Achtung und Förderung des anderen als universelles Konzept
Im Rahmen einer 10-tägigen Reise erlebte Helga Zepp-LaRouche
den krassen Gegensatz zwischen der geopolitischen Konfrontationshaltung des
Westens und Chinas Harmoniestreben.
Wenn es noch einer Bestätigung bedurft hätte, daß das Denken und Handeln in
China demjenigen im Westen inzwischen diametral entgegengesetzt ist, dann war
die gerade abgeschlossene Chinareise der Gründerin und Vorsitzenden des
Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, eine überzeugende Erfahrung hierfür.
Nicht nur die politisch Handelnden, sondern auch die normalen Bürger des
bevölkerungsreichsten Landes der Erde sind eingebunden in eine derartige
Dynamik von Entwicklung und Fortschrittsoptimismus, daß es dem
unvoreingenommenen Beobachter dieses Prozesses schwerfällt, sich auch nur
vorzustellen, daß die Entwicklungsdynamik in Ostasien sich in absehbarer Zeit
abschwächen oder gar stocken könnte. Denn daß sich dieser Prozeß längst schon
auf andere Länder Asiens und darüber hinaus zu übertragen beginnt, das war
jüngst auf dem zweiten Seidenstraßen-Gipfel (Belt and Road Forum) Ende April
2019 in Beijing geradezu mit Händen zu greifen.
Dieser Kontrast zwischen Ost und West tritt auch deshalb so augenfällig
hervor, weil in Europa und Nordamerika derzeit eben nicht nur wenig passiert,
was auch nur im Entferntesten unter der Rubrik „fortschrittliche Dynamik“
einzuordnen wäre, sondern vor allem wegen der Kräfte diesseits und jenseits
des Atlantiks, die aktiv Operationen gegen den „Bau einer Gemeinschaft für
eine geteilte Zukunft der gesamten Menschheit“ betreiben – jenes Ziel, dem
sich nicht nur der Ideengeber dieses Mottos, Chinas Staatspräsident Xi
Jinping, verpflichtet fühlt. Dementsprechend war es schon als signifikant zu
werten, daß noch während Zepp-LaRouches zehntägiger Chinareise die
Handelsgespräche zwischen China und den USA (zumindest vorerst) zum Erliegen
kamen und die anstehenden Wahlen zum Europaparlament von keiner Seite her eine
Perspektive in Richtung langfristigen Entwicklungsengagements aufzeigten.
Ganz anders die Situation am gegenüberliegenden Pol des eurasischen
Doppelkontinents: Gleich zu Beginn ihrer Reise nahm Zepp-LaRouche an der
Konferenz über den Dialog Asiatischer Zivilisationen (Conference on Dialogue
of Asian Civilizations; CDAC) am 15. und 16. Mai mit über tausend Teilnehmern
aus allen 47 asiatischen Ländern sowie Nationen und Organisationen anderer
Kontinente in Peking teil und hielt dort auch eine Rede mit dem Titel „Das
höchste Ideal der Menschheit ist ihr Potential für die Zukunft“ (wir
berichteten), die sich fast nahtlos in die Statements der übrigen Teilnehmer
zur kultur- und sprachübergreifenden gegenseitigen Annäherung einreihte.
Allein schon die Tatsache, daß Chinas Regierung einen solchen Dialog der
Kulturen organisierte und durchführte, und daß Präsident Xi höchstpersönlich
es sich nicht nehmen ließ, die vielbeachtete Eröffnungsrede vor Tausenden
Zuschauern und Akteuren eines szenisch und multimedial aufbereiteten Dialogs
der asiatischen Zivilisationen im Pekinger Olympiapark zu halten, in der er
das gegenseitige Zuhören und voneinander Lernen als den Schlüssel zu einer
zunehmend kooperativen Weltgemeinschaft betonte, zeigt den Stellenwert und die
Dringlichkeit auf, die China angesichts einer sich verdüsternden globalen
politischen Wetterlage diesem Thema zukommen läßt.
Diese Betonung der kulturellen Seite einer weltweiten Kooperation im Rahmen
der Neuen Seidenstraßen-Initiative (Belt and Road Initiative; BRI) kann
durchaus als Antwort Chinas auf die nach wie vor ablehnende oder zumindest
abwartende Haltung einiger wichtiger westlicher Staaten und Institutionen in
Bezug auf Wirtschafts- und Infrastrukturkooperation gewertet werden. Sie zeigt
auf, daß es der chinesischen Staatsführung eben nicht um ein Ausspielen seiner
wirtschaftlichen Vorteile geht, die in den letzten Jahrzehnten entwickelt und
aufgebaut wurden, sondern um eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe und auf vielen
Feldern mit allen Nationen und Organisationen, die sich an der BRI beteiligen
(wollen).
Dies zu realisieren und zu akzeptieren, fällt vielen politisch
Verantwortlichen im Westen offenbar immer noch schwer, weshalb Zepp-LaRouche
in vielen Gesprächen und Reden in Beijing und Nanjing auf die Gefahr der sog.
Thukydides-Falle hinwies – die Möglichkeit, daß eine etablierte Macht auf das
Aufsteigen einer neuen Macht mit feindseligen Mitteln reagieren könnte, um den
eigenen Status zu verteidigen. Dabei zeigte sie stets auf, daß es China eben
gerade nicht um eine geopolitische Neuordnung der globalstrategischen
Machtverhältnisse gehe, sondern um eine Überwindung des geopolitischen Denkens
an sich sowie um die Alternative hierzu: eine kooperative und für alle Seiten
vorteilhafte Entwicklung, die langfristig Frieden, ansteigenden Lebensstandard
und ein zunehmendes Verständnis aller Menschen und Nationen füreinander
schaffe.
Bei den Gesprächen mit z.T. führenden Professoren, politisch und
wirtschaftlich Forschenden und Journalisten in Universitäten und leitenden
Denkfabriken in Beijing konnte die Vorsitzende des Schiller-Instituts die
ambivalente Struktur innerhalb der europäischen und amerikanischen
Führungskreise aufzeigen und im Detail erläutern: Einerseits stelle die
aufstrebende Wirtschaftsmacht China selbstverständlich einen attraktiven
Investitionsstandort dar, den die westlichen Industriestaaten und insbesondere
die technologisch orientierten Volkswirtschaften und deren Unternehmen als
Kooperationsbasis natürlich nicht umgehen wollten und könnten. Andererseits
bedeute eine intensive Zusammenarbeit natürlich auch das indirekte
Eingeständnis, daß man im Westen die Entwicklung Chinas zum
Hochtechnologiestandort und -absatzmarkt lange Zeit nicht erkannt und
dementsprechend nicht die nötigen Anpassungen der eigenen Wirtschaft
vorgenommen hätte, was nun nachgeholt werden müsse.
Zusätzlich wiesen Zepp-LaRouche und der mit ihr reisende William Jones vom
Washingtoner Büro der Nachrichtenagentur EIR darauf hin, daß es in
westlichen Elitekreisen wie schon erwähnt eben auch Fraktionen gebe, die ganz
bewußt weiterhin auf Konfrontation gegenüber China (und auch Rußland)
ausgerichtet seien, weil sie in einem solchen, noch auf kalte Kriegszeiten
zurückgehenden Machtpoker die ausschließliche Existenzberechtigung ihrer
neokonservativen und neoimperialen Denkfabriken sähen. Sie erläuterten die
Hintergründe der Zielsetzungen von Samuel Huntingtons und Bernard Lewis’
„Kampf der Kulturen“, die mit der heute notwendigen internationalen
Zusammenarbeit unvereinbar sind. Diese geoimperialen Ideologen und deren
Anhänger in westlichen Führungszirkeln hätten nach wie vor einen
entscheidenden Einfluß auf die Regierungen und Entscheidungsträger einiger
führender westlicher Länder, insbesondere auch auf die US-Regierung.
In diesem Zusammenhang setzten Zepp-LaRouche und Jones ihren chinesischen
Gesprächspartnern auch detailliert die Spannungen innerhalb der
US-Administration auseinander und stellten klar, daß es nicht US-Präsident
Donald Trump persönlich sei, der die Konfrontation mit den Großmächten Asiens
suche, sondern seine außen- und sicherheitspolitischen Berater sowie seine
Handels- und Finanzexperten.
In den politischen und wirtschaftlichen Planungsstäben Chinas – das wurde
bei dieser Reise deutlich – ist man sehr darum bemüht, einen neuen Ansatz zu
finden, um zwischen den Großmächten China und USA die anfänglichen scheinbaren
Annäherungserfolge auf strategischer und bilateraler Handelsebene, die
momentan ins Stocken geraten sind, wieder aufzugreifen und zu einem für alle
Beteiligten zufriedenstellenden Ergebnis zu führen.
Daß dies ein durchaus steiniger Weg ist, das war all denjenigen, die in
China an diesem Ziel arbeiten, von vornherein klar. Daß aber der Wille zur
Verständigung, zum Ausgleich der Interessen und zum Gewinn für jede Seite ein
tiefes inneres Bedürfnis all derjenigen darstellt, die Zepp-LaRouche bei ihren
zahlreichen Treffen gegenüber saßen, das ist offensichtlich noch nicht genug
in den Chefetagen westlicher Verantwortungsträger angekommen. In China ist der
Drang zum harmonischen Einklang tief im gesellschaftlichen Überzeugungskanon
verankert, was allem voran auf die Lehren des Konfuzius zurückgeht, und tritt
einem allgegenwärtig im täglichen Leben entgegen. Dies in die Überlegungen bei
den Handelsverhandlungen und anderen diplomatischen Gesprächen zu
berücksichtigen, stünde der westlichen Seite gut an.
Um so mehr ist die Initiative der chinesischen Führung zu begrüßen, nun
verstärkt auf breiterer Basis als lediglich auf wirtschaftspolitischer Ebene
für die BRI zu werben und gerade auch die kulturellen und wissenschaftlichen
Aspekte eines Dialogs der Zivilisationen ins Zentrum der Kampagne zu stellen;
denn schließlich war es zuallererst der Wissens- und Bildungsaustausch,
welcher der antiken Seidenstraße zu jenem nachhaltigen Erfolg verhalf, der
durch die Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg die Völker mal enger, mal
lockerer miteinander verband und das gegenseitige Interesse auch über dunklere
Geschichtsperioden hinweg aufrecht erhielt.
Dem Rechnung tragend, beinhaltete der intensive Besuch der Vorsitzenden des
Schiller-Instituts und ihrer Begleiter neben den politischen Terminen auch ein
kulturelles Rahmenprogramm, das vielleicht sogar noch mehr als die direkten
Gespräche selbst dazu beitrug, die Kultur des „Reichs der Mitte“
kennenzulernen und ein entsprechendes Verständnis für die ohne Zweifel völlig
anderen kulturellen Traditionen und Besonderheiten dieser jahrtausendealten
Kulturnation zu entwickeln. Dabei wurde jedoch deutlich, daß trotz dieser
augenfälligen Unterschiede viele Eigenheiten dieser Kultur durchaus
entsprechende Saiten der westlichen Kulturtradition zum Schwingen brachten,
was ja bereits Gottfried Wilhelm Leibniz durch seinen Briefwechsel mit
Gelehrten des damaligen Kaiserhofes Chinas festgestellt hatte. Helga
Zepp-LaRouche betonte deshalb mehrfach, daß sie in ihrer Lektüre einiger
führender chinesischer Gelehrter insbesondere bei der Erziehungs- und
Bildungsmethodik, sowie dem Streben nach ästhetischer Vervollkommnung des
menschlichen Geistespotentials, immer wieder auf Beispiele paralleler oder
sogar nahezu deckungsgleicher Lehransätze gestoßen sei, wie sie sie explizit
von Friedrich Schiller und Wilhelm von Humboldt kenne.
Es ist also zu hoffen und auch zu erwarten, daß einerseits diejenigen
diesseits des Uralgebirges, die bisher einem Dialog der Kulturen eher
hinderlich waren, sich entweder eines Besseren belehren lassen oder allmählich
verstummen, sowie andererseits diejenigen, die die Vorteile und Chancen eines
echten Dialogs und voneinander Lernens zu schätzen wissen, ihre Stimmen lauter
und vernehmlicher als bisher erheben werden, um dem Ziel eines „Baus einer
Gemeinschaft für eine geteilte Zukunft der gesamten Menschheit“ rasch
näherzukommen.
Christoph Mohs
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