Der Weckruf des Manhattan-Projekts
Von Dennis Speed
„Ich muß erstaunt feststellen, daß ich mit Lyndon LaRouche einer Meinung
bin. Händels Messias muß nicht in einer Stimmung von c’ = 246 Hz aufgeführt
werden, und das a’ sollte nicht über 432 Hz liegen, statt 440 oder höher. Aber
ich höre mir gerade den Messias an, der in New York in der Unitarian Church in
New York aufgeführt wurde, dirigiert von John Sigerson und veranstaltet vom
Schiller-Institut, ermutigt von Helga Zepp-LaRouche und Lyndon LaRouche...
eine außerordentlich gute Aufführung, dem natürlichen Stimmumfang der Solisten
und des Chores angemessen, mit sehr guter Unterstützung des Orchesters.“
Ein typisches Zitat eines Zuhörers. Wie schon bei der Aufführung des
Schiller-Instituts von Mozarts Requiem 2014 in Boston (zum 50.
Jahrestag der von Jacqueline Kennedy erbetenen Aufführung des Requiems
nach der Ermordung ihres Ehemanns, Präsident John F. Kennedy) wurden Zweifler
an der Idee einer „richtigen Stimmung“ und an der Bedeutung von LaRouches
Ideen allgemein am 19. und 20. Dezember 2015 in New York wieder einmal
widerstrebend eines besseren belehrt. Am Samstag, dem 19. in Brooklyn und am
Sonntag, dem 20. in Manhattan wurde Händels großartiges Oratorium von einem
kleinen Orchester und einem Chor mit 75 Sängern in der „Verdi-Stimmung“
(c’=256 Hz, das a’ liegt dann bei 427-432 Hz) aufgeführt. Dies ist fast einen
Viertelton tiefer als heute an den meisten großen Opernhäusern üblich. Die
überhöhte Stimmung verfälscht die Musik, wie sie ursprünglich von Mozart,
Beethoven, Bach und anderen klassischen Komponisten beabsichtigt war.
Der New York Schiller Institute Community Chorus wurde ausdrücklich in der
Absicht gegründet, diese willkürliche, aber vorsätzliche Verfälschung zu
beenden und eine Revolte gegen die Verdummung von mehr als einer Million
Schülern im größten Schulbezirk der USA und in der amerikanischen Kultur und
Zivilisation insgesamt anzustoßen - angefangen mit dem zentralen Gegenstand
der Musik.
Brunelleschi
Die knapp tausend Menschen, die zu den beiden Aufführungen kamen, erlebten
nicht bloß eine musikalische Aufführung, sondern allgemein einen neuen Maßstab
für die Bürgerschaft. Musik, musikalische Bildung und Praxis, einschließlich
öffentlicher Aufführungen von Bürgern, sind genauso ein Recht und eine
Verantwortung einer freien Regierung wie Waffen zur Verteidigung des
Landes.
Die richtige Stimmung erlaubt eine natürlichere Plazierung der menschlichen
Singstimme, dem „ersten aller Musikinstrumente“ und zentralen Ausgangspunkt
auch für alle Instrumentalkompositionen. Dies wiederum bringt uns dem Bau des
musikalischen Werks und damit der Absicht des klassischen Komponisten näher -
vorausgesetzt, die Aufführenden und der Dirigent folgen dieser Macht „hinter“
und „zwischen“ dem Notentext der Komposition. Dann wird große Musik
verständlich und reproduzierbar für alle, die den Wunsch haben, sie
kennenzulernen und daran teilzuhaben.
Ein italienischer Sänger und Gesangslehrer, der die Organisierungsarbeit
der vom Manhattan-Projekt angeführten „Bewegung für die richtige Stimmung“
genau verfolgt, bezeichnet es als ein Risorgimento - der Name des
italienischen Unabhängigkeitskampfes, mit dem der Komponist Giuseppe Verdi als
Musiker wie als Parlamentsabgeordneter eng verbunden war. Nach Ansicht dieses
Sängers haben wir heute nicht nur in Amerika ein „finsteres Zeitalter“ der
klassischen Musik. Sänger und Aufführende, die im italienischen Bildungswesen
tätig waren, berichten, daß auch dort seit etwa 1975 weitgehend mit der
früheren Tradition des Belcanto-Gesangs gebrochen wurde.
Deshalb wird jetzt über eine transatlantische Zusammenarbeit diskutiert,
und daran sind auch andere Organisationen beteiligt, wie z.B. die Foundation
for the Revival of Classical Culture („Stiftung für die Wiederbelebung der
klassischen Kultur“), die das Konzert am Sonntag in der All Souls Unitarian
Church unterstützt hatte. Das unmittelbare Ziel des Manhattan-Projekts ist es,
einen Chor von bis zu 1500 Sängern aufzubauen, dessen Mitglieder den Kern
einer Bewegung in der ganzen Stadt New York bilden, und daraus soll der Kern
einer internationalen Bewegung entstehen, die klassische Musik in ähnlicher
Weise einsetzt wie Martin Luther Kings Bürgerrechtsbewegung in den 1960er
Jahren die afro-amerikanischen Spirituals.
Dazu bestanden die Leiter des Chores, Diane Sare und John Sigerson, darauf,
daß die Sänger sich mit dem Dirigenten Wilhelm Furtwängler vertraut machen,
allem voran mit seiner Aufführung der 9. Sinfonie Franz
Schuberts.1 Sare ließ die Chorsänger die Instrumentalstimmen der
Eröffnung der Sinfonie zur Übung a capella singen - nicht nur, um die
gesangliche Qualität der Komposition hervorzuheben, sondern auch, um die
vokal-kontrapunktische Kompositionsmethode aufzuzeigen, mit der Schubert bei
diesem Werk arbeitet.
Ähnliche Vokalisationsübungen gab es mit dem Komponisten Johann Sebastian
Bach, konkret der ersten seiner „zweistimmigen Inventionen“, in der
einstündigen Solfège-Stunde, die regelmäßig jeden Sonnabend vor Lyndon
LaRouches Dialog mit dem Manhattan-Projekt stattfindet.
LaRouche selbst hatte in den 80er Jahren die Kampagne für die Rückkehr zur
Verdi-Stimmung konzipiert und in Gang gesetzt, deren wichtigste Frucht das
Handbuch der Grundlagen von Stimmung und Register war, das 1992 vom
Schiller-Institut herausgegeben wurde. Der Dirigent der New Yorker Aufführung
des Messias, John Sigerson, gehört zu den Autoren dieses Handbuchs.
Nun hat LaRouche angeregt, daß seine Mitstreiter im Manhattan-Projekt das
Werk des florentinischen Wissenschaftlers Filippo Brunelleschi (1377-1446)
studieren, um den eigentlichen Zweck der Musik erfassen. Heute wissen
zwar viele, daß die europäischen Kathedralenbauer zuvor schon seit
Jahrhunderten auf die musikalischen Proportionen der Architektur geachtet
haben - wie etwa bei der Vollendung des Chores der Basilika von St. Denis in
Frankreich (1135-1144) durch den Abt Suger -, doch Brunelleschis musikalische
Entdeckungen in der dynamischen Anwendung der Kunst der Proportionen gingen
weit über alles bis dahin Erreichte hinaus. Brunelleschis bekanntestes Werk
ist die Kuppel des Domes von Florenz, aber LaRouche bezog sich in seiner
Diskussion mit dem Manhattan-Projekt auf Brunelleschis weit weniger bekannte
Pazzi-Kapelle:
„Helga und ich gingen in diese Kapelle, und sie war wie ein lebendiges
Geschöpf. Und man ist mittendrin. Man wird von dieser kleinen Kapelle
ergriffen, sie ergreift dich. Du kannst nicht von ihr lassen! Man muß wieder
herausgehen, um zu sehen, was sonst noch dort ist, aber das ganze war wie ein
lebender Prozeß. Und das war die Qualität seiner [Brunelleschis] Arbeit:
Alles, was er tat, war absolut einzigartig, höchst vielfältig, etc. Und danach
müssen wir auch selbst streben, um zu verstehen, was wir tun müssen, um diese
Krise, die uns jetzt unmittelbar bevorsteht, zu lösen.“
Verwurzelt in wahrer Wissenschaft
Das Manhattan-Chorprojekt wagt sich in Amerika an Neues, wie von Lyndon
LaRouche vorgeschlagen. Es gibt dafür in New York einen Präzedenzfall: das
Projekt eines Nationalen Konservatoriums für die Vereinigten Staaten, das in
den 1890er Jahren vom tschechischen Komponisten Antonin Dvorak („Sinfonie aus
der Neuen Welt“), seiner amerikanischen Unterstützerin Jeanette Thurber und
indirekt von Johannes Brahms betrieben wurde, was 1992 anläßlich des 100.
Jahrestages von Dvoraks Ankunft in den USA vom Schiller-Institut aufgegriffen
wurde.
Dvorak äußerte sich sehr präzise über den Zweck des Konservatoriums. Der
amerikanische Kongreß verweigerte jedoch dem Vorhaben die Unterstützung, und
es wurde sabotiert von Leuten, denen die Vorstellung, Amerikas klassische
Musik besonders aus den Spirituals der Afroamerikaner zu entwickeln, zuwider
war. Für Afroamerikaner sollte überhaupt nur nichtklassische Musik - wie
später der von New Orleans ausgehende Jazz - erlaubt sein, und nachdem das
Projekt des Nationalen Konservatoriums Mitte der 1890er Jahre aufgegeben
werden mußte, wurden sie pauschal von allen Musikschulen und Konzerthallen
ausgeschlossen. Dvorak selbst mußte nach Europa zurückkehren.
Heute ist die Lage noch weit schlimmer als zu Dvoraks Zeiten, weil
insbesondere seit den 1960er Jahren die Klassik kaputtgemacht und aus dem
Musikleben verdrängt wurde. Auch die Regierungen sind viel schlimmer, genauso
wie der Kongreß und leider auch die Bevölkerung. Aber wie schon Dr. Martin
Luther King in seiner Rede am 3. April 1968 sagte: „Ich weiß aber irgendwie:
Nur wenn es finster genug ist, kannst du die Sterne sehen.“ Die Macht der
Poesie kann die schlimmsten Situationen überwinden, wie der Dichter Percy
Shelley sagt.
Die vom Manhattan-Projekt verwendete Methode ist tiefer in der Wissenschaft
verwurzelt als frühere kulturelle Vorstöße.
So folgte beispielsweise in Europa auf das Werk von Brunelleschi, Nikolaus
von Kues und Johannes Kepler die Begründung des wohltemperierten Systems der
Komposition durch Johann Sebastian Bach, und es ist für jeden Musikstudenten
wesentlich, dieses zu kennen und zu meistern, aber das wird im allgemeinen in
den Konservatorien nicht vermittelt. Wenn man sich nun ausgehend vom
fortgeschrittenen Standpunkt der Komposition der klassischen Periode von Bach
bis Brahms, Verdi und Dvorak auf das Prinzip der Belcantostimme und auf
Furtwänglers Prinzipien des Dirigierens konzentriert, dann kann man
Zehntausenden New Yorker Bürgern schon kurzfristig ein neues, dem Menschen
wirklich angemessenes Verständnis von Sprache vermitteln, so wie das früher
einmal charakteristisch war für die Redner und die öffentliche Sprache in
Amerika.
Man betrachte beispielsweise den folgenden Satz, der ziemlich zufällig
einer öffentlichen Rede entnommen ist, die der ehemalige Sklave Frederick
Douglass 1851 in Rochester/New York gehalten hat; Douglass nutzte damals jede
Möglichkeit, die Grundlagen für die Freiheit aller Menschen, die in der
Verfassung der Vereinigten Staaten verkündet wird, klar darzulegen:
„Wenn ich von solchen Menschen rede, dann finde ich keine
angemessenere Sprache als die Worte des Heilands an die Schriftgelehrten und
Pharisäer - und wenn hier jemand die Wortwahl, die ich verwendet habe, als
harsch oder beleidigend empfindet, so empfehle ich ihm die brennenden Worte
unseres Erlösers, die er schon vor 1800 Jahren für die gleiche Klasse von
Menschen verwendete, die sich jetzt der Erlösung der Sklaven widersetzen: ,Weh
euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr verzehntet die
Minze, Dill und Kümmel, und laßt dahinten das Schwerste im Gesetz, nämlich das
Gericht, die Barmherzigkeit und den Glauben!’“
Douglass’ Reden waren fast niemals schriftlich aufgesetzt. Er hielt sie
drinnen oder draußen, in Hallen aller Art, Schulen und Kirchen, ohne Mikrofon
und Verstärker. Kann sich heute irgend jemand vorstellen, daß einer der
Präsidentschaftskandidaten oder einer dieser viel zu häufigen halbgebildeten
Straßenredner, Fernsehstars, Kommentatoren, Nachrichtensprecher,
Talkshowmoderatoren oder Halbkoryphäen der Talkradiosender in dieser Weise
redet?
Was war die Musik der Sprache, die Douglass hörte, und was ist die Musik,
die sie hören? Welche Musik hört Donald Trump? Welche Musik hört Barack Obama?
Welche Musik spielt der Kongreß, um die Stimme der Verfassung zu übertönen,
die Obamas jede Woche mit seinen Drohnenmord-Konferenzen wieder mit Füßen
tritt?
Nur indem man in entscheidenden Teilen des Landes eine andere Teilhabe an
Musik in der breiten Bevölkerung einführt, nicht zuletzt durch Aufführungen,
kann dieser sonst todgeweihte Zustand unserer Zivilisation überwunden werden.
Denn das ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß unsere Gesellschaft in
den Bürgern die moralische Überlebensfähigkeit weckt. Anderenfalls verurteilen
sich die Bürger immer mehr selbst zum Untergang, durch Drogen- und
Alkoholmißbrauch, Selbstmord sowie verschiedene Formen der Geisttötung -
selbst herbeigeführte wie auch institutionell geförderte.
Ungebildete und halbgebildete Menschen können nicht erfolgreich eine
Republik schützen, so gut ihre erklärten Absichten auch sein mögen. In den
heutigen Vereinigten Staaten, wo die Regierungen der beiden letzten
Präsidenten ausdrücklich die Absicht verfolgten, die eigene Bevölkerung durch
verschiedene Formen der Kriegführung von innen wie von außen und durch
wirtschaftliche Entbehrungen zu reduzieren, und wo der amtierende Präsident
jeden Dienstag allgemein bekannte „Killersitzungen“ im Stile Neros abhält -
ist es da ein Wunder, wenn in einem solchen Land fast täglich ein neuer
Massenmord stattfindet?
Aldous Huxley irrte sich
In einer Rede, die er 1962 an der Universität von Kalifornien in Berkeley
hielt, nachdem er an einer Konferenz am Zentrum für das Studium der
Demokratischen Institutionen in Santa Barbara teilgenommen hatte, äußerte
Aldous Huxley die berüchtigte Bemerkung:
„Es wird ungefähr in der nächsten Generation eine pharmakologische Methode
geben, die Menschen dazu zu bringen, ihre Knechtschaft zu lieben, und
sozusagen eine Diktatur ohne Tränen zu schaffen; eine Art von schmerzlosen
Konzentrationslagern für ganze Gesellschaften, so daß den Menschen faktisch
ihre Freiheit genommen wird, sie es aber genießen werden, weil Propaganda oder
Gehirnwäsche oder durch pharmakologische Methoden gesteigerte Gehirnwäsche sie
von jedem Gedanken an Rebellion ablenken wird. Und das scheint mir die
endgültige Revolution zu sein.“
1974 überwanden politische Mitstreiter LaRouches, die Opfer einer durch
Drogen und teilweise auch physische Angriffe induzierten Gehirnwäsche waren,
die Wirkung dieser Gehirnwäsche, indem sie sich intensiv Beethovens späte
Streichquartette anhörten. Diese Kompositionen dienten als ein hochwirksamer
emotionaler Ankerplatz, ihr Ausdruck und Triumph der menschlichen Kreativität
war mächtiger als die entgegengesetzten, damals groben Unterdrückungsmethoden,
wie sie vor 40 Jahren bei Polizeibehörden beliebt waren. Solche pädagogischen
Übungen können unter kundiger Anleitung Wirkungen der Art, die Huxley als
„endgültig“ bezeichnet, aufheben.
Es stimmt, es wurde großer Schaden angerichtet, aber wenn die Menschen den
Mut fassen, die Wall Street und deren falsche menschlichen Wertvorstellungen
abzuschaffen, dann wird schon dieser Akt an sich die Vernunft der Gesellschaft
als ganzer wiederherstellen. Aber woher nimmt man den Mut dazu?
Hier kommt die wahrhaft revolutionäre Rolle der Komposition und Aufführung
klassischer Musik ins Spiel. Letztlich ist der Mensch kein Tier - wenn er es
nicht sein will. Heute wird schon die Wiedereinführung klassischer Prinzipien
in der Musik eine wohltätige Wirkung haben, aber das reicht noch nicht aus. Um
die Zivilisation zu retten, ist es unabdingbar, ein klares Beispiel für eine
solche Zukunft zu setzen, die zu retten es wert ist. Diese Zukunft ist nicht
„programmatisch“; sie ist nicht „pragmatisch“. Sie ist kein wohlklingender
leerer Wahlkampfslogan wie Obamas „Hoffnung und Wandel“. Sie muß nicht nur
emotional wahr klingen, sie muß auch wahr sein.
Mit dem neuen Jahr und einer neuen Phase der kulturellen Krise haben sich
die mit LaRouches Manhattan-Projekt verbundenen Kräfte als Neujahrsvorsatz
vorgenommen, der amerikanischen Bevölkerung Lust darauf zu machen - ganas,
wie die Spanier sagen -, sich zu „waffnen gegen eine See von Plagen, durch
Widerstand sie endigen“ (Shakespeares Hamlet).
Mit diesen Waffen sind keine halbautomatischen Schußwaffen gemeint und auch
keine apokryphen Star-Wars-Lichtsäbel. Es sind die gleichen Waffen, die
schon der große italienische Patriot und Künstler Giuseppe Verdi in seinem
Kampf für eine souveräne und geeinte Nation Italien schmiedete und führte, ein
„Risorgimento“, das einen Kampf erfolgreich abschließen würde, für den einst
der Poet und Staatsmann Dante Alighieri, mehr als 500 Jahre vor Giuseppe
Verdis Werken wirkte und starb. LaRouche hat den Ansatz der italienischen
Belcanto-Gesangsausbildung ausdrücklich als die dringend notwendige Grundlage
bezeichnet, um die Amerikaner das zu lehren, was LaRouche als die Plazierung
der Stimme bezeichnet. Das ist weder esoterisch noch unverständlich, sondern
im Gegenteil ein Angriff auf die Unverständlichkeit.
Das Gegrunze, das heute als öffentliche Reden durchgeht - besonders
abstoßend im Wahlkampfgeschrei von Donald Trump oder dem noch übleren Chris
Christie vorgeführt -, sollte dem Hörer klar signalisieren, daß da ein
menschlicher Geist redet, der kriminell und/oder verrückt ist. Aber
anscheinend wird das nicht mehr wahrgenommen. Viele Menschen können offenbar
nicht mehr hören, wie offensichtlich verrückt diese Leute und auch ihr
Präsident sind.
Ist es der Krach, den man heute Unterhaltungsmusik nennt, was Amerika
moralisch taub gemacht hat? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem, was
sich die Amerikaner anhören, und den politischen Kandidaten, deren Ergüsse sie
über sich ergehen lassen? 16 Jahre pausenlose Verdummung - erst durch das
„Country & Western“-Geschrei des nicht bloß ungebildeten, sondern
bildungsfeindlichen George Bush, gefolgt vom „Smooth Jazz“-Gedudel der stets
inhaltsfreien Erklärungen Barack Obamas - wurden dankenswerterweise jüngst vom
russischen Präsidenten Wladimir Putin durch seine Rede zum 70. Jahrestag der
Gründung der Vereinten Nationen barsch unterbrochen. Amerikaner und die übrige
Welt erlebten dankbar zwei im Vergleich völlig entgegengesetzte Reden mit zwei
völlig verschiedenen Vorstellungen von Führung der Welt. Das eine war
menschliche Rede - das andere war es nicht.
Kein Schweigen mehr
Der Zweck des Manhattan-Chorprojektes ist es, jeden Bürger, der dazu
beitragen will, das Ende unserer Zivilisation und der Menschheit abzuwenden -
das unvermeidlich am Ende der Abwärtsspirale auf uns wartet, auf der Präsident
Obama die Welt führt - mit den notwendigen moralischen Waffen für diese
Mission auszurüsten. Diese Fähigkeit muß aber als eine emotionale Bereitschaft
zum Handeln erweckt werden, nicht bloß als kontemplative Betrachtung der
Frage: „Was wäre vielleicht das richtige, das man tun sollte?“ Dafür haben wir
keine Zeit mehr.
In ihrer Begrüßung des Publikums bei der Aufführung des Messias in
der All Souls Church schloß die Gründerin der Foundation for the Revival of
Classical Culture, Lynn Yen, ihre Bemerkungen so:
„Man kann einen Mann, eine Frau oder eine Nation nicht überzeugen, indem
man ihn oder sie umbringt. Man hat einen Menschen nicht überzeugt, bloß weil
man ihn zum Schweigen gebracht hat. Händels Messias, Beethovens 9. Sinfonie,
Mozarts Requiem und andere Werke sind die mächtigsten ,Massenbildungswaffen’,
die in der westlichen Zivilisation je geschmiedet wurden. Wann werden wir
lernen, daß dies - und nicht Schußwaffen oder Bomben - der wahre Weg ist, die
Menschheit bessern zu helfen? Die Antwort lautet: Wir werden es nur dann
lernen, wenn so viele junge Menschen auf diesem Planeten, angefangen an Orten
wie den Vereinigten Staaten, die wahre Würde der Menschheit verstehen, weil
sie sie in dieser Musik gehört und aufgeführt haben. Dann wird man sie nicht
mehr zum Schweigen bringen können, weil sie zum ersten Mal den Klang ihrer
eigenen, unverwechselbaren Stimme gehört haben und davon bewegt waren.“
Anmerkung
1. Vgl. Renée Sigerson, „Zu Schuberts Neunter Symphonie“, Neue
Solidarität 46/2015.
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