gibt Züge, die dort fahren, und so weiter. In diesen Minen wird also
sehr viel Energie verbraucht.
Wenn man sich andere afrikanische Länder anschaut, dann brauchen sie alle
Kernkraft, und eine Reihe afrikanischer Führer haben mit mir persönlich gesprochen
und angedeutet, daß sie genau das brauchen. Denn die Mehrheit der afrikanischen
Länder ist nicht mit fossilen Brennstoffen gesegnet; sie haben keine großen Reserven
an Kohle, Gas oder Öl. Also brauchen sie Elektrizität. Elektrizität ist das, was die
Menschen voranbringt.
Es ist einfach nicht ehrlich, daß einige dieser extremen Grünen daherkommen und
sagen: „Ihr macht das richtig: Ihr transportiert Wasser aus dem Fluß in einem Eimer.
So könnt ihr weiterhin in Harmonie mit der Natur leben.“ Einige dieser Europäer
haben mir solche Dinge ins Gesicht gesagt. Oder einem Menschen zu sagen: „Du mußt
einen Holzpflug benutzen, der von einem Ochsen gezogen wird. Das ist das Richtige.
Investiert nicht in Traktoren, denn dafür brauchen Sie Treibstoff, und Öl, was die
Umwelt verschmutzt.“ Das ist einfach nicht richtig.
Wir müssen uns also fragen, was die wirklichen Lösungen für Südafrika als
Wirtschaftsführer des Kontinents sind, aber dann auch für das übrige Afrika, bis
hinaus zum Äquator und weiter bis in den Norden. Zahlreiche afrikanische Länder
haben deutlich gemacht, daß sie zur Kernkraft übergehen wollen. Länder wie Sambia
haben mit einem Projekt zum Bau ihres ersten Kernreaktors begonnen, der für
Ausbildungszwecke genutzt werden soll. Andere Länder haben angedeutet, daß sie
dasselbe tun. Weiter im Norden hat z.B. Ägypten mit der Kernenergie begonnen. Ich
zweifle nicht daran, daß wir in Zukunft noch viel mehr sehen werden.
Weitere Nutzungen der Kerntechnik
Die Kernenergie ist ein Aspekt der Kerntechnologie. Es gibt noch viel mehr als
das. Zum Beispiel die Nuklearmedizin. Südafrika ist in der Nuklearmedizin weltweit
führend geworden, und wir exportieren heute Nuklearmedizin in über 60 Länder
weltweit.
Nuklearmedizin ist wunderbar. Im Moment wird sie vor allem zur Diagnostik
eingesetzt. Sie ist bei weitem die beste Möglichkeit, Krebs und einige andere
Krankheiten zu erkennen. Sie wird einfach als nuklearen Tracer injiziert, der in den
Körper gelangt und sich zum Krebs hinbewegt. Es gibt verschiedene Anwendungen, und
die Ärzte wissen, welche sie verwenden müssen, je nachdem, wonach sie suchen. Die
Nuklearmedizin zeigt dann sehr früh, ob jemand Krebs oder andere Dinge hat – viel
früher als viele andere diagnostische Verfahren.
Wenn man die großen Entfernungen bedenkt, die ich bereits erwähnt habe, lassen
sich Zentren für Nuklear-Untersuchungen draußen in ländlichen Gegenden einrichten,
und nur eine Krankenschwester muß anwesend sein, die den Scan durchführen kann. Es
ist nicht notwendig, daß an jedem dieser Standorte ein Arzt anwesend ist. Sie alle
sind dann über das Internet mit Zentren verbunden, in denen es vor Ort ausgebildete
Ärzte gibt, die dann die Diagnose stellen können. So ist es zum Beispiel möglich,
ein Scan-Zentrum in Tansania oder in Uganda oder in Kenia oder in Botswana zu haben
und dort von jemandem scannen zu lassen, der den Scan sofort nach Kapstadt oder
Pretoria schickt, um die Diagnose zu stellen und die Antwort an den Arzt in Uganda
oder Tansania zurückzuschicken, der den Patienten behandelt, und dann von dort aus
zu arbeiten.
Natürlich ist es wünschenswert, daß die afrikanischen Länder ihre eigenen
Nuklearfachleute ausbilden. In den afrikanischen Ländern gibt es bereits viele
Menschen, aber es gibt ein riesiges Potential für viele weitere. Es gibt
Ausbildungsprogramme in Südafrika, zum Beispiel in Pretoria. Wir haben bereits
afrikanische Auszubildende im Programm – Röntgentechniker und Mediziner aus anderen
Ländern.
Afrika hat also eine Chance, in der Nuklearmedizin, die wir bereits in Südafrika
betreiben, weltweit führend zu werden. Südafrika könnte Nuklearmedizin jedem
zugänglich machen, der sie braucht.
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