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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

An den besten Momenten der amerikanisch-mexikanischen Beziehungen anknüpfen

Von Alicia Díaz Brown

Alicia Díaz Brown ist aktives Mitglied der Bürgerbewegung für Wasser im mexikanischen Bundesstaat Sonora. Sie übermittelte den folgenden Beitrag für die Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 27. Juni 2020.

Wir danken dem Schiller-Institut und seiner Präsidentin, Helga Zepp-LaRouche, daß sie uns die Gelegenheit geben, an diesem internationalen Treffen teilzunehmen, bei dem das Problem der Nahrungsmittelproduktion besondere Bedeutung einnimmt. In jeder Zivilisationskrise taucht die Bedrohung durch Hunger, Epidemien und Krieg auf. Deshalb begrüßen wir sehr den Titel dieses Treffens: Wird die Menschheit prosperieren oder untergehen?

Mein Name ist Alicia Díaz Brown, ich lebe im Yaqui-Tal im Süden des Bundesstaates Sonora in Mexiko. Ich gehöre zu einer Familie landwirtschaftlicher Produzenten, die Pioniere in diesem Tal sind, und ich bin Mitglied der Landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaft Yaqui und der Bürgerbewegung für Wasser.

Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit Diskussionen über Probleme im Zusammenhang mit der Getreideerzeugung, aber in den letzten zehn Jahren habe ich mich intensiver eingesetzt, weil die Politik in Mexiko den ländlichen Raum sträflich vernachlässigt. Es ist nämlich vorgesehen, Wasser aus dieser Region zu entnehmen, um es für „profitablere“ Aktivitäten umzuleiten, auch wenn das bedeutet, die Anbauflächen und damit die Nahrungsmittelproduktion zu verringern. Es ist ihnen egal, ob eine Region darunter leidet, aus der 50 Prozent der Weizenproduktion des Landes und ein bedeutender Anteil der Maisproduktion stammt.


© CIMMYT

Dr. Norman Borlaug zeigt US-Vizepräsident Henry Wallace und dem mexikanischen Landwirtschaftsminister neuentwickelte Weizensorten.

Kürzlich habe ich ein Foto gesehen (siehe Abbildung), das einen sehr bewegenden Moment historischer Nähe und gemeinsamer Ziele einfängt, als Mexiko und die Vereinigten Staaten gemeinsam an der großen Aufgabe arbeiteten, Nahrungsmittel zu produzieren, um den Hunger in der Welt zu lindern. Das Bild führt uns zurück in die 1940er Jahre, es zeigt den damaligen US-Vizepräsidenten Henry Wallace bei der Weizenernte in der mexikanischen Region Texcoco, wo er in Begleitung des mexikanischen Landwirtschaftsministers und Ex-Präsidenten Lázaro Cárdenas technische Erläuterungen von Dr. Norman Borlaug erhält. Damals war die Regierung von Präsident Ávila Camacho gerade neu im Amt.

Das war eine Zeit, in der Mexiko und die Vereinigten Staaten über Regierungen mit ausreichendem gesellschaftlichen Rückhalt verfügten, um das Prinzip des Gemeinwohls durchzusetzen. Diese Bemühungen gipfelten in der Grünen Revolution, deren Verbesserungen in der Saatgutgenetik erhebliche Ertragssteigerungen pro Hektar ermöglichten, vor allem bei Weizen und Mais. Davon profitierte die ganze Welt; der Hunger von vielen hundert Millionen Menschen wurde eine Zeit lang gelindert, und es erwies sich als ein grundlegendes Experiment, um die malthusianischen und bevölkerungsfeindlichen Theorien zu widerlegen, die Hunger und Hungertod als unabwendbares Schicksal hinstellten.

Das Yaqui-Tal in Sonora und die Region Texcoco im Bundesstaat Mexiko waren Versuchszentren, in denen Borlaug seine eigenen Forschungen und Entdeckungen mit mexikanischen Forschern und Produzenten teilte, vor allem aber auch seine menschliche Überzeugung, daß man mit dem systematischen Einsatz der Wissenschaft die Produktion ständig steigern und pflanzliche Krankheiten wie die Kraut- und Knollenfäule bekämpfen kann. Sie bewiesen, daß Hunger kein unabwendbares Übel ist, sondern die Folge falscher Wirtschafts- und Vermarktungsmethoden.

Mexiko und die Vereinigten Staaten teilen sich also die Ehre, daß wir zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte in der Lage waren, den Hunger in der Welt zu lindern, weil dieses Wissen nach Indien und in die besonders vom Hunger betroffenen Länder des afrikanischen Kontinents gebracht wurde.

Die Mission wurde aufgegeben

Aber wir haben diese Mission aufgegeben, und die Nahrungsmittelproduktion wie auch andere strategische Bereiche unserer Volkswirtschaften wurden durch die Kartellierung der Wirtschaft und durch finanzielle Kriterien abgewürgt, wo der Profit an erster Stelle steht und die reale Produktion kein moralischer Imperativ mehr ist, sondern zu einem optionalen Element der Finanzspekulation wird. Diese Politik setzte sich Anfang der 90er Jahre durch und prägt die Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten, Kanada und Mexiko.

Während der letzten 30 Jahre fehlte der nationalen Getreideproduktion in Mexiko eine Preispolitik, die dem Produzenten eine Kapitalisierung garantierte. Die Paritätspreise wurden abgeschafft – sie waren der Grundstein dafür gewesen, daß das Land in der Lage war, bei Weizen, Mais, Bohnen und Reis einen bedeutenden Grad der Selbstversorgung zu erreichen. Der Staat zog sich aus dem Vermarktungsprozeß zurück, der Binnenmarkt wurde aufgegeben, und die nationale Produktion ging in die Hände internationaler Konzerne über, die den Welthandel monopolisieren und an der Warenbörse in Chicago auf die Getreidepreise spekulieren.

Das Ergebnis all dessen ist, daß Mexiko zu einem Getreide-Einfuhrland geworden ist. Die derzeitige Regierung spricht von „Nahrungsmittel-Selbstversorgung“, aber sie verwechselt dies mit Eigenverbrauch, und sie verteilt die Ressourcen auf Regionen des Landes, die nur das konsumieren, was sie produzieren, die aber nicht in der Lage sind, soviel Nahrungsmittel zu produzieren, wie das Land braucht. Die Regionen mit den größten Produktionskapazitäten bei Weizen und Mais wurden der Gnade der großen Konzerne überlassen, die die internationalen Märkte beherrschen. Ausgleichszahlungen, die ihnen das Überleben ermöglichten, wurden gestrichen.

Den mexikanischen Erzeugern wird weisgemacht, diese Politik sei im Interesse der nordamerikanischen Produzenten. Aber auf unserem Treffen hier sehen wir, daß echte US-amerikanische Produzenten über die gleichen Probleme klagen. Wenn diese Politik also den Erzeugern in beiden Ländern schadet, sollten wir uns fragen: Wer sind unter diesen Spielregeln die großen Gewinner und Raubtiere?

Die großen Gewinner und Raubtiere haben mit der Nahrungsmittelproduktion nichts zu tun; sie spekulieren mit den erzeugten Produkten. Sie steuern die Preise an der Chicagoer Warenbörse, und sie haben den Markt in ein diktatorisches Instrument verwandelt. Sie sind nicht an der Produktion interessiert. Ihre bevorzugte Welt ist eine Welt der Knappheit und des Hungers. Und was noch trauriger ist, unsere Regierungen haben diesen Interessen nachgegeben. Auf diese Weise verlieren die USA, Mexiko und die ganze Welt.

Wenn Regierungen klein beigeben, haben wir Bürger die moralische und politische Pflicht, das Prinzip des Gemeinwohls durchzusetzen. Eingangs erwähnte ich das Foto, das von einem historischen Moment vortrefflicher Beziehungen zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten zeugt. Gegenwärtig gibt es in unseren Regierungen niemanden von der moralischen Statur und dem Mut der Menschen, die auf diesem Foto abgebildet sind.

Genau aus diesem Grund glaube ich, daß es jetzt an der Zeit ist, daß die Bürger ihre Regierungen dazu bringen, sich der Herausforderung zu stellen. Möge dieses Treffen dazu dienen, ein Bündnis mexikanischer und nordamerikanischer Produzenten zu knüpfen, die den erforderlichen politischen und moralischen Druck auf unsere Regierungen aufbauen können, und auf diese Weise gemeinsame Ziele festzulegen:

  • wie die Nahrungsmittelproduktion gesteigert werden kann;

  • wie Paritätspreise wieder eingeführt werden können;

  • wie die Erträge pro Hektar erhöht werden können;

  • wie große grenzüberschreitende Infrastrukturprojekte zur Bereitstellung von mehr Wasser und Energie verwirklicht werden können, die es uns ermöglichen, die Anbauflächen erheblich zu vergrößern.

Dies sind einige der Aufgaben, die vor uns liegen. Aber am dringendsten ist es, der Welt zu sagen, daß wir neue Beziehungen eingeleitet haben, daß wir sie aufrechterhalten werden und daß wir den historischen Impuls der besten Momente der mexikanisch-amerikanischen Beziehungen wieder aufnehmen werden, um die erforderlichen Vereinbarungen zwischen den Weltmächten zu fordern, die moralisch verpflichtet sind, die Menschheit aus der Unsicherheit zu befreien, in die uns die schockierende Wirtschaftskrise mit ihren Gefahren von Pandemien, Hunger und Krieg versetzt hat.

Ich danke Ihnen vielmals.