Die Geschichte verändern durch Veredelung des Menschen
Von Helga Zepp-LaRouche
Helga Zepp-LaRouche eröffnete den Schlußabschnitt der New
Yorker Konferenz des Schiller-Instituts am 7. April mit den folgenden
Bemerkungen.
Konfuzius machte viele wichtige Aussagen über die Musik und über den
Zusammenhang zwischen der Musik und dem Staat. Er sagte, wenn man den Zustand
eines Landes beurteilen wolle, dann sollte man seine Musik betrachten. Nun,
nach diesem Maßstab ist der Westen offensichtlich in sehr großen
Schwierigkeiten.
Deshalb mißt das Schiller-Institut der klassischen Musik und der
klassischen Kunst insgesamt größte Bedeutung zu. Aber in einer Gesellschaft,
die dermaßen gespalten ist, in der alle Themen die Meinungen spalten und die
Menschen so viele Meinungen haben, daß man kaum zwei findet, die sich in
irgendeiner Sache einigen können, wie findet man da zurück zum Streben nach
Wahrheit? Und um die Wahrheit zu finden - ganz egal, ob in der Musik, in der
Lehre, in der Wissenschaft, in der Wirtschaft -, sollten die Menschen
wahrheitsliebend sein. Denn nur dann sind sie wirklich Menschen.
Es gibt nur zwei Bereiche, in denen man wirklich nach Wahrheit streben
kann, ohne durch Eigensinn abgelenkt zu werden, oder dadurch, daß man einfach
die Meinungen von jemand anderem übernimmt, von den Medien, den Nachbarn, wem
auch immer: die beiden Bereiche, in denen es möglich ist, Wahrheiten zu
suchen, sind die Naturwissenschaften, weil man dort Prinzipien entdecken kann,
die universell gültig sind - wenn man sie in Deutschland entdeckt, dann gelten
sie auch in China oder in Amerika, es gibt ein Kriterium für Wahrheit; und der
einzige andere Bereich, in dem dies ebenfalls gilt, ist die klassische Kunst.
Denn nur in der klassischen Kunst findet man Prinzipien, die genauso ewig und
wahrhaftig sind wie wissenschaftliche Prinzipien.
Die Frage ist daher: Wie führen wir die Gesellschaft - geheilt - heraus aus
dem schrecklichen Zustand, in dem sie sich befindet?
Dazu müssen wir den Menschen wieder beibringen, was Schönheit ist. Es gibt
Schillers berühmte Kontroverse mit Kant; Kant sagte, im kategorischen
Imperativ: Du mußt. Du mußt moralisch sein, du mußt so handeln, daß du
nicht die Rechte eines anderen verletzt. Schiller fand das schrecklich und
sagte: Der arme Kant, er muß eine schreckliche Kindheit gehabt haben, denn er
schrieb nur für die Sklaven, für die Knechte, und nicht für die schönen
Seelen.1 Denn eine schöne Seele ist ein Mensch, der die Freiheit so
sehr liebt, daß er zur Moral nicht durch irgendwelche Mechanismen gezwungen
sein will, weil dann etwas unterdrückt wird, und wahre Freiheit darf nicht
unterdrücken.
Deshalb ist die Schönheit in allem, besonders aber in der klassischen Kunst
so absolut entscheidend, denn Schönheit ist sowohl ein Begriff der Vernunft -
Schiller verlangt, daß Schönheit nicht durch Erfahrung, sondern durch Vernunft
definiert ist -, sie gehört gleichzeitig aber natürlich auch dem Bereich der
Sinne an, und deshalb gibt es bei schönen Dingen und schöner Kunst keinen
Widerspruch zwischen Vernunft und Gefühl.
Schiller war absolut überzeugt, daß es die wichtigste Aufgabe seiner Zeit
war, die Gefühle der Menschen zu erziehen. Denn wenn die Menschen emotional
verkrüppelt sind, so daß sie nur eine einzige spezielle Fähigkeit entwickeln
und alles übrige vernachlässigen, oder sie mit ihrem ganzen Leben auf der
falschen Spur sind - dann ist der einzige Weg, das zu verbessern, die Gefühle
zu erziehen, bis an den Punkt, an dem uns die Gefühle auf die Ebene der
Vernunft führen, sodaß man ihnen blind vertrauen kann, was immer ihre Impulse
sein mögen, weil sie niemals gegen das verstoßen werden, was die Vernunft
gebietet.
Schiller nannte dies die „ästhetische Erziehung“. Und der Weg dahin führt
über die große klassische Kunst. Er hatte in seinen wunderschönen „Briefen
über die ästhetische Erziehung des Menschen“ viel darüber zu sagen, warum nur
die große klassische Kunst eine moralische Verbesserung und Veredelung des
Individuums herbeiführen kann. Er war überzeugt - und das ist schon sehr lange
mein festes Credo -, daß eine Änderung in der Politik einzig und allein als
durch die Veredelung des Individuums erreicht werden kann.
Laßt uns also einige schöne Kunstwerke anhören, und bedenken dabei, daß
dies Politik auf höchstem Niveau ist.
Anmerkung
1. „Womit aber hatten es die Kinder des Hauses verschuldet, daß er
nur für die Knechte sorgte?“ in: „Über Anmut und Würde“
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