Die Wurzeln der Neuen Seidenstraße
Leibniz, Sun Yat-sen, die LaRouches und Xi Jinping
Von Michael O. Billington
Der folgende Beitrag ist eine überarbeitete Fassung eines
Vortrags, den Michael Billington am 17. Juni 2017 bei einer Konferenz des
Schiller-Instituts in Detroit zum Thema „Bringt die Neue Seidenstraße nach
Michigan“ gehalten hat.
Helga Zepp-LaRouche hat oft von den beiden Paradigmen gesprochen, zwischen
denen sich die Menschheit entscheiden muß.
Im Westen erleben wir die größte Finanzblase der Geschichte, den
Zusammenbruch der grundlegenden Infrastruktur, einen nachindustriellen Kollaps
von Industrien, Arbeitsplätzen und Löhnen, ständige Kriege im Kolonialstil und
einen Niedergang der Gesellschaft, für den die größte Rauschgiftepidemie der
modernen Geschichte charakteristisch ist.
Aber aus dem Osten kommt das, was Helga so treffend als die Neue
Seidenstraße bezeichnet, ein globaler Boom auf der Grundlage des Ausbaus der
Infrastruktur, der Hunderte von Millionen Menschen aus der Armut erhoben, eine
beispiellose Steigerung der Produktivität der Arbeitskraft herbeigeführt und
Nationen und Völkern, die schon fast aufgegeben hatten, neue Hoffnung gegeben
hat.
Was ich heute zeigen möchte, ist der historische Zusammenhang zwischen
- der Entwicklung der Neuen Seidenstraße über mehrere Jahrhunderte;
- dem Amerikanischen System, dem Hamiltonischen System der
Gründerväter;
- und den besten historischen Aspekten Amerikas.
Zur derzeitigen strategischen Lage möchte ich zeigen, daß der größte Teil
der Neuen Seidenstraße zwar durch Chinas Initiative zustande kam, dies aber
stets in Kooperation mit Rußland. Diese Verbindung zwischen China und
Rußland ist wesentlich. Wenn wir die Vereinigten Staaten in dieses Bündnis
einbringen können, dann können wir die von den Briten herbeigeführte Spaltung
der Welt in Ost gegen West überwinden. „Der Osten ist der Osten, und der
Westen ist der Westen, und sie werden niemals zusammenkommen“, pflegte der
britische Imperialist Rudyard Kipling zu sagen. Nun, wir glauben, daß sie
zusammenkommen können, um eine wahrhaft menschliche Welt für die Menschheit zu
schaffen.
Der Prozeß hin zur Neuen Seidenstraße, auch Wirtschaftsgürtel-Initiative
(Belt & Road Initiative, BRI) genannt, begann 1996 mit einer Konferenz in
Beijing, dem „Internationalen Symposium über die wirtschaftliche Entwicklung
der Regionen entlang der Eurasischen Kontinentalbrücke“. Helga hatte sie
mitorganisiert, und ihre Rede in dieser Konferenz trug den Titel „Der Bau der
neuen Seidenstraße als Grundlage der gemeinsamen Sicherheitsinteressen Asiens
und Europas“. China begann damals damit, Bahnverbindungen durch seine
westlichen Provinzen zu bauen, aber dies wurde dann abgebremst durch die
Finanzkrise 1997-98, die sogenannte Asienkrise, die durch die räuberischen
Spekulationen westlicher Hedgefonds von George Soros & Co. ausgelöst wurde
und in der Lyndon LaRouche den ersten Riß im globalen Finanzsystems
erkannte.
China und Rußland gründeten dann 2001 zusammen mit den zentralasiatischen
Nationen Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan und Kasachstan die Shanghaier
Organisation für Zusammenarbeit (SCO). Dies war vor allem ein strategischer
Schritt gegen die Bedrohung durch Terroristen und Separatisten in der Region
sowie den Drogenhandel, von dem diese leben. Es war bekanntlich dasselbe Jahr
2001, in dem die in Afghanistan ansässigen Al-Kaida-Netzwerke die Vereinigten
Staaten angriffen. Die saudisch-wahabitischen Terrornetzwerke verseuchten die
ganze Region. Die Chinesen, die Russen und die zentralasiatischen Nationen
verbündeten sich, sie sagten sich: „Wir müssen diesen Terrorismus in unserer
Region stoppen, sonst wird es niemals einen Fortschritt geben.“
2013 wurden dann der Wirtschaftsgürtel der Neuen Seidenstraße und die
Maritime Seidenstraße des 21. Jahrhunderts in Gang gesetzt – die Initiative
„Ein Gürtel, eine Straße“ des chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Im
folgenden Jahr, 2014, bildete Rußlands Präsident Putin die Eurasische
Wirtschaftsunion (EAEU); das waren Rußland, Weißrußland und Kasachstan, später
schlossen sich auch Armenien und Kirgisistan an.
Diese beiden Institutionen und die zehn südostasiatischen Nationen der
ASEAN finden nun zueinander. Sie sind alle zu dem Schluß gelangt, daß sie ein
neues Paradigma für die Menschheit schaffen müssen, angefangen mit ihrem
eigenen eurasischen Kontinent.
Natürlich waren auch die BRICS-Nationen Teil davon. Die BRICS entstanden,
indem sich Rußland, China und Indien mit Brasilien und Südafrika, den beiden
größten Wirtschaftsmächten Südamerikas und Afrikas, verbanden. Das veranlaßte
uns 2014 zur Ausarbeitung des EIR-Sonderberichtes „Die Neue Seidenstraße wird
zur Weltlandbrücke“ [dessen deutsche Ausgabe soeben erschienen ist, d. Red.]. Das ist
das Paradigma, das Lyndon und Helga LaRouche vertreten und für das wir uns
seit langem einsetzen.
Leibniz
Ich möchte nun betrachten, wie die Idee der Seidenstraße sich historisch
entwickelt hat. Helgas Besuche in China 1996 und 2006 und dieses Jahr beim
Belt & Road-Forum kamen nicht von ungefähr, das war ein Prozeß, der schon
seit mindestens 300 Jahren im Gang ist.
Ich will mit Gottfried Wilhelm Leibniz beginnen.
Dies (Abbildung 1) zeigt Leibniz, Peter den Großen und Chinas großen
Mandschu-Kaiser Kangxi, die im 17./18. Jahrhundert lebten. Leibniz war der
größte Wissenschaftler, Philosoph und Staatsmann im Europa jener Zeit. Er
arbeitete mit Peter dem Großen persönlich zusammen und half Rußland, seine
Akademie der Wissenschaften zu gründen. Er stand in direkter Korrespondenz mit
Jesuitenmissionaren in China, die Werke von Konfuzius, Menzius und des
führenden Kopfs der konfuzianischen Renaissance unter der Song-Dynastie im 12.
Jahrhundert, Zhu Xi, übersetzten.
Zhu Xi (Abbildung 2) ist im Westen kaum bekannt, aber er ist sehr
wichtig – die Chinesen, Koreaner und Japaner kennen ihn sehr gut. Leibniz
studierte die Schriften von Zhu Xi gründlich, und er schrieb das Buch
Novissima Sinica („Das Neueste aus China“), das er in ganz Europa
verbreitete, um die europäische Bevölkerung über die konfuzianischen
Prinzipien aufzuklären.
Leibniz war der Ansicht und sagte ganz offen: Wenn man einer Kultur wie
China begegnet, mit solchen Eigenschaften, dann muß man durch diese
Kombination von Faktoren zu dem Schluß gelangen, daß diese Kultur die
fundamentalen Gesetze des Universums und die Rolle des Menschen mit seinem
schöpferischen Geist in diesem Universum in bedeutendem Maße erkannt hat. Für
China führt er dafür die folgenden Faktoren an:
- Es hatte weit mehr Bevölkerung als Europa.
- Es hatte weit größere Städte, deren Bevölkerung weit besser gebildet
war.
- Es hatte einen höheren Bildungsgrad als das damalige Europa.
- Es hatte einen höheren Lebensstandard als die meisten Teile Europas.
Die Entdeckung dieser universalen Gesetze, erkannte Leibniz, war die
notwendige Voraussetzung für den Aufbau einer über lange historische Zeiträume
blühenden und funktionierenden Kultur und Gesellschaft. Das war seine
Prämisse, und deshalb beschäftigte er sich mit Konfuzius und Zhu Xi, um
herauszufinden, wie sie zu ihren Entdeckungen gelangten.
Hier ist die Schlußfolgerung, die Leibniz über die Beziehungen zwischen dem
Osten und dem Westen zog; es ist eine der schönsten Aussagen der Geschichte,
und ich betrachte sie als den eigentlichen Beginn der Neuen Seidenstraße:
„Durch eine einzigartige Entscheidung des Schicksals, wie ich glaube, ist
es dazu gekommen, daß die höchste Kultur und die höchste technische
Zivilisation der Menschheit heute gleichsam gesammelt sind an zwei äußersten
Enden unseres Kontinents, in Europa und Tschina (so nämlich spricht man es
aus), das gleichsam wie ein Europa des Ostens das entgegengesetzte Ende der
Erde ziert. Vielleicht verfolgt die Höchste Vorsehung dabei das Ziel – während
die zivilisiertesten (und gleichzeitig am weitesten voneinander entfernten)
Völker sich die Arme entgegenstrecken –, alles, was sich dazwischen befindet,
allmählich zu einem vernunftgemäßeren Leben zu führen.“
Es gibt keine vollkommenere Beschreibung der Neuen Seidenstraße, der
globalen Seidenstraße, der Weltlandbrücke. Die Menschen in Eurasien und die
Menschen auf der ganzen Welt werden zusammengeführt durch die Verbindung
dieser beiden großen Kulturen.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß Leibniz der wichtigste Impulsgeber
für die Entwicklung des Amerikanischen Systems war. Amerikas Gründerväter
waren Leibnizianer – Cotton Mather, Benjamin Franklin und andere. Benjamin
Franklin kannte Konfuzius’ Lehren, er sprach davon, konfuzianische Ideen nach
Amerika zu holen. Ich werde darauf jetzt nicht näher eingehen, aber sie waren
durch eben dieses Leibnizsche Denken inspiriert.
Sun Yat-sen
Ich überspringe 150 Jahre und komme zu Sun Yat-sen, der in China meist Sun
Zhongshan genannt wird, was man mit „Chinesischer Berg“ übersetzen könnte. Sun
war der Kopf der Revolution von 1911, die in China die Monarchie beendete und
die chinesische Republik begründete.
Was die Menschen in Amerika meist nicht wissen – außer denen, die mit uns
zusammenarbeiten – ist, daß Sun Yat-sen ein eifriger Schüler des
Amerikanischen Systems war. Er wurde in den 1890er Jahren in Hawaii
ausgebildet, von der Familie Damon, die die Philadelphia-Schule von Abraham
Lincoln und Henry Carey sehr genau kannten, und auch Anhänger der Ideen von
Alexander Hamilton waren. (Abbildung 3) Und Sun Yat-sen meisterte diese
Ideen vollauf.
Sun Yat-sen organisierte die Revolution in China auf der Grundlage von
Vorlesungen, die er über das hielt, was er die „Drei Prinzipien des Volkes“
nannte. Diese Drei Prinzipien beruhten, wie er selbst sagte, auf Ideen von
Abraham Lincoln. In seiner berühmten Gettysburger Rede sprach Lincoln davon,
unsere Republik als eine Nation „des Volkes, durch das Volk und für das Volk“
zu erhalten. Das heißt: eine Regierung des Volkes – also einen
souveränen Staat, frei von den Kolonialmächten; durch das Volk – mit
einer demokratisch-republikanischen Staatsform; und für das Volk – das,
was Sun Yat-sen als die „Lebensgrundlage des Volkes“ bezeichnete und was in
unserer Verfassung als das „Gemeinwohl“ bezeichnet wird, nämlich die
Vorstellung, daß das Land auf die Förderung der Fähigkeiten der Bevölkerung
als ganzer gründet.
Sun war ganz klar ein Lincoln-Anhänger, und er war auch ein bekennender
Anhänger Hamiltons. In seinen Vorträgen sprach er detailliert über die Rolle
Alexander Hamiltons bei der Förderung der „inneren Verbesserungen“ -
Infrastruktur – und der Schaffung einer Nationalbank, die nicht von privaten
Banken abhängig war, sondern der Regierung die Kontrolle über das Bankensystem
gab und den Kredit in die Bereiche lenkte, die für das Gemeinwohl notwendig
waren.
Abb. 4a: Sun Yat-sens Plan für ein chinesisches Eisenbahnnetz, aus seinem
Buch „Die internationale Entwicklung Chinas“.
Abb. 4b: Das heutige Eisenbahnnetz in China.
Außerdem verstand er etwas, was 99,99% der Amerikaner heute nicht mehr
wissen – nämlich, daß Jefferson keine große Führungspersönlichkeit war. Thomas
Jefferson half zwar, die Kolonien von den Briten zu befreien, wollte aber das
Britische System mit seinen Sklaven in Amerika erhalten. Er wollte die
Sklaverei aufrecht erhalten und wollte, daß die Vereinigten Staaten ein
Agrarstaat blieben, der Baumwolle für die Textilmühlen in England lieferte -
also genau das, was auch die Briten wollten. Es gab einen harten Machtkampf
zwischen den Hamiltoniern aus New York und den Jeffersoniern aus dem
Süden.
Sun Yat-sen wußte all das. Er lehrte das chinesische Volk den Unterschied
zwischen Hamilton und Jefferson, den Unterschied zwischen dem industriellen
Bankensystem für Verbesserungen für die Menschen und ihr Leben, im Gegensatz
zu Jeffersons Politik, rückständig zu bleiben und sich weiter auf die Arbeit
von Sklaven zu stützen.
Dieser Kampf zwischen den Anhängern Jeffersons und Hamiltons führte uns
nicht nur in den Bürgerkrieg, der eigentlich eine zweite Revolution gegen die
Briten war, dieser Kampf geht bis heute weiter. Es gibt immer noch diese
beiden Tendenzen, und das ist der Grund, warum wir noch heute für die
Wiederherstellung des Hamiltonischen Systems kämpfen müssen.
1919 schrieb Sun Yat-sen ein Buch mit dem Titel Die internationale
Entwicklung Chinas. Diese Karte Sun Yat-sens (Abbildung 4a) stammt
aus dieser Studie. Man vergleiche sie mit der Karte des heutigen
Eisenbahnnetzes in China (Abbildung 4b). Es hat hundert Jahre gedauert,
aber jetzt setzt China die Politik um, die Sun damals vorschlug, als er dazu
aufrief, die ganze Welt durch Eisenbahnen, Kanäle und andere grundlegende
Infrastruktur zu vernetzen. China verlängert nun diese Bahnverbindungen
westwärts nach Zentralasien und Europa, nordwärts nach Rußland und südwärts
nach Südostasien, so wie es Sun in seinem Vorschlag von 1919 forderte. Es war
eine Idee des Amerikanischen Systems. Das Konzept, auf dessen Grundlage Chinas
Republikaner für ihre Republik kämpften, beruhte auf dieser Idee, die wir in
Amerika leider fast ganz vergessen haben. Dieser Plan wird nun umgesetzt, alle
Städte werden durch Hochgeschwindigkeitsbahnen miteinander und mit der ganzen
übrigen Welt verbunden. Man sieht also, daß das, was heute unter Xi Jinpings
Führung geschieht, auf den Prinzipien beruht, die wir hier zuhause vergessen
haben, aber von China hochgehalten werden.
Roosevelt, Tschiang Kai-schek und Stalin
Ich will nun nochmals etwa 50 Jahre weiterspringen, in die Zeit von
Franklin Roosevelt. Ich will hier nicht ins Detail gehen, aber wir wissen, wie
Roosevelt das Land erst aus der von Großbritannien herbeigeführten Depression
und dann vor den Faschisten rettete.
Abb. 5: Churchill, Roosevelt und Stalin in Yalta, 1945.
Abb. 6: Tschiang Kai-schek, Roosevelt, und Churchill in Kairo, 1943.
Hier ist ein Bild von ihm zusammen mit Stalin (Abbildung 5), auch
Winston Churchill ist darauf zu sehen – er war leider immer mit dabei –, und
hier (Abbildung 6) sehen wir Roosevelt zusammen mit Tschiang Kai-schek,
der damals China regierte. Es gab ein funktionierendes Bündnis zwischen den
Nationalisten unter Tschiang Kai-schek und den Kommunisten unter Mao im Krieg
gegen Japan – ein schwaches Bündnis, dennoch ist es eine interessante
Geschichte. Roosevelt, Tschiang Kai-schek und Stalin – die Vereinigten
Staaten, China und Rußland, das war die Kombination, die den Sieg über die
Nazis in Europa und den Sieg über die Militaristen in Japan und damit
letztendlich auch die Schaffung einer neuen Weltwirtschaftsordnung
ermöglichte.
Leider war Churchill immer mit dabei, und das ist sehr wichtig, denn
Roosevelt zögerte lange, im Bündnis mit den Briten in den Krieg zu ziehen. Er
wußte, daß im Grunde die Briten die Nazis aufgebaut hatten, daß sie geholfen
hatten, die Nazis zu finanzieren, und daß die Briten wollten, daß sich
Deutschland und Rußland gegenseitig zerstören, damit die Briten ihre Kontrolle
über die geschwächten Nationen Europas aufrecht erhalten konnten.
Die Briten hatten auch geholfen, die Militaristen in Japan aufzubauen. Es
gab Staatsmänner in Japan, die die Meiji-Restauration fortführen wollten, auf
der Grundlage des Amerikanischen Systems, das eine Schlüsselrolle bei der
Meiji-Restauration hatte, die zum Aufstieg Japans zu einer führenden
Industriemacht führte. Dann kamen die Briten und sagten den Japanern: „Ihr
seid eine Insel, genauso wie wir, ihr braucht Rohstoffe, ihr habt keine
eigenen Rohstoffe, und deshalb müßt ihr ein starkes Militär aufbauen, damit
ihr losmarschieren und euch die Rohstoffe nehmen könnt.“ Und damit hatten sie
leider Erfolg. Einige führende Leute in Japan wurden umgebracht, damit diese
britische Politik übernommen werden konnte.
Roosevelt hat Churchill damals ins Gesicht gesagt: Wir führen diesen
Krieg nicht, um das Britische Empire zu retten. Er ging nach Afrika zu
diesen Treffen, nach Kairo und an andere Orte, und er sah, wie die Länder
Afrikas und des Nahen Ostens nach hundert Jahren europäischer
Kolonialherrschaft aussahen, daß es ihnen oft schlechter erging als 200 Jahre
zuvor.
Roosevelt sagte: Wir werden nach dem Krieg die Methoden des Amerikanischen
Systems anwenden, zusammen mit unseren Freunden Rußland und China, um Nationen
nach dem Vorbild dessen aufzubauen, was in Amerika mit der Gründung dieses
Landes gelungen ist.
Leider starb er zu früh, und er wurde von einem sehr schwachen Mann und
Agenten der Briten und der Wall Street namens Truman abgelöst, der diesen
Ansatz aus dem Fenster warf und den Briten, Franzosen und Niederländern
amerikanische Kriegsschiffe zur Verfügung stellte, damit sie wieder in ihre
Kolonien zurückkehren und ihre Herrschaft wiederherstellen konnten.
Infolgedessen erlebten wir dreißig oder vierzig Jahre lang schreckliche
Kolonialkriege, die schon damals hätten beendet werden sollen.
Abb. 7: LaRouches Vorschlag für eine Internationale Entwicklungsbank,
1975.
Abb. 8: LaRouches „Oasenplan“ für die wirtschaftliche Entwicklung des
Nahen Ostens als Grundlage für einen dauerhaften Frieden.
Abb. 9: 1974 veröffentlichte der Club of Rome den Bericht „Die Grenzen des
Wachstums“, eine Propagandaschrift für die grüne Nullwachstumsideologie.
Abb. 10: Lyndon LaRouche antwortete darauf mit dem Buch „Es gibt keine
Grenzen des Wachstums“.
LaRouches Intervention
Und nun kommen wir in die Ära von LaRouche. 1975 reiste LaRouche in den
Irak, um sich dort mit der Baath-Partei zu treffen, er traf sich in Europa mit
führenden Israelis und Palästinensern, und er schuf einen Plan, den er Die
Internationale Entwicklungsbank nannte (Abbildung 7).
Viele von Ihnen wissen, daß China die Asiatische
Infrastruktur-Investitionsbank gegründet hat und Hunderte von Milliarden in
diese Entwicklungsprojekte investiert. Die BRICS haben die Neue
Entwicklungsbank gegründet, mit zig Milliarden Dollars. Warum? Um den
Weltwährungsfonds (IWF) zu ersetzen? Sie sollen ihn nicht wirklich ersetzen,
aber seit mehr als 40 Jahren haben der IWF und die Weltbank den
Infrastrukturaufbau praktisch vollkommen eingestellt. Sie überladen Länder mit
Schulden, und sie behaupten, sie würden den armen Bauern helfen, indem sie
ihnen „angepaßte Technologien“ wie Hacke und Schaufel geben. „Rechnet nicht
mit Infrastruktur, das paßt nicht zu eurem Entwicklungsniveau“, das ist die
Politik, mit der man Afrika im schlimmsten Elend gehalten hat. Das gleiche
gilt für Lateinamerika und einen großen Teil von Asien.
LaRouche sagte: „Es reicht!“ Er konzentrierte sich zunächst auf den Nahen
Osten, weil er erkannte, daß der Nahe Osten ein möglicher Kampfschauplatz für
Kriege zwischen Ost und West um das Öl war. Darüber hinaus war der
israelisch-palästinensische Konflikt dazu geeignet, die Länder in der Region
zu spalten, um die imperiale Politik des „Teile und Herrsche“ zu erleichtern.
Einige Jahre danach schlug LaRouche seinen Oasenplan vor
(Abbildung 8). Er wußte, daß Wasser im Nahen Osten kostbarer ist als
Erdöl. Wasser ist entscheidend. Es gibt dort nicht genug Wasser, um die Region
zu entwickeln. Wie löst man das Problem? Man baut Kanäle, man baut
Kernkraftwerke, mit denen man Meerwasser entsalzen kann, und begrünt die
Wüsten. Man kann israelische Technik und qualifizierte Arbeitskräfte der
Palästinenser und anderer nutzen, um den Nahen Osten von Grund auf zu
verändern.
Aber dazu kam es nicht. LaRouches Pläne wurden zurückgewiesen, statt dessen
gab es endlose Kriege. 1974 veröffentlichte der Club of Rome, zusammen mit
einigen Computer-Manipulatoren des MIT, dieses Buch: Die Grenzen des
Wachstums (Abbildung 9). Das ist die alte malthusianische Leier:
Sie besagt, daß der Welt die Ressourcen ausgehen, daß es zuviel Menschen gibt,
daß man nicht genug Nahrungsmittel erzeugen kann, um die wachsende Bevölkerung
zu ernähren, und daß wir ohnehin nur begrenzte Ressourcen haben. Deshalb gebe
es Grenzen des Wachstums und man müsse diese amerikanischen Vorstellungen von
ständigem Fortschritt und Wachstum stoppen. Solche Vorstellungen würden nicht
mehr funktionieren, behaupteten sie, weil auf der Erde nicht genug Platz für
so viele Menschen ist. Uns würden alle Rohstoffe ausgehen. Das ist der gleiche
Refrain, den wir auch heute noch beim Klimaschwindel hören: Die
wirtschaftliche Entwicklung werde die Welt überhitzen, und deshalb müßten wir
sie stoppen.
LaRouche antwortete darauf mit seinem Buch Es gibt keine Grenzen des
Wachstums (Abbildung 10). Er stellte darin einen Punkt ganz klar: Der
menschliche Geist definiert die Ressourcen. Sie sind nicht etwas, was
einfach irgendwo „da draußen“ ist. Wir sind keine Tiere. Tiere sind beschränkt
auf die Dinge, die sie als Gattung von Natur aus fressen. Sie können die
Zukunft nicht sehen. Sie können nicht darüber nachdenken, ihre Lebensweise zu
ändern. Aber Menschen sind keine Tiere. Wir definieren Ressourcen durch
unseren Geist. Öl war kein Rohstoff, bis der Mensch den Verbrennungsmotor
erfand. Es war nur etwas, was aus dem Boden quoll und landwirtschaftliche
Nutzflächen verdreckte. Aber als wir entdeckten, wie man es nutzen kann, da
wurde es plötzlich ein wertvoller Rohstoff. Und das gleiche gilt auch heute,
wie er in diesem Buch aufzeigt.
Beispielsweise gibt es sehr viel Meerwasser. Es ist nicht einmal trinkbar.
Aber wenn wir aus diesem Meerwasser den schweren Wasserstoff – Deuterium –
herausholen, dann kann man damit Kernfusion betreiben, vorausgesetzt, wir sind
klug genug, genug Mittel für die Entwicklung der Fusionskraft einzusetzen. Und
dieses Beispiel ist nicht auf Deuterium beschränkt. Noch besser ist Helium-3
vom Mond. Das ist ein noch besserer Fusionsbrennstoff, der die Menschheit auf
Jahrtausende hinaus mit Brennstoff versorgen könnte. Und wieder geht LaRouche
voran und sagt: „Schluß mit der Teilung der Welt, mit der
fortschrittsfeindlichen Rückständigkeit. Bauen wir die Welt auf!“
Abb. 11: Studie über die Industrialisierung Afrikas aus dem Jahr 1980.
Abb. 12a: Früherer Zustand des afrikanischen Eisenbahnnetzes [unten links].
Abb. 12b: Das im Ausbau befindliche Eisenbahnnetz [unten rechts].
Abb. 13a: LaRouches Studien über die Industrialisierung Indiens [oben] ...
Abb. 13b: ... und die Integration Iberoamerikas [oben].
Abb. 14: Die EIR-Studie über die Eurasische Landbrücke (1996) [links].
Abb. 15: Die EIR-Studie über die Weltlandbrücke (2014, dt. 2017) [rechts].
Die Geburt der Weltlandbrücke
Wir haben in den 1980er Jahren eine Reihe von Studien veröffentlicht, z.B.
eine umfassende Studie über die Industrialisierung Afrikas (Abbildung
11). Wenn Sie sich die Karten und Tabellen darin anschauen, dann sehen Sie
wiederum, daß die Chinesen heute das tun, was wir darin vorgeschlagen haben.
Das sind nicht die Chinesen allein, aber der Prozeß wird von China
vorangetrieben, etwa neue Eisenbahnen in Kenia und von Dschibuti ins
landeingeschlossene Äthiopien.
Hier ist eine sehr anschauliche Karte (Abbildung 12a) aus unserer
Weltlandbrückenstudie. Sie zeigt den Zustand des afrikanischen Eisenbahnnetzes
vor einigen Jahren, als es nur Eisenbahnen von den Häfen zu den Minen gab,
weil das alles war, woran die Kolonialmächte interessiert waren – Rohstoffe
aus dem Land zu schaffen. Daneben (Abbildung 12b) sehen Sie das sich
entwickelnde Eisenbahnnetz von Afrika heute, das vor allem von China ausgebaut
wird, kreuz und quer über den ganzen Kontinent. Bald wird man in Afrika per
Bahn von einer Hauptstadt in alle anderen Hauptstädte gelangen können, um
wirkliche Nationen aufzubauen, statt sie rückständig zu halten, damit sie
keine Alternative haben, als uns ihre Rohstoffe zu verkaufen. Auch die
Chinesen brauchen Rohstoffe, aber sie bezahlen auch dafür, indem sie die
Länder aufbauen, die diese Rohstoffe liefern, damit diese Länder die Mittel
haben, sich zu entwickeln, statt weiter rückständig zu bleiben und in Schulden
zu ersticken.
Wir haben auch den Weg zur Industrialisierung Indiens beschrieben
(Abbildung 13a), von Rückständigkeit zu industrieller Macht. Später
produzierten wir Die Integration Iberoamerikas (Abbildung 13b).
Iberoamerika hat Probleme der gleichen Art: Es gibt oft keinerlei Möglichkeit,
mit der Bahn von einem Land in die anderen zu reisen. Jetzt bereitet China den
Bau einer Eisenbahn von Peru nach Brasilien vor, eine „Bi-Ozeanische
Eisenbahn“, die den Pazifik mit dem Atlantik verbindet, so wie es Abraham
Lincoln in den Vereinigten Staaten machte. In diesem Fall gibt es auch Pläne
aus Deutschland für eine transkontinentale Eisenbahn in Südamerika. Zum ersten
Mal – und das ist etwas, was wir schon 1982 vorgeschlagen haben – können die
Länder Südamerikas durch moderne Eisenbahnen verbunden werden. Das ist ein
wesentlicher Schritt, wenn man es den Ländern Südamerikas ermöglichen will,
entwickelte Industrienationen zu werden.
Nun kommen wir zu der Konferenz in Beijing, die ich vorhin bereits erwähnt
habe. Als die Sowjetunion zusammenbrach, meinten Lyndon und Helga LaRouche:
Wir müssen nicht nur den Kalten Krieg beenden, sondern jegliche Möglichkeit
für einen Weltkrieg in der Zukunft ausschließen. Und das können wir tun durch
Entwicklung. Wir werden die Neue Seidenstraße bauen.
Helga und Lyn haben diesen Begriff geprägt, es war ihre Idee. Wir gingen
mit dieser Idee zu den Europäern, aber leider sagten die Europäer: Vergeßt es,
wir wollen keine Freundschaft mit Rußland, wir wollen es als unsern Feind
erhalten, damit wir die NATO erweitern und bis an die russischen Grenzen
vorrücken können. So ist es gekommen, und das hat uns an den Rand eines
Nuklearkriegs gebracht. Wir wandten uns auch an die Russen, aber Rußland war
zerstört. Es wurde geplündert und zerstört, alles, was die Schwindler an sich
reißen konnten, holten sie heraus, und Jelzin war ihre nützliche
Marionette.
Aber als wir nach China kamen, da sagten die Chinesen: „Absolut, das ist
es, was wir tun müssen!“ Und dann haben wir gemeinsam mit der chinesischen
Regierung 1996 in Beijing eine große Konferenz veranstaltet. Helga hielt dort
eine der Hauptreden, zusammen mit Regierungsvertretern aus China und anderen
Ländern.
Wir veröffentlichten 1996 einen Sonderbericht (Abbildung 14), in dem
wir den gesamten Plan dargelegt haben. Der Schwerpunkt lag auf Eurasien, aber
wie man schon am Untertitel sieht – Die „neue Seidenstraße“ als Motor
weltweiter wirtschaftlicher Entwicklung – hatten wir schon damals die
Idee, daß dies der Kern für den Aufbau der ganzen Welt sein mußte.
Als Xi Jinping 2013 seine Belt & Road-Initiative ankündigte, stellten
wir eine 370seitige Studie zusammen, um die Seidenstraße zur Weltlandbrücke zu
erweitern (Abbildung 15). Sie wurde inzwischen ins Chinesische,
Arabische und Deutsche übersetzt und wird demnächst auch auf Koreanisch
erscheinen. Die Idee ist, daß die Weltlandbrücke die Grundlage ist, auf der
wir eine Welt schaffen können, die nicht geopolitisch ist, die keine
darwinistische Welt ist, in der einer den anderen auffrißt und eine Nation nur
auf Kosten anderer Nationen gewinnen kann. Stattdessen können wir eine Welt
haben, die sich daran orientiert, die gemeinsamen Ziele der Menschheit zu
verwirklichen, und die die Menschheit in das Erwachsenenalter der menschlichen
Gattung führt, heraus aus ihrer Kindheit als Gattung, in der wir uns jetzt
noch befinden, wo wir uns wie kleine Kinder verhalten, die sich gegenseitig
mit Schlamm bewerfen, anstatt wie eine wahrhaft menschliche Gattung.
Cusanus, Zhu Xi und eine Neue Renaissance
Ich möchte auch noch auf die philosophische Seite der Angelegenheit
eingehen. Wie ich schon erwähnte, befaßte sich Leibniz intensiv mit Zhu Xi,
der zur Zeit der Song-Dynastie im 12. Jahrhundert lebte. So wie die
europäische Renaissance die Ideen Platons aufgriff, um ein Verständnis vom
Menschen als einem schöpferischen Wesen, als lebendiges Abbild Gottes zu
entwickeln, so richtete Zhu Xi die konfuzianische Tradition in China wieder
auf. Er ging sogar noch weiter, indem er ein Konzept einführte, das er das
universelle Prinzip nannte. Er sagte, das Universum werde von einem einzigen
universellen Prinzip regiert, das im Chinesischen als Li bezeichnet
wird. Aber er sagte, über dieses universelle Prinzip hinaus habe alles
Geschaffene, auch jeder Mensch, sein eigenes Prinzip, das anders ist als das
universelle Prinzip, aber dem gleichen Konzept folgt. Das sei etwas, was man
nicht sehen oder anfassen kann, nichts Materielles, sondern das Prinzip, das
die Verbindung zwischen dem partikulären, dem einzelnen zum universellen
Prinzip herstellt, dem Prinzip, das die Entwicklung des gesamten Universums
steuert, die kohärenten Änderungen, die sich im Universum insgesamt
vollziehen.
Abb. 16a: Nikolaus von Kues, ...
Abb. 16b: ... Konfuzius, ...
Abb. 16c: ... Friedrich Schiller.
Leibniz sah das und sagte: „Das ist das gleiche wie meine Idee der
Monade.“ Leibniz hat ein Buch geschrieben, Die Monadologie, in
dem er den Kern seiner Philosophie entwickelt. Darin sagt er dasselbe. Das,
was die Änderungen und die Entwicklung in der Welt vorantreibt, ist der
schöpferische Prozeß, der im Universum existiert. Sogar schon vor der
Entwicklung des Lebens, vor dem Menschen, vor dem menschlichen Geist, gab es
einen Prozeß schöpferischer Veränderungen, einen negativ-entropischen Prozeß,
der das Universum voranbrachte. Doch obwohl alle Dinge mit dem Universellen
verbunden sind und diesen Prozeß der Entwicklung widerspiegeln, hat der
menschliche Geist direkt an diesem universellen schöpferischen Prozeß teil.
Allein der Mensch ist in der Lage, seine Zukunft zu ändern, ohne von
biologischer Evolution abzuhängen – schöpferisch statt darwinistisch. Wir
können die Art und Weise ändern, wie wir Dinge produzieren, wie wir leben, wie
wir essen, wie wir reisen, wie wir zusammenarbeiten, wie wir über die Erde
hinaus ins Sonnensystem vorstoßen.
Das war die Sicht von Leibniz. Leibniz war ein Anhänger von Cusanus
(Nikolaus von Kues, Abbildung 16a) jenem großen Geist, der die
europäische Renaissance in Gang gesetzt hat. Helga Zepp-LaRouche wurde sehr
von Cusanus’ Ideen beeinflußt und wurde schon früh in ihrem Leben zu einer
Expertin für Cusanus’ Leben – wie er die Renaissance in Gang gesetzt hat –,
und sie brachte seine Ideen in unsere Organisation ein.
Cusanus schrieb ein Buch namens De Pace Fidei (Über den Frieden
im Glauben), das war ein Dialog zwischen einem Christen, einem Juden,
einem Buddhisten, einem Tartaren und anderen – im Grunde allen großen
Religionen, die er kannte. Und der Punkt, den er in diesem Dialog
demonstrierte, war der, daß alle diese Religionen, die mehr oder weniger
erfolgreich eine funktionierende Kultur aufrechterhalten hatten, Entdeckungen
über universelle Gesetze des Universums gemacht haben müssen, so, wie Leibniz
später den fortgeschrittenen Stand der chinesischen Kultur erkannte. Und da es
nur eine Schöpfung gebe, argumentierte Cusanus, müßten sich diese Entdeckungen
in gemeinsamen Prinzipien in und zwischen diesen Religionen widerspiegeln.
Im Christentum, sagte Cusanus, haben wir die Dreieinigkeit: Gott den Vater,
Gott den Sohn, und Gott den Heiligen Geist. Aber es ist eine Dreieinigkeit, es
ist Eins. Aber dann sagt Cusanus, daß man die Dreieinigkeit auch noch auf
andere Weise erklären kann. Anstatt die christlichen Begriffe – Gott, Gottes
Sohn und Heiliger Geist – zu verwenden, könnte man auch sagen: der Schöpfer,
das Geschöpf und der Schöpfungsakt. Er führte also andere Wege ein, wie man
diese Vorstellung der Dreieinigkeit ausdrücken kann. Dies sei nicht bloß das
Konzept hinter der christlichen Vorstellung der Schöpfung, sondern auch ein
Ausdruck eines fundamentalen Gesetzes des Universums. Wie in Leibniz’
Monadologie und in Zhu Xis universellem Prinzip (Li) existiert alles,
was existiert, als Teil der Schöpfung, und es hat die Fähigkeit, in dieser
Schöpfung zu wirken, und dabei ist der menschliche Geist das großartigste
unter allen geschaffenen Dingen, weil er in der Lage ist, direkt auf das
gesamte Universum einzuwirken. Cusanus bezeichnete das als die fundamentale
Beziehung zwischen dem Mikrokosmos und dem Makrokosmos. Durch dieses Prinzip
der Kreativität – oder Liebe (agapē) im Christentum, die höhere
Form der Liebe, die Liebe zur Menschheit als ganzer – strebt die Menschheit
danach, die Ebene des Junzi, des idealen Menschen, zu erreichen, das,
was Friedrich Schiller die „schöne Seele“ nannte.
Sie ist die höchste Ebene, die das Wesen des Junzi erfaßt, und wie
wir sehen werden, auch das Wesen der schönen Seele. Konfuzius (Abbildung
16b) erlaubt keine Trennung zwischen dem schöpferischen Geist und den
Emotionen. Sie sind vielmehr eins in der Fähigkeit des menschlichen Geistes,
die Emotionen zu inspirieren, um jenes wahre, höhere Gefühl zu finden, das man
bei der Schöpfung erlebt – sei es, wenn man wissenschaftliche Entdeckungen
macht, wenn man klassische Poesie oder Musik komponiert, oder wenn man für
sich die großartigen Wahrheiten über den Menschen und die Natur entdeckt, die
andere vorher entdeckt haben. Diese Erhebung der eigenen Emotionen, sagt
Konfuzius, ermöglicht es uns, den Emotionen, den Wünschen des Herzens zu
folgen, ohne zu fürchten, daß sie uns zu eigensüchtigen oder niedrigen
Handlungen verleiten.
Man vergleiche das mit dem, was Friedrich Schiller (Abbildung 16c)
in seinem Aufsatz Über Anmut und Würde schreibt:
„Eine schöne Seele nennt man es, wenn sich das sittliche Gefühl aller
Empfindungen des Menschen endlich bis zu dem Grad versichert hat, daß es dem
Affekt die Leitung des Willens ohne Scheu überlassen darf und nie Gefahr
läuft, mit den Entscheidungen desselben im Widerspruch zu stehen... In einer
schönen Seele ist es also, wo Sinnlichkeit und Vernunft, Pflicht und Neigung
harmonieren, und Grazie ist ihr Ausdruck in der Erscheinung.“
Das ist tatsächlich der Kern des konfuzianischen Konzepts der Harmonie.
Eine universelle Renaissance
Was ist eine Renaissance? Wie ich schon sagte, waren die Renaissancen in
der Geschichte die Fähigkeit, insbesondere in Krisenzeiten in der eigenen
Kultur zurückzublicken und das in unserer Geschichte und Kultur zu finden, was
große Kunst und Wissenschaft inspiriert, was die Menschen veredelt und die
Würde der Menschheit wahrt – die Fähigkeit der Menschheit, die Gesellschaft
voranzubringen, anstatt in Krieg und Chaos zu versinken, wie wir es heute im
Westen erleben. Wir hatten die große europäische Renaissance vom 14.-17.
Jahrhundert. China erlebte unter der Song-Dynastie eine konfuzianische
Renaissance. Und die geschieht heute wieder.
Abb. 17: Die Projekte der Weltlandbrücke.
Aber so, wie die Landbrücke zu einer Weltlandbrücke, zu einer weltweiten
Seidenstraße erweitert werden muß, so haben wir heute den Punkt überschritten,
wo wir eine begrenzte konfuzianische Renaissance, eine europäische Renaissance
oder eine arabische Renaissance haben können. Was wir brauchen, ist eine
Welt-Renaissance. Wir müssen die Welt zusammenführen – nicht, um ihre Kulturen
zu einer einzigen zu vermischen, denn es ist ja gerade das Schöne der vielen
verschiedenen Kulturen, daß sie alle etwas beizutragen haben. Aber jede von
ihnen muß zu einer globalen Renaissance beitragen, einer Renaissance, die
beispielsweise die Menschen im Westen dazu begeistert, nicht nur die
Grundlagen ihrer eigenen Kultur wiederzuentdecken, sondern auch ihre eigenen
Wurzeln im Konfuzianismus, im Kalifat von Bagdad oder der indischen
Gupta-Kultur. Wir müssen die Menschen dazu begeistern, zu erkennen, daß sie
unvollkommen, unvollständig sind, daß sie nicht erwachsen sind, solange sie
nicht ihren Geist dazu nutzen, nicht nur ihre eigene Kultur zu verinnerlichen,
sondern auch alle anderen Kulturen der Welt und mit ihnen
zusammenzuarbeiten.
Dies ist unsere Chance. Wir befinden uns in einem seltenen Moment in der
Geschichte. Er ist sehr gefährlich. Wir stehen immer noch am Rande eines
nuklearen Kriegs. Wir erleben immer noch einen Putschversuch gegen unsere
eigene Regierung, der genau deshalb geschieht, weil dieser Präsident mit
Rußland und China zusammenarbeiten will, statt in den Krieg zu ziehen.
Aber es ist die Aufgabe unserer Organisation – dieser kleinen Organisation,
die aber weltweit arbeitet –, darauf zu dringen und unseren Mitbürgern zu
vermitteln, daß in diesem großartigen Augenblick, dieser großen Chance, jeder
dazu beitragen muß und kann, die Menschheit insgesamt auf eine höhere Ebene zu
heben.
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