Das Zusammenfallen der Gegensätze – die Welt von Morgen
Von Helga Zepp-LaRouche
Auf der Konferenz des Schiller-Instituts am 30.6-1.7. 2018 hielt dessen
Präsidentin Helga Zepp-LaRouche die programmatische Eröffnungsrede. Hier ist
die Übersetzung ihres auf englisch gehaltenen Vortrags.
Meine Damen und Herren, liebe Freunde des Schiller-Instituts!
Nach dem historischen Gipfeltreffen zwischen Präsident Trump und dem
Vorsitzenden Kim Jong-un, das die Welt überraschte, hatte ich den Vorschlag
gemacht, daß man mit diesem Modell eine feindselige Beziehung – und wir
standen tatsächlich am Rande eines möglichen globalen Kriegs – in das genaue
Gegenteil, nämlich Kooperation, verwandeln kann, wenn es den guten Willen dazu
gibt und die Großmächte zusammenarbeiten. In diesem Fall haben die Vereinigten
Staaten, China und Rußland im Hintergrund zusammengewirkt, damit der Gipfel
möglich wurde.
Ich schlug deshalb vor, daß der EU-Gipfel, der jetzt gerade zu Ende
gegangen ist, nur einen Tagesordnungspunkt haben sollte, nämlich die
Entwicklung Afrikas durch die Neue Seidenstraße. Die EU sollte dazu den
chinesischen Präsidenten Xi Jinping und etwa sechs Staatschefs afrikanischer
Länder, die bereits mit China zusammenarbeiten, einladen und ein Crashprogramm
zur Industrialierung Afrikas verkünden, um so die Neue Seidenstraße auf alle
diese Länder auszudehnen.
Aufgrund der Anwesenheit von Präsident Xi Jinping, der in Afrika einen sehr
guten Ruf genießt, hätte dies absolute Glaubwürdigkeit und bedeutete, daß man
es ernst meint. Alle jungen Menschen in Afrika erhielten so die Hoffnung, daß
sie sich am Aufbau ihrer Länder beteiligen können. Für Europa wäre dies der
einzige menschenwürdige Weg, die Flüchtlingskrise zu lösen.
Mein Vorschlag wurde in zehn oder mehr Sprachen übersetzt – die meisten
europäischen Sprachen, russisch, chinesisch, japanisch, koreanisch – und
erhielt international eine weite Verbreitung. Hatte ich geglaubt, daß dies ein
realistisches Programm für die EU wäre? Sicherlich nicht. Aber ist dies die
richtige Idee, die unbedingt vorangebracht werden sollte? Ja.
Schließlich ließe sich ein solcher Gipfel von einer Kombination von Ländern
jederzeit einberufen. Auch auf der UN-Generalversammlung im September könnte
darüber diskutiert werden.
Inzwischen wurde zwischen Präsident Putin und Präsident Trump ein weiterer
Gipfel bestätigt, der am 16. Juli, nach dem NATO-Treffen, in Helsinki
stattfinden soll. Ein Thema wird wahrscheinlich eine amerikanisch-russische
Absprache über die Zukunft Syriens sein, vielleicht sogar ein umfassender Plan
für Südwestasien. Außerdem wird darüber gesprochen werden, daß man eine
globale nukleare Abrüstung braucht, was der russische UN-Botschafter Antonow
gegenüber den Vereinigten Staaten geltend machte. Gleichzeitig stellte
Präsident Putin jedoch klar, daß er für eine globale Denuklearisierung von
einer Position der Stärke eintrete, denn auf einer Pressekonferenz im Kreml am
1. März hatte er gesagt, Rußland sei bei einigen Waffensystemen dem Westen um
Jahre, wenn nicht Jahrzehnte voraus. Inzwischen haben sich bereits die
Generäle Dunford und Gerasimow in Helsinki getroffen, um den Gipfel
vorzubereiten.
Das neoliberale Establishment des Westens ist darüber völlig entsetzt.
Die Welt und die Londoner Times sprachen von einer
„apokalyptischen Entwicklung“. Besonders entsetzt ist man über die
Möglichkeit, daß Trump die US-Truppen in Europa reduzieren könnte – was
offensichtlich eine gute Sache wäre, aber die geopolitische Fraktion geriet
über diese Frage völlig außer Kontrolle.
Die Reaktion des Westens auf etwas, was jede friedliebende Person begrüßen
würde, nämlich daß sich die Beziehung zwischen den Großmächten – China,
Vereinigte Staaten und Rußland – verbessern, zeigt, daß etwas anderes
erforderlich ist: Wir brauchen ein ganz neues Paradigma im Denken, wenn es um
die Beziehungen zwischen den Nationen geht.
Das Drama der Flüchtlingskrise
Kommen wir jetzt zur Flüchtlingskrise zurück. Nach Angaben des
Jahresberichts des UN-Flüchtlingswerks, in dem Ende 2017 die globalen Trends
veröffentlicht wurden, gab es 68,6 Mio. Vertriebene auf der Welt, das ist fast
die Größe der deutschen Bevölkerung. 2017 gab es 16,2 Mio. neue Flüchtlinge:
44.500 neue Flüchtlinge jeden Tag oder 1 Person jede Sekunde. Wir sollten
dabei bedenken, daß jedes einzelne dieser Individuen Menschen sind, wie ich
und Sie alle hier im Raum. Das sind keine abstrakten Zahlen, sondern dies sind
Menschen wie Ihr Nachbar, Ihr Freund, Ihre Angehörigen.
Die EU hat auf ihrem jüngsten Treffen eine Vielzahl sehr vager Beschlüsse
gefaßt; so sollen Auffanglager entstehen, Frontex wird militarisiert und
ähnliche Maßnahmen, die sämtlich so barbarisch wie unausführbar sind. Die
EU-Außengrenzen sollen geschlossen werden, Frontex soll ein robustes Mandat
erhalten und viel Geld soll ausgegeben werden. EU-Parlamentspräsident Tajani
verlangte, daß man 6 Mrd. Euro ausgeben sollte, allein um das Mittelmeer vor
Libyen zu schließen. Ex-NATO-General Egon Romms forderte sogar ein
Bundeswehrmandat, um Frontex zu unterstützen. Andere wollen, daß die NATO
eingeschaltet wird. Auffanglager sollen zunächst auf europäischem Boden,
später auch in Afrika eingerichtet werden.
Das Problem dabei ist jedoch, daß keines der betroffenen Länder solche
Lager haben will, weder Ägypten noch Libyen, Marokko, Tunesien oder Algerien.
Auch die Albaner und Mazedonier wollen sie nicht. Libyen will solche Lager
südlich seiner Grenzen in Ländern wie Niger und Mail einrichten, wo es
keinerlei Infrastruktur gibt – dort ist nur Wüste.
Nach einem Bericht im deutschen Fernsehen hat die algerische Regierung
13.000 Flüchtlinge ohne Nahrung und Wasser, ohne Handys oder Geld zurück in
die Sahara geschickt. Bei 48°C mußten die Menschen zu einem kleinen Dorf in
Niger wandern. Es waren schwangere Frauen und Kinder darunter, viele von ihnen
wurden nicht mehr wieder gesehen. Die algerische Regierung hat abgestritten,
daß dies wahr sei. Es mag stimmen oder nicht – in unserer Welt von fake
news weiß man das nie.
Aber ich bin mir sicher, daß dies immerzu passiert. Die Menschen wandern
durch die Sahara, sterben, und niemand berichtet darüber. Papst Franziskus
verglich diese Lager, zum Beispiel in Libyen, über die die Regierung keinerlei
Kontrolle hat, wo die Menschen gefoltert, vergewaltigt, verstümmelt und als
Sklaven verkauft werden, mit Konzentrationslagern, die jenen in
Nazi-Deutschland während des Zweiten Weltkriegs gleichkommen.
Natürlich hat jeder Staat das Recht, seine Grenzen zu schützen, aber man
kann nicht das Recht auf Leben, das Recht auf Asyl und das Elend der
Flüchtlinge einfach ignorieren. Der albanische Ministerpräsident Edi Rama wird
keine solchen Lager dulden; er ist dagegen, daß Menschen, die niemand will,
wie Giftmüll abgeladen werden. Albanien will nicht der Wellenbrecher für die
Flüchtlinge sein.
Wenn man sich die Flüchtlingsdebatte in Europa anschaut, und in den letzten
Tagen gab es viele davon, so fragt man sich: Wo sind die „westlichen Werte“,
wo ist die „Demokratie“ geblieben? Was man bei der Flüchtlingskrise sieht, ist
die Verletzung der grundlegendsten Menschenrechte – das Recht auf Leben, das
Recht auf Asyl – vor den Augen der Weltöffentlichkeit.
Dem liegt eine grundlegende Änderung in unserem Menschenbild zugrunde, was
der russische Außenminister Lawrow einmal als „postchristliche Werte“
beschrieben hat – eine vollständige Abstumpfung von Empfindung, ein
vollständiger Verlust der Achtung für die Unantastbarkeit menschlichen Lebens.
Einige der schlimmsten Hardliner der sogenannten christlichen Parteien
sprechen von „Asyltouristen“ oder „Flüchtlings-Shuttleschiffen“, was eine
pathologische Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden und Sterben von Menschen
ausdrückt.
Der Niedergang des Westens
Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte Konrad Adenauer die CDU ausdrücklich als
christliche Partei mit christlichen Werten als Bollwerk aufbauen, damit sich
die Greuel der Nazis nie wiederholen würden. Heute spricht der Spiegel
von „Faschismus“, wenn es um Präsident Trump geht; aber dessen Politik
unterscheidet sich in nichts von der der EU. Wie ist das möglich?
Dazu müssen wir zu dem Paradigmenwandel zurückkehren, der sich im Westen
vollzogen hat. Schritt für Schritt sind wir von dem, was Adenauer meinte, zu
der Nullwachstums-Ideologie übergegangen, wie sie vom Club of Rome, dem World
Wildlife Fund und der Umweltbewegung vertreten wird. Danach leben wir in einer
Welt mit begrenzten Ressourcen und einem geschlossenen System; darin ist jeder
Mensch eine Belastung für die Natur. Die weitere Eskalation kam mit der
völligen Deregulierung der Märkte, der zunehmenden Macht der Wall Street und
der City of London, der Vorherrschaft des neoliberalen Dogmas, daß die Märkte
die oberste Autorität noch über Gott sind. Die Rolle des Staates war nicht
mehr, das Gemeinwohl zu schützen, sondern die Rechte der Banken und
Spekulanten durchzusetzen.
Das sah man besonders nach 2008, mit der vollständigen Deregulierung des
Finanzsystems, das zum Selbstbedienungsladen für die Reichen auf Kosten der
Mehrheit der Bevölkerung wurde. Das Gemeinwohl wurde zusammengestrichen,
sämtliche Bereiche des Lebens und der Wirtschaft wurden privatisiert, und die
Ungleichheiten stiegen dramatisch an.
Der Mensch wurde zum Gegenstand von Kosten-Nutzen-Analysen; es verbreitete
sich die Vorstellung, daß es keine wißbare Wahrheit mehr gebe, nur noch
postfaktische Meinungen, nach denen die gesamte Realität dem Wettbewerbsmodell
der Wirtschaft unterworfen wird. Selbst die Demokratie mußte den Märkten
angepaßt werden. Frau Merkel hat ja einmal gesagt, daß wir zwar in einer
Demokratie leben, die aber müsse marktkonform sein. Nach den jüngsten Wahlen
in Italien sagte außerdem EU-Kommissar Oettinger, der über den Wahlsieg von
Lega und Fünfsternepartei erbost war: „Die Märkte werden den Italienern schon
lehren, wie sie zu wählen haben“ – was die völlige Arroganz des neoliberalen
Establishments zeigt. Dieses ist völlig unfähig, die Ursachen für den
Niedergang des westlichen Modells zu erkennen. Für diesen Niedergang sind
nicht China oder Putin verantwortlich, sondern einzig und allein die Politik
des Westens.
Als die Sowjetunion 1989-90 die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands
zuließ, gab es die Möglichkeit, eine ganz andere Richtung einzuschlagen. Und
nach dem Zerfall der Sowjetunion gab es die Chance auf eine Friedensordnung
für das 21. Jahrhundert, denn ein Block hatte sich aufgelöst, und es gab
keinen Feind mehr.
Schon 1988 hatte mein Ehemann Lyndon LaRouche – in weiser Voraussicht des
baldigen Endes der Mauer – die schnelle Wiedervereinigung Deutschlands mit
Berlin als Hauptstadt vorhergesagt und vorgeschlagen, Polen als Modell für den
gesamten Comecon mit westlichen Technologien zu entwickeln. Nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion schlugen wir dann vor, das sogenannte Produktive
Dreieck Paris-Berlin-Wien nach Eurasien auszudehnen. Wir nannten dies die
Eurasische Landbrücke – das, was heute zur Neuen Seidenstraße wird.
Schon früher hatte Lyndon LaRouche eine Internationale Entwicklungsbank und
einen Oasenplan für Südwestasien vorgeschlagen; er arbeitete mit Lopez
Portillo bei einem Integrationsplan für Lateinamerika, genannt Operation
Juarez, zusammen. Wir arbeiteten mit Indira Gandhi an einem 40-Jahresplan für
Indien, wir arbeiteten an einem 50-Jahresplan für das Pazifische Becken.
Außerdem hat mein Ehemann die Strategische Verteidigungsinitiative entworfen –
die etwas ganz anderes war, als die Medien sie darstellten und bei der es auch
um einen gigantischen Technologietransfer in den Entwicklungssektor ging.
Wenn das neoliberale Establishment das Lebenswerk von Lyndon LaRouche
gewürdigt hätte, wäre Afrika heute, das kann ich Ihnen versichern, ein
blühender Kontinent, und die Welt sähe ganz anders aus. Statt dessen sagte man
sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion: „Okay, der Kommunismus ist jetzt
besiegt, dann können wir jetzt eine unipolare Welt aufbauen – das Projekt für
ein Neues Amerikanisches Jahrhundert. Unterziehen wir Rußland einer
Schocktherapie und tauschen wir alle Regierungen, die sich dem widersetzen,
durch Farbrevolutionen aus. Weg mit dem Glass-Steagall-Gesetz, und wir
erfinden Lügen, um humanitäre Interventionskriege zu führen.“
All das führte zu der Flüchtlingskrise im Nahen Osten und zur Verarmung des
Entwicklungssektors und auch von Südeuropa. Das ist die westliche Politik der
letzten 20-30 Jahre, mit dem Ergebnis, daß das westliche System jetzt
kollabiert. Es kam zur Revolte von innen: der Brexit, die Wahl Trumps, die
Wahlen in Österreich, die Rebellion der Visegrád-Staaten in Mittel- und
Osteuropa. Wenn es jetzt zu einer Merkelschen Lösung all dieser Probleme
kommt, ist das völlig jenseits jeder Realität. Man wird sehen, was passiert,
denn das Ergebnis des eben beendeten EU-Gipfels ist sehr vage; alles ist
freiwillig, und es wird viele bilaterale Verhandlungen geben. Man muß
abwarten, ob Herr Seehofer dies akzeptabel findet, denn vor dem Gipfel
erklärte er, wenn die CSU vor Merkel kapituliere, könne sie das Requiem
zu singen anfangen. Es wäre zwar ein riesiger Fortschritt, wenn die CSU
endlich einmal klassische Musik sänge, aber Seehofer dachte dabei an die
anstehenden bayerischen Landtagswahlen.
Man wird wahrscheinlich versuchen, die Dinge noch einmal zu retten, aber
das führt zu nichts – vor allem deshalb, weil die Gefahr eines neuen
Finanzkrachs droht; sämtliche Finanzparameter sind etwa 40% schlechter als
2008. Der Schuldenstand, besonders bei den Unternehmen, und die
Level-3-Derivate stehen alle 40% schlechter. Es besteht deswegen die Gefahr
eines Absturzes ins Chaos.
Vor ein paar Tagen beschlossen die Verteidigungsminister von neun
EU-Ländern, eine europäische Eingreiftruppe zu schaffen, um mit den Krisen auf
der Welt umzugehen – eine ziemliche Anmaßung, wenn man es noch nicht einmal
schafft, die gesamte EU hinter einem solchen Ansatz zu vereinigen. All das
zeigt indes, daß von der EU und vom Westen insgesamt keine positive Initiative
ausgeht, um die strategischen Probleme auf der Welt anzugehen.
Die ganz andere Perspektive
Aber es gibt eine ganz andere Politik und Perspektive. Vor fast fünf Jahren
hat Präsident Xi Jinping die Neue Seidenstraße auf die Agenda gesetzt, als
Mittel zur Wiederbelebung der antiken Seidenstraße, die dem Austausch von
Gütern, Kulturen und Technologien diente und das Leben aller beteiligten
Länder verbesserte. Inzwischen ist die Neue Seidenstraße, auch Belt and Road
Initiative genannt, zum größten Infrastrukturprojekt der Welt geworden. Nach
Darstellung des chinesischen Außenministers Wang Yi sind daran bereits 140
Länder beteiligt, die auf einer Win-Win-Basis zusammenarbeiten. Sechs große
Korridore in Eurasien werden realisiert sowie Hunderte Projekte in Afrika,
Lateinamerika und Asien – Bahnstrecken, Industrieparks, Wasserkraft.
Aber das ist nicht nur ein Wirtschaftsprogramm. Präsident Xi nennt dies
eine „Gemeinschaft für die gemeinsame Zukunft der Menschheit“ – ein völlig
neues Modell von Beziehungen zwischen Nationen, die sich eine
Win-Win-Perspektive teilen, ihre nationale Souveränität und die
Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen achten. Das ist
ein ganz anderes soziales System.
Auf dem 19. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas entwickelte Xi
Jinping eine weltweit beispiellose Vision für die nächsten 35 Jahre. Bis 2020
soll in China sämtliche Armut verschwunden sein. Nachdem China bereits 700
Mio. Menschen aus der Armut befreit hat, betreibt die Regierung jetzt ein
gigantisches Programm, um sich um jeden einzelnen Haushalt zu kümmern, der
noch in Armut lebt, und man kann absolut sicher sein, daß ihnen dies gelingt.
Bis 2025 will China in mehreren Bereichen der Wissenschaft und Technologie
führend sein. Bis 2035 soll China ein vollständig modernisiertes
sozialistisches Land sein, und bis 2050 ein großes, modernes Land, blühend,
stark, demokratisch, kulturell entwickelt, harmonisch und schön, wo Reichtum
für jeden verfügbar ist. Die Chinesen werden glücklicher und sicherer leben
und ein aktives Mitglied der Weltgemeinschaft sein.
Es ist außerdem für alle Parteimitglieder absolut verpflichtend, sich dem
Gemeinwohl zu widmen, dem höchsten moralischen Standard zu folgen und sich mit
ganzem Herzen für die Verbesserung des Lebensstandards der ganzen Bevölkerung
einzusetzen. Xi Jinping berief sich auf die reiche kulturelle Tradition von
5000 Jahren und die wichtigen Beiträge, die China für die universelle
Entwicklung der Menschheit gemacht hat. Er nannte es den chinesischen Traum,
einen Beitrag dafür zu leisten, daß die gesamte Menschheit ein glücklicheres
Leben führen kann, und daß wir eine schönere Welt schaffen.
Die chinesische Wirtschaft basiert auf Innovation, das politische System
auf einer Meritokratie. Das gilt nicht nur für China selbst, denn China stellt
den Entwicklungsländern die modernsten Technologien zur Verfügung, besonders
im Bereich der Kernenergie, und es bietet allen die Kooperation bei der
Weltraumforschung an.
Dieses chinesische Modell der Neuen Seidenstraße ist offenbar sehr viel
attraktiver. Nach Jahrzehnten des Kolonialismus und der berüchtigten Auflagen
von IWF und Weltbank vergibt China heute an Afrika und andere
Entwicklungsregionen billige Kredite und sogar Zuschüsse. Zum ersten Mal kommt
in vielen Ländern Afrikas, Lateinamerikas und Asiens die Hoffnung auf, daß
Armut und Unterentwicklung überwunden werden können und Arbeitsplätze für
junge Menschen entstehen.
Die verschiedenen westlichen Denkfabriken, die den Fortschritt der Neuen
Seidenstraße mehr als vier Jahre lang arrogant ignoriert haben, sind nun
plötzlich aufgewacht und beobachten die unglaubliche Dynamik dahinter. Auf
einmal tauchen zahlreiche entrüstete Artikel auf, die behaupten, China
verfolge ganz andere Interessen, China sei ein autoritäres System usw.
Wenn man Leute im Entwicklungssektor fragt, denken sie genau das nicht. Sie
denken, China gebe ihnen zum ersten Mal Hoffnung. Das Problem ist, daß die
neoliberalen Eliten die Welt durch die geopolitische Brille sehen und sie
darauf ihre eigenen Intentionen projizieren. Da ihre eigene Politik
neokolonialistisch ist, können sie sich gar nicht vorstellen, daß es auf
diesem Planeten ein Land gibt, das sich um das Gemeinwohl der gesamten
Weltbevölkerung kümmert.
Konfuzius und Cusa studieren
Wenn China von einem Sozialismus mit chinesischen Charakteristiken spricht,
gehe ich persönlich davon aus, daß sich dies vor allem auf die 2500 Jahre des
Konfuzianismus bezieht, der in China die vorherrschende Philosophie ist,
ausgenommen nur die zehn Jahre der Kulturrevolution. Es ist unbedingt
erforderlich, Konfuzius zu studieren, denn er vertritt ein Menschenbild, das
dem alten Humanismus, den wir einmal in Europa hatten, sehr nahe kommt. Der
Konfuzianismus vertritt die Idee des lebenslangen Lernens, und jeder Mensch
hat das Potential, ein Junzi zu werden, was im wesentlichen ein Weiser
bedeutet. Dahinter steht die gleiche Idee wie die schöne Seele von Friedrich
Schiller: Wenn man sich durch lebenslanges Lernen entwickelt, gibt es Harmonie
in den Familien. Wenn jeder sein gesamtes Potential umsetzen kann, ermöglicht
dies Harmonie im Staat und Harmonie unter den Staaten.
Das geopolitische Establishment und die meisten normalen Bürger im Westen
sind völlig unfähig, sich das auf der konfuzianischen Philosophie basierende
Win-Win-Konzept vorzustellen, denn sie haben nur ein Nullsummenspiel im Kopf –
einer gewinnt, der andere verliert.
Es gibt einen westlichen Philosophen, der der beste Pädagoge ist, um uns
beizubringen, anders zu denken, und das ist Nikolaus von Kues mit seinem
Konzept der coincidentia oppositorum – des Zusammenfalls der
Gegensätze. In China ist er nicht bekannt; ich habe nur einen Professor für
vergleichende Religion gefunden, der ihn kennt. Dabei war Nikolaus von Kues
nicht nur ein religiöser Mensch, er war der Begründer der modernen
Wissenschaftsmethode des souveränen Nationalstaats, des repräsentativen
Systems, und auch wenn viele seine Argumente aus dem religiösen Bereich
abgeleitet sind, haben sie dennoch eine ungeheure philosophische und
wissenschaftliche Bedeutung.
Auf der Rückreise von Konstantinopel 1437-38, auf der er die Delegation der
griechischen orthodoxen Kirche zu den Konzilen von Ferrara und Florenz
begleitete, hatte er, so schreibt er, eine plötzliche Eingebung, die ihn alle
Fragen in einem ganz anderen Licht sehen ließ, nämlich den Zusammenfall der
Gegensätze. Das richtete sich direkt gegen Aristoteles, der immer argumentiert
hatte, daß widersprüchliche Äußerungen nicht gleichzeitig wahr sein könnten.
Cusa schrieb, daß dies das gemeinsame Axiom der gesamten bisherigen
Philosophie gewesen sei, und Aristoteles habe dies nur am ausdrücklichsten
formuliert. Dann zitiert er Philo von Alexandria, der sagte, die Logik des
aristotelischen Denkens stehe auf keiner höheren Ebene als die Ratio
der Tiere.
In einer sehr wichtigen Schrift mit dem Titel Apologia doctae
ignorantiae („Verteidigung der belehrten Unwissenheit“), einer
Gegenschrift gegen den Scholastiker Johannes Wenck, beschreibt Cusa, warum der
Aristotelianismus eine mangelhafte Denkmethode ist, die nur zu einem
methodologischen Hin und Her fähig sei. In seiner De Docta Ignorantia
schreibt er:
„Nach diesen Worten mahnte mich der Meister, zu beachten, daß die wissende
Unwissenheit einem hohen Turme gleich jeden zur Schau erhebe. ,Denn wer dort
oben steht, übersieht alles, was der unten über das Feld Schweifende auf
verschiedenen Wegen nach Spuren forschend sucht; er erblickt auch, inwieweit
der Suchende sich dem Gesuchten nähert oder entfernt.’“
In einer anderen Schrift mit dem Titel De Visione Dei („Vom Sehen
Gottes“) entwickelt er eine Pädagogik, wie man den Geist erziehen kann, um im
Sinne der coincidentia oppositorum zu denken und so die geistige Mauer
zu überwinden, hinter der sich die Ebene der Vernunft verbirgt. In De Docta
Ignorantia spricht Nikolaus vom spirit universorum, der Religionen,
Länder und Völker vereint, die alle Elemente der Unterscheidung sind, aber das
Universum als Ganzes ist der vollkommenste Ausdruck für die Vorbedingung allen
Seins.
Quodlibet in quolibet ist ein berühmter Satz des Nikolaus: „Alles
hat Teil an allem“. Für die politische Ordnung bedeutet dies, die Vielfalt der
Menschen läßt sich einbeziehen, ohne ihre besondere Identität zu verletzen,
wegen der Gesamtheit der Ordnung, die es bereits gibt. Nach Nikolaus ist jeder
Mensch ein Mikrokosmos, der in Keimform den gesamten Makrokosmos auf komplexe,
unausgefaltete Weise in sich birgt, was sehr stark dem Monadenkonzept von
Leibniz entspricht. Nach dieser Philosophie ist eine Friedensordnung nur
möglich, wenn sich alle Mikrokosmen auf bestmögliche Weise entwickeln, daß die
Entwicklung des anderen das reziproke Eigeninteresse eines jeden ist, damit
Harmonie funktioniert.
Wenn man eine Lösung für die politischen Probleme von heute finden will,
muß man im Sinne der coincidentia oppositorum denken; man muß zuerst an
die gemeinsamen Ziele der Menschheit denken, denn das Eine hat eine höhere
Ordnung als die Größe des Vielen. Deswegen erfordern Selbstvervollkommnung und
Veredlung eine Zunahme der relativen potentiellen Bevölkerungsdichte als
Vorbedingung für die Existenz zukünftiger Generationen.
Mein Ehemann Lyndon LaRouche hat in zahlreichen Schriften bewiesen, warum
eine Zunahme der relativen potentiellen Bevölkerungsdichte und eine ständige
Zunahme der Energieflußdichte zwingend erforderlich sind. Auf jedem gegebenen
Technologieniveau erreicht man irgendwann einen Punkt, wo sich die Ressourcen
und Kosten erschöpfen. Dies erfordert ständige qualitative Durchbrüche im
Wissen über die physikalischen Prinzipien des Universums, eine ständig höhere
Arbeitsteilung und immer mehr kreative Köpfe, die sich am grenzenlosen
Fortschritt der Menschheit beteiligen.
Der spirit universorum ist heute die Neue Seidenstraße
Heute existiert der spirit universorum in Form des Geistes der Neuen
Seidenstraße. Die Gemeinschaft der Nationen als Grundlage für das Gemeinwohl
aller ist der einzige Weg, die Probleme von heute anzugehen. Diesen Geist
spürt man in Asien, Lateinamerika und Afrika und auch in immer mehr
europäischen Ländern. Nikolaus von Kues hat in einer Predigt zum
Dreikönigsfest in Brixen am 6. Januar 1456 – von Kommentatoren eine „Hymne auf
die Zivilisation“ genannt – die Künste und die Naturwissenschaften als großes
Geschenk an die Menschheit bezeichnet, an dem sich jeder beteiligen müsse, so
daß die Entwicklung nicht eines einzigen Menschen verlangsamt werde. Genau das
ist die Rolle der Neuen Seidenstraße heute.
Der Geist der Neuen Seidenstraße hat den Gipfel von Singapur möglich
gemacht, und in diesen Tagen finden weitere Gipfeltreffen statt, auf denen
über den Bau von Eisenbahnstrecken entlang der West- und bald auch der
Ostküste Nordkoreas gesprochen wird, wodurch Süd- und Nordkorea Anschluß an
die chinesischen Transportkorridore und die Transsibirische Eisenbahn finden.
Präsident Trump hat zugesichert, daß Nordkorea bald ein reiches Land sein
werde, und China und Rußland sicherten ebenso zu, dabei eine wichtige Rolle zu
spielen. In der chinesischen Global Times hieß es: „Die geographische
Lage Nordkoreas prädestiniert das Land für eine Integration in die Belt and
Road Initiative“, und das werde viel schneller geschehen, als man sich das
vorstellen könne.
Wir schlagen vor, den gleichen Ansatz auch für Afrika zu verfolgen; statt
einer Militarisierung der Flüchtlingspolitik brauchen wir einen Plan für die
Neue Seidenstraße. Wenn die EU Milliarden von Euros für Lager und die Festung
Europa ausgeben will, sollten wir dieses Geld lieber für Kredite zur
Industrialisierung, die grundlegende Infrastruktur, für Wasserprojekte,
Schnellbahnen, Magnetbahnen, Gesundheits- und Erziehungseinrichtungen,
Raumfahrtprogramme und den Bau neuer Städte auf Grundlage modularer urbaner
Entwicklung ausgeben. Wenn sich alle europäische Länder mit China, Indien,
Japan und auch den Vereinigten Staaten zusammentun, um all dies mit den
afrikanischen Staaten anzugehen, die Teil eines solchen Crashprogramms sein
wollen, können wir eine Wende in der Flüchtlingskrise schaffen.
Dieser Ansatz erfordert eine leidenschaftliche Liebe für die Menschheit.
Genauso hat sich der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed auf einer
jüngsten Massenversammlung vor einer halben Million Menschen ausgedrückt, kurz
bevor es zu einem Mordanschlag gegen ihn gekommen war: „Der einzige Weg, sich
angesichts der ganzen Geschichte vorwärts zu bewegen, ist Vergebung und Liebe.
Rache ist für die Schwachen. Und da die Äthiopier nicht schwach sind, brauchen
wir keine Rache. Wir werden mit Liebe gewinnen.“
Handeln wir also entsprechend. Die Welt befindet sich in einem
unglaublichen Aufruhr. Es ist sehr komplex, und ich glaube nicht, daß sich die
Probleme durch noch so viele Einzellösungen überwinden lassen. Wir brauchen
eine höhere Ebene der Vernunft, die die gesamte Menschheit vereint. Ich denke,
wir haben das Ende einer Epoche, das Ende der Geopolitik erreicht. Wir müssen
das neue Paradigma verwirklichen, d.h. im Sinne des Zusammenfalls der
Gegensätze denken – dem, was Xi Jinping eine „Gemeinschaft der gemeinsamen
Zukunft der Menschheit“ genannt hat. Wenn Europa überleben will, müssen wir
die europäischen Länder dafür gewinnen.
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