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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
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Opernproduktion in der Verdi-Stimmung mit Anklang an Furtwängler

Im Juli und August 2018 veranstaltete das von der Sopranistin Leena Malkki-Guignard geführte schwedische Ensemble „Opernfabrik“ eine sehr ungewöhnliche Inszenierung von Vincenzo Bellinis Oper Norma (1831) in der auch als „Verdi-Stimmung“ bekannten wissenschaftlichen Stimmung a’=432 Hz. Sie wurde zweimal am Ystat-Theater in Schweden, zweimal am Theaterhaus Helsingör in Dänemark und einmal im Palladium in Malmö in Schweden aufgeführt. Es war die erste Bühneninszenierung von Norma in der Verdi-Stimmung außerhalb Italiens seit dem Zweiten Weltkrieg.

Malkki-Guignard holte den deutschen Dirigenten Jochen Heibertshausen und den italienischen Geiger Marco Sanna hinzu, so daß die drei Künstler ihre jeweiligen Einsichten und Talente in das Projekt einbringen konnten. Die drei hatten sich durch die Zusammenarbeit mit dem Schiller-Institut kennengelernt, als sie im Rahmen der jüngsten internationalen Konferenz des Instituts in Bad Soden gemeinsam musizierten. Heibertshausen hat sich intensiv mit dem musikalischen Verständnis Wilhelm Furtwänglers beschäftigt und verwendet beim Dirigieren Furtwänglers Methode, Sanna leitet das Geminiani-Streichensemble in London, das ausschließlich in der Verdi-Stimmung spielt. Obwohl die Produktion mit einem kleinen Budget auskommen mußte, war es eine vollständige Aufführung mit Bühnenbild, Kostümen und Beleuchtung, begleitet von einem Orchester aus 13 Musikern. Es gibt einen Videomitschnitt der Ouvertüre im Internet (https://www.youtube.com/watch?v=ACJsCEGCfwk&feature=youtu.be).

Malkki-Guignard sang selbst die Titelrolle der Norma, die übrigen Sänger kamen aus Schweden und Dänemark, ein Sänger kam aus Georgien.

Das ganze Projekt war für alle Beteiligten ein großes Lernerlebnis. Es erwies sich für die Musiker als eine große Herausforderung, für einige war es vermutlich sogar ein Kulturschock. Die Verdi-Stimmung gab den Sängern die Freiheit, zu singen, ohne ihre Stimmen zu überanstrengen, und sie gab dem Orchester einen runderen, weniger grellen Klang. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, daß die Stimmung der Instrumente auf c’=256 Hz (entspricht a’=432 Hz) der natürlichen Harmonik der menschlichen Singstimme entspricht.

Heibertshausen fügte noch eine weitere Dimension hinzu. Er wollte, daß die Musiker den Furtwängler-Ansatz verstehen. Wilhelm Furtwängler dirigierte nie „auf dem Punkt“, er bereitete mit seinem Dirigat den Klang vor. Bei dieser Form der Aufführung reagieren die Musiker nicht auf die Impulse, sondern sie atmen und spielen im gleichen Moment mit dem Dirigenten. Das gibt den Dirigenten die Möglichkeit, die Musik spontan zu gestalten, verlangt aber von allen Musikern größte Aufmerksamkeit, nichts ist mechanisch. Furtwänglers Anforderung an den Orchesterklang, wie sie Heibertshausen bei dieser Opernaufführung einführte, erwies sich als eine große Herausforderung. Zu dieser besonderen Aufmerksamkeit auf die Vorbereitung der Note kam noch der Anspruch hinzu, die Töne durchweg „singend“ zu spielen – singend im Sinne des Belcanto, mit Vibrato und sonorem Klang selbst in den leisen Passagen. Die Musiker brauchen geraume Zeit, ihre Aufführungsgewohnheiten abzulegen, aber als sie dann alle diese Methode verinnerlicht hatten, klang das kleine Orchester viel größer. Es gab wundervolle Momente, die man nur als etwas beschreiben kann, „was man nicht proben kann“.

Daß diese Methode eine Herausforderung darstellt, zeigte sich nicht nur bei der Produktion, sondern auch später in einer Reaktion, nachdem ein Ausschnitt aus der Aufführung ins Internet gestellt worden war. Ein Zuschauer beschwerte sich in einem Kommentar, daß der Klang des Orchesters schon vor Heibertshausens Schlag zu hören sei, der Dirigent behandle das Orchester wie einen Spiegel. Eine meiner Meinung nach faire Antwort darauf hat Dr. Hans Keller gegeben, der in einem kurzen Film über Furtwängler auf die Ansicht von Kritikern einging, die Furtwängler vorwarfen, er sei unpräzise. „Die Kritik ist gerechtfertigt, aber die Einschätzung ist falsch.“ Tatsächlich entsteht diese „Spiegelung“ dadurch, daß der Dirigent und das Orchester die Musik gleichzeitig gestalten, was dann manchmal so ausschaut, als wäre das Orchester dem Dirigenten voraus, was beim Musizieren unmöglich erscheint. Aber es ist eher wie bei einem Streichquartett, wo alle vier Spieler genau zusammen sind und trotzdem spontan gestalten können.

Die Opernsänger und Musiker brauchten mehrere Aufführungen, bis sich der neue Ansatz bei ihnen wirklich „gesetzt“ hatte. Aber bei dieser vierten Aufführung gab es dann geradezu magische Momente, die an die sonoren und organischen Aufführungen Furtwänglers erinnerten.

Dieses Opernprojekt war ein guter Anfang für etwas, was man als ein wahrhaftiges und wissenschaftliches Streben nach Schönheit in der klassischen Kunst bezeichnen kann, und es wird hoffentlich noch mehr von diesen mutigen Musikern zu hören sein.

Benjamin Lylloff