Die beherrschbare Energie
Von Armin Azima
Armin Azima ist Physiker an der Universität Hamburg. Bei der
Bad Sodener Konferenz des Schiller-Instituts hielt er am 1. Juli den folgenden
Vortrag.
Meine Damen und Herren, verehrte Konferenzleitung, liebe Helga
Zepp-LaRouche!
Vielen Dank für die Einladung, daß ich diesen Vortrag hier halten kann. Es
ist eine Ehre für mich, hier zu sein, und ich glaube, ich werde die Zuhörer
davon überzeugen, daß die Physik in unserer modernen Welt sehr aufregend ist.
Es gibt derzeit vielversprechende Entwicklungen, von denen Sie vielleicht noch
gar nichts gehört haben. Deswegen erlauben Sie mir, Sie über wunderbare
Fortschritte im Bereich der Energietechnologie zu informieren, die man heute
auf der Welt erleben kann.
In meinem Vortrag möchte ich mich auf die folgenden Themen
konzentrieren:
- Ich werde Ihnen einige interessante Zahlen über die deutsche
Energiewende vorlegen und zeigen, was dies praktisch für die Menschen in
Deutschland bedeutet.
- Dann werde ich mich mit zwei Schwerpunkten der Nuklearwissenschaft in
der Welt beschäftigen, die sehr vielversprechend sind und die Hoffnung auf
eine schöne Zukunft mit billigen, sauberen und leistungsfähigen Energiequellen
verheißen.
- Besonders die Beherrschung der Fusionstechnologie wird die Tür zu
einer neuen wunderbaren Welt mit derzeit undenkbaren Möglichkeiten
aufstoßen.
- Und ich möchte Ihnen einige Ideen vorstellen, was getan werden könnte,
wenn Energie billig wäre.
In der Geschichte der Menschheit wissen wir jedoch alle, daß jede
Technologie entweder zum Nutzen oder zur Zerstörung eingesetzt werden kann.
Und natürlich: je stärker und leistungsfähiger die Technologie – angefangen
von der Erfindung des Stahls bis hin zur ersten Spaltung eines Atomkerns –,
desto gefährlicher die entsprechende Waffe. Deswegen empfinde ich es als meine
Verantwortung, mich laut gegen den Einsatz von Kernwaffen ganz allgemein
auszusprechen, was ich im letzten Teil meines Vortrags wissenschaftlich
untermauern will.
Abb. 1: Lyndon LaRouches „Vier Gesetze“
1. Glass-Steagall
2. Nationalbanksystem
3. Ständige Steigerung der allgemeinen Energieflußdichte
4. Nutzung der Kernfusionstechnologie
Doch bevor ich mit Technologie beginne, möchte ich erneut LaRouches Vier
Gesetze erwähnen (Abbildung 1): Erstens die Wiedereinführung des
Glass-Steagall-Gesetzes, zweitens die Gründung eines Nationalbanksystems, und
drittens die ständige Erhöhung der allgemeinen Energieflußdichte in der
Gesamtgesellschaft. Diese Forderung verlangt die Weiterentwicklung der zivilen
Infrastruktur, die in der Lage sein muß, die starken Energiequellen zur
Steigerung der produktiven realwirtschaftlichen Erzeugung zu nutzen.
Und viertens eine Frage, die mir als Physiker persönlich am Herzen liegt,
die Erforschung und Nutzung der Kernfusion als ultimative Energiequelle, die
meiner persönlichen Überzeugung nach die einzige Möglichkeit ist, in einer
wachsenden Welt ein hohes Prosperitätsniveau für die gesamte Menschheit in
Zukunft aufrechtzuerhalten.
Abb. 2: Verteilung der in Deutschland installierten Windturbinen (braune Punkte, Stand 2011) und Kernkraftwerke (rote Punkte, Stand 2016): Der Anteil der Windkraft und der Kernkraft am Energiemix betrug 2016 jeweils ca. 14%. Die weite Verteilung der Windkraftanlagen erfordert ein komplexes und umfassendes Leitungsnetz zur Verteilung der Elektrizität.
Quelle: Verteilung der Windkraftanlagen: European Environment Agency (EEA), Standorte der Kernkraftwerke: BMU.
Abb. 3: Vergleich der Energieflußdichten:
Die Energieflußdichte (Φ = kWh/m 2 pro Jahr) der Kernkraft
ist weit größer als die anderer Energiequellen, wie z.B. Wind- oder Solarkraft
oder Braunkohle; Φ (Atom) ist 40-50 Mal so groß wie die anderer
Kraftquellen. Hier zwei verschiedene Berechnungen der Werte von Φ, links
die Kalkulation des Verfassers, rechts die von Dr. Günter Keil (Quelle: http://www.ageu-die-realisten.com/archives/1473); blau =
Biogas, rot = Windkraft, grün = Braunkohle, lila = Kernkraft, einige Werte
sind zu klein, um sie sichtbar darstellen zu können.
Zitat aus der Tagesschau: „Eine Windfarm, die ein Kernkraftwerk ersetzen
könnte, müßte etwa die Fläche des Bundeslands Bremen haben.“
Ich möchte mit einem der wichtigen Aspekte in LaRouches vier Gesetzen
beginnen, der Energieflußdichte, die jetzt mit dem Buchstaben Φ
abgekürzt werden soll.
Konsequenzen der Energiewende
Angesichts der bekannten Energiewende in Deutschland hin zu regenerativen
Energiequellen möchte ich Ihnen diese Karte zeigen (Abbildung 2), in
der alle installierten Windturbinen in Deutschland als braune Punkte
dargestellt sind. Zusammen erzeugen sie etwa die gleiche Menge Energie wie die
sieben roten Punkte, die die Kernkraftwerke im Jahr 2016 darstellen. Ich
meine, diese Skizze verdeutlicht das Konzept von Energieflußdichte wirklich
eindrücklich.
Wie Sie wissen, werden diese roten Punkte im Jahr 2022 verschwinden, wenn
der vollständige Ausstieg aus der Kernenergie vollzogen sein wird.
Was jeder leicht versteht, ist, daß die großflächige Verteilung von
Kraftmaschinen, was man in Deutschland „Dezentralisierung der
Energieproduktion“ nennt, ein komplexes und teures Stromverteilungsnetz
erfordert – insbesondere im Vergleich zu der Zeit vor etwa 20 Jahren, als der
Energiemix von einigen starken zentralen Stromerzeugungsanlagen bestimmt war.
Ganz sicher sind die Energiekosten angestiegen und werden in der Zukunft
weiter ansteigen. Derzeit haben wir den Übergang zu etwa 30% regenerativer
Energiequellen in unseren Energiemix erreicht, und der Strompreis ist dabei
inflationsbereinigt um über 50% angestiegen. Und das Ziel ist, im Jahr 2050
80% zu erreichen!
Die Bundesregierung behauptet indes, die Strompreise werden nach 2025
wieder sinken, dem ich jedoch das Wort „vielleicht“ hinzufügen möchte.
Wir werden es sehen...
Ich habe die Gesamtstromrechnung für Deutschland berechnet und diese mit
Frankreich verglichen, das mehr als 50% Kernenergie in seinem Strommix hat.
Sicher ist Deutschland ein reiches Land, und viele Leute können sich die
höheren Strompreise leisten – nicht alle, aber viele. Aber für ein
vergleichbar großes und vergleichbar dicht besiedeltes Entwicklungsland wäre
eine Stromrechnung von 150 Mrd.€ im Jahr eindeutig zu hoch.
Somit dürfte der französische Energiemix für deren Bedürfnisse besser
geeignet sein, um es einmal diplomatisch auszudrücken.
Kernkraft
Aber konzentrieren wir uns etwas genauer auf die Kernenergie. Wie wir
bereits festgestellt haben, ist die Energieflußdichte der Kernspaltung unter
allen heutigen Energiequellen derzeit die höchste technisch verfügbare
(Abbildung 3).
Aber trotz dieses Umstands hat die Bundesregierung beschlossen, in
Deutschland bis 2022 ganz aus der Kerntechnik auszusteigen. Die Frage ist:
warum? Von einem rationalen Standpunkt könnten nur die folgende Kritikpunkte
der Grund gewesen sein:
- Das Problem der Atommülllagerung
- die Reaktorsicherheit und
- die Verhinderung der Weiterverbreitung von Kernwaffen.
Wegen der begrenzten Zeit möchte ich mich nur auf den ersten Punkt
konzentrieren.
Zunächst einige schnelle Fakten. Fast alle unsere Kernkraftwerke sind
Leichtwasserreaktoren, die mit thermischen, d.h. „langsamen“ Neutronen
arbeiten. Die Kettenreaktion verbessert sich so erheblich, da die langsamen
Neutronen viel effizienter mit dem Brennstoff interagieren. Das hat jedoch
seinen Preis, denn diese Neutronen verlieren ihre Fähigkeit, Isotope mit
gerader Massenzahl zu spalten, was die Menge möglicher Kernbrennstoffe für
diese Reaktoren erheblich einschränkt.
Das natürliche Uran besteht hauptsächlich aus U-238, mit gerader
Massenzahl, das von den thermischen, langsamen Neutronen nicht gespalten
werden kann. Deswegen wird er mit dem Isotop U-235 angereichert. Nach drei
Betriebsjahren ist das meiste U-235 verbrannt, während die Menge an U-238 fast
noch die gleiche ist wie zuvor. Jedoch sind neue Stoffe erbrütet worden, wie
Plutonium und andere, unbedeutende Aktiniden, die man als „nuklearen Abfall“
bezeichnet.
Abb. 4: In Rußland entwickelte Technologie: der BN-800.
Mit den vor 2016 eingeführten Technologien mußten die nuklearen
„Abfälle“ mehr als 300.000 Jahre sicher eingelagert werden.
Durch den 2016 in Betrieb genommenen Reaktor BN-800 in
Belojarsk/Rußland entsteht ein neuer Urankreislauf, der Brennstoff kann immer
wieder verwendet werden, und die wenigen Abfallstoffe müssen nur für 100 Jahre
eingelagert werden.
Der BN-800 ist ein schneller Hochtemperaturreaktor, der als Kühlmittel
flüssiges Natrium verwendet.
Abb. 5: Der BN-800-Reaktor. Der BN-800-Reaktor hat insgesamt fünf Schutzhüllen, um zu verhindern, daß Radioaktivität aus dem Reaktor austritt:
1. Brennstoffpellet;
2. Hülle des Brennstabes;
3. Reaktordruckgefäß;
4. Schutztank;
5. Reaktorbehälter aus Stahlbeton.
Das natürliche Uran wird angereichert, verbrannt, der Abfall wird
abgetrennt und schließlich gelagert, und ein Teil des Brennstabes wird
recycelt und wiederverwendet.
Das Problem dabei: Das Endlager muß den Abfall mehr als 300.000 Jahre
sicher beherrschen, was bisher nicht erreichbar ist.
Der russische „Schnelle Brenner“ BN-800
Rußland hat sich für einen anderen Weg entschieden. Seit 2016 ist dort ein
neuer Reaktortyp – BN-800 genannt – in Betrieb (Abbildungen 4 und
5). Dieser Reaktor heißt „Schneller Brenner“, nicht zu verwechseln mit
„Schneller Brüter“. Dieser hier ist kein Brüter, sondern ein Brenner. Er
verwendet schnelle Neutronen, weswegen diese Neutronen sämtliche
schweren Isotope, auch jene mit gerader Massenzahl, mit ähnlicher Effizienz
spalten können.
Das ist der Trick dabei: Dieser Reaktor kann seinen eigenen „Abfall“ in
einem langen Zyklus als neuen Brennstoff immer und immer wiederverwenden. Der
viel kleinere Anteil an nuklearem Abfall im Vergleich zu konventionellen
Reaktoren hat den weiteren Vorteil, viel schneller zu zerfallen. Bereits nach
100 Jahren kann er aus dem Lager entnommen werden. D.h. mit dieser Technologie
braucht man gar kein Endlager mehr!
Um es noch einmal zu sagen: Der BN-800 verbrennt „nuklearen Abfall“, als
wäre dieser konventioneller Kernbrennstoff;
- für die Endprodukte dieses Reaktors ist kein Endlager erforderlich
- und dieser Reaktor ist jetzt, in diesem Augenblick, in Betrieb.
Daraus folgt auch, daß dieser Reaktor das Wort „nuklearer Abfall“
umgedeutet hat, denn was ist jetzt eigentlich Abfall?
Tatsächlich hat Lyndon LaRouche genau das vor etwa zehn Jahren
vorausgesagt. Er sagte bereits damals: „Es gibt keinen nuklearen Abfall, nur
haben wir derzeit nicht die Technologie, um die Endprodukte nutzen zu
können.“
Ich streiche deshalb diesen Punkt aus der Liste von Kritikpunkten. Problem
gelöst!
Neutronenfreie Fusion
Gehen wir schnell zu einer anderen Frage über. Ich möchte Ihnen die
neuesten Entwicklungen in der Fusionsforschung zeigen.
Ich möchte Ihnen eine Firma mit Namen Tri-Alpha Energy (TAE) aus
Kalifornien vorstellen. Die Mission dieser Firma ist die Beherrschung einer
besonderen Form der Kernfusion, die weitestgehend unbekannt ist – die
sogenannte p-B-11-Reaktion. Die Besonderheit hierbei ist die neutronenfreie
Eigenschaft der Endprodukte.
Abb. 6: Arbeitsprinzip des TAE Colliding-Beam-Reaktors:
Bisher erreichte Werte: Stabiles Plasma 11 ms lang aufrecht- erhalten und
20 Mio. °C.
Ziel: Netto-Energieproduktion bei 3000 Mio. °C über 1000 ms.
Wesentliche Besonderheiten: neutronenfrei, direkte Umwandlung von
Kernkraft in Elektrizität mit einem Wirkungsgrad von 90%!
Zwei Plasmaringe kollidieren mit 250 km/s und bilden bei der Kollision ein
torusförmiges Plasma, das sich selbst ohne ein äußeres einschließendes
Magnetfeld stabilisiert.
(Quelle: TAE Technologies)
Abb. 7: Neutronenfreier Fusionsreaktor treibt Rakete mit Ionentriebwerk
an.
Direkte Umwandlung von Kernkraft in Elektrizität treibt ein Ionentriebwerk
an, um 3% der Lichtgeschwindigkeit und eine permanente Beschleunigung oder
Verzögerung von 1g zu erreichen, mit einer Reisezeit von zwei Wochen auf dem
Weg zwischen Erde zum Mars.
(Quelle: Bussard et.al.)
Klassische Fusionsanlagen wie der Tokamak-ITER sind für die Verwendung von
D-T-Brennstoff ausgelegt, der im wesentlichen zu energiereichen Neutronen als
Endprodukt verbrennt. Aber diese kleinen Teilchen sind schwer zu handhaben, da
sie elektrisch neutral sind und leicht sämtliche Materie durchdringen, weshalb
man sie nicht leicht in Elektrizität umsetzen kann.
Bevor es zu komplex wird, möchte ich Ihnen einige Skizzen zeigen, aus denen
das Prinzip schnell deutlich wird.
In der oberen Zeichnung sehen Sie einen Überblick des Reaktors. Von links
und rechts werden zwei Plasmaringe abgefeuert, die in der Mitte
zusammenprallen. Am Kollisionspunkt verschmelzen die beiden Ringe und bilden
eine torusförmige Plasmasphäre, die sich stabilisieren und einschließen läßt.
Der Rekord, der mit dieser Maschine aufgestellt wurde, war ein stabiles Plasma
von etwas mehr als 10 ms. Und vor kurzem wurde gezeigt, daß man Temperaturen
von bis zu 20 Mio.°C erreichen kann, was für dieses Projekt einen Meilenstein
bedeutet (vgl. https://www.geekwire.com/2018/tae-technologies-pushes-plasma-machine-new-high-fusion-frontier).
Natürlich ist es noch ein langer Weg, schließlich 3 Mrd. °C für 1 s zu
erreichen. Aber da die Endprodukte positiv geladen sind, funktioniert die
direkte Umwandlung der Fusionsenergie in elektrischen Strom mit einem
Wirkungsgrad von 90%. Man braucht keine Turbinen und keinen Dampferzeuger, was
die Größe der Anlage erheblich reduziert und einen 100-MW-Reaktor von der
Größe eines Lastwagens möglich macht.
Eine solche Anlage läßt einen von zukünftigen Maschinen träumen wie z.B.
der, die der amerikanische Physiker Robert Bussard hier vorgeschlagen hat
(Abbildung 7). Die direkte Umwandlung von Kernkraft in Strom ermöglicht
es, einen Ionen-Antriebsmotor zu betreiben, der in einem stetigen
Beschleunigungs- und Abbremsvorgang von +/- 1g eine Rakete auf einige Prozent
Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Dadurch verkürzte sich die Reisedauer
zwischen Erde und Mars auf weniger als zwei Wochen! Die inneren Planeten
würden erreichbar.
Im Moment erscheint dies noch wie ein Traum, aber Wissenschaftler arbeiten
tatsächlich an derartigen Maschinen.
Das bringt mich direkt zu weiteren Visionen, was mit einem solchen
Fusionsreaktor möglich wäre. Was, wenn Energie extrem billig wäre, und was,
wenn Energie im Überfluß verfügbar wäre?
Man könnte an Entsalzung von Meerwasser in großem Stil denken, an
künstliche Erdölsynthese oder an meine Lieblingsidee, ein revolutionäres
Müllrecyclingsystem, das Abfall nicht nur zu CO2 und Asche
verbrennt, sondern statt dessen mit noch mehr Energie die Asche weiter in
einen Plasmazustand versetzt. Dies ist natürlich ein Prozeß mit sehr hohem
Energieverbrauch mit Hilfe der Lichtbogenplasma-Technologie. Aber in dem
Plasmazustand wäre es möglich, jeden Bestandteil jeden Materials in seine
Moleküle oder sogar Atome zu zerlegen, die dann weiter umsortiert und
elementweise aus dem Abfall extrahiert werden können, was ein nahezu 100%iges
Recyclingsystem ergäbe.
Letztlich bedeutete diese Idee, Hunger und Durst für alle Menschen zu
beenden!
Last but not least möchte ich Sie noch an LaRouches beide letzten Gesetze
erinnern. Denkt man an das, was ich eben dargestellt habe, meine ich, daß
diese Forderungen weder abstrakt noch unrealistisch sind. Im Gegenteil, wenn
wir diese Ziele erreichen, wäre unsere Welt in jeder Hinsicht besser, weswegen
wir weiter daran arbeiten sollten, sie zu verwirklichen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
eir
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