ITER – Kernfusion, eine Option für die Zukunft
Von Prof. Bernard Bigot
Professor Bernard Bigot ist Generaldirektor des Internationalen
Thermonuklearen Versuchsreaktors (ITER), der derzeit in Cadarache/Frankreich
gebaut wird, und ehemaliger Direktor der französischen Kommission für
alternative Energien und Atomenergie (CEA). Für die Internetkonferenz des
Schiller-Instituts übermittelte er den folgenden Vortrag, anschließend nahm er
persönlich an der Diskussion teil.
Vielen Dank, daß Sie mich zur Teilnahme an der Konferenz des
Internationalen Schiller-Instituts eingeladen haben. Ich freue mich sehr,
Ihnen das ITER-Projekt vorzustellen. Es soll zeigen, daß die Wasserstofffusion
in Zukunft eine Option für die Energieversorgung der Welt sein könnte.
Am ITER-Standort läuft der Aufbau und die Installation der verschiedenen
Gebäude und Anlagen. Dieses sehr große Projekt wird von 35 beteiligten Ländern
und sieben Hauptpartnern verwaltet.
Jedermann weiß, daß wir bei den fossilen Brennstoffen, die wir seit über
150 Jahren nutzen, an Grenzen stoßen. Und die alternativen Möglichkeiten sind
begrenzt. Wir sind auf einige bekannte physikalische Phänomene angewiesen.
Natürlich haben wir die erneuerbaren Energieträger, die recht attraktiv sind,
aber aus meiner Sicht ist das nur eine Teillösung, wegen der niedrigen
Leistungsdichte, verbunden mit Unterbrechungen der Verfügbarkeit für große
Ballungsräume. Die Megastädte erfordern eine massive Energieerzeugung, die
zuverlässig sein muß. Sicherlich ist auch die Kernspaltung eine Option. Aber
wie Sie wissen, gibt es einen Nachteil und eine weitere Einschränkung: Wie Sie
wissen, sind auch die Uranressourcen nicht unbegrenzt.
Die Option der Fusionsenergie
Wir müssen also eine andere Lösung, eine andere Option finden. Dafür können
wir uns anschauen, was im Universum geschieht. Im Universum ist die häufigste
Art der Energieerzeugung die Wasserstoff-Fusion, wie bei der Sonne und den
Sternen. Die Sonne ist nur eine große Wasserstoffblase, 300.000 Mal so schwer
wie die Erde. Und im Zentrum der Sonne befindet sich ein sehr heißes Plasma
von 15 Millionen Grad Celsius, ein Plasma hoher Dichte, und der Wasserstoff
fusioniert und erzeugt Energie.
Wie geschieht das? Die Wasserstoffkerne werden zusammengepreßt, sie kommen
einander immer näher, und wenn der Abstand klein genug ist, verschmelzen sie
und erzeugen zwei neue Teilchen: Neutronen und Helium. Sie fliegen davon und
setzen viel Energie frei.
Auf der Erde können wir die Energie nicht auf dem gleichen Weg erzeugen,
wie Sie sich vorstellen können. Aber unsere Physiker waren klug genug, sich
eine alternative Option einfallen zu lassen. Diese alternative Option ist die
Verwendung eines Plasmas sehr niedriger Dichte, aber bei höherer
Temperatur, 150 Millionen Grad – das Zehnfache der Temperatur des
Sonnenkerns. Denn in diesem Zustand kann man die Wasserstoffkerne auf sehr
hohe Geschwindigkeiten beschleunigen, und wenn sie dann kollidieren, werden
sie mit hoher Wahrscheinlichkeit verschmelzen und auf diese Weise zwei neue
Teilchen erzeugen: wiederum die Heliumkerne und die Neutronen.
Die Energie des Heliums, das bei dem Zusammenstoß herauskommt, ist in der
Größenordnung fünfmal größer als die Summe der Energie der an der Kollision
beteiligten Elemente, und die der Neutronen ist zwanzigmal größer. Diese
beiden Teilchen (Neutronen und Helium) stoßen an die Wand und wandeln ihre
kinetische Energie in Wärme um. Auf diese Weise können wir mit der
Wasserstoffusion Energie erzeugen.
Das Gute daran ist, daß es bei diesem Phänomen eine sehr hohe Energiedichte
gibt, denn ein Gramm Fusionsbrennstoff entspricht acht Tonnen Erdöl.
Es gibt also sehr große Vorteile dieser Technologien, denn
- sie kann eine massive, zuverlässige und potentiell kontinuierliche
oder sogar variable Energiequelle sein, die die erneuerbaren Energien
ergänzt;
- sie ist sicher, es werden zu jedem Zeitpunkt nur zwei Gramm
Wasserstoff verwendet. Und wenn irgendein Parameter von den „normalen“ Werten
abweicht, hört die Reaktion einfach auf;
- sie ist auch umweltschonend, weil wir nur Helium produzieren, das eine
sehr wenig aktive Chemikalie und nicht radioaktiv ist;
- sie gibt uns einen fast unbegrenzten Vorrat an Brennstoff für Hunderte
von Millionen Jahren, der über die ganze Welt verteilt ist;
- sie hat keine Auswirkungen auf das Klima, da keine Treibhausgase
ausgestoßen werden;
- außerdem gibt es keine langlebigen hochradioaktiven Stoffe, nur eine
winzige Menge, die aus Tritium und einigen aktivierten Teilen der Reaktorwände
kommt.
Die ITER-Mission
Die ITER-Mission ist recht einfach:
- sie soll die wissenschaftliche und technische Machbarkeit der
Fusionsenergie für friedliche Zwecke demonstrieren;
- dazu soll ein brennendes Plasma erzeugt werden, wie ich bereits
erwähnt habe, bei 150 Millionen Grad;
- sie soll eine Ausbeute von über 10 erreichen, wenn man die aus der
Reaktion austretende Energie (500 MW) mit der Leistung vergleicht, die man in
das Plasma einspeisen muß (50 MW).
Größe ist absolut entscheidend, es kommt auf die Größe an.
Den Weltrekord bei der Fusionsenergie hält derzeit der JET (der Joint
European Torus im britischen Culham) mit einem Plasmavolumen von 80
Kubikmetern. Im ITER wird es mit 830 m3 zehnmal größer sein. Die
Leistung, die in das JET-Plasma eingespeist wird, liegt in der Größenordnung
von 23 MW, aber sie erzeugen nur 16 MW aus der Fusion, was eine Ausbeute von
unter 1 bedeutet – was nicht besonders attraktiv ist. Beim ITER hingegen ist
die Heizleistung doppelt so hoch (50 MW) und die Fusionsleistung sogar dreißig
Mal so hoch (500 MW). Es kommt also definitiv auf die Größe an, und das macht
diese Option etwas komplizierter als einige andere.
Wie können wir diese Kollision bei 150 Millionen Grad und einer sehr hohen
Geschwindigkeit herbeiführen?
Wir kennen den Weg: Wir müssen ausnutzen, was wir „die magnetischen Kräfte“
nennen. Nicht die Gravitationskräfte wie bei der Sonne und den Sternen,
sondern die magnetischen Kräfte. Sie erinnern sich sicherlich: Wenn ein
elektrisches Teilchen in die Nähe eines Magnetfeldes kommt, wird dieses
Teilchen von dem Magnetfeld eingefangen und auch kontinuierlich beschleunigt,
indem es sich um die magnetische Feldlinie dreht.
© Conleth Brady/IAEA/cc-by-sa 2.0
Abb. 1: Plastisches Modell des ITER. Die magnetischen „Käfige“
sind rund 20 m hoch und rund 20 m breit.
Aus diesem Grund müssen wir also große magnetische Käfige bauen.
Abbildung 1 zeigt das enorme Ausmaß dieser Käfige: mit 18 vertikalen
Spulen, 6 horizontalen Spulen und den zentralen Magneten, alle fast 20 Meter
breit und 20 Meter hoch.
Und wir brauchen eine sehr hohe Präzision, damit die Teilchen sehr
effizient auf der kreisförmigen Magnetlinie zirkulieren können. Deshalb müssen
wir die Achse der Magnetkäfige mit einer Präzision von weniger als einem
Millimeter zur Achse des Vakuumbehälters positionieren, den wir Tokamak
nennen.
Dies ist also der Grund für die Größe und die Komplexität des ITER, die 35
Länder veranlaßt hat, sich dazu mit sieben großen Mitgliedsorganisationen
zusammenzutun. Am 20. Juni 2005 wurde ein erstes Übereinkommen zwischen den
sieben Mitgliedern erzielt, und das eigentliche ITER-Abkommen wurde im
November 2006 in Paris unterzeichnet. Die sieben großen ITER-Mitglieder
repräsentieren zusammen mehr als 50% der Weltbevölkerung und etwa 85% des BIP
der Welt.
Da alle Mitglieder wirklich davon überzeugt sind, daß die
Wasserstoff-Fusion ein Durchbruch für die Zukunft der Weltenergieversorgung
sein könnte, haben sie beschlossen, die verschiedenen Komponenten der Anlage
als „Sachleistungen“ beizutragen. Sie bilden die Besten ihres Fachgebiets aus,
um die Machbarkeit und Kapazität der Herstellung der großen Komponenten wie
der Magnetspulen, des Vakuumbehälters und aller anderen Ausrüstung zu
demonstrieren.
Es ist eine beträchtliche Herausforderung, die erforderlichen Qualitäten zu
erreichen. Deshalb brauchten wir eine langfristige Planung. Wir beschlossen
2015, nach einer gründlichen Überprüfung des Projekts, nach einem Fahrplan
fortzufahren, unter dem wir das erste Plasma im Jahr 2025 haben sollten,
nachdem wir jetzt, in diesen Jahren – 2020, 2021 und 2022 – alle Komponenten
erhalten haben und sie vor Ende 2024 zusammenbauen. Und nach der
Inbetriebnahme der Anlage werden wir 2025 unser erstes Plasma erzeugen.
Danach werden wir einen, wie wir es nennen, „stufenweisen Ansatz“
verfolgen, um die volle Fusionsenergie zu erreichen, und zwar mit einem
speziellen Brennstoff, Deuterium-Tritium. Wir haben im weiteren eine zeitliche
Abfolge geplant, um ergänzende Ausrüstung zum Einsammeln der Energie zu
installieren; um das Magnetfeld effizienter aufzuheizen, und um den
verbrauchten Brennstoff, der im Tokamak verschmolzen wurde, wieder
aufzubereiten.
Komponenten als „Sachleistungen“
© ITER
Abb. 2: Wer stellt was her? Die ITER-Mitglieder teilen sich die Rechte am
geistigen Eigentum.
Die Komplexität des Managements hängt mit der
Entscheidung für diese Aufteilung der Herstellung der Komponenten zusammen,
sowie mit der Anforderung, daß die ITER-Mitglieder alle geistigen
Eigentumsrechte gemeinsam nutzen werden.
Abbildung 2 zeigt einen Querschnitt des Tokamak,
Sie sehen das Vakuumgefäß, das ist der Torus, eingebettet in die magnetischen
Käfige, und alle diese verschiedenen Komponenten werden sich in dem befinden,
was wir „Kryostat“ nennen, weil die Temperatur für die supraleitenden
Korridore ziemlich niedrig sein muß: minus 270 Grad Celsius. Bei dieser Arbeit
gibt es jetzt großen Fortschritt, viele hergestellte Komponenten sind auf dem
Weg:
- Aus China kommt eine der „Polaroidalfeldspulen“, wie wir es
nennen. Diese Spule ist jetzt fertig und wurde auf das ITER-Gelände
transportiert. Sie muß nun vor der endgültigen Positionierung innerhalb des
Tokamak überprüft werden.
- In Indien wurde der „oberste Deckel“ des Tokamak fertiggestellt, er
wird jetzt zum ITER-Gelände transportiert;
- Japan wird die Käfigspulen liefern, die Vertikalfeldspulen, die
ich bereits erwähnt habe.
- Europa stellt Teile des Vakuumbehälters her, ebenso wie
Korea. Tatsächlich haben wir inzwischen die ersten Sektoren des
Vakuumbehälters. Es gibt neun Sektoren, und der erste ist sicher am Standort
angekommen und erfüllt die Anforderungen vollständig;
- Auch die USA und Rußland stellen Material zur
Verfügung.
Auf dem ITER-Gelände werden nun die größten Teile, die man nicht hätte
transportieren können, fertig gestellt. Das sind vier der sog.
„Poloidalfeldspulen“. Die größte von ihnen hat einen Durchmesser von 24
Metern, und man hielt es nicht für möglich, sie aus einem anderen Land
herzutransportieren. Deshalb haben wir im letzten Monat eine ziemlich massive
Ankunft vieler Komponenten erlebt. Einige der Spulen und einige Ausrüstungen
sind jetzt vor Ort und stehen bereit zur Montage. Wir bereiten jetzt alle
diese verschiedenen Komponenten vor, darunter auch die Poloidalfeldspulen, die
vor Ort angekommen sind, damit sie zusammengebaut werden können.
Dazu müssen wir alle unsere Gebäude bereit haben, um die Ausrüstung
unterzubringen. Viele Gebäude stehen vor der Fertigstellung, um die Ausrüstung
unterzubringen. Derzeit sind etwa 70 % der Arbeiten vom ersten Entwurf bis zum
ersten Plasma abgeschlossen. Und da wir in den letzten fünf Monaten recht gut
vorankommen sind und diese 70% erreicht haben, denken wir, daß wir auf dem
richtigen Weg sind, um das ehrgeizige Ziel des ersten Plasmas im Jahr 2025 zu
erreichen.
© ITER
Abb. 3: Erst im August wurde der fast 30 m große Kryostatsockel mit einer
Genauigkeit von unter 5 mm positioniert.
Wir bereiten jetzt die Montage der Maschine vor, da die Bauarbeiten weit
fortgeschritten sind und die Komponenten vor Ort sind. In diesem Sommer haben
wir den sogenannten „Kryostatsockel“ sowie den unteren und oberen Zylinder –
das sind große Kästen mit einem Durchmesser von 30 Metern und einer Höhe von
30 Metern – zur „Tokamak-Grube“ transportiert, d.h. in das Gebäude, in dem das
Plasma verschmelzen wird. Dieser große „Kryostatsockel“ wurde fast 50 Meter
über dem Boden angehoben und auf der Tokamak-Basis abgesetzt, wie Sie auf
diesem Bild (Abbildung 3) sehen können. Das geschah Anfang dieser Woche
(am 31. August). Das ist sehr beeindruckend und eine große Herausforderung,
wegen seiner Größe und der Präzision, mit der wir diese Teile positionieren
müssen – eine Präzision von unter fünf Millimetern.
Wir sind jetzt also tatsächlich bereit für die Vormontage des
Vakuumbehälters vor Ort wie auch der Ringfeldspulen mit der Montagelinie, und
wir genehmigen nun die Abfolge der Arbeiten, um eine sichere und hohe Qualität
zu gewährleisten.
Erstes Plasma 2025
Ich hoffe somit, daß ich Sie davon überzeugt habe, daß die
Wasserstoff-Fusion auf dem besten Weg ist, eine Option für die
Weltenergieversorgung zu werden. Wir glauben, daß es möglich ist, nach einem
ersten Plasma 2025 innerhalb von zehn Jahren bis 2035 die volle Fusionskraft
zu erreichen, und bis 2040-50 den Nachweis zu erbringen, daß die
Energieversorger diese Technologie in Betracht ziehen und den hohen Verbrauch
an fossilen Brennstoffen ersetzen könnte, um in Komplementarität mit
erneuerbaren Energien Strom zu erzeugen. Diese beiden Technologien könnten
sich in der Tat sehr gut ergänzen. Die eine ist massiv, vorhersehbar, und die
andere ist, wie Sie alle wissen, diffus und intermittierend. Wir haben also
eine Option für die Zukunft.
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