Die Hong Kong-Zhuhai-Macau-Brücke – für China und die Welt
Von Michael Billington
Im Juli wird am Perlfluß-Delta die bisher weltweit längste
Brücken-Tunnel-Verbindung über das offene Meer eröffnet.
Wenn nichts Unvorhergesehenes geschieht, wird am 1. Juli 2018 die längste
Brücke der Welt zusammen mit dem längsten Unterwasser-Straßentunnel der Welt
offiziell für den Verkehr freigegeben. Es ist keine große Überraschung, daß es
China ist, das diese beeindruckende Leistung der Ingenieurskunst vollbringt –
dort wurden im letzten Jahrzehnt die meisten neuen Weltrekorde dieser Art
aufgestellt. Die 55 km lange Brücken-Tunnel-Verbindung verbindet die frühere
britische Kolonie Hongkong mit der früheren portugiesischen Provinz Macau und
der benachbarten Stadt Zhuhai und quert dazu das offene Meer an der Mündung
des Perlflusses, die auch Lingdingyang-Kanal genannt wird.
Es gibt dazu im Internet eine schöne englischsprachige Dokumentation des
chinesischen Fernsehsenders CGTN mit dem Titel „Hong Kong-Zhuhai-Macao
Bridge“ (https://www.youtube.com/watch?v=_kQ_CrKoU7k), in der viele
Beteiligte zu Wort kommen. Peter Wu, Vizepräsident von China Construction
America, dem Tochterunternehmen des größten Baukonzerns der Welt CSCE (China
State Construction Engineering) wird dort in New York City interviewt und
sagt:
„New York wurde das, was es heute ist, durch den Bau dieser Brücken. Vom
Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre schufen Ihre Ingenieure
viele Wunder – u.a. die Brooklyn Bridge, die George Washington Bridge, den
Lincoln Tunnel, den Holland Tunnel, den Grand Central-Bahnhof, den JFK
Flughafen –, und heute noch profitiert die ganze Welt von diesen Innovationen
der Ingenieurskunst.“
Der Chefkonstrukteur der Hong Kong-Zhuhai-Macau-Brücke (HKZM), Meng
Fanchao, fährt zum gleichen Thema fort:
„Vor den 1970er Jahren, wo war da das Weltzentrum des Brückenbaus? In
Europa und Amerika. Von den 1970er Jahren bis Anfang des 21. Jahrhunderts? In
Japan. Als ihre Wirtschaft in Schwung kam, bauten die Japaner einige der
großartigsten Meeresbrücken und -tunnel. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts kann
man sagen, daß dieses Zentrum in China liegt.“
Bild: Xinhua/Liang Xu
Luftaufnahme der Hong Kong-Zhuhai-Macau-Brücke im Dezember 2017
Die Geburt eines Großprojektes
Der erste Vorschlag für das Brückenprojekt kam 1983 von Gordon Wu, dem
Gründer des Konzerns Hopewell Holdings in Hongkong. Schon bald nach der
Rückgabe der Souveränität über Hongkong an China 1997 bot China seine
Unterstützung für das Projekt an, und 2003 reiste Hongkongs Verwaltungschef
Donald Chang nach Beijing, um dort die „Koordinationsgruppe zur Beschleunigung
der Arbeiten für die HKZM-Brücke“ zu gründen. 2008 verpflichteten sich die
chinesische Zentralregierung und die lokalen Verwaltungen, 42% der Kosten zu
übernehmen, der Rest sollte durch einen Kredit der Bank of China aufgebracht
werden; später wurde der Anteil der Verwaltungen auf 22% reduziert, 78% kamen
von einem Bankenkonsortium unter der Führung der Bank of China.
Der Bau begann 2009 und sollte eigentlich 2016 fertiggestellt sein, aber
Proteste von Umweltschützern, allen voran der von London gesteuerte World Wide
Fund For Nature (WWF), verzögerten das Projekt. Der WWF veröffentlichte 2009
einen Bericht mit dem Titel „Die Hong Kong-Zhuhai-Macau-Brücke ist ein
gefährliches Experiment mit den chinesischen Weißen Delphinen“. In der
CGTN-Dokumentation wird beschrieben, welche Maßnahmen daraufhin zum
Schutz der Delphine ergriffen wurden, u.a. um den Baulärm zu reduzieren. Diese
und andere unvorhergesehene Probleme verzögerten den ursprünglich geplanten
Ablauf, dennoch bleibt die Fertigstellung dieses gewaltigen Vorhabens
innerhalb eines Jahrzehnts eine erstaunliche Leistung.
Das Projekt schafft nicht nur eine Verkehrsverbindung zwischen den früheren
kolonialen Außenposten der Europäer, Hongkong und Macau, es fördert auch die
Wiedervereinigung der Menschen dieser früheren Kolonien mit den
Festlandchinesen. Das rechtliche Verhältnis der Zentralregierung zu den
früheren Kolonien beschreibt der Ausdruck „Ein Land, zwei Systeme“. Die
örtlichen Verwaltungen von Hongkong und Macau genießen einen hohen Grad von
Autonomie, in dem Wissen, daß die wirtschaftlichen und kulturellen
Unterschiede nur über einen langen Zeitraum abgebaut werden können. Die
Tausenden Ingenieure und Facharbeiter, die die Brücke bauen, kommen aus allen
Teilen Chinas, um für ein gemeinsames Ziel zu arbeiten – die Steigerung der
gewaltigen Produktivität dieser Region am Delta des Perlflusses, die schon
jetzt 10% von Chinas Wirtschaftsprodukt erzeugt.
Der Chefingenieur des Baus, Su Quangke, sagt in der
CGTN-Dokumentation: „Wir haben eine Verbindung, ein Bindeglied
geschaffen. Es ist mehr als nur eine Verkehrsverbindung. Es verbindet unsere
Gedanken, unsere Gefühle und das Gute, das wir gemeinsam in diesen Jahren
geschaffen haben. Es verbindet unsere technischen Normen, unsere Regulierungen
und unser Denken.“ Der Chefkonstrukteur Meng Fanchao sagt: „Die Brücke hatte
auch eine symbolische Bedeutung – die Ästhetik der Brückenbaukultur steht klar
im Mittelpunkt. Jeder, der sie gesehen hat, wird wahrscheinlich zustimmen: Das
ist mehr als eine menschengemachte Struktur, es vermittelt Kultur.“
Die Präsidentin des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, die in China
die „Seidenstraßen-Lady“ genannt wird, hat im letzten November die weitgehend
fertiggestellte Brücke besichtigt, nachdem sie bei einem Forum über die
Maritime Seidenstraße des 21. Jahrhunderts gesprochen hatte. Nach ihrer
Rückkehr nach Deutschlands beschrieb sie ihre Eindrücke:
„Der absolute Höhepunkt war für mich die Fahrt über die neue Meeresbrücke.
Sie ist wirklich ein absolutes Meisterwerk der Ingenieurskunst. Sie mußten 120
neue Patente erfinden, um diese Brücke bauen zu können. So hat sie
beispielsweise Tunnel und künstliche Inseln, und ein Teil des Untergrundes in
dem Gebiet ist sehr weich, sodaß sie neue Techniken entwickeln mußten, um
Zylinder in den Boden zu treiben. Es war einfach unglaublich. Sie brauchten
nur acht Jahre, um diese unglaubliche, sehr, sehr schöne und moderne Brücke zu
bauen. Und wenn man das beispielsweise mit der erbärmlich langsamen
Geschwindigkeit vergleicht, mit der in Deutschland und anderswo Autobahnen
erneuert werden, dann zeigt das wirklich den Geist der Neuen Seidenstraße und
die Idee des chinesischen Wirtschaftswunders. Früher war das so in
Deutschland, als wir das deutsche Wirtschaftswunder hatten, aber die Menschen
hier haben das vergessen. Ich denke, wir brauchen eine völlig neue Sichtweise,
wie man Dinge aufbaut, wie wir unsere Infrastruktur wiederaufbauen. Und da
können wir jetzt wirklich eine Menge von den Chinesen lernen.“
Die technischen Daten der Brücke sind atemberaubend. Der Hauptabschnitt der
Brücke ist 22,9 km lang, davon sind drei Abschnitte Hängebrücken mit
Spannweiten zwischen 280 m und 460 m Länge. Ursprünglich war sogar geplant,
eine einzige Brücke über die ganze Distanz zu bauen, das hätte eine 80 m hohe
Brücke und 200 m hohe Türme erfordert, um den 4000 oder mehr Schiffen, die
täglich die Flußmündung passieren, die Durchfahrt zu ermöglichen. Aber da der
Internationale Flughafen von Hongkong ganz in der Nähe liegt, durften die
Brückentürme nicht höher sein als 88 m, um die Sicherheit des Flugverkehrs
nicht zu gefährden. Deshalb mußte der 6,7 km lange Tunnel gebaut werden, was
nicht nur eine gewaltige ingenieurstechnische Leistung ist, sondern zusätzlich
den Bau zweier künstlicher Inseln an den beiden Tunnelenden erforderlich
machte.
Da der Meeresboden sehr weich ist, mußten entlang der eiförmigen Perimeter
dieser künstlichen Inseln 120 gewaltige Stahlzylinder in den Meeresboden
getrieben werden. Jeder dieser Zylinder hat einen Durchmesser von 22,5 m, eine
Höhe von 55 m und ein Gewicht von 550 Tonnen. Die Zylinder wurden in Shanghai
hergestellt, und für jeden mußten 72 Teile verschweißt werden – insgesamt
wurden 12.960 jeweils 6 Tonnen schwere Platten verwendet.
Bild: Regierung der Sonderverwaltungszone Hong Kong
Die 55 km lange neue Brücken-Tunnel-Verbindung verbindet die frühere
britische Kolonie Hongkong (rechts) mit der früheren portugiesischen Provinz
Macau und der benachbarten Stadt Zhuhai (links).
Es gibt eine ausgezeichnete englischsprachige PowerPoint-Präsentation über
diese Arbeiten und die technischen Aspekte des Brückenbaus von Albert Young
von der Ingenieursfakultät der Universität Hongkong unter: http://news.ntu.edu.sg/rc-ntujtc/Documents/20171123%20HZMB-Singapore-2.pdf
Der chinesische Traum
Die CGTN-Dokumentation endet mit einer poetischen Zusammenfassung
der historischen Bedeutung dieses gewaltigen Projekts:
„Brücken überwinden Hindernisse. In der Geschichte haben sie immer wieder
Menschen einander nähergebracht. Die HKZM-Brücke verbindet das chinesische
Festland mit Hongkong und Macau. Sie verbindet auch China mit der Welt.
Aber diese Brücke verbindet nicht nur Regionen miteinander – sie verbindet
Chinas Vergangenheit und Gegenwart mit der Zukunft. Nach fast 70 Jahren
Entwicklung hat sich China aus einem Küken, das gerade erst flügge wurde, zu
einem großen Vogel entwickelt, der seine Schwingen ausbreitet und in den
Himmel steigt. Der Einfluß der chinesischen Maßstäbe und des Begriffs ,Made in
China’ macht sich überall auf der Welt zunehmend bemerkbar. Die HKZM-Brücke
ist das jüngste und beeindruckendste Symbold des chinesischen Traumes.“
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