Ein George W. Bush könnte in China nie an die Macht kommen
Von Stephan Ossenkopp
Professor Zhang Weiwei, ein international renommierter
Wissenschaftler und Bestsellerautor, stellte am 11. Juli in seinem
vorzüglichen Gastvortrag beim Schiller-Institut in Berlin das „Chinesische
Modell und seine Implikationen“ vor.
Die deutschen Medien zeichnen hierzulande wiederholt ein China-Bild, das
mit der Realität eigentlich keinerlei Überschneidungen zeigt. Damit soll der
deutschen Öffentlichkeit die Alternativlosigkeit des Modells der neoliberalen
Globalisierung suggeriert werden, bei völliger Ausblendung der derzeitigen
dramatischen globalen Kräfteverschiebungen, in deren Zusammenhang sich Chinas
Angebot der Neuen Seidenstraße als Plattform für eine Win-Win-Kooperation in
ungeheurem Tempo als zunehmend attraktiver herausstellt. Das von Helga
Zepp-LaRouche 1984 gegründete internationale Schiller-Institut bot deshalb
Prof. Zhang Weiwei von der Shanghaier Fudan-Universität ein Podium, um die in
Deutschland ausgeblendeten Fakten systematisch darzustellen und mit den rund
50 Gästen der Veranstaltung darüber zu diskutieren.
Prof. Zhang, dessen in hoher Auflage veröffentlichten Bücher ihm den Status
eines führenden Intellektuellen verliehen haben, hielt sich in seinem etwa
einstündigen Vortrag und während der ausführlichen Diskussionsrunde an den
Leitspruch seines Mentors, des Reformers Deng Xiaoping: „Man soll die Wahrheit
in den Tatsachen suchen.“ Der Sozialismus mit chinesischen Charakteristiken
sei ein von China geschaffenes und ihm eigenes Modell, das sich zutraue, das
zerfallende System der westlichen Demokratie in allen Punkten zu übertreffen.
Die Vereinten Nationen hätten das Erreichen der Millenniumsziele zur
Armutsreduktion allein deshalb verkünden können, weil China für 70% der
Armutsbeseitigung verantwortlich gewesen ist. Chinas Wirtschaftsaufbau habe
die mit 300 Millionen Mitgliedern größte Mittelschicht der Welt geschaffen.
Die allgemeine medizinische Versorgung und Altersabsicherung habe man in nur
fünf Jahren erreicht.
In seinem berühmten Meinungsaustausch mit Francis Fukuyama, der behauptet
hatte, auch China werde einen „Arabischen Frühling“ erleben, zerriß Zhang
nicht nur das aus neoliberalen Gedankenfarben gemalte Fantasiebild Fukuyamas,
sondern machte sogar die Prognose, der vom Westen unterstützte Arabische
Frühling werde in einen Winter umschlagen und Migrationswellen auslösen.
„Hätten die Fachleute der Europäischen Union damals auf uns chinesische
Experten gehört, hätte man die Flüchtlingskrise vermeiden können“, sagt
Zhang.
China ist eine Meritokratie
Seit der Vereinigung Chinas im Jahre 221 v.Chr. habe der kaiserliche Hof
die Aufgabe der Integration der vielen unterschiedlichen Provinzen und Städte,
der breiten Vielfalt an Sprachen und Traditionen zur Hauptaufgabe gehabt. Der
Anspruch an nationale Führungspersonen, „tian xia“ – alle Menschen unter dem
Himmel – zu repräsentieren, bestehe bis zum heutigen Tage. Personen mit
solchen Qualitäten werden in einem umfassenden selektiven Prozeß ausfindig
gemacht, der in China auf eine lange Tradition zurückgeht. 95% der
chinesischen Beamten, sagt Prof. Zhang, seien einfache Leute, die wegen ihrer
Leistungen befördert würden. Staatspräsident Xi Jinping beispielsweise habe
sich deshalb für diese hohe Position qualifiziert, weil er Gouverneur von drei
Provinzen (Fujian, Shanghai und Zhejiang) gewesen ist, bevor er überhaupt in
den Ständigen Ausschuß des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas
gewählt worden sei.
Nur jemand, der sich konkret um das Gemeinwohl verdient gemacht habe, könne
in einem solchen meritokratischen System aufsteigen. Eine schwache
Führungsperson, so wie George W. Bush, hätte in China keine Chance, an die
Macht zu kommen, so Zhang, da China das System mit dem weltweit größten
Konkurrenzfaktor und mit einem institutionalisierten
Entscheidungsfindungsprozeß sei. Allen wichtigen Entscheidungen gingen
Hunderte von Diskussions- und Konsultationsrunden voraus, während man sich in
den USA einfach nur den politischen Einfluß kaufen und die Politiker wiederum
in der Öffentlichkeit vermarkten müsse. Dies sei noch leichter geworden, seit
der amerikanische Oberste Gerichtshof die gesetzliche Obergrenze für
Wahlkampfspenden komplett aufgehoben habe.
In China sei aber nicht nur die öffentliche Meinung (Minyi)
ausschlaggebend, da die sich gerade unter dem Einfluß der neuen sozialen
Medien innerhalb von Stunden verändern könne, sondern es gebe auch das
langfristige Interesse des Staates (Minxin) in seiner Gesamtheit. Der Staat
werde als notwendiges Gutes angesehen, und nicht als ein notwendiges Übel, wie
es in der westlich-liberalen Anschauung üblich ist. In Chinas sozialistischer
Marktwirtschaft hat der Staat deshalb das Primat des Landeigentums und das
dementsprechende Nutzungsrecht. Nur so könne der Zusammenhalt aller
Landesteile durch die Entwicklung einer nationalen Infrastruktur
funktionieren. Auch das Mobilfunknetz sei in den Händen staatlicher
Einrichtungen.
Das erzeuge aber keinerlei Konflikt mit privaten Unternehmen. Das
berühmteste Beispiel sei der äußerst erfolgreiche Unternehmer und Milliardär
Jack Ma, dessen private Verkaufsplattform im Zusammenspiel mit der staatlichen
Infrastruktur riesige Gewinne verzeichne. Beim „1111 Shopping Festival“ hätten
Chinas private Händler an einem Tag 300 Mrd. Dollar Umsatz gemacht, was dem
BIP Indiens in einem Jahr entspreche.
Chinas Globalisierung: die Neue Seidenstraße
Die Belt and Road Initiative (BRI), wie Präsident Xi Jinping die Neue
Seidenstraße nennt, bietet nun das Erfolgsmodell Chinas zur internationalen
Kooperation an. Es ist eine neue Plattform entstanden, die den Ausbau
landgestützter Entwicklungskorridore und der Seerouten zwischen Asien, Indien,
Afrika und Europa erreichen will. Es ist ein Plan für die kommenden 50-100
Jahre, erläutert Prof. Zhang, der die Erhöhung des Lebensstandards der
Bevölkerungen in den teilnehmenden Ländern zum Ziel hat.
Diese chinesische Form der Globalisierung sei ein Modell der
infrastrukturellen Vernetzung durch Pipelines, Schnellstraßen,
Hochgeschwindigkeitszüge, Kommunikationstechnik, See- und Luftverbindungen. Es
wolle eben gerade nicht die geopolitische Globalisierung des Westens
nachahmen, der das neoliberale Wirtschaftsmodell, Privatisierungen und
Farbenrevolutionen wie den Arabischen Frühling exportiere. Die BRI bedeute,
daß man „gemeinsam diskutiert, plant, baut und profitiert“. Die Asiatische
Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB), die dieses Projekt mitfinanziert, werde
bis Ende 2017 sogar fast 90 Staaten als Mitglieder aufgenommen haben. Obwohl
die AIIB und auch der Silk Road Fund chinesische Ideen seien und mit
chinesischem Geld operierten, wolle man den anderen Teilnehmern nicht
Bedingungen aufzwingen, sondern kooperieren. Darauf beruhe der Erfolg, der der
chinesischen Philosophie folge: schaffe einen Trend (Qushi), und andere werden
dir folgen! Dieser neue Trend gehe weg vom alten Nullsummenspiel und hin zum
Win-Win-Modell, so Zhang.
Helga Zepp-LaRouches strategische Anmerkungen
Die Gastgeberin und Präsidentin des Schiller-Instituts, Helga
Zepp-LaRouche, beglückwünschte Prof. Zhang Weiwei für seinen wichtigen
Beitrag. In ihren Anmerkungen dazu markierte sie den strategischen Kontext, in
dem diese Entwicklungen stattfänden, nämlich der Annäherung der Präsidenten
Trump, Putin und Xi im Umfeld des Hamburger G-20-Gipfels. Diese veränderte
Situation habe tiefgreifende Folgen für Deutschland. Bei dem Treffen in Moskau
bezeichnete man die russisch-chinesischen Beziehungen als auf dem höchsten
Stand in der Geschichte beider Nationen. Auch die amerikanisch-chinesischen
Beziehungen hätten sich nach dem Treffen zwischen Trump und Xi in Florida sehr
gut entwickelt. Dies sei ein bedeutender Schritt hin zur Verwirklichung von Xi
Jinpings Vision einer „Interessensgemeinschaft der Menschheit“ und eines
neuen, von Geopolitik befreiten Paradigmas.
Ein Signal für eine bessere Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland
sei der zwischen Merkel und Xi vereinbarte gemeinsamen Bau eines
Wasserkraftwerks in Angola. Das neuerdings gestiegene Selbstbewußtsein der
Afrikaner habe das Seinige dazu beigetragen, daß sich auch die Sichtweise
deutscher Institutionen nun wandele. Denn China sei der hauptsächliche
Investor in afrikanische Infrastrukturprojekte. So werde z. B.
das lange vom Schiller-Institut befürwortete Tschadsee-Projekt „Transaqua“ nun
von China vorangetrieben. Durch chinesische Investitionen entstünden derzeit
in Afrika 300.000 Arbeitsplätze und zehn Industrieparks, wobei 95% der
Beschäftigten Afrikaner seien. Dies alles sei durch die neue, stetig
erstarkende Dynamik der Neuen Seidenstraße ausgelöst worden. Man tue gut
daran, sich auf dieses neue Paradigma einzustellen, anstatt Deutschland für
hoffnungslos zu erklären.
Unter dem Link newparadigm.schillerinstitute.com finden Sie Prof. Zhangs
Rede im englischen Original. Auch den besonderen musikalischen Beitrag können
Sie dort anschauen, eine von Benjamin Lylloff bearbeitete Chorversion des
berühmten chinesischen Liedes „Mo Li Hua“ (Jasminblüte).
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