Warum der Zusammenbruch unvermeidlich ist
Das britische Wirtschaftssystem gegen das amerikanische
Von Paul Gallagher
Paul Gallagher ist Wirtschaftsredakteur des Nachrichtenmagazins
EIR. Im vierten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 6.
September hielt er den folgenden Vortrag.
Zwischen 1971 und 1973 zerstörten die Banken der Londoner City und ihre
Offshore-Zentren das von Präsident Franklin Roosevelt geschaffene Geld- und
Kreditsystem der Nachkriegszeit von Bretton Woods. Londons Offshore-Banken
brachen mit dem Segen der Bank von England alle Regeln von Bretton Woods und
organisierten mit dem US-Dollar einen gigantischen „Carry Trade“, der als
Eurodollar- und Petrodollarmarkt bekannt wurde. Diese Märkte verwendeten
wieder das britische Standard-Bankenmodell: die direkte Kreditvergabe zu sehr
hohen Zinssätzen an souveräne Regierungen, in diesem Fall an
Entwicklungsländer.
In den nächsten Jahren bis 1980 nahmen diese britischen Banken die Wall
Street ins Schlepptau und organisierten über diese Märkte zwei riesige
Ölschwindel: Es wurde eine ausufernde Inflation in den Industrieländern
ausgelöst, eine „Schuldenbombe“ der Dritten Welt gezündet, und die
Weltwirtschaft wurde von einer Spekulation mit Devisen, Zinssätzen usw.
überrollt. Weitere fünf Jahre Später wurde die überwiegende Mehrheit der neuen
Dollarwährung faktisch zu Spekulationszwecken in London geschaffen.
Dieses Londoner und Offshore-System der frei schwankenden Wechselkurse ist
dann nach 35 Jahren Deindustrialisierung und Übernahme aller wirtschaftlichen
Aktivitäten durch die Finanzwirtschaft in der gewaltigen Implosion der
Derivatmärkte, die die Weltfinanzkrise und große Rezession von 2008 auslöste,
zusammengebrochen. Trotz mehr als einem Jahrzehnt heroischen keynesianischen
Gelddruckens der großen Zentralbanken der Vereinigten Staaten, Europas und
Japans gelang es nicht, eine industrielle Erholung, Produktivität oder auch
nur Inflation herbeizuführen, und auf jeden Dollar des weitgehend
unproduktiven BIP kamen sieben Dollar an Schulden und Derivaten hinzu. Das
System der freien Wechselkurse steht vor einem weiteren finanziellen
Zusammenbruch, ausgelöst durch unbezahlbare Unternehmensschulden und deren
Derivate, und eine „Erholung“ ist unmöglich.
Auf der Konferenz von Bretton Woods nach dem Zweiten Weltkrieg hatte u.a.
der berühmte Ökonom John Maynard Keynes einen britischen Plan vorgestellt, der
die Idee widerspiegelte, daß der Handel und „Handelspräferenzen“ die Quelle
des Wohlstands in der Nachkriegswelt sein sollten. Der Weltwährungsfonds (IWF)
sollte dazu dienen, den Welthandel „auszugleichen“: Länder mit
Handelsüberschüssen sollten dazu gebracht werden, diese für Importe aus
Defizitländern auszugeben, um die Überschüsse auszugleichen. Täten sie dies
nicht innerhalb einer bestimmten kurzen Frist, würde der Überschuß durch die
vom IWF vorgeschlagenen „Verrechnungsvereinbarungen“ beschlagnahmt. Länder mit
Überschüssen sollten diese Überschüsse nicht als Kapital für den Ausbau der
inländischen Wirtschaft verwenden dürfen. Zur Verwaltung dieser
„Verrechnungsvereinbarungen“ wollte man eine Weltwährung oder eine „nicht
konvertierbare Rechnungseinheit“ schaffen.
Abgesehen von Keynes’ Theorien verlangte die britische Delegation, daß
Großbritanniens „imperiale Handelspräferenzen“ innerhalb eines
„Sterling-Blocks“ beibehalten werden sollten.
Trotzdem spiegelte das von Franklin Roosevelt geprägte „System“ von Bretton
Woods eindeutig das Amerikanische System der Ökonomie wider. Es zielte darauf
ab, die internationale Spekulation, d.h. den grenzüberschreitenden
Kapitalverkehr zu Spekulationszwecken, zu unterbinden. Die Wechselkurse waren
stabilisiert, annähernd fest, nicht an den Goldstandard gebunden, sondern an
den Dollar gekoppelt und auf Goldreserven gestützt. Devisenkontrollen wurden
gefördert, Kapitalkontrollen jeder Nation erlaubt. Die Zinssätze für Einlagen
wurden durch nationale Gesetze begrenzt, um schädliche Leerverkäufe zu
unterbinden. Geschäfts- bzw. Kreditbanken waren in den großen
Industrienationen von spekulativen Investmentbanken gesetzlich getrennt. Die
Weltbank sollte nach Roosevelts – nicht verwirklichter – Absicht Kredite für
die wichtigsten Entwicklungsprojekte in den unterentwickelten Nationen
vergeben.
Das Amerikanische System
Das amerikanische Wirtschaftssystem war von Alexander Hamilton entwickelt
worden. Als erster US-Finanzminister widersprach Hamilton zwei grundlegenden
Vorstellungen darüber, was Wohlstand, Wert und Fortschritt für
Volkswirtschaften erzeugt. Die französischen Physiokraten sagten, die Quelle
des wirtschaftlichen Reichtums oder Profits sei der Grund und Boden; er allein
könne mehr Wert zurückgeben oder erzeugen, als ihm durch menschliche Arbeit
oder Kapital zugeführt wird, die lediglich, von einem Zyklus zum nächsten,
ihren eigenen Wert reproduzieren. Diese Vorstellung war auf in der einen oder
anderen Form unter den Anführern der amerikanischen Unabhängigkeit weit
verbreitet.
Die englischen Wirtschaftsschulen hingegen lehrten, die Quelle des Wertes
sei der Handel – billig kaufen und teuer verkaufen zu können –, daher solle
man wo immer möglich das produzieren, was ein Land mit dem größten Gewinn
exportieren und billig importieren konnte. Das wird heute als die Idee des
„Wettbewerbsvorteils“ gelehrt.
Adam Smith schrieb in seinem Buch Der Wohlstand der Nationen immer
und immer wieder, unterschiedlich formuliert: „Wenn die Amerikaner ... die
Einfuhr europäischer Erzeugnisse stoppen würden und, indem sie denjenigen
ihrer Landsleute, die ähnliche Waren herstellen könnten, ein Monopol
einräumen, einen beträchtlichen Teil ihres Kapitals in diese Beschäftigung
umleiten würden, dann würden sie den weiteren Anstieg des Wertes ihrer
jährlichen Produktion verzögern, anstatt ihn zu beschleunigen, und den
Fortschritt ihres Landes hin zu wahrem Reichtum und Größe behindern, anstatt
ihn zu fördern.“ Mit anderen Worten: Versucht nicht, eine Volkswirtschaft zu
entwickeln, die auf eigenen Beinen stehen kann, ihr wärt die Verlierer.
Die britisch-indischen Kolonialbeziehungen waren der Inbegriff der
britischen Wirtschaftsdoktrin des „Freihandels“: Das koloniale Indien hatte ab
1820 mehr als ein Jahrhundert lang einen großen Handelsüberschuß mit der Welt
– 40% davon aus erzwungenen Opiumverkäufen an China. Und es war gezwungen, all
diesen Überschuß und noch mehr zu verwenden, um Industriegüter sowie Gold und
Silber aus Großbritannien zu kaufen, mit dem es gleichzeitig ein großes
Handelsdefizit hatte.
Das war das System der „imperialen Präferenzen“, das Gegenstand heftiger
Auseinandersetzungen zwischen Franklin Roosevelt und Winston Churchill über
die Wirtschaftspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg war. Indiens Kapital wurde
nicht in Indien investiert, sondern floß über den sogenannten „Handel“ ständig
nach Großbritannien ab. Die indische Landwirtschaft produzierte zwar den
größten Teil der Exporte, die diesen Handelsüberschuß mit der Welt
ermöglichten, war aber trotzdem nicht mehr in der Lage, zuverlässig
Nahrungsmittel zu produzieren, und in dieser Zeit starben zigmillionen Inder
in beispiellosen Hungersnöten.
Als Finanzminister Hamilton die Berichte verfaßte, in denen die
Wirtschaftswissenschaft der Amerikanischen Schule vorgestellt wurde, hatte er
erkannt, daß die wahre Quelle des wirtschaftlichen Wertes in der
schöpferischen Erfindungskraft des Menschen liegt, die zur Verbesserung der
Qualifikation der Arbeitskräfte und zur Schaffung künstlicher Arbeitskräfte in
Form von Maschinen eingesetzt wird. Sein Bericht an den US-Kongreß von 1790
Über das Manufakturwesen begann mit einer direkten Erklärung und
Widerlegung zunächst der physiokratischen Doktrin und dann des britischen
Dogmas von Smiths Wohlstand der Nationen. Gegen den hartnäckigen
Widerstand seiner Zeitgenossen verbreitete er den Gedanken, daß die Manufaktur
nicht nur ebenso viel neuen Wert schafft wie Grund und Boden, sondern mehr;
und noch mehr mit einer größeren Vielfalt der Manufakturen und einer stärkeren
Arbeitsteilung; und nochmals mehr mit mehr menschlicher, kreativer
Erfindung.
In diesem Bericht findet sich Hamiltons berühmtester Ausspruch über die
menschliche schöpferische Erfindung und Wirtschaft: „Die Tätigkeit des
menschlichen Geistes zu würdigen und anzuregen, indem man die Gegenstände des
Unternehmertums vervielfacht, gehört nicht zu den unbedeutendsten unter den
Mitteln, mit denen der Reichtum einer Nation gefördert werden kann.“
Er schrieb dort auch: „Die Erfahrung lehrt, daß die Menschen oft so sehr
von dem beherrscht werden, was sie zu sehen und zu praktizieren gewohnt sind,
daß ... Verbesserungen nur mit Zögern, mit Widerwillen ... angenommen
werden... Um die wünschenswerten Veränderungen so früh wie möglich
herbeizuführen, wie es zweckmäßig ist, kann daher die Anregung und
Schirmherrschaft der Regierung erforderlich sein... Es ist von Bedeutung, daß
das Vertrauen vorsichtiger, kluger Kapitalisten, sowohl von Bürgern als auch
von Ausländern, geweckt wird. Und um bei den so beschriebenen Personen
Vertrauen zu erwecken, ist es von wesentlicher Bedeutung, daß man ihnen bei
jedem neuen und ... riskanten Projekt die Aussicht auf ein solches Maß an
Zustimmung und Unterstützung seitens der Regierung vermittelt, das in der Lage
sein könnte, die mit den ersten Experimenten untrennbar verbundenen
Hindernisse zu überwinden.“
Eines der wichtigsten Prinzipien Hamiltons war die Arbeit der Banken: Sie
sammeln die Ersparnisse der Nation als Einlagen und stellen sie denjenigen zur
Verfügung, die sie zu einem bestimmten Zeitpunkt am produktivsten nutzen
können, indem sie Kredite vergeben, in erster Linie an produktive Unternehmen
und in zweiter Linie an Einzelpersonen und Haushalte. Sie spekulieren nicht
mit Wertpapieren, Makler- oder Immobiliengeschäften, wie es verschiedene Arten
von Investitionspartnerschaften tun.
Wir nennen dies heute Geschäftsbank; im britischen System der variablen
Wechselkurse wurde sie nach und nach durch die heutigen riesigen
Universalbanken der Wall Street und City ersetzt, und die
Glass-Steagall-Bankentrennung wurde aufgegeben.
Die von Hamilton gegründete Nationalbank, die Bank of the United States,
war einfach eine größere Geschäftsbank, die ausdrücklich nationale,
„öffentliche Zwecke“ verfolgte, darunter die Gewährleistung eines
ausreichenden Umlaufs von ordnungsgemäß fundierten Staatsschulden in Form von
Goldreservewährung, und die Kredite für nationale Projekte neuer
wirtschaftlicher Infrastruktur vergab.
Die Bank von England entsprach in keiner Weise Hamiltons
Nationalbankmodell. Sie wurde 1694 als eine Investitionspartnerschaft
wohlhabender Makler gegründet, um der britischen Regierung 1,2 Millionen Pfund
zu dem sehr hohen Zinssatz von 8% zu leihen. Und in diesem Jahr am 8. April,
rund 325 Jahre später, verkündete sie noch immer ihre Absicht, der britischen
Regierung bei Bedarf direkt Geld zu leihen. Hamiltons Grundsätze verlangten,
daß die Regierung angemessen fundierte Schulden an das Volk und private
Institutionen verkauft und nicht an ihre eigene Nationalbank. Hamilton sagte,
die von ihm vorgeschlagene und 1790 gegründete Nationalbank würde die von der
Öffentlichkeit erworbenen Staatsschulden als ihr Kapital halten, aber auch
Einlagenkonten der Öffentlichkeit annehmen und Unternehmen und Institutionen,
die neue Produktionskapazitäten und neue wirtschaftliche Infrastruktur
schaffen, Kredite gewähren. Das nationale Kreditinstitut würde tätig werden,
um öffentliches Kapital mit privatem Kapital für Investitionen „für
öffentliche Zwecke“ zu kombinieren, und nicht mit dem Ziel, eine hohe Rendite
aus privatem Kapital zu erzielen.
Lyndon LaRouche ging über Hamilton noch hinaus, indem er definierte, welche
Art von menschlicher Erfindung die Gesellschaft voranbringt, wenn sie durch
Kredite realisiert wird. Es muß, wie es in der amerikanischen
Wirtschaftsgeschichte immer wieder der Fall war, eine Erfindung sein, welche
die Energieflußdichte der eingesetzten Technologien erhöht und dadurch die
durchschnittliche Produktivkraft der Bürger und die potentielle
Bevölkerungsdichte der Gesellschaft steigert.
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