Pragmatismus gegen Ideologie
Von Colonel Alain Corvez,
Fachberater für internationale Strategie
Einführung
Das damals so genannte „Gleichgewicht des Schreckens“ während der Zeit der
Konfrontation zwischen den beiden antagonistischen Ideologien des von den USA
unterstützten „Laissez-faire“-Kapitalismus auf der einen Seite und des von der
Sowjetunion getragenen kommunistischen Kollektivismus auf der anderen Seite
kollabierte mit der Auflösung eines der Protagonisten dieses instabilen
Gleichgewichts – ein Gleichgewicht, das vorschrieb, daß sich die beiden
Imperialismen nicht direkt gegenüberträten, aus Angst vor der gegenseitigen
Zerstörung, die die Atombombe unweigerlich hervorrufen würde.
Die kapitalistische Ideologie, die ebenso materialistisch und
imperialistisch war wie ihr kommunistischer Gegner, d.h. jeglichen Gefühls für
Geistigkeit und Erhabenheit oder auch nur grundlegenden Humanismus beraubt,
war überzeugt, eine universelle Mission zu haben, welche die Vereinigten
Staaten als „die unentbehrliche Nation“, als „neues Jerusalem oder Rom“ für
das Wohl der Menschheit zu vollbringen habe.
Diese Mission wurde zu einem brutalen Imperialismus, der die Welt durch
Kriege zerstörte, die angeblich auf den besten Prinzipien beruhten und im
wesentlichen im „komplizierten“ Osten stattfanden, wo Millionen von Leben und
Besitztümern zerstört wurden.
Dieser Imperialismus traf zunehmend auf heftigen, immer wirksameren
Widerstand, der den neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten zu der logischen
Schlußfolgerung brachte, daß es künftig im Interesse der USA sei, diese
„endlosen Kriege“ zu beenden.
Allerdings prallte sein Pragmatismus des Geschäftsmanns mit der Ideologie
der amerikanischen Schattenregierung (Deep State) zusammen, die nicht
beabsichtigt, die Vormachtstellung des US-Dollars und der amerikanischen
Normen aufzugeben – eine Weigerung, aus der ihre hartnäckigen, arglistigen
Versuche hervorgingen, den Präsidenten der Vereinigten Staaten wegen
angeblicher geheimer Absprachen mit Rußland und jetzt für das, was er
angeblich in der Ukraine tat, des Amtes zu entheben.
Wir wollen hoffen, daß diese hartnäckigen Versuche, mit der sich die
Weltmacht Nummer eins lächerlich macht, nicht noch radikaler werden, um der
Menschheit und um der Vereinigten Staaten willen, in deren Regieren
katastrophale Störungen zutage treten, die Folgen hat für eine Welt, die über
die Inkohärenz der amerikanischen Exekutive entsetzt ist.
Und so übernimmt der Realismus der aufkommenden oder wieder aufkommenden
Mächte Rußland, China, Indien, Pakistan, Afrika und Lateinamerika die Führung.
Sie verteidigen ihre Interessen und organisieren sich in politischen,
wirtschaftlichen und sogar strategischen Organisationen wie BRICS oder der SCO
(Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit), welche die Welt verpflichten,
die reine Ideologie aufzugeben und zum Pragmatismus der Nationen des
Westfälischen Friedens zurückzukehren, die sich gegen die Imperien stellen und
ihre pragmatischen Interessen verteidigen, während sie gleichzeitig die der
anderen verstehen und respektieren.
Für Europa wäre es weise, sich von diesem Realismus inspirieren zu lassen
und eine einengende und lähmende Ideologie aufzugeben, die es ohnmächtig und
unfähig macht, in allen größeren Krise eine Rolle zu spielen oder auch nur
seine eigenen Interessen zu verteidigen. Europas Unfähigkeit, den USA im Iran
entgegenzutreten, ist ein trauriges Beispiel dafür, seine Unterwerfung unter
das Kommando und die Normen der USA innerhalb der NATO ein weiteres.
Donald Trump, der Anti-Ideologe
Donald Trumps jüngste Rede vor der UN-Vollversammlung ist in dieser
Hinsicht äußerst bedeutsam, weil er die verschiedenen Formen von Patriotismus
und Souveränitätsstreben, die rund um den Globus Aufsehen machen, verteidigte
und hinzufügte, ihnen gehöre die Zukunft. Diese Erklärung für den Patriotismus
auf der Welt fand so gut wie keine Erwähnung in den französischen Medien, die
unter der Kontrolle der Finanzoligarchie stehen, die gegen diese Sichtweise
ist. Dahingegen zeigt sich, daß Donald Trump die Botschaft der „Gelbwesten“
und anderer, die anderswo der gleichen Linie folgen, verstanden hat, besonders
derjenigen, die ihn wählten. Insofern war seine Intervention entscheidend.
Das syrische Beispiel
Der syrische Präsident Baschar al-Assad hatte nicht unrecht, als er einen
ausgezeichneten Vortrag über Geopolitik vor einer internationalen Delegation
von Gewerkschaftern hielt, die am 10. September nach Syrien gekommen waren, um
ihrer Unterstützung für die syrischen Arbeitnehmer Ausdruck zu verleihen.
Die syrische Krise, sagte er, mobilisiere alle Elemente des weltweiten
Widerstands freier und souveräner Völker gegen die von der Wall Street und der
Londoner City angeführte Finanzwelt, während Europa keinen Weg finde, sich von
deren Bevormundung zu emanzipieren und seine Grundlagen völlig neu zu ordnen.
Als Beispiel erwähnte Assad den französischen Präsidenten Macron, der von
dieser Oligarchie an die Macht gebracht worden war und der die traditionellen
Parteien abschaffte. Dieser Oligarchie könne er nur mit Worten entgegentreten,
doch letztendlich verstehe er, daß die Kräfte, die ihn an die Macht brachten,
kurz vor dem Ruin stehen.
Der allgemeine Aufschrei in der ganzen Welt sei die Revolte der Menschen
gegen die Finanzoligarchie, die die unteren und Mittelklassen in Europa, die
Gelbwesten in Frankreich und andere rund um den Globus, jüngst im Libanon,
auspreßt.
Die Arbeitnehmer aller Länder seien das Blut der Nationen, sagte Baschar,
und in Syrien habe man trotz des Krieges die sozialen Dienste aufrechterhalten
und die Arbeitnehmer nähmen an den politischen Beratungen und der Verwaltung
ihrer Angelegenheiten teil.
Die Weltkarte zeigt den Krieg zwischen dem finanziellen Reichtum in den
Händen einer winzigen Minderheit, die immer reicher wird, und der großen
Mehrheit der Besitzlosen. Die Militärbasen der USA verzweigen sich über den
Planeten, um die Vorherrschaft des Dollars zu verteidigen, wogegen Nationen
wie Rußland und China sich erheben. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem
Konflikt in Syrien und dem im Südchinesischen Meer, was Peking voll und ganz
bewußt ist.
Das chinesische Seidenstraßenprojekt
Die chinesische Initiative der Neuen Seidenstraße, auch als Ein Gürtel,
eine Straße (OBOR) bezeichnet, operiert unter der Perspektive, die Konflikte
zu beenden, die aus gegenteiligen Interessen entstehen, und damit auch die
Kriege. Das Ziel ist der Bau von Infrastruktur zu Land und zu Wasser und damit
die Schaffung von Synergien zwischen den lückenhaften Kapazitäten von Nationen
in Bezug auf natürliche Ressourcen und Finanzmittel, durch die Unterzeichnung
von Abkommen, bei denen jedes Land seine Interessen wiedererkennt – „Win-Win“:
jedes Land bekommt eine Rendite im Verhältnis zur getätigten Investition. Das
betrifft alle Bereiche menschlicher Aktivität, besonders in der
wissenschaftlichen Forschung, die es dem Menschen gestatten sollte, die
unverzichtbaren Technologien zu entwickeln, die für die menschliche
Entwicklung auf Erden, in den Ozeanen und im Weltraum erforderlich sind.
Lyndon LaRouche, der Wegbereiter
Sein humanistischer und erfindungsreicher Geist brachte den Amerikaner
Lyndon LaRouche 1975 dazu, ein Projekt mit der Bezeichnung „Oasenplan“
vorzuschlagen, einen Plan zur Nutzung und Ausweitung der Wasserressourcen des
Nahen Ostens, mit großem Nutzen für Ägypten wie auch Jordanien und Syrien, den
Libanon, Palästina und Israel. Die beiden letzteren, durch ihre geographische
Nachbarschaft harmonisch vereint, sollten die Wasserressourcen der Region für
große Projekte zur Verbindung der Wasserwirtschaft zwischen Totem Meer, Rotem
Meer und Mittelmeer mobilisieren. Zusätzliche, neue Ressourcen sollten durch
den Bau von nuklearen Wasserentsalzungsanlagen geschaffen werden, die man auf
beiden Seiten errichten würde und deren Frischwasser sich alle Seiten teilen
würden. Dieses Projekt, das der ganzen Region zu Nutzen gekommen wäre und eine
der Konfliktursachen beseitigt hätte, wurde von den Kräften in den USA und in
Israel, die gegen Frieden waren, verunglimpft und schließlich verworfen.
Realismus gegen Ideologie
Wie General De Gaulle in seiner Ansprache an der Universität von Mexiko
1966 sagte, liegt die Zukunft der Welt, wenn sie sich nicht in einem
schrecklichen nuklearen Holocaust selbst zerstört, dort, wo der Schutz des
Menschen der Endzweck ist, und das bedeutet die Zusammenarbeit zwischen den
Nationen und Hilfe der Stärksten für die Schwächsten. Ich zitiere:
„Wahrlich, jenseits der Entfernungen, die schrumpfen, jenseits der
Ideologien, die schwächer werden, und der politischen Systeme, die an Kraft
verlieren, ist – wenn die Menschheit sich nicht eines Tages in einer
ungeheuren Selbstzerstörung vernichtet – die Einheit des Universums die
Wahrheit, die die Zukunft beherrschen wird. Eine Sache, die des Menschen; eine
Notwendigkeit, die des weltweiten Fortschritts und deshalb der Hilfe für jene
Länder, die sich entwickeln wollen; eine Pflicht, die des Friedens – diese
bilden die eigentliche Grundlage für die Existenz unserer Gattung.“
|