Friedrich Schiller Denkmal
Friedrich Schiller



Hauptseite
       

Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Achtung und Förderung des anderen als universelles Konzept

Im Rahmen einer 10-tägigen Reise erlebte Helga Zepp-LaRouche den krassen Gegensatz zwischen der geopolitischen Konfrontationshaltung des Westens und Chinas Harmoniestreben.

Wenn es noch einer Bestätigung bedurft hätte, daß das Denken und Handeln in China demjenigen im Westen inzwischen diametral entgegengesetzt ist, dann war die gerade abgeschlossene Chinareise der Gründerin und Vorsitzenden des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, eine überzeugende Erfahrung hierfür. Nicht nur die politisch Handelnden, sondern auch die normalen Bürger des bevölkerungsreichsten Landes der Erde sind eingebunden in eine derartige Dynamik von Entwicklung und Fortschrittsoptimismus, daß es dem unvoreingenommenen Beobachter dieses Prozesses schwerfällt, sich auch nur vorzustellen, daß die Entwicklungsdynamik in Ostasien sich in absehbarer Zeit abschwächen oder gar stocken könnte. Denn daß sich dieser Prozeß längst schon auf andere Länder Asiens und darüber hinaus zu übertragen beginnt, das war jüngst auf dem zweiten Seidenstraßen-Gipfel (Belt and Road Forum) Ende April 2019 in Beijing geradezu mit Händen zu greifen.

Dieser Kontrast zwischen Ost und West tritt auch deshalb so augenfällig hervor, weil in Europa und Nordamerika derzeit eben nicht nur wenig passiert, was auch nur im Entferntesten unter der Rubrik „fortschrittliche Dynamik“ einzuordnen wäre, sondern vor allem wegen der Kräfte diesseits und jenseits des Atlantiks, die aktiv Operationen gegen den „Bau einer Gemeinschaft für eine geteilte Zukunft der gesamten Menschheit“ betreiben – jenes Ziel, dem sich nicht nur der Ideengeber dieses Mottos, Chinas Staatspräsident Xi Jinping, verpflichtet fühlt. Dementsprechend war es schon als signifikant zu werten, daß noch während Zepp-LaRouches zehntägiger Chinareise die Handelsgespräche zwischen China und den USA (zumindest vorerst) zum Erliegen kamen und die anstehenden Wahlen zum Europaparlament von keiner Seite her eine Perspektive in Richtung langfristigen Entwicklungsengagements aufzeigten.

Ganz anders die Situation am gegenüberliegenden Pol des eurasischen Doppelkontinents: Gleich zu Beginn ihrer Reise nahm Zepp-LaRouche an der Konferenz über den Dialog Asiatischer Zivilisationen (Conference on Dialogue of Asian Civilizations; CDAC) am 15. und 16. Mai mit über tausend Teilnehmern aus allen 47 asiatischen Ländern sowie Nationen und Organisationen anderer Kontinente in Peking teil und hielt dort auch eine Rede mit dem Titel „Das höchste Ideal der Menschheit ist ihr Potential für die Zukunft“ (wir berichteten), die sich fast nahtlos in die Statements der übrigen Teilnehmer zur kultur- und sprachübergreifenden gegenseitigen Annäherung einreihte.

Allein schon die Tatsache, daß Chinas Regierung einen solchen Dialog der Kulturen organisierte und durchführte, und daß Präsident Xi höchstpersönlich es sich nicht nehmen ließ, die vielbeachtete Eröffnungsrede vor Tausenden Zuschauern und Akteuren eines szenisch und multimedial aufbereiteten Dialogs der asiatischen Zivilisationen im Pekinger Olympiapark zu halten, in der er das gegenseitige Zuhören und voneinander Lernen als den Schlüssel zu einer zunehmend kooperativen Weltgemeinschaft betonte, zeigt den Stellenwert und die Dringlichkeit auf, die China angesichts einer sich verdüsternden globalen politischen Wetterlage diesem Thema zukommen läßt.

Diese Betonung der kulturellen Seite einer weltweiten Kooperation im Rahmen der Neuen Seidenstraßen-Initiative (Belt and Road Initiative; BRI) kann durchaus als Antwort Chinas auf die nach wie vor ablehnende oder zumindest abwartende Haltung einiger wichtiger westlicher Staaten und Institutionen in Bezug auf Wirtschafts- und Infrastrukturkooperation gewertet werden. Sie zeigt auf, daß es der chinesischen Staatsführung eben nicht um ein Ausspielen seiner wirtschaftlichen Vorteile geht, die in den letzten Jahrzehnten entwickelt und aufgebaut wurden, sondern um eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe und auf vielen Feldern mit allen Nationen und Organisationen, die sich an der BRI beteiligen (wollen).

Dies zu realisieren und zu akzeptieren, fällt vielen politisch Verantwortlichen im Westen offenbar immer noch schwer, weshalb Zepp-LaRouche in vielen Gesprächen und Reden in Beijing und Nanjing auf die Gefahr der sog. Thukydides-Falle hinwies – die Möglichkeit, daß eine etablierte Macht auf das Aufsteigen einer neuen Macht mit feindseligen Mitteln reagieren könnte, um den eigenen Status zu verteidigen. Dabei zeigte sie stets auf, daß es China eben gerade nicht um eine geopolitische Neuordnung der globalstrategischen Machtverhältnisse gehe, sondern um eine Überwindung des geopolitischen Denkens an sich sowie um die Alternative hierzu: eine kooperative und für alle Seiten vorteilhafte Entwicklung, die langfristig Frieden, ansteigenden Lebensstandard und ein zunehmendes Verständnis aller Menschen und Nationen füreinander schaffe.

Bei den Gesprächen mit z.T. führenden Professoren, politisch und wirtschaftlich Forschenden und Journalisten in Universitäten und leitenden Denkfabriken in Beijing konnte die Vorsitzende des Schiller-Instituts die ambivalente Struktur innerhalb der europäischen und amerikanischen Führungskreise aufzeigen und im Detail erläutern: Einerseits stelle die aufstrebende Wirtschaftsmacht China selbstverständlich einen attraktiven Investitionsstandort dar, den die westlichen Industriestaaten und insbesondere die technologisch orientierten Volkswirtschaften und deren Unternehmen als Kooperationsbasis natürlich nicht umgehen wollten und könnten. Andererseits bedeute eine intensive Zusammenarbeit natürlich auch das indirekte Eingeständnis, daß man im Westen die Entwicklung Chinas zum Hochtechnologiestandort und -absatzmarkt lange Zeit nicht erkannt und dementsprechend nicht die nötigen Anpassungen der eigenen Wirtschaft vorgenommen hätte, was nun nachgeholt werden müsse.

Zusätzlich wiesen Zepp-LaRouche und der mit ihr reisende William Jones vom Washingtoner Büro der Nachrichtenagentur EIR darauf hin, daß es in westlichen Elitekreisen wie schon erwähnt eben auch Fraktionen gebe, die ganz bewußt weiterhin auf Konfrontation gegenüber China (und auch Rußland) ausgerichtet seien, weil sie in einem solchen, noch auf kalte Kriegszeiten zurückgehenden Machtpoker die ausschließliche Existenzberechtigung ihrer neokonservativen und neoimperialen Denkfabriken sähen. Sie erläuterten die Hintergründe der Zielsetzungen von Samuel Huntingtons und Bernard Lewis’ „Kampf der Kulturen“, die mit der heute notwendigen internationalen Zusammenarbeit unvereinbar sind. Diese geoimperialen Ideologen und deren Anhänger in westlichen Führungszirkeln hätten nach wie vor einen entscheidenden Einfluß auf die Regierungen und Entscheidungsträger einiger führender westlicher Länder, insbesondere auch auf die US-Regierung.

In diesem Zusammenhang setzten Zepp-LaRouche und Jones ihren chinesischen Gesprächspartnern auch detailliert die Spannungen innerhalb der US-Administration auseinander und stellten klar, daß es nicht US-Präsident Donald Trump persönlich sei, der die Konfrontation mit den Großmächten Asiens suche, sondern seine außen- und sicherheitspolitischen Berater sowie seine Handels- und Finanzexperten.

In den politischen und wirtschaftlichen Planungsstäben Chinas – das wurde bei dieser Reise deutlich – ist man sehr darum bemüht, einen neuen Ansatz zu finden, um zwischen den Großmächten China und USA die anfänglichen scheinbaren Annäherungserfolge auf strategischer und bilateraler Handelsebene, die momentan ins Stocken geraten sind, wieder aufzugreifen und zu einem für alle Beteiligten zufriedenstellenden Ergebnis zu führen.

Daß dies ein durchaus steiniger Weg ist, das war all denjenigen, die in China an diesem Ziel arbeiten, von vornherein klar. Daß aber der Wille zur Verständigung, zum Ausgleich der Interessen und zum Gewinn für jede Seite ein tiefes inneres Bedürfnis all derjenigen darstellt, die Zepp-LaRouche bei ihren zahlreichen Treffen gegenüber saßen, das ist offensichtlich noch nicht genug in den Chefetagen westlicher Verantwortungsträger angekommen. In China ist der Drang zum harmonischen Einklang tief im gesellschaftlichen Überzeugungskanon verankert, was allem voran auf die Lehren des Konfuzius zurückgeht, und tritt einem allgegenwärtig im täglichen Leben entgegen. Dies in die Überlegungen bei den Handelsverhandlungen und anderen diplomatischen Gesprächen zu berücksichtigen, stünde der westlichen Seite gut an.

Um so mehr ist die Initiative der chinesischen Führung zu begrüßen, nun verstärkt auf breiterer Basis als lediglich auf wirtschaftspolitischer Ebene für die BRI zu werben und gerade auch die kulturellen und wissenschaftlichen Aspekte eines Dialogs der Zivilisationen ins Zentrum der Kampagne zu stellen; denn schließlich war es zuallererst der Wissens- und Bildungsaustausch, welcher der antiken Seidenstraße zu jenem nachhaltigen Erfolg verhalf, der durch die Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg die Völker mal enger, mal lockerer miteinander verband und das gegenseitige Interesse auch über dunklere Geschichtsperioden hinweg aufrecht erhielt.

Dem Rechnung tragend, beinhaltete der intensive Besuch der Vorsitzenden des Schiller-Instituts und ihrer Begleiter neben den politischen Terminen auch ein kulturelles Rahmenprogramm, das vielleicht sogar noch mehr als die direkten Gespräche selbst dazu beitrug, die Kultur des „Reichs der Mitte“ kennenzulernen und ein entsprechendes Verständnis für die ohne Zweifel völlig anderen kulturellen Traditionen und Besonderheiten dieser jahrtausendealten Kulturnation zu entwickeln. Dabei wurde jedoch deutlich, daß trotz dieser augenfälligen Unterschiede viele Eigenheiten dieser Kultur durchaus entsprechende Saiten der westlichen Kulturtradition zum Schwingen brachten, was ja bereits Gottfried Wilhelm Leibniz durch seinen Briefwechsel mit Gelehrten des damaligen Kaiserhofes Chinas festgestellt hatte. Helga Zepp-LaRouche betonte deshalb mehrfach, daß sie in ihrer Lektüre einiger führender chinesischer Gelehrter insbesondere bei der Erziehungs- und Bildungsmethodik, sowie dem Streben nach ästhetischer Vervollkommnung des menschlichen Geistespotentials, immer wieder auf Beispiele paralleler oder sogar nahezu deckungsgleicher Lehransätze gestoßen sei, wie sie sie explizit von Friedrich Schiller und Wilhelm von Humboldt kenne.

Es ist also zu hoffen und auch zu erwarten, daß einerseits diejenigen diesseits des Uralgebirges, die bisher einem Dialog der Kulturen eher hinderlich waren, sich entweder eines Besseren belehren lassen oder allmählich verstummen, sowie andererseits diejenigen, die die Vorteile und Chancen eines echten Dialogs und voneinander Lernens zu schätzen wissen, ihre Stimmen lauter und vernehmlicher als bisher erheben werden, um dem Ziel eines „Baus einer Gemeinschaft für eine geteilte Zukunft der gesamten Menschheit“ rasch näherzukommen.

Christoph Mohs