Kurswende zurück zum Ziel einer vollkommeneren Union
Dr. Joycelyn Elders, frühere Leiterin der Gesundheitsdienste
der Vereinigten Staaten (Surgeon General), hielt im Rahmen der
Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 27. Juni den folgenden Vortrag.
Die Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion eingefügt.
Hallo. Ich bin Dr. Joycelyn Elders, und ich freue mich, heute vor der
Konferenz des Schiller-Instituts zu sprechen, deren Thema lautet: „Wird die
Menschheit gedeihen oder untergehen?“ Ich hoffe und ich bin sicher, Sie alle
hoffen, daß die Menschheit gedeiht.
Ironischerweise könnte eine tödliche Krankheit, die Coronavirus-Pandemie,
der einzige Weg sein, die Welt zu vereinen, um rückgängig zu machen, was sonst
wie ein sicheres Abgleiten in die Katastrophe erscheinen könnte.
Wir sind hier, um ein neues Paradigma für die ganze Welt zu diskutieren –
nicht nur für die reicheren oder wohlhabenderen Nationen. Helga Zepp-LaRouche
hat vorgeschlagen, daß eine Weltgesundheitsplattform aufgebaut werden muß, um
auf die gegenwärtige Krise zu reagieren. Sie hat dazu ein kurzes Memo in
Umlauf gebracht, in dem sie die Bildung eines Sachverständigen-Komitees
fordert, um das umzusetzen. Ich möchte besonders auf eine Passage dieses Memos
antworten. Hier ist, was darin stand:
„Eine sehr große Zahl von Jugendlichen in den USA und den europäischen
Nationen, die aus den wirtschaftlich benachteiligten Segmenten der
Gesellschaft kommen, blicken gegenwärtig ohne Perspektive in die Zukunft und
sind daher einem ganzen Schreckgespenst von Gefahren ausgesetzt. Sie könnten
durch ein Ausbildungsprogramm in der Tradition von Franklin D. Roosevelts
CCC-Programm zu medizinischen Hilfstruppen ausgebildet werden und zusammen mit
Ärzten und medizinischen Fachkräften beim Bau erster provisorischer und dann
permanenter Krankenhäuser und Krankenstationen in afrikanischen Ländern
eingesetzt werden. Für die Länder der südlichen Hemisphäre ist die
Unterstützung durch die Industrieländer existentiell. Deshalb wird es möglich
sein, kooperierende Institutionen wie Regierungen, religiöse und soziale
Organisationen sowie Jugendorganisationen zu finden, die beim Aufbau solcher
Einrichtungen helfen und das Vertrauen der Bevölkerung für einen solchen
Ansatz gewinnen können. In den Industrienationen könnten zum Beispiel
Krankenhäuser Partnerschaften mit bestehenden Krankenhäusern in den
Entwicklungsländern eingehen, die dann als Partner für den Aufbau eines
erweiterten Gesundheitssystems genutzt werden könnten. Auch
Nichtregierungsorganisationen mit Erfahrung in sogenannten Konfliktgebieten,
wie das Friedenskorps, Katastrophenschutzorganisationen und verschiedene
Hilfsorganisationen, können einbezogen werden.
In den USA und in europäischen Ländern könnten pensionierte Ärzte,
hilfsbedürftige Einzelpersonen sowie soziale und religiöse Organisationen in
einem Komitee zusammenarbeiten, um Teams aus medizinischem Personal und
Auszubildenden für diesen Einsatz zusammenzustellen...“
Ausbildungs-Partnerschaften
Ich glaube, das ist möglich, aber wir müssen darüber nachdenken, wie wir es
tun würden. Es wird sehr wichtig sein, zum Beispiel auf dem Land in Afrika, so
wie es auch in den Städten der Vereinigten Staaten wichtig ist, daß die
Menschen aus den betreffenden Vierteln und Gemeinden sehr stark in diesen
Prozeß einbezogen werden. Deshalb sollte man Partnerschaften mit jungen
Menschen aus Afrika und jungen Menschen aus Amerika bilden und sie von Anfang
an gemeinsam ausbilden. Wir sollten nicht vergessen, daß es bedeutende
Gemeinschaften afroamerikanischer Jugendlicher in den Vereinigten Staaten
gibt, deren Eltern aus Nigeria, Sudan, Äthiopien, Senegal und vielen anderen
Nationen stammen. Historisch bedeutsame schwarze Colleges und Universitäten
sowie Collegebereiche in den städtischen Zentren könnten als zentrale
Koordinationsstellen genutzt werden, um Freiwillige zusammenzubringen, die an
einem solchen Programm teilnehmen wollen.
Im weiteren Sinne müssen verschiedene Land-Grant Colleges,1
kommunale Hochschulen und kirchliche und andere Organisationen, die bereits
aktiv in solche Einsätze eingebunden sind, einfach von jungen Menschen, die
dabei helfen wollen, ermutigt werden, das zu tun, was vielleicht nur sie tun
können, um das Leben ihrer Altersgenossen in Afrika, Amerika, Asien und
anderswo durch Taten der Hoffnung und für die Gesundheit zu retten.
Erstens werden wir viele Gemeindegesundheitshelfer brauchen. Wir können uns
ein Beispiel daran nehmen, wie man es im amerikanischen Bürgerkrieg 1861 in
New York City mit der so genannten Sanitärkommission gemacht hat. Wir nehmen
einfach einige Leute aus der Gemeinde, geben ihnen eine gesundheitliche
Grundausbildung und bilden sie zu medizinischen Assistenten und
Medizintechnikern aus. Am wichtigsten ist, daß sie in ihren Gemeinden sehr
bekannt sein werden. Sie können sehr gut mit den Menschen in ihrer Gemeinde
kommunizieren. Es kann Aufseher für diese Gemeindegesundheitshelfer geben, die
ebenfalls ausgebildet sind und sich natürlich mit Krankenschwestern,
Krankenpflegern und Ärzten abstimmen. So erhält man eine viel größere Truppe,
mit der man arbeiten kann, und genau das brauchen wir.
Wir brauchen eine ganze Reihe von Menschen – von den Gesundheitshelfern vor
Ort über die unmittelbaren Vorgesetzten, über Leute mit einer gewissen
medizinischen Ausbildung bis hin zu Pflegeassistenten, praktischen Ärzten und
anderen, bis hin zur Ebene von hervorragenden Spezialisten. Wir leisten oft zu
viel fachärztliche Behandlung und nicht genug grundlegende öffentliche
Gesundheitsfürsorge, die weit mehr zur Erhaltung unserer Gesundheit betragen
würde als hundert Chirurgen.
Das soll keine Kritik an der Spezialisierung sein, aber eine Feststellung,
daß wir uns in einem Zustand wie in einem Weltkrieg befinden, der etwas
erfordert, worüber Martin Luther King und andere oft gesprochen haben:
kreative, gewaltfreie direkte Aktionen, aber im Bereich der Gesundheit. Und
wir brauchen Freiwillige, so wie die amerikanische Bürgerrechtsbewegung
Freiwillige hatte. Sie werden das Rückgrat dieser Bemühungen sein. In diesem
Fall müssen wir Brigaden und Bataillone mutiger junger Menschen aufstellen,
die vielleicht sogar ihr Leben riskieren, aber auf verantwortungsvolle Weise,
um das Leben anderer Menschen hier und in anderen Ländern zu retten.
Das ist alles andere als neu. Viele Länder haben Elemente solcher Programme
ausprobiert, die in der Vergangenheit relativ erfolgreich funktioniert haben,
und die Mitglieder der Afrikanischen Union oder der WHO kennen diese Maßnahmen
gut. Dies hier ist jedoch ein Umstand, der das Äquivalent eines
Kriegsbündnisses erfordert – aber ein friedliches Kriegsbündnis für den
Fortschritt. Hier können wir Erfolge nicht an der Zahl der im Kampf getöteten
Feinde messen, sondern an der Zahl der Leben, die durch die
Gesundheitsversorgung gerettet werden. Unterstützt werden wir auch durch die
Omnipräsenz bestimmter Social-Media-Kapazitäten, die Mittel für eine enge
Koordinierung bieten können, die sonst nicht möglich wären.
Der Kampf gegen das Virus muß ein menschliches Gesicht haben. Dabei dürfen
wir keinen Teil unserer Bevölkerung ignorieren. Zum Beispiel werden unsere
bereits überfüllten und oft von Mißbräuchen geprägten Gefängnisse eine
Explosion von Infektionen erleben. Sollten Menschen, die eines Diebstahls oder
eines anderen gewaltlosen Verbrechens beschuldigt werden, oder irgend jemand
anderes, nur deshalb de facto zum Tode verurteilt oder geschädigt werden, weil
der Rest von uns beschlossen hat, sie zu vergessen? Was ist mit den
Familienangehörigen, die sie besuchen? Was ist mit den Kindern, Ehepartnern
oder Eltern, die diesen Menschen nahe stehen? Und ich glaube, daß dies eine
Mobilisierung sein kann, die das Bild der jungen Menschen als Problem oder
potentielle Unruhestifter durch das Bild ersetzt, daß sie die Heiler sind, die
sich der Erhaltung des Lebens widmen und es nicht zerstören.
Es gibt vielleicht mehr als zwei Millionen amerikanische junge Männer, die
gegenwärtig wegen gewaltfreier Vergehen in Gefängnissen festgehalten werden
und die mehr als bereit sind, Teil der Lösung zu werden, um für die Gesundheit
sowohl in ihren Gemeinden als auch in anderen Ländern zu arbeiten. Und nur in
einem Notfall wie diesem kann solches kühnes Denken mit einer dringenden,
schrecklichen, aber lösbaren Krise verbunden sein.
Ich bete, dass in diesem Augenblick unsere übliche Denkweise dieser
Herausforderung gewachsen sein möge. Die ganze Welt steht auf dem Spiel, und
die ganze Welt wird gebraucht. Ich danke Ihnen.
Die Gesundheit erhalten
Im weiteren Verlauf der Diskussion sagte Joycelyn Elders:
„Etwas, das wir alle bedenken müssen, ist, daß alles, worüber wir sprechen,
nur getan werden kann, wenn man gesund ist. Deshalb bin ich der festen
Überzeugung, daß wir eine gesunde Bevölkerung haben müssen, und wir müssen
früh damit beginnen. Ich stimme Dr. Clarke zu. Ich sage den Leuten immer, daß
Kinder im Alter von drei Jahren schon halb so groß sind, wie sie jemals sein
werden. Wenn sie vier sind, wissen sie schon die Hälfte dessen, was sie jemals
wissen werden. Hoffnung, Wille und Antrieb werden bestimmt, wenn sie fünf
Jahre alt sind. Also müssen wir früh anfangen. Kinder können nicht das sein,
was sie nicht sehen können. Wir müssen also dafür sorgen, daß sie viel
mitbekommen, und wir können früh damit beginnen. Sie müssen nicht als
Gehirnchirurgen anfangen, aber sie können anfangen, das zu werden, was sie
sein können.
Und vor allem müssen wir sie gesund erhalten. Alle Menschen haben das
Gefühl, daß sie drei Dinge mehr als alles andere brauchen. Sie müssen das
Gefühl haben, daß sie erfolgreich sein können. Wir müssen dafür sorgen, daß
sie gesund, gebildet und motiviert sind. Und sie müssen Hoffnung für die
Zukunft haben. Ich dachte, da können wir anfangen, und jedes Land kann damit
anfangen. Wir haben davon gehört, was wir für die Länder tun, aber wir müssen
mit der Gesundheit anfangen. Und wir müssen sie erziehen. Man kann eine
unwissende Bevölkerung nicht gesund halten. Wir müssen also mit der Aufklärung
der Bevölkerung anfangen, und wir müssen sicherlich damit beginnen, alles zu
tun, was wir können, um sie gesund zu erhalten. Sie müssen wissen, daß sie
unser Vertrauen und unsere globale Solidarität haben. Wenn wir einander nicht
zutrauen, die Dinge zu tun, die wir tun müssen, dann werden wir es nicht
schaffen. Wir müssen hinausgehen und in den Gemeinden arbeiten. Wir müssen
herausfinden, was die Gemeinden brauchen, anstatt ihnen das zu geben, wovon
wir glauben, daß sie es brauchen.
Besonders gefallen hat mir der Berater aus Japan, der über die Dinge
sprach, die sie tun. Manchmal glaubt man, daß man genau das tut, was ein Land
braucht. Man geht nach Afrika und tut, was sie brauchen; aber vielleicht
brauchten sie noch etwas anderes. Bezieht die afrikanischen Nationen ein, um
herauszufinden, was ein Land seiner Meinung nach braucht, und helft ihnen, das
zu entwickeln, wovon sie überzeugt sind, dass sie es wollen und brauchen.
Und vielleicht müssen wir in unseren kleinen Gemeinden anfangen, bei den
jungen Menschen – sie zu Gemeindegesundheitshelfern ausbilden. Später wachsen
sie zu Krankenpflegern, Krankenschwestern, Ärzten und dann zu hervorragenden
Spezialisten heran. Aber wir wollen die Gesundheit der Welt verbessern, und
das müssen wir tun, denn wir alle wissen, daß dieses Coronavirus uns gelehrt
hat, daß immer dann, wenn nur ein Land nicht gesund ist, alle anderen in
Gefahr sind. Wir müssen also dafür sorgen, daß wir jedem Land helfen, gesund
zu sein und seine Gesundheit zu verbessern. Wir müssen mit den jungen Menschen
beginnen, die entscheiden werden, wie die Welt aussehen wird. Wir müssen alles
tun, was wir können, um sie zu den Besten auszubilden, die sie sein
können.
Ich weise immer auf ein altes chinesisches Sprichwort hin, das sagt: „Die
Gesellschaft wächst großartig, wenn alte Männer und Frauen Bäume pflanzen,
obwohl sie wissen, daß sie nie in ihrem Schatten sitzen werden.“ Aus meiner
Sicht versuchen Sie mit dem Schiller-Institut, die Nationen der Welt
solidarisch zusammenzubringen, damit sie Bäume pflanzen können, unter denen
die glücklichen jungen Menschen der Zukunft sitzen werden. Ich danke Ihnen
dafür.“
Anmerkung
1. Die sog. „Land-Grant Colleges“ wurden im späten 19. Jahrhundert durch
Kongreßbeschlüsse gegründet und durch Zuweisung von Landbesitz finanziert.
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